Sonntag, 27. Februar 2022

Entwöhnung vom Gas

Beim Gas treffen die Maßnahmen zum Ukraine-Konflikt und zum Klimaschutz plötzlich aufeinander - und driften möglicherweise auch ziemlich schnell wieder auseinander, wenn es um die Diskussion der Ersatzenergie geht. Bleibt festzustellen: Das Verhalten unserer Politik in den letzten Jahren war grob fahrlässig, soweit es unsere Energieversorgung betrifft. Warum wurde die begonnenen Energiewende so leichtfertig verschleppt?

Der Standard  hier  Analyse  Günther Strobl

UKRAINE-KONFLIKT

Langfristig will Europa aus Klimaschutzgründen raus aus dem Gas. In den nächsten dreißig oder vierzig Jahren wird es ohne diesen Brennstoff nicht gehen. Zwingend gelingen muss hingegen die Reduzierung der Abhängigkeit von Russland

Russlands Griff nach der Ukraine ist auch ein später Weckruf für Europa, sich in der Energieversorgung neu aufzustellen. Das gilt für Rohöl und Kohle, in noch viel größerem Ausmaß aber für Erdgas, wo Europa zu 40 Prozent von Importen aus Russland abhängig ist.

Einzelne Länder wie Österreich, das 80 Prozent des Bedarfs aus russischem Pipelinegas deckt, oder Ungarn (fast 100 Prozent) sind noch stärker exponiert. Auf Versprechungen Moskaus, die Abnehmer am anderen Ende der Leitung zuverlässig und ausreichend mit günstigem Gas zu versorgen, vertraut man nach dem Überfall auf die Ukraine nicht mehr.

Wie ist es überhaupt zu dieser starken Abhängigkeit gekommen? Das hat zum einen mit der Geografie zu tun, aber auch mit einer gewissen Bequemlichkeit, der Preisgestaltung – und der Tatsache, dass Russland bisher zumindest ein verlässlicher Partner war.

Das haben Vertreter der OMV, die als erstes westliches Unternehmen 1968 einen Erdgasliefervertrag mit Moskau abgeschlossen hat, aber auch höchste Regierungsvertreter in Österreich und Deutschland immer wieder hervorgehoben. Und es hat ja auch gestimmt. Selbst in der frostigsten Phase des Kalten Krieges strömte das Gas von Ost nach West, und die Wohnungen blieben warm.

Als Anfang 2009 beim Knoten Baumgarten an der niederösterreichisch-slowakischen Grenze 13 Tage lang kein Gas aus Russland ankam, war die Aufregung zwar riesengroß; Russland ortete die Schuldigen damals schon in Kiew und beteuerte, für den Westen bestimmtes Gas werde in der Ukraine illegal abgezweigt. Die ausgefallenen Mengen wurden nachgeliefert, das Vertrauen in den Lieferanten litt darunter noch nicht. Das ist jetzt anders.

Suche nach Ersatz

Höchste Repräsentanten der EU, von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bis Energiekommissarin Kadri Simson, versuchen, neue oder zusätzliche Bezugsmengen als Ersatz für russisches Gas auf die Beine zu stellen. Auch Türkis-Grün in Wien beteuert, sich ins Zeug zu legen, um die Abhängigkeit von einem Lieferanten zu reduzieren. Es ist aber nicht die Politik und es sind auch nicht einzelne Länder, die Energie in welcher Form auch immer kaufen. Das machen darauf spezialisierte Händler, und sie machen das rund um die Uhr.
Die Politik kann höchstens Türen in Produzentenländern aufstoßen und Rahmenbedingungen so gestalten, dass es sich für Unternehmen beispielsweise lohnt, Flüssiggasterminals zu bauen. Verflüssigtes Erdgas oder LNG (Liquified Natural Gas), wie es in der Fachsprache heißt, wäre eine von mehreren Möglichkeiten, russisches Pipelinegas zu ersetzen. Daran hängen zumindest die Hoffnungen vieler Verantwortungsträger. Doch ist das auch realistisch?

Mix an Maßnahmen

Zehn bis 20, allerhöchstens 30 Prozent ließen sich mit einer Kraftanstrengung ersetzen, sagen Expertinnen und Experten. Und das auch nur, wenn die LNG-Nachfrage aus Ländern in Asien, die aus Mangel an Alternativen jeden Preis zu zahlen bereit sind, gerade einmal nicht so groß ist. Das war beispielsweise in den vergangenen Wochen der Fall, wo aufgrund der vergleichsweise milden Witterung die Nachfrage in Asien zurückgegangen ist und Tanker Kurs auf Europa genommen haben. Mit LNG allein wird man also nicht das Auslangen finden.

"Es muss einen Mix an Maßnahmen geben: Diversifikation samt LNG, aber auch Auslastung aller Pipelinerouten, Aktivierung von Gasreserven, Biogas, Ausbau erneuerbarer Energien und Energiesparen. Dann kommen wir auch über den nächsten Winter", sagt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

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