Montag, 21. Februar 2022

Als der Professor auf einen Baum kletterte

 Südkurier hier   VON ELISA-MADELEINE GLÖCKNER

Weil Wolfgang Ertel für Nachhaltigkeit demonstrierte, muss er jetzt vor Gericht



Wolfgang Ertel kämpft für den Klimaschutz – erst als Nachhaltigkeitsbeauftragter der Hochschule Ravensburg-Weingarten, dann auf seine ganz eigene Art. Weil er mit Aktivisten von „Fridays For Future“ auf einen Baum kletterte, soll er nun 4000 Euro zahlen. Unangemessen, findet der Professor.
Wer ist dieser Mann? Und was treibt ihn an?

Neulich wollte er wieder hoch auf den Baum. Um für das Klima zu demonstrieren. Dann aber, endlich, passierte etwas. Die Hochschule Ravensburg-Weingarten handelte. Sie setzte das um, was Wolfgang Ertel gefordert hatte. Auf der Trauerweide im Mai 2021. Jetzt muss er deshalb vor Gericht. Die Geschichte eines Professors, der es bürokratisch versucht hat und daran gescheitert ist.

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Ich habe Angst um die Zukunft der Menschheit“, sagt Ertel. „Wir befinden uns in einer dramatischen Situation.“ Der Klimawandel sei existenzbedrohlich, die meisten Menschen seien sich dessen gar nicht bewusst. „Wenn wir erst in ein bis zwei Jahren tätig werden,
dann ist das zu spät.“ Aber die Gesellschaft tue nichts....

Weil ich sehe, dass wir das Problem ignorieren.“ Erst die „Fridays For Future“-Bewegung und die schwedische Aktivistin Greta Thunberg hätten ihm gezeigt, dass sich daran etwas ändern könnte. Diese jungen Leute seien frech, meint er, sie seien medienaffin. Allerdings fehlten die Antworten auf die Fragen der Politik, das Wissen. Also gründete der Professor die „Scientists For Future“ für alle Wissenschaftler, die protestieren wollen. „Wenn die jungen Leute auf die Bäume steigen und wir Wissenschaftler dabei sind, dann hat das Strahlkraft.“

Warum hat er einen Baum besetzt?

Rückblick. Im Sommer 2020 hat die Stadt Ravensburg einen Klimakonsens beschlossen. Die wichtigste Zahl darin hat Wolfgang Ertel formuliert: 13 Prozent. Um diesen Wert muss die Stadt ihren CO2-Ausstoß verringern, um den Zielen des Pariser Klima-Abkommens zu entsprechen. Einen Beitrag für diesen Klimakonsens sollte auch die Hochschule Ravensburg-Weingarten leisten. Mit einer Vortragsreihe, vor allem aber mit Klimamanagement. „Das hat mich motiviert, der Hochschule Druck zu machen“, sagt Ertel. Denn hier habe es schon lange ein Problem gegeben: die Heizung. „Das geht zehn Jahre zurück.“

Zu wenig Personal, um Heizkosten zu sparen

Die Heizkörper der Hochschule sind durchgängig in Betrieb, selbst in den Winterferien. Durch Zufall habe er das bemerkt, erläutert Ertel. Der technische Betriebsleiter, der dafür zuständig ist, aber winkte schon damals ab, man habe nicht das nötige Personal. Ertel war irritiert: „Das muss man sich vorstellen, die Hausmeister sind nicht in der Lage, die Heizkörper am Tag vor den Ferien auszudrehen.“ Schließlich habe er selbst, teils mit Kollegen, Heiligabend-Vormittage damit verbracht, durch die Säle zu ziehen, um die Heizungen auszuschalten. Jahr für Jahr. Eine Farce, wie er findet.

Techniker finden für Probleme oft technische Lösungen. Auch Wolfgang Ertel. Sein Ansatz: Heizkörperthermostate, die über W-LAN bedient werden können. Verbinde man die mit den Stundenplänen der Hörsäle, schalte sich die Heizung vollautomatisch an und aus. Eine Idee, die der 62-Jährige als Nachhaltigkeitsbeauftragter forcierte: „In diesem Amt hat man wenigstens einen Hebel in der Hand.“

So beschritt er den Dienstweg. Er sprach mit Ämtern, zwei Hochschulen, drei Ministerien, um das Konzept umzusetzen. Er startete ein Pilotprojekt, schrieb einen Projektantrag. Erfolglos. „Bürokratie ist übel“, sagt der Mann, der sich selbst für einen Optimisten hält. 2018 schmiss er das Amt des Nachhaltigkeitsbeauftragten hin und regelte die Dinge ab sofort anders.

Am 11. Mai 2021, es waren die Nachhaltigkeitswochen an der Hochschule, stieg er auf einen Baum. Die Trauerweide mit den knorrigen Ästen gleich neben Gebäude K. Er kletterte nicht allein, sondern mit Aktivisten von „Fridays For Future“ – mit Bannern und Sicherheitsgurten, vorbei an der Polizei, die sie aufhalten wollte. Um 11.30 Uhr war Pressekonferenz. Ein Erfolg für die Aktion.

Das Echo sei riesig gewesen, sagt Ertel. Und größtenteils positiv. Sogar Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) rief bei ihm an und versprach, seinen Impuls zu unterstützen. Aber: Neben zwei böswilligen Zuschriften kam bei dem Professor auch ein Brief der Staatsanwaltschaft an: ein Strafbefehl, 100 Tagessätze, insgesamt 4000 Euro, weil er eine nicht angemeldete Versammlung geleitet habe. „Heftig“, findet der Baumbesetzer, „zumal völlig unangemessen.“ Ertel hat Einspruch eingelegt. Am 24. März findet der Prozess am Amtsgericht in Ravensburg statt. „Ich habe extra einen großen Saal anfragen lassen.“ Professoren mögen Publikum.

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