Donnerstag, 10. Februar 2022

"Die Kunststoff-Zeitbombe tickt"

08.02.2022  |  VON JÖRG ZITTLAU LEBENUNDWISSEN@SUEDKURIER.DE  hier

Es ist unsichtbar klein und besteht aus Kunststoff: Mikroplastik. Es schwebt sogar in unserer Atemluft. Und von dort in den Körper. Es tritt dort, wie englische Forscher herausgefunden haben, wohl in zigfach größeren Mengen auf, als bislang vermutet wurde. Was bedeutet das konkret für unsere Gesundheit?

Die englische TV-Reporterin Michelle Morrison hatte mit schlimmen Ergebnissen gerechnet, nachdem sie das Forscherteam von der University Portsmouth in ihre Wohnung hereingelassen hatte, um die Mikroplastik-Belastung zu messen. Denn bei Durchsicht ihrer Garderobe war ihr aufgefallen, dass drei Viertel davon aus Kunststoffen wie Polyester und Nylon bestanden. Die Spielzeuge ihrer beiden Kinder waren auch überwiegend aus Plastik. Doch was Morrison dann zu hören bekam, ließ die beredte Journalistin fassungslos mit dem Kopf schütteln.

Denn Studienleiterin Fay Couceiro rechnete aufgrund von Luftanalysen mit einem neuen und sehr empfindlichen Messgerät aus, dass die Mutter und ihre Kinder täglich 2000 bis 7000 Plastikteilchen – in einer Größe von weniger als 0,01 Millimetern – einatmen. Das ist etwa das Hundertfache von dem, was man ursprünglich erwartet hatte. „Es entspricht in der Jahressumme etwa zwei Giraffen, die man aufeinandergestellt hat“, so die Biologin und Geochemikerin. „Auf ein Menschenleben umgerechnet entspricht es mehr als der Höhe des Eiffelturms.“....

Der niederländische Umweltforscher Albert Koelmans hat ausgerechnet, dass ein Mensch in seinem rund 70-jährigen Leben etwa 50 000 Mikroplastikpartikel anreichern könnte. Diese Kalkulation basiert zwar in erster Linie auf dem Anteil, der über die Ernährung aufgenommen wird. Doch im Hinblick auf die inhalierten Plastikpartikel bedeutet sie letzten Endes das Gleiche: Dass sie sich auf Dauer im Organismus zu einem unkalkulierbaren Risiko ansammeln.

Koelmans mahnt, unbedingt etwas gegen die weltweite Plastikschwemme zu unternehmen. Jährlich werden fast 400 Millionen Tonnen Kunststoff produziert, bis 2050 sollen es doppelt so viel sein. Was aber noch schwerer wiegt: Selbst wenn man sofort die weltweite Produktion stoppen würde, gäbe es immer noch fünf Milliarden Tonnen Plastik. „Wir leben mit einer Plastik-Zeitbombe“, warnt Koelmans.

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