Süddeutsche Zeitung hier 6. Januar 2022
Was bringen eigentlich Konferenzen wie neulich die in Glasgow? Mit ein paar Wochen Abstand lässt sich sagen: Es geht voran. Aber gut wäre, wenn es schneller ginge.
Gastkommentar von Antje Boetius, Meeresforscherin, ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven.
Von allen Fragen zum Klimawandel, die ich 2021 bekommen habe, war die häufigste: Haben Sie nach der Klimakonferenz von Glasgow noch Hoffnung?
links: Grafik aus einem anderen Artikel der Süddeutschen Zeitung
Klimakonferenzen stehen in einer Reihe mit anderen Konferenzen zu internationalen Konventionen: dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen, den Übereinkommen zum Schutz der Artenvielfalt oder der Ozonschicht. Sie alle geben uns ein Fundament für das Zusammenleben dieser einen Menschheit, die wir sind, auf dem einzigen lebensfreundlichen Planeten im Universum, den wir kennen. Schon dass Klimakonferenzen wiederkehrend und fast alle Nationen dabei sind, macht mir Hoffnung - wie sonst sollte die Menschheit umfassende Ziele und Regeln für Klima- und Naturschutz aushandeln?
Beschlüsse werden einstimmig verabschiedet. Jedes Land kann also alle anderen fast 200 Länder blockieren. Umso mehr scheint es ein Wunder zu sein, dass doch bei jeder Klimakonferenz Fortschritt in der gemeinsamen Sprache erreicht wird. Im Pakt von Glasgow wurde zum ersten Mal aufgeschrieben, dass die Subventionierung fossiler Brennstoffe sowie die Nutzung der Kohle enden muss. Banken werden aus der Finanzierung fossiler Geschäfte aussteigen. Es wurde vereinbart, den Ausstoß von Methan zu verringern und das Abholzen von Urwäldern zu bremsen. Daher lautet meine Antwort: Ja, Hoffnung.
Denn letztlich hängt alles vom CO₂-Gehalt in der Atmosphäre ab: die Zukunft der Ozeane und der Polarregionen, und auch die von uns Menschen. Klimaveränderungen betreffen alle, das ganze Leben. Das globale Klima war 10 000 Jahre lang verlässlicher als das, was vor uns liegt. Und auch wenn heute ein kleiner Teil der Menschheit dank technologischen Fortschritts unabhängiger von Wetter-Unbill ist - in absoluten Zahlen sind mehr Menschen denn je Fluten, Stürmen und Hitzewellen ausgesetzt.
Was der Wert von Grenzwerten, Regeln und Zielen ist
Als Polar- und Meeresforscherin lese ich neben Klimakonferenzbeschlüssen auch Berichte zu CO₂-Emissionen. Wichtig ist die CO₂-Uhr des Mercator-Centers in Berlin. Sie gibt an, wie viel CO₂ maximal noch in die Atmosphäre geblasen werden kann, bis die Erderwärmung entscheidende Grenzwerte übersteigt. Außerdem betrachte ich regelmäßig den Climate Action Tracker. Er zeigt die Emissionsziele aller Nationen an. Man sieht, wie groß die Lücke ist zwischen national beschlossenen Zielen und dem, was die Naturgesetze verlangen. Folgt man ihnen nicht, werden Hunderte Millionen ihre Heimat verlieren, ihren Besitz und ihren Lebensunterhalt. Lebensräume und Arten schwinden, auf die wir für unser eigenes Leben angewiesen sind. Dazu gehören tropische Korallenriffe und das arktische Meereis mit seiner Lebensvielfalt, aber auch Wälder und Wiesen um uns herum - mit der Bestäubungsleistung Zehntausender Insektenarten.
Die Erdsystemprognosen sagen uns, was wir verlieren können. Dennoch hat Glasgow mir Hoffnung vermittelt - bei gebührendem Respekt vor der gigantischen Herausforderung. Wir alle profitieren davon, wenn Grenzwerte, Ziele und Regeln international verhandelt und explizit benannt werden. Hoffnung machen mir vor allem die Menschen, die für uns Klima- und Naturschutz verhandeln.
Drei Menschen, die mir Hoffnung machen
Drei Beispiele: Vor der Klimakonferenz sprach ich mit Halldor Thorgeirsson vom Isländischen Klimarat. Er ist seit der ersten Konferenz 1995 in Berlin dabei. Damals entstand das Ziel, schon bis 2000 die Emissionen auf weniger als 23 Gigatonnen CO₂ pro Jahr zu senken. Heute sind wir bei 40 Gigatonnen, aber Thorgeirsson setzt weiter Hoffnung in die Verhandlungen. Wenigstens steigen die Emissionen seit einigen Jahren nicht mehr. Und er ermahnt mich: In den Naturwissenschaften sagen wir zu oft, dass das 1,5-Grad-Ziel aufzugeben sei, weil wir schon bei fast 1,2 Grad sind, und es nur noch sieben Jahre Zeit gibt, um die Emissionen ausreichend drastisch zu senken. Ich verstehe nun besser, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht nur auf einer physikalischen Zustandsbeschreibung der Erde beruht. Es steht für sich selbst, als Verkörperung eines Menschheitsziels, dem man so nahe kommen muss wie nur möglich - es aufzugeben würde den Anspruch so vieler Menschen auf Heimat ignorieren
Zweites Beispiel: Kurz vor Glasgow hatte ich eine Konferenz mit den deutschen Verhandlungsmitgliedern. Sie sind schon so lange dabei und ganz klar positiv und ehrgeizig gestimmt. Sie zeigen sogar Verständnis für die heftige Kritik von außen. Nicole Wilke ist eine davon, sie ist eine der EU-Chefverhandlerinnen. Sie kämpft unermüdlich seit Jahren für etwas besonders Wichtiