Dienstag, 22. Februar 2022

Update: Besonderer Strafprozess gegen Samuel Bosch

UpdateDas Amtsgericht Ravensburg hat den Klimaaktivisten Samuel Bosch unter anderem wegen Nötigung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu 70 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Der 19-Jährige wird damit für eine Baumbesetzung an einer vielbefahrenen Straße in Ravensburg und für eine Banneraktion auf der Basilika von Weingarten belangt. Gegenüber dem SWR erklärte Bosch, er werde gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. Bosch ist einer der Wortführer der oberschwäbischen Klimaaktivisten. Wegen der Baumbesetzung war im Mai vergangenen Jahres die betroffene Durchgangsstraße in Ravensburg mehrere Stunden gesperrt. Im Herbst wurde Bosch bereits zu 40 Stunden Sozialarbeit verurteilt, dagegen legte er Berufung ein.

aus SWR aktuell hier

und noch ein ausführlicher Bericht, ebenfalls von SWR  hier:

VOM AMTSGERICHT RAVENSBURG VERURTEILT
Klimaaktivist Samuel Bosch soll Sozialstunden leisten


Ursprüngliche Pressemitteilung des Ravensburger Klimacamp:

Diesen Dienstag (22.02.2022) ab 8:30 Uhr steht Klimaaktivist Samuel Bosch (19) zum zweiten Mal vor dem Amtsgericht in Ravensburg. Es handelt sich um den von Klimaaktivist*innen lange ersehnten Prozess zur Banneraktion über der Schussenstraße, die im Mai 2021 für viel Aufsehen sorgte. 

Am Morgen des 15.05.2021 spannten drei Aktivist*innen eine sogenannte "Traverse" (waagrechtes Sicherungsseil) zwischen zwei Bäumen über die viel befahrene Schussenstraße mitten in Ravensburg.

"Unter mir fuhr bis 1959 eine elektrische Straßenbahn ('s Bähnle). Heute wälzt sich da 24 h/Tag eine verschmutzende und verlärmende Blechlawine. Wir fordern, dass die Straßenbahn zwischen Ravensburg und Baienfurt wieder aufgebaut wird", so Samuel Bosch (19) damals im Interview aus der Traverse. Die verkehrssicher befestigten Banner sollten Bürger*innen über die "Blockadehaltung" von Ravensburgs Mobilitätspolitik informieren.

"In dem öffentlichen Prozess werden endlich die Fakten ans Licht kommen", drückt Bosch seine Hoffnung aus.

Er bezieht sich mit seiner Aussage auf einzelne Medienhäuser sowie "Falschaussagen der Polizei", die etwa von gefährlichen Stahlseilen sprach. "Tatsächlich werden Traversen im Klimaaktivismus nie mit Stahlseilen errichtet. In unseren Pressemitteilungen gaben wir sogar die exakten technischen Daten des stattdessen von uns verwendeten besonders baumschonenden und ultraleichten Polypropylenseils an." Bosch kritisiert auch, dass einzelne Medien anders als DPA, Südkurier und Wochenblatt News kaum über den politischen Aktionshintergrund berichteten, Banner mit inhaltlichen Forderungen etwa nur unlesbar von hinten abdruckte und nie den Zustand der Ravensburger Mobilitätswende thematisierte.

Bosch erhofft sich von dem Prozess auch, die Logik der Aktion erklären zu können. "Die Polizei ließ damals nur noch Busse durch, für Autos blockierte sie die Schussenstraße. Durch diese unprofesionelle Überreaktion griff sie erheblich in die Versammlungsfreiheit ein, da sie uns das ursprünglich angedachte Publikum entzog. Tausende Autofahrer*innen wären sonst von uns über die Blockadehaltung von Ravensburgs Mobilitätspolitik informiert worden!" Nach Ansicht von Rechtsanwalt Klaus Schulz, der Bosch vor dem Amtsgericht vertritt, war die Totalsperrung der Schussenstraße "unnötig". "Auf der Suche nach dem mildesten Mittel sollte man nicht den Holzhammer zücken", so Schulz. 

ZUR AKTION UND DEN EREIGNISSEN

 Am Morgen des 15.05.2021 spannten drei junge Aktivist*innen acht Meter über der Schussenstraße ein Banner mit der Aufschrift „Wer Straßen sät, wird Stau ernten“, um gegen die „tosende Autostraße“ im Zentrum Ravensburgs zu demonstrieren. Hierbei platzierten sie das Banner für alle Verkehrsteilnehmer*innen gut sichtbar hoch über der vierspurigen Straße. Anschließend sperrte die Polizei die Straße für alle Autos. Nur noch Busse und Rettungsfahrzeuge durften passieren. 

„Leider sahen durch die Sperrung der Straße viel weniger Menschen das Banner, als wir gehofft hatten“, so die ebenfalls angeklagte Aktivistin „Kolibri“ zur Aktion. Die Aktion entwickelte sich zu einem bunten Straßenfest. „Es war ein toller Nachmittag. Aktivist*innen und Passant*innen spielten Ball und musizierten“, erinnert sich „Kolibri“.

„Wir führten viele Gespräche mit Anwohner*innen und Passant*innen. Viele fanden die Aktion und die fröhliche Stimmung sehr schön“, so Aktivist Dr. Ingo Blechschmidt (33). Ein älterer Anwohner wiederholte immer wieder „Es ist so leise hier, so leise!“, erzählt Blechschmidt weiter. 

Die Aktion wurde am Nachmittag von der Polizei aufgelöst. Die Aktivist*innen, welche morgens das Banner aufgehängt hatten, wurden anschließend für 24 Stunden nach Friedrichshafen in Gewahrsam gebracht.

Die Aktion reihte sich in eine Vielzahl anderer Aktionen zum Thema „Mobilitätswende“ ein. Samuel Bosch (19) erklärt: „Unser Ziel ist eine sozial gerechte Mobilitätswende für Ravensburg.“ Jahrelang haben verschiedene Gruppen und Initiativen „viele konkrete Vorschläge“ an die Stadt Ravensburg gemacht. „Jetzt ist die Stadt am Zug“, so Bosch weiter.

Die Aktivist*innen hätten nicht das Ziel, Privatpersonen Autos zu verbieten. Vielmehr müsse die Politik „dringendst“ in umweltverträgliche Alternativen investieren.

 ZUR VERHANDLUNG UND DEN VORWÜRFEN

Samuel Bosch wird Nötigug (§240 StGB), Hausfriedensbruch (§123 StGB) sowie die Leitung einer unangemeldeten Versammlung (§26 VersG) vorgeworfen. Verteidigt wird er von Klaus Schulz. Die Verhandlung beginnt um 8:30 Uhr vor dem Amtsgericht Ravensburg (Herrenstraße 40-44).

MAHNWACHE

Vor dem Amtsgericht findet am Dienstag (22.2.) ab 7:45 Uhr eine angemeldete Versammlung mit dem Motto "Trotz Prozess blockiert Ravensburg weiterhin die Mobilitätswende, für mehr und stärkere Traversen zwischen Ravensburg und Klimagerechtigkeit!" statt.



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