Samstag, 16. Juli 2022

Flaute beim Windkraftausbau - Habeck zückt die Peitsche

 Auch der Artikel unten ist ziemlich interessant, also bitte nicht zu früh aufhören mit dem Lesen!
Da werden nämlich auch die Auswirkungen auf unsere Regionalplanung beschrieben. Wie gut dass der Regionalverband sich schon auf den Weg gemacht hat! Es sieht nach viel Arbeit aus, würde ich sagen.

04.07.2022 von Marcel Kolvenbach und Nick Schader, SWR  hier  ARD

Genehmigungen rückläufig

Der Trend bei den Genehmigungen für Windkraftanlagen an Land war nach SWR-Recherchen im ersten Halbjahr rückläufig. Zwischen den Bundesländern gibt es dabei große Unterschiede. Experten sehen die Klimaziele der Bundesregierung in Gefahr.

Der Ausbau der Windkraft geht in Deutschland weiterhin nur schleppend voran. Das geht aus einer Datenauswertung des SWR hervor. Dafür wurden in allen Bundesländern die Zahl der Genehmigungen für Windräder in den ersten sechs Monaten des Jahres ausgewertet. Hierbei zeigen sich extreme Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während in Bayern (4) und Sachsen (2) fast keine neuen Windräder genehmigt wurden, liegt Nordrhein-Westfalen (79) an der Spitze. Dahinter folgen die Küstenländer Schleswig-Holstein (61) und Niedersachsen (57).

Deutschlandweit wurden im ersten Halbjahr 311 neue Windkraftanlagen genehmigt. Das ist ein leichter Rückschritt gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 (321). Im Vergleich zu "starken" Windkraftjahren ist der Rückschritt sogar erheblich. In den Jahren 2014 (895) oder 2015 (699) wurden bis zu dreimal so viele Genehmigungen erteilt wie in diesem Jahr.

Energiewende in Gefahr?

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz teilte dem SWR mit, dass für die Einhaltung der deutschen Klimaziele zwischen 1500 und 2000 Windräder in Deutschland pro Jahr errichtet werden müssten. In den vergangenen drei Jahren waren es jeweils weniger als 500 - und dieses Jahr sieht der Trend nicht viel besser aus. 

Der "Wirtschaftsverband Windkraftwerke e.V." (WVW) äußerte sich sehr enttäuscht über die aktuelle Situation: "Der WVW befürchtet ein dauerhaftes und deutliches Unterschreiten der Ausbauziele der Bundesregierung. Die Zahl der Genehmigungen und der in Betrieb genommenen Windenergieanlagen bleiben unverändert auf einem viel zu niedrigen Niveau. Es ist nicht nur kein Beschleunigungseffekt nach den vielversprechenden Aussagen des Koalitionsvertrags zu erkennen, sondern sogar ein Rückschritt."

Fest steht: Die Zahl der aktuellen Genehmigungen für Windräder gibt den Ausbautrend der nächsten Jahre vor. Denn üblicherweise werden die Windkraftanlagen, die jetzt beantragt und genehmigt werden, in den folgenden beiden Jahren errichtet. Im Umkehrschluss heißt das: In den Ländern, in denen jetzt nur sehr wenige Genehmigungen vorliegen, wird in den kommenden Jahren auch weniger ausgebaut.

Bayern und Sachsen sind Schlusslichter

Dem SWR teilte das bayerische Umweltministerium mit, es sei "selbstverständlich keine zufriedenstellende Situation", dass bisher lediglich vier Windräder genehmigt wurden. Das habe mehrere Gründe. Es gebe "Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung" in Bayern, zudem gebe es eine "geringe Nutzung gemeindlicher Bauleitverfahren zur Unterschreitung von der 10H-Abstandsregel". Diese Regelung besagt, dass in Bayern ein Abstand zwischen Windrad und Wohnhäusern liegen muss, der dem zehnfachen der Höhe des Windrades entspricht. Dieser kann nur in Ausnahmefällen verringert werden.

Kritiker bemängeln, dass durch diese Regelung der Windkraftausbau in Bayern quasi zum Erliegen gekommen sei. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hofft, dass unter anderem Bayern jetzt durch Bundesgesetze zum Ausbau gezwungen werden kann: "Mit dem 'Wind-an-Land-Gesetz' wird nun endlich verbindlich festgeschrieben, dass alle Bundesländer ihren Beitrag zum Erneuerbaren-Ausbau leisten müssen. Individuelle Abstandsregeln zu Wohnbebauung, wie die 10H-Regel in Bayern, können damit nicht aufrechterhalten werden. Zum Glück, denn so können Bürgerinnen und Bürger in allen Bundesländern wieder von der Energiewende profitieren, zum Beispiel durch regionale Stromtarife."

Auch in Sachsen ist die Situation ähnlich. Hier wurden nur zwei Windräder innerhalb der ersten sechs Monate genehmigt. Das sächsische Klimaschutzministerium räumte hierzu ein: "Mit dem Ausbautempo können wir nicht zufrieden sein. Wir brauchen deutlich schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wir haben als Energie- und Klimaschutzministerium eine Taskforce Erneuerbare Energien auf den Weg gebracht, die sich unter anderem den Themen Flächenverfügbarkeit und Verfahrenstempo widmet."

"Länder müssen Blockadehaltung beenden"

Der Experte für regenerative Energien, Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, kritisiert, dass Länder wie Bayern oder Sachsen den Ausbau der Windkraft blockieren: "In Bayern wurden letztes Jahr gerade einmal acht Windräder gebaut, in Sachsen sogar Windräder abgebaut. Wenn Gemeinden dort trotzdem Windräder bauen wollen, treffen sie auf erhebliche Widerstände. Wenn wir nicht weiter Erdgas und Erdöl aus fragwürdigen Staaten importieren wollen, muss die Blockadepolitik bei allen Ländern und Kommunen aufhören."

Auch in anderen Bundesländern bleibt der Windkraftausbau derzeit hinter den Erwartungen zurück. Im windstarken Küstenland Mecklenburg-Vorpommern wurden 16 Genehmigungen im ersten Halbjahr erteilt - in Thüringen (11), Baden-Württemberg (10) und in Rheinland-Pfalz (7) waren es noch weniger.

Branchenverband befürchtet negative Auswirkungen

Das Bundeswirtschaftsministeriums teilte hierzu dem SWR mit, es sei wichtig, dass deutschlandweit "alle Regionen einen entsprechenden Beitrag leisten". Die Bundesregierung lege "jetzt erstmals verbindliche Flächenziele für die Bundesländer fest. Dabei müssen alle Länder einen Beitrag leisten, um in der Summe auf eine Flächenausweisung in der Höhe von zwei Prozent der Bundesfläche für die Windenergie an Land bereitzustellen."

Wenn der Ausbau nicht beschleunigt werde, könne das negative Auswirkungen für die Wirtschaft haben, warnt der Branchenverband WVW: "Wer jetzt den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht radikal voranbringt, gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland und den sozialen Frieden."


Freitag hier  Ausgabe 24/2022   Christoph Podewils

Windkraft: Habeck zückt die Peitsche

Erneuerbare Energien Der Klimaschutzminister von den Grünen hat jetzt einen Plan, um renitente Bundesländer wie Bayern zum Ausbau der Windkraft zu zwingen. Hält dieser Plan, was er verspricht?
Jetzt soll ein neues Akronym Bundesländer gefügig machen – diejenigen nämlich, die dem Ausbau der Windkraft in Deutschland im Weg stehen. Und damit nicht nur den Klima- und Energiezielen Deutschlands, sondern auch der „nationalen Sicherheit“, wie es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck (Grüne) heißt. Es hat gerade den Entwurf für das „WaLG“ vorgelegt, das „Windenergie an Land“-Gesetz.
Auf die Landesplaner in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen kommt deshalb einiges zu. Sie müssen in den kommenden vier Jahren die für Windkraft ausgewiesenen Flächen vervielfachen.
Der Plan ist aus einer gewissen Verzweiflung geboren: Während die Windenergie einerseits unverzichtbar für den Ausstieg aus Kohle- und Atomenergie ist, kommt sie andererseits kaum vom Fleck. Die zuständige Bundesnetzagentur schafft es seit Jahren nicht, die vergleichsweise bescheidenen Ausbauziele der schwarz-roten Vorgängerregierung zu erreichen. 
Die jüngste Ausschreibungsrunde im Mai war um ein Drittel unterzeichnet, hatte also zu wenig Bewerber. Es liegt nicht am Eifer der Projektierer – Windkraft ist wirtschaftlich äußerst lukrativ. Es sind die Bundesländer und deren Landesplanung, die zu wenig der sogenannten Vorranggebiete für die Windkraftnutzung in ihren Regionalplänen ausweisen. Und zum Zweiten die Genehmigungsbehörden, deren Bescheide fast immer von Windkraftgegnern beklagt werden – weil die Windprojekte Tier- oder Pflanzenarten gefährden sollen, was Gerichte dann umfangreich prüfen lassen. Ohne Flächen und rechtssichere Genehmigung kann aber kein Projektierer an den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur teilnehmen.
Mehr Zubau, weniger Zeit
Der mangelhafte Ausbau der Windkraft ist weit mehr als nur ein ärgerliches Problem: Er bedroht nicht nur die Klimaschutzpläne Deutschlands und den Kohleausstieg bis Anfang der 2030er Jahre. Das Trödeln bei der Windkraft führt auch dazu, dass Deutschland länger auf Erdgas angewiesen sein wird und damit sowohl die Abhängigkeit von Russland bestehen bleibt als auch die Energiekosten hoch bleiben. Das steckt hinter dem Verweis auf die „nationale Sicherheit“. Die unwilligen Bundesländer verhindern damit auch, dass Deutschland sich als klimafreundliches Industrieland neu erfindet und energiehungrige Unternehmen hierzulande vom günstigen Windstrom profitieren. Sie stehen damit auch den Transformationsplänen der Regierung im Weg. Und ihrem zentralen Vorhaben „mehr Fortschritt wagen“. Um sich von all dem zu lösen, hatte die Bundesregierung vor einigen Monaten in einem ersten Schritt das sogenannte Osterpaket beschlossen, das derzeit durchs parlamentarische Verfahren läuft. Es sieht vor, die Windkraftleistung in Deutschland in den kommenden acht Jahren auf 115 Gigawatt zu verdoppeln. Gemessen an der Vergangenheit ist dies ein unvergleichlicher Kraftakt: Für die bisherigen knapp 57 Gigawatt Windkraft hat Deutschland rund 30 Jahre gebraucht, seit 2018 fand dabei kaum noch Zubau statt. Jetzt also das gleiche Prozedere in nur acht Jahren.
Für diese Mengen führt Klimaminister Habeck nun in einem zweiten Schritt den Befreiungsschlag bei den Genehmigungen. Das WaLG soll sicherstellen, dass es bis 2032 deutschlandweit genug Platz für Windparks gibt: Zwei Prozent der Landesfläche sollen es im Mittel sein. Übrigens ist das deutlich weniger, als sich die Bundesrepublik aktuell für Bergbauflächen, Mülldeponien und Industriebrachen leistet.
Die Länder werden schon im Jahr 2026 nachweisen müssen, dass sie den Anteil der Vorranggebiete für Windkraft deutlich erhöht haben. Für jedes Bundesland sieht das WaLG eigene Ziele vor – für Stadtstaaten niedrigere, für Flächenländer höhere. Thüringen beispielsweise muss dem Entwurf zufolge in vier Jahren erst 1,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie bereitstellen, im Jahr 2032 dann 2,2 Prozent. Derzeit liegen die Werte in den vier Planungsregionen des Rot-Rot-Grün regierten Freistaates bei 0,4 bis 0,6 Prozent. Für Länder wie Niedersachsen oder Brandenburg wird es hingegen recht einfach, die 1,8 bis 2,2 Prozent zu erreichen, die das WaLG bis 2032 vorsieht; sie rangieren schon heute in dieser Größenordnung.
