Süddeutsche Zeitung hier 28. Februar 2022 Kommentar von Michael Bauchmüller
Lebensgrundlagen:
An diesem Montag wird der Weltklimarat seinen neuen Bericht vorlegen.
Auf viel Interesse wird er nicht stoßen.
Der Krieg könnte auch die Klimapolitik zerstören.
Alles ist vorbereitet für den großen Tag, seit Monaten schon. Eine von langer Hand geplante Pressekonferenz, dazu Statements, Appelle, Hilferufe. Denn wenn an diesem Montag der Weltklimarat seinen neuesten Bericht vorlegt, dann rückt die Klimakrise noch einmal ein Stück näher an die Menschen heran, wird greifbar in all ihren Ausmaßen - bei Artenvielfalt, Welternährung, Lebensqualität und -erwartung. Die Alarmsirenen, so war der Plan, sollten unüberhörbar sein. Stattdessen ertönt Luftalarm über den Städten der Ukraine.
Angesichts des fürchterlichen Geschehens dort tritt vieles, fast alles in den Schatten. Was gestern noch wichtig und erstrebenswert zu sein schien, wirkt plötzlich belanglos und nebensächlich. Doch wenn nun Frontberichte die Warnungen der Wissenschaft übertönen, wird eine neue Gefahr spürbar: Die Menschheitsaufgabe Klimaschutz könnte zum Kollateralschaden von Putins Krieg werden. Es droht ein Schaden, dessen ganzes Ausmaß erst mit Verzögerung erfassbar wird.
Dahinter steht ein fataler Zusammenhang zwischen Frieden, Wohlstand und der Bereitschaft zum Umweltschutz: Sie bedingen einander. Die lebhafte Klimadebatte in den Staaten des Westens fußt auf einer Dekade von Wachstum und Zufriedenheit, wie sie die Menschen dort lange nicht erlebt haben. Wer sich um den Job, die Gesundheit, die eigene Existenz, den Frieden nicht sorgen muss, der kann sich der wahrhaft großen Probleme endlich annehmen. Die Erfahrung lehrt leider, dass auch das Gegenteil gilt.
In Deutschland etwa nahm die erste große Welle der Umweltbesorgnis in den späten Sechzigern ihren Lauf. Die Wirtschaftswunderjahre hatten den materiellen Wohlstand gesichert, es war Zeit für die ersten tiefgreifenden Umweltgesetze - bis die Ölkrise 1973 die Wirtschaft abwürgte. Es folgte eine jahrelange Flaute. Erst Ende der Achtziger wuchs das breite Umweltbewusstsein wieder. Doch nach der Wiedervereinigung begann die Wirtschaft zu schwächeln. Die Arbeitslosigkeit wuchs. Und die Flamme erlosch.
Die Zeichen der Zeit nicht erkannt? Das passierte nicht nur im Fall der Ukraine
Wird es nun wieder so kommen? Keine Frage: Millionen Menschen haben gerade buchstäblich andere Sorgen, als sich mit einem Bericht des Weltklimarats zu befassen oder einer UN-Konferenz zur Vermüllung der Meere, die diesen Montag beginnt. Und doch wird gerade dieser Bericht noch einmal aufzeigen, wie bedrohlich die Klimakrise für viele Einzelne wird, und das in atemberaubendem Tempo. Sie betrifft nicht nur die reichen Europäer, in Formüberhitzter Städte, brennender Wälder oder häufigerer Fluten.
Noch schlimmer beutelt sie Menschen, die ohnehin schon arm dran sind - in den rasch wachsenden Megacitys der Südhalbkugel; an Küsten, bedroht von steigenden Meeresspiegeln; entlang sich ausbreitender Wüsten. Auch hier ist der Frieden in Gefahr, es drohen Verteilungskriege um Wasser und Böden. Neue Völkerwanderungen in die weniger hart getroffenen Erdteile sind nur eine Frage der Zeit. All das ließe sich dämpfen, würden die globalen Emissionen endlich sinken, und zwar deutlich. Stattdessen wird nun allenthalben wieder mehr Kohle verbrannt, weil Gas so teuer ist - auch in Deutschland.
Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine bereuten viele, auch deutsche Politiker, die Zeichen der Zeit nicht früher erkannt zu haben. Sie sollten den Fehler beim Klima nicht wiederholen: Die Zeichen sind überdeutlich.
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