Mittwoch, 4. September 2024

"Hier fahren doch eh alle mit dem Auto"

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Die einen befürchten Lärm durch die Baustelle, stockenden Verkehr und den Verlust von Parkplätzen. Die anderen freuen sich über eine neue Möglichkeit, im Alltag klimaschonend und dennoch sicher unterwegs zu sein. Neue Radwege stoßen fast überall auf Kritik – sei es in Graz, Krems oder Wien. Dort regt sich ob des Ausbaus der Radinfrastruktur Widerstand, Anwohnerinnen und Anwohner protestieren.

Die Krottenbachstraße im Wiener Bezirk Döbling ist so ein Brennpunkt. Ein neuer Radweg, der gerade entsteht, sorgt für hitzige Diskussionen. Mein Kollege Jakob Pallinger war vor Ort, hat mit den Menschen im Bezirk gesprochen und sich bei Verkehrsexpertinnen und -experten umgehört. Der Ausgangspunkt für seine Recherche waren die Fragen: Warum stoßen die Menschen sich eigentlich so sehr an einem Radweg – und ist ihre Kritik berechtigt?

Walter Emberger, Verkehrsexperte an der Technischen Uni Wien, überrascht der Widerstand jedenfalls nicht. Wenn sich am Status quo etwas ändert, gebe es immer Gegenwind.
Der Grund dafür? Ganz einfach: die Macht der Gewohnheit. Jahrzehntelang seien die Menschen daran gewöhnt gewesen, überall mit dem Auto hinzufahren und kostenlos parken zu können. Lange Zeit waren die Städte vor allem Autos vorbehalten. Doch weil sie Lärm machen, Abgase erzeugen und eine Menge Platz verschlingen, ändert sich das nun immer mehr. Dennoch hängen viele nach wie vor an ihrem Auto.

Astrid Gühnemann, Verkehrsplanerin an der Uni für Bodenkultur Wien und selbst Döblingerin, sieht die Politik als Brandbeschleuniger in diesem Konflikt. Ihrer Meinung nach hat "politisches Machtgehabe" die Spannungen zusätzlich verschärft

Der Döblinger Bezirksvorsteher Daniel Resch (ÖVP) hält den Radweg für überdimensioniert und fühlt sich von Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) übergangen, die das Projekt als Teil des Wiener Hauptradverkehrsnetzes durchgesetzt hat. Vor zwei Jahren ließ Resch die Haushalte rund um die Krottenbachstraße befragen – eine "sehr tendenziöse" Befragung, meint Gühnemann. Offenbar wurden vor allem Ältere dafür kontaktiert und im Infobrief vor allem die Nachteile für Autofahrer beschrieben. 

Aufhalten lässt sich der Bau nun ohnehin nicht mehr. Der Radweg soll noch in diesem Jahr fertig werden. Irgendwann werden sich die Bewohnerinnen und Bewohner des Bezirks auch daran gewöhnen, prognostiziert Experte Emberger. 

Zumal mittelfristig alle vom Bau neuer Radwege profitierten: Der Verkehr werde nicht gebremst, sondern sogar flüssiger, weil mehr Menschen auf andere Transportmittel umsteigen, sagt er. Kinder würden auf den Radwegen selbstständiger, der Lärm und die Unfallzahlen würden sinken, und die Luftqualität verbessere sich.


hier ist der Original-Artikel zu finden  Reportage  Jakob Pallinger  31. August 2024

Mobilitätswende: Neuer Radweg in Döbling

Immer wieder stoßen Radwege wie jener in der Wiener Krottenbachstraße auf Widerstand. Wie berechtigt ist die Kritik an neuer Radinfrastruktur?

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Gewohnheiten schwer zu ändern

"Immer, wenn Flächen neu verteilt werden, regen sich die Leute auf", sagt Günter Emberger, Verkehrsexperte an der TU Wien. Jahrzehntelang sei die Flächenverteilung in den Städten zugunsten des Autos ausgefallen – bis diese Verteilung zunehmend an Grenzen gestoßen sei: zu viel Lärm, zu viel Hitze, zu wenig Platz für andere Verkehrsteilnehmer. "Vor allem der ruhende Verkehr, das heißt die parkenden Autos, verbraucht enorme Flächen in der Stadt."

Dass eine Veränderung hin zu mehr Radwegen und weniger Autos auf viel Kritik stoße, habe einen einfachen Grund, sagt Emberger: "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier." Viele Menschen seien es gewohnt, mit dem Auto überall hinzufahren und gratis zu parken. Die Flächenverteilung in den Städten habe viele Menschen erst abhängig vom Auto gemacht. "Jede Veränderung am Status quo stößt erst einmal auf Widerstand."

Politisches Machtgehabe

Sie sei selbst Radfahrerin, sagt Birnbaumer im Blumengeschäft in der Krottenbachstraße. Und so, wie die Straße vorher ausgelegt war, sei sie als Radfahrerin jede Woche mehrmals beinahe von Autofahrern abgeschossen worden, wenn sie nicht selbst vorsichtig genug gefahren wäre. Die Breite des neuen Radwegs findet sie dennoch "üppigst". Mit den Bussen und den Lieferfahrzeugen könnte das künftig knapp werden, befürchtet sie. "Ich wünsche mir, dass es ein Miteinander gibt. Aber das ist hier schwierig."

Für Astrid Gühnemann, Verkehrsplanerin an der Universität für Bodenkultur Wien, die selbst in Döbling lebt, ist die Krottenbachstraße ein gutes Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte. "Das politische Machtgehabe rund um den Fahrradweg hat den ganzen Konflikt befeuert", sagt sie. Dass einige durch den Bau des Radwegs erst einmal Nachteile haben und den Wegfall der Parkplätze als Verlust sehen, sei verständlich. "Das muss man bei allen positiven Aspekten des Radwegeausbaus auch anerkennen." Im Fall der Krottenbachstraße sei die Politik jedoch äußerst konfrontativ vorgegangen.

"Unnötigster Radweg in ganz Wien"

Erst vor wenigen Wochen legte sich der Bezirksparteiobmann der FPÖ Döbling, Klemens Resch, demonstrativ mit dem Liegestuhl auf einen schon fertiggestellten Abschnitt des Fahrradwegs. In einem Video, das er auf den sozialen Medien teilte, bezeichnete er diesen als den "unnötigsten Radweg in ganz Wien".

Auch sein Bruder Daniel Resch, Bezirksvorsteher der ÖVP in Döbling, findet den Radweg überdimensioniert. Dieser führe zu einem noch höheren Parkplatzdruck, Verkehrsprobleme würden nun in andere Gassen verschoben. 200 Parkplätze würde der neue Radweg vernichten. Resch fühlt sich von Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) übergangen, die den Radweg als Teil des Wiener Hauptradverkehrsnetzes durchgesetzt hatte. Eine von Daniel Resch vorgeschlagene Alternativroute über die parallel verlaufende Hutweidengasse hätte laut SPÖ jedoch einen Umweg von 250 Metern bedeutet, unwesentlich weniger Parkplätze vernichtet und 800.000 Euro zusätzlich gekostet.

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Mit Mythen aufräumen

Aufhalten lässt sich dieser von den Kritikerinnen und Kritikern ohnehin nicht mehr. Noch in diesem Jahr soll der letzte mittlere Abschnitt fertig werden. "Sobald eine neue Realität da ist, gewöhnen sich die Menschen daran", sagt Verkehrsexperte Emberger.

Diese Realität könne auch mit Mythen aufräumen, die sich in einigen Köpfen erhalten haben: etwa dass es zum Einkaufen Parkplätze brauche. "Die wirtschaftsstärksten Zonen sind meist verkehrsberuhigt oder autofrei", sagt Emberger. Auch zu mehr Staus führen Radwege nicht. Stattdessen machen sie den Verkehr flüssiger, wenn mehr Menschen auf platzsparende Transportmittel umsteigen. Kinder wiederum seien auf Radwegen sicherer und selbstständiger unterwegs, es gibt weniger Lärm, Unfälle und eine bessere Luft. "Mittelfristig profitieren alle vom Bau neuer Radwege."

Ausgrenzung von Autofahrern?

Aber was ist mit jenen, die auch danach weiterhin vom Auto abhängig sind – älteren Menschen beispielsweise, Pendlern und anderen Berufstätigen? Werden diese sukzessive aus den Innenstädten verdrängt? Diese Debatte erhitzte sich in den vergangenen Monaten etwa in Brüssel, wo die Stadtregierung mit dem "Good Move Plan" die Rad- und Fußgängerwege zulasten der Autos ausweitete und bis 2030 weiter ausweiten will. Das Programm helfe hauptsächlich umweltbewussten, wohlhabenderen Gruppen und schließe jene oftmals einkommensschwachen Teile der Bevölkerung aus, die ihr Auto bräuchten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, so die Kritik.

"Die, die in solchen Konflikten sehr laut sind, sind meist nicht die, die zu den untersten Einkommensgruppen gehören, sondern meist die, die besser situiert sind", sagt Gühnemann. Für diese Menschen sei es meist zumutbar, einen angemessenen Preis fürs Parken zu bezahlen. Ein Großteil der Menschen im untersten Einkommensdezil habe hingegen gar kein Auto, weil es schlicht zu teuer sei.

Dennoch gebe es Menschen, die eher zu den Geringverdienern gehören, aber mit dem Auto zur Arbeit müssen – wie zum Beispiel Schichtarbeiter. Für diese Gruppen brauche es Ausgleichsmaßnahmen, beispielsweise eine niedrigere Parkgebühr oder die Möglichkeit, vergünstigte Garagenplätze anzumieten. Beteilige man alle Betroffenen früh bei der Planung – Berufsfahrer, Fußgänger und Öffi-Nutzerinnern und -Nutzer –, könne man die einzelnen Belange besser abwägen. "Ganz ohne Konflikte wird es aber nie gehen."

Entlastung des Verkehrs

Von den rund 28.000 Menschen, die an der und um die Krottenbachstraße wohnen, würden viele gerne aufs Rad umsteigen, heißt es von der Initiative "Radeln in Döbling". Durch den Radweg sei das bald leichter möglich, was hoffentlich bald auch den Verkehr entlaste.

"Für mich ist es jetzt sicherer", sagt ein Mann, der mit seinen beiden Töchtern entlang der Krottenbachstraße geht. Er brauche viel Platz, wenn er seine Kinder mit dem Fahrradanhänger in den Kindergarten bringe. Die Krottenbachstraße habe er wegen des Autoverkehrs bisher gemieden. "Das wird jetzt viel besser werden."

Sandra Birnbaumer ist vor ihr Blumengeschäft getreten und zeigt auf die Bank, die dort vor dem Geschäft steht. "Vielleicht machen wir dann hier einen Radparkplatz", sagt sie. Sobald die Blumen wieder draußen stehen, könne das ein schöner Aufenthaltsort werden. Auch die Bushaltestelle ist jetzt näher am Geschäft, wodurch bald mehr Fußgänger kommen könnten. Blumen ließen sich zum Glück meist auch ganz gut ohne Auto transportieren. 

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