Donnerstag, 17. Februar 2022

Wer heute nervt, kann übermorgen als weitsichtig gelten

Fünf vor acht / Klimaaktivismus    
Eine Kolumne von 
in der Zeit   hier

Aktivisten, die Straßen blockieren, um vor der Klimakrise zu warnen, können ganz schön nerven. Man kann über ihre Mittel diskutieren – sollte sie aber nicht verurteilen.

Okay, es ist doof im Stau zu stecken. Und noch viel doofer fühlt es sich, wenn nicht wie gewöhnlich die viel zu große Masse an Autos auf den Straßen schuld ist (Stau sind ja immer die anderen). Wenn man sich nicht wieder mal ärgern muss, weil man doch wieder nicht mit der S-Bahn gefahren ist und deswegen im Auto festhängt. Sondern wenn man stattdessen die Schuldigen kennt und die auch noch direkt vor einem auf der Straße kleben. Das nervt schon mächtig, klar.

Seit ein paar Tagen passiert genau das immer wieder überall in der Republik, da setzen sich Menschen auf die Straße und blockieren den Verkehr. Manche kleben sich sogar die Hände fest, was nicht sehr angenehm sein kann. Irgendwann werden sie dann losgewaschen, landen für ein paar Stunden auf einer Polizeiwache oder sogar in einer Zelle und müssen mit einer Anzeige rechnen. Sie nehmen all das in Kauf, damit nicht mehr so viele Lebensmittel weggeworfen werden. Damit die Politik endlich beherzter etwas gegen die Klimakrise und das Artensterben tut.

Man kann und sollte darüber diskutieren, ob Straßenblockaden wirklich das beste Mittel sind, um diese Ziele zu erreichen. Ob sie sinnvoll gewählt sind. Ob das Mittel den Zweck rechtfertigt. Und ob überhaupt die Analyse des Aufstands der letzten Generation (so nennt sich die Gruppe) stimmt: dass nämlich nur noch sehr wenig Zeit bleibt, um die Klimakrise mit halbwegs zivilen Mittel zu bremsen. Dass wir deswegen jetzt zu schnellen, ungewöhnlichen Maßnahmen greifen müssen. Und dass sanfte Veränderungen – demnächst vielleicht mal ein E-Autos, die nächste Reise mit der Bahn und irgendwann mal ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung – nicht mehr reichen. Kurz: dass die Politik und jeder Mensch ganz einfach in eine andere Gangart schalten müssen.

Doch die Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist eher selten. Viele Kommentare sind voller Herablassung, da wird geschimpft, verurteilt oder belächelt. Von "schweren Rechtsverletzungen, die man nicht rechtfertigen kann", spricht der Grüne Winfried Kretschmann. (War der jemals ein junger grüner Wilder, also Mitglied der Partei, die durch die AKW-Blockaden groß wurde?)
Da sagt der neue SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der in seinem früheren Leben, also vor einem guten Jahr, noch den aufmüpfigen Juso gab: "Was ist das für ein Zeichen an die KS im ambulanten Pflegedienst, die da im Auto nicht und nicht pünktlich zu der Frau kommt, die bettlägerig ist und bei der die Unterwäsche gewechselt werden muss."

Hä? Warum ist die Blockade kein Zeichen an den Manager, der auf dem Weg zu seiner Firma ist, wo er drei Leute rauswerfen will – um ein ebenso blödes Klischee zu benutzen? Oder ein Zeichen an den Autoliebhaber, der gerade einen neuen Porsche Probe fährt. Oder ein Zeichen an mich und Sie, die wir heute morgen mal wieder zu faul waren, zur S-Bahn zu radeln? Nein, wenn das Autofahren mal für ein paar Minuten gestört wird, dann sitzen hinter dem Steuer deutscher Autos offensichtlich vor allem Vertreterinnen von Pflegeberufen, die dringend zu Schutzbedürftigen müssen. Und der Kampf für den Klimaschutz wird automatisch einer, der sich gegen Bedürftige richtet. Uff.

Doch wer weiß denn so genau, ob nicht längst auch mal eine Krankenschwester auf der Straße sitzt – weil auch sie das Gefühl hat, dass unsere Regierung die Klimakrise immer noch nicht wirklich so ernst nimmt, wie man das mit Krisen tun sollte. Weil sie diejenige ist, die die Opfer der kommenden Seuchen, die mit den steigenden Temperaturen zunehmen werden, wird pflegen müssen. Oder die der Hitzewellen. Oder die der Überschwemmungen.

