Standard hier Christoph Roland 7. September 2025,
Unterschätzte Feuchtgebiete: Wie Auen als CO2-Senken funktionierenBild: Forscherin Magdalena von der Thannen putzt die Messstation im WWF-Auenreservat Marchegg. Zwei Solarpanele versorgen das System mit Strom.
Siri Malmborg
Direkt an der Grenze zur Slowakei erstreckt sich das WWF-Auenreservat Marchegg auf rund 1100 Hektar. Die Auwiesen, -wälder und -gewässer beherbergen unter anderem Störche, Seeadler, Eisvögel, Biber und Sumpfschildkröten. 2024 wurden 235 verschiedene Pflanzenarten gezählt – darunter auch viele gefährdete Arten wie der Elbe-Ständelwurz oder der Orchideen-Weiderich. Auf einer großen, renaturierten Auwiese grasen zwischen Sträuchern, Stauden und vereinzelten Bäumen 18 Rinder eines Bauern aus Aderklaa und 20 Konik-Pferde des WWF. In der Mitte der Weide steht eine große Messstation, die an eine selbstgebastelte Weltraumsonde erinnert.
Hier hat ein Forschungsteam der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) im Rahmen des EU-Projekts Rewet das gesamte Jahr 2024 über gemessen, inwiefern die beweidete Auwiese CO₂ speichert. Denn über das Klimapotenzial von beweideten Flächen weiß man im Vergleich zu dem von Wäldern bisher sehr wenig. Die Messungen zeigen: Das Feuchtgebiet war 2024 eine CO₂-Senke – und das unter extremen Bedingungen. Trotz Überschwemmungen – inklusive des Jahrhunderthochwassers im September – nahm die beweidete Auwiese mehr CO₂ auf, als sie freisetzte. In der Treibhausgasbilanz stieg die Wiese mit einem Minus von 17,6 Gramm CO₂-Äquivalenten pro Quadratmeter am Ende des Jahres als Senke aus.
Das EU-Projekt Rewet hat das Ziel, mehr über das Potenzial von Feuchtgebieten als Kohlenstoffsenken herauszufinden. Über die EU verteilt stehen mehrere Messstationen – die meisten davon über Moorgebieten. Beweidete Auwiesen wie die im Überschwemmungsgebiet der March findet Magdalena von der Thannen von der Boku besonders spannend, weil es dazu noch kaum Literatur gibt. Zudem eilt Weide-Ökosystemen eigentlich ein schlechter Ruf voraus – unter anderem wegen der methanhaltigen Rülpser und Pupse von Rindern. Und: weil dort kein Wald steht.
Messstation der BOKU auf der Auwiese im WWF-Auenreservat Marchegg. Sie besteht aus blauen Schwimmelementen, zwei Solarpanelen und verschiedenen Messvorkehrungen. Die Messstation ist an Aluminiumstangen befestigt, an denen sie bei Überschwemmungen hoch und runter schwimmen kann.
Forscherin Magdalena von der Thannen putzt die Messstation im WWF-Auenreservat Marchegg. Zwei Solarpanele versorgen das System mit Strom.
Senke trotz Kuhweiden
Das Forschungsteam hat sich über ein Jahr hinweg angeschaut, welche Faktoren die Treibhausgasbilanz der beweideten Auwiese beeinflussen. Ein großer Faktor: der Wasserhaushalt. Regelmäßige Überschwemmungen gehören zwar zum Ökosystem des Auenreservats dazu, größere Wassermengen unterbrechen aber die Kohlenstoff-Speicherung. Ist die ganze Fläche überschwemmt, können die Pflanzen kein CO₂ aufnehmen, und es kann Methan freigesetzt werden. Wenn sich das System aber wieder erholt und der Boden genau richtig mit Wasser gesättigt ist, fangen die Pflanzen wieder voll an zu arbeiten.
Wenn Pferde oder Rinder im Messbereich unterwegs waren, hat sich das in den Messungen kaum bemerkbar gemacht. Laut Jurrien Westerhof, Leiter der WWF-Arbeit in der March-Region, hängt der Methanausstoß von Rindern auch stark von ihrer Haltung und Fütterung ab. Bei extensiver Haltung – sprich: nur so viele Tiere, wie die Landschaft erträgt – sollte das kein Problem sein, sagt er.
Außerdem bringt die Beweidung hier viele Vorteile mit sich:
- Erstens knabbern Rinder und Pferde die Stauden und Sträucher ab, die als Reaktion größere Wurzeln bilden und somit mehr Kohlenstoff binden.
- Zweitens trampeln die Tiere die Vegetation und den darin enthaltenen Kohlenstoff nach und nach in den Boden hinein.
- Drittens lebt auf der Auwiese wegen der Pferde und Rinder der Dungkäfer. Sein Kerngeschäft ist es, den kohlenstoffhaltigen Pferde- und Kuhmist in den Boden zu verfrachten. Oberirdisch ist also auf der beweideten Auwiese nicht so viel Biomasse zu sehen wie im Wald, unterirdisch wird aber doch sehr viel Kohlenstoff gebunden.
