Faszination Autobahnblockade: Alle Räder stehen still - taz.de
Faszination Autobahnblockade: Eine Handvoll Menschen reicht, um eine Autobahn zu blockieren und Aufmerksamkeit zu erregen. Doch reicht das, um Wandel zu bewirken?
Räumen
wir zu Beginn diesen schönen Sendeplatz für die KollegInnen des Spartensenders
„Bild.tv“: Die saßen in dieser Woche wie üblich in trauter Runde zusammen, um
sich gegenseitig ihrer Ressentiments zu vergewissern. Es ging um die
Autobahnblockierer. Nach einigen Sätzen, in denen die Worte
„Wohlstandsverwahrlosung“ und „spätrömische Dekadenz“ fielen, gaben mehrere
Gäste zu, dass sie klammheimliche Sympathie mit der Aktion haben.
„Wie radikal muss man sein, um etwas zu verändern?“,
fragte die Moderatorin in die Runde. „So radikal wie die“, sagt die Ex-Bunte-Chefin,
und auch der „Bild.tv“-Chef erzählte von seiner Tochter, die ihm diese Frage
stelle.
Wie kann es sein, dass so viele Menschen von den
Blockaden der Autobahn fasziniert sind?
Es ist faszinierend, weil es so wenig braucht, um den Alltag zu unterbrechen, der sonst alternativlos erscheint. Weniger als zehn Menschen setzen sich auf die Straße – und der Verkehr bricht zusammen. Eine beeindruckende Effektivität, vor allem, wenn man sie mit dem Zustand vergleicht, in dem sich die Klimabewegung nach zwei Jahren Pandemie befindet.
Wie misst man den Erfolg einer Bewegung? Es scheint,
als sei weder die Zahl der DemonstrantInnen noch der Applaus, den sie bekommen,
der entscheidende Gradmesser. Es hat der Klimabewegung nichts gebracht, von
Olaf Scholz und Angela Merkel umarmt zu werden. Als 1,4 Millionen Menschen am
20. September 2019 auf die Straße gingen, bekamen sie ein Klimapaket, das seinen
Namen nicht verdiente.
Für die Bewertung der Blockaden ist ein anderer
Maßstab brauchbarer: Disruption.
Noch haben die Autobahnblockaden außer Aufmerksamkeit wenig erreicht. Aber
Selbstwirksamkeit, also die Erfahrung, mit dem eigenen Körper einen Unterschied
zu machen, ist eine bleibende Erfahrung, nicht nur für die Beteiligten. Und
auch die ZuschauerInnen des Spektakels trennen sehr wohl zwischen Form und
Inhalt. Man kann die Blockaden falsch finden, aber selbst die Statements von
AutofahrerInnen im Stau beginnen oft mit der Einschränkung: „Ich find’s ja
richtig, dass die demonstrieren, aber …“
Meist wurde kritisiert, dass die Blockaden die Falschen treffen würden. Dabei wurde eine Strohpuppe aus dem Schrank geholt, die aus der Benzinpreisdebatte bekannt ist: Es ist die alleinerziehende Krankenschwester, die nun im Stau stehe (als würde sie normalerweise problemlos über die leere Berliner Stadtautobahn düsen). Auch SPD-General Kevin Kühnert berief sich auf sie und kritisierte die Aktion: Bei einem regulären Streik in einem Betrieb richte sich die Aktion gegen den Arbeitgeber, sagte er. Hier bestreike man sich gegenseitig.
Natürlich sollten die Blockierer der einzelnen gestressten Autofahrerin nicht mit Überheblichkeit begegnen. Doch mit dem Vergleich erklärt Kühnert unfreiwillig, warum der Protest erfolgreich ist: In der Klimakrise gibt es nicht nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dieser Streik richtet sich nicht gegen einen eindeutigen Gegner, sondern gegen den fossilen Irrsinn des Alltags, unter dem auch die Krankenschwester leidet.
Enden wir deshalb mit einem Gedankenexperiment, eigentlich ist es eine Rechenaufgabe: Wenn es in Deutschland etwa 2.260 Autobahnausfahrten gibt und man für eine Blockade 7 Menschen braucht – warum demonstriert man noch vor dem Kanzleramt?
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