Womit wir bei der Analyse des Zwecks wären. Die letzte Generation will uns aufrütteln – und zwar wirklich uns alle. Die Leute, die dort auf der Straße sitzen, kennen die Klimaprognosen und die machen ihnen zu Recht große Angst. Auch wenn man es nicht mehr hören kann und will: Die Klimakrise kommt bald. Der IPCC, also der Klimarat der Vereinten Nationen, wird das in der kommenden Woche mit wieder neuen Zahlen belegen. Klar ist auch: All das, was bisher getan wurde und gerade getan wird, reicht nicht. Oder anders formuliert: Wir sind in einer Krise, aber wir sind nicht im Krisenmodus.

Man spürt es unweigerlich, wenn man die Klimakrise und die Ukraine-Krise miteinander vergleicht. Bei Letzterer ist Scholz gerade nach Moskau gereist und das ist auch gut so. Der Kanzler hat versprochen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit die Sache nicht eskaliert. Dieses Krisenbewusstsein und dieses der Krise angemessene Handeln aber fehlt in der Klimapolitik immer noch. Weil die Gegenwart so viele Probleme macht. Weil die Regierung so ist, wie sie ist. Und weil wir so sind, wie wir sind. Weil wir immer noch so tun, als ginge alles irgendwie weiter wie immer – wenn wir nur nichts zu schnell verändern.

Ein Kollege fragte mich dieser Tage, was denn noch alles verboten werden solle. Die dicken Diesel, die großen Wohnungen, die schönen Flüge? Doch darum geht es gar nicht. Die viel wichtigere Frage ist doch: Was davon werden wir uns in ein paar Jahren noch leisten können, wenn wir weiter so tun, also ob sich so viel nicht ändern muss. Wenn wir weiter so tun, also ob die Jahrhundertdürre in Kenia, das Hochwasser an der Ahr und der heutige – hoffentlich nicht zu schlimme – Sturm die Ausnahmen sind. Und nicht das neue Normal.

Ach ja, bleibt noch die Frage nach dem Mittel der letzten Generation: Protest ist immer dann erfolgreich, wenn er nicht vor allem die nervt, deren Unterstützung gewonnen werden soll und die ihr Handeln verändern müssen. Das ist in einer Demokratie nun mal die Öffentlichkeit, das sind Sie, du und ich. Und genau da, bei diesem Werben um die Menschen, ist bei der letzten Generation noch Luft nach oben. Die Straßen blockieren, damit der Landwirtschaftsminister eine andere Agrarpolitik macht und die Regierung die Essensvernichtung stoppt? Klingt nicht wie die zwangsläufig beste aller Ideen.

Die Anti-AKW-Bewegung war nicht bei allen beliebt

Greta wurde unmittelbar zugehört, weil die ihr Anliegen in einer originellen, aber dafür nicht weniger überzeugenden Form vorbrachte. Greenpeace gewann immer wieder Sympathien, wenn seine Leute waghalsig auf Schornsteine stiegen oder Walfänger blockierten – und Fernsehteams das dokumentierten. Andere Aktionen gewannen die Unterstützung der Mehrheit erst im Nachhinein. Die Anti-AKW-Bewegung war beispielsweise zu ihrer Zeit nur bei einem Teil der Bürgerinnen beliebt – und doch veränderte auch sie das Bewusstsein der Republik und sorgte mit für den Atomausstieg.

Andere Aktionen, berühmtere, die in fernen Ländern passierten, waren nicht nur zu Beginn unbeliebt, sie verstießen auch gegen Gesetze: Mahatma Gandhi, der große Inspirator aller gewaltfreien Proteste, tat das mit seinem Salzmarsch, die Suffragetten mit ihren Demonstrationen und die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks dadurch, dass sie einfach ihren Platz im Bus nicht für einen Weißen frei machte. Das war sicher doof für den Weißen.

Klar, man kann Proteste nur begrenzt vergleichen. Aber man sollte auf die Demos der Gegenwart, solange sie friedlich sind, mit etwas mehr Milde schauen – sogar wenn man dafür mal im Stau steht. Wer heute nervt, kann übermorgen, in der Rückschau, als weitsichtig gelten.

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