Trotzdem kam es natürlich auch zu Methanemissionen. Laut den Messungen wurde durch die Überflutungen 1,6 Gramm Methan pro Quadratmeter freigesetzt, dennoch überwog die CO₂-Aufnahme mit 27,3 Gramm pro Quadratmeter. Weil Methan das schädlichere Treibhausgas ist, hat das Forschungsteam einen Umrechnungsfaktor herangezogen und die Nettobilanz mit 17,6 Gramm CO₂-Äquivalente pro Quadratmeter beziffert. Das Forschungsteam war überrascht, dass sich die beweidete Auwiese trotz des Jahrhunderthochwassers und anderer Überschwemmungen am Ende doch als Senke erwies. Es geht davon aus, dass die Treibhausgasbilanz der beweideten Auwiese in anderen Jahren mit weniger Extremwetterereignissen noch besser ausfallen könnte.
Messstation im Extremwetter
Die Messstation auf der Auwiese hat schon einiges mitgemacht. Von Anfang an hat sie das Forschungsteam so konzipiert, dass sie die regelmäßigen Überschwemmungen im Gebiet überleben kann. Sie befindet sich auf großen blauen Tonnen, und das gesamte Konstrukt ist an zwei Aluminiumstangen befestigt, entlang derer sie je nach Wasserstand auf und ab schwimmen kann. Als im September 2024 das Jahrhunderthochwasser kam, stand auf der Auwiese vier Meter hohes Wasser. Das ganze Team hat gezittert, erzählt Magdalena von der Thannen: "Ich persönlich hab zwei Nächte lang nicht gut geschlafen." Das Team hat die teure Messstation während des Hochwassers mit Seilen gesichert, und danach wurden die Stangen von zweieinhalb auf viereinhalb Meter verlängert.
Die Station wird von zwei Solarpaneelen mit Strom versorgt und besteht aus mehreren Messgeräten: für Methan, Wind, CO₂, Regen, Temperatur, Strahlung, Bodenfeuchte und -temperatur. Das ganze Messsystem nennt sich Eddy-Kovarianz-Messsystem und misst die Luftströme. Luft strömt nicht geradlinig, sondern in kleinen Verwirbelungen – und die heißen Eddys. Die Luftverwirbelungen können Gasmoleküle des Ökosystems in die Atmosphäre und vice versa transportieren. Mehrmals pro Sekunde misst das Eddy-Kovarianz-Messsystem, wie viel CO₂ oder anderes Gas vom Ökosystem abgegeben und aufgenommen wird. Durch die Varianz dieser Moleküle kann dann berechnet werden, wie viel das Ökosystem an beispielsweise CO₂ speichert.
Neben dem Wasserhaushalt spielt auch Trockenheit eine Rolle – wenn es zu trocken wird, wird CO₂ freigesetzt. Es ist also eine komplexe Balance verschiedener Faktoren. Auch das WWF-Auenreservat Marchegg kämpft trotz regelmäßiger Überschwemmungen grundsätzlich mit Trockenheit. Unter einer Brücke am Eingang des Reservats gibt es nur noch ein kleines Rinnsal – Jurrien Westerhof erzählt, dass das Wasser hier vor 50 Jahren um einen Meter höher stand. Außerdem gebe es aktuell viel zu wenig Gelsen, auch wenn es sich beim Rundgang nicht so anfühlt. Trockenheit bedeutet, dass die Pflanzen sich schwertun, der Boden austrocknet und Treibhausgase freigesetzt werden - wie es auch bei Mooren passieren kann.
Die Krux mit den Senken
Das mit den natürlichen CO₂-Senken ist so eine Sache. Was im einen Jahr als Senke fungiert, kann im nächsten Jahr eine Quelle sein – wie in den letzten Jahren an den Wäldern zu erkennen war, die immer häufiger durch Borkenkäfer, Abholzung, Hitze und Trockenheit zu Emittenten werden. Und: Bei der Treibhausgasbilanz kommt es auf zig Faktoren und Umstände an, die je nach Ökosystem variieren. Speziell mit den Klimaveränderungen können diese Umstände stark und unvorhersehbar schwanken. Dass die Auwiese in einem so turbulenten Jahr wie 2024 eine Senke war, sehen von der Thannen und Westerhof aber als vielversprechendes Zeichen für ihre Resilienz.
Der WWF fordert angesichts der Boku-Studie mehr Forschung in dem Gebiet sowie eine gesicherte Finanzierung von Renaturierungsprojekten und eine Naturschutz-Offensive in Österreich – mit besonderem Fokus auf natürlichen CO₂-Speichern wie Auen, Mooren und naturnahen Wäldern. Und: "Auch Beweidung kann dabei eine Rolle spielen. Bei einer extensiven, naturnahen Tierhaltung profitieren nicht nur die Biodiversität, sondern auch das Klima", sagt Jurrien Westerhof.
Das Eddy-Kovarianz-Messsystem bleibt jedenfalls noch ein Jahr auf der beweideten Auwiese stehen. Magdalena von der Thannen und das Boku-Team hoffen, dass die Station noch länger dort stehen bleiben darf, damit man langfristig Daten erheben und weiterforschen kann. Eine Studie hat man im Februar schon veröffentlicht, die zweite Studie zu den Daten der Messstation vom gesamten Jahr 2024 wird Ende September eingereicht. (Siri Malmborg, 7.9.2025)
Studie:
Ecological Engineering: "Impact of various flood conditions on the CO2 ecosystem exchange as a component of floodplain grassland restoration"
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