Davonlaufen können die Landesplaner dem WaLG nicht. Denn Habeck droht ihnen mit planerischem Wildwuchs, sollten sie nicht rasch nachlegen und neue Windflächen ausweisen: In Bundesländern, die ihre Ziele bis 2026 nicht erreichen, soll der Bau von Windkraftanlagen praktisch überall im planerischen Außenbereich möglich sein – grob gesagt dort, wo weit und breit kein gelbes Ortseingangsschild steht. In Bundesländern, die ihre Ziele verfehlen, würden auch Mindestabstände von Windkraftanlagen zur nächsten Wohnbebauung geschleift. Das wäre dann das Ende der Söder’schen 10-H-Regelung in Bayern oder der 1.000-Meter-Regelung in Sachsen.
Material für Wahlkämpfe
Einen zweiten Hebel setzt das WaLG beim Genehmigungsrecht an: Ist es bisher so, dass für jeden einzelnen Windpark aufwendige natur- und artenschutzrechtliche Gutachten vorgelegt werden müssen, so ermöglicht das WaLG künftig vorgenehmigte Flächen, sogenannte Go-to-Areas. Die Gutachten werden hierbei im Auftrag der Regional- und Landesplaner schon bei der Ausweisung der Gebiete angefertigt, nicht mehr von den Windprojektierern im Rahmen der Projektplanung. Weil parallel zum WaLG auch an einer Novelle des Naturschutzrechtes gearbeitet wird, die der Windenergie vielfach Vorrang gegenüber dem Artenschutz geben wird, könnte dadurch die Genehmigungsdauer für neue Windprojekte um Jahre sinken und künftig bei wenigen Monaten liegen.
So umgesetzt, schafft das WaLG zwar Tempo und Fläche. Und es hat das Potenzial, ein wirklich scharfes Schwert für den Ausbau der Windenergie zu werden. Es ist allerdings auch ein zweischneidiges, ist es doch ebenfalls geeignet zur grünen Selbstverletzung: Absehbar ist, dass in Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen große regionale und lokale Konflikte aufbrechen werden, für welche die grünen Minister in den dortigen Landesregierungen in Haftung genommen werden. Das WaLG wird deshalb sicher zum Gegenstand der kommenden Wahlkämpfe werden. Die erste Zielmarke 2026 liegt zudem nach den nächsten Bundestagswahlen. Man muss kein Hellseher sein, um zu prophezeien, dass die Windkraftgegner im Jahr 2025 auch auf Bundesebene gegen das WaLG kämpfen werden – mit dem Ziel, es als Teil der nächsten Bundesregierung zu kippen.
Habeck täte deshalb gut daran, nicht nur die Peitsche zu schwingen, sondern auch Zuckerbrot zu verteilen. Denn tatsächlich können neue Windprojekte die regionale Wirtschaft beflügeln, Bürger:innen im Umkreis der Windparks niedrige Energiekosten bescheren und Kommunen als Wohnort attraktiv machen. Beispiele dafür gibt es: So hat der Windprojektierer Enertrag in der Uckermark ein lokales Wärmenetz aufgebaut, das mit Wärme aus überschüssigem Windstrom gefüttert wird. Steigende Gaspreise interessieren dort nicht.
Das Unternehmen Westfalen-Wind aus Paderborn bietet einen Stromtarif an, der nicht auf den teuren Stromgroßhandelspreisen basiert, sondern auf den günstigen Stromgestehungskosten der Windkraftanlagen in der Region. Günstiger als in der ostwestfälischen Region ist Strom in Deutschland daher derzeit kaum zu bekommen. Im Hunsrück wiederum fahren mancherorts Busse umsonst – die Windkraft bezahlt’s. Günstiger grüner Strom aus der Region, damit lokale Arbeitsplätze entstehen können, die wiederum ländliche Regionen zum Blühen bringen – lokale Firmen und Windkraftprojektierer können vor Ort gemeinsam Überzeugungsarbeit für Windprojekte leisten – am besten mit Rückenwind aus Berlin.
Man muss nicht behaupten, dass Windkraftanlagen die Landschaft verschönern. Ihre Energie wird aber die Basis für künftigen Wohlstand sein und eine wirtschaftliche und klimafreundliche Alternative ist nicht in Sicht. Es liegt an Habeck und seinen Ministerkolleg:innen in Bund und Ländern, das zu erklären. Dann wird das WaLG die Landschaft über die nächsten Jahrzehnte prägen können.

Christoph Podewils hat als Journalist u.a. für die Berliner Zeitung und den Deutschlandfunk gearbeitet, später als Kommunikationschef von Agora Energiewende. Er ist Autor des Buches Deutschland unter Strom. Unsere Antwort auf die Klimakrise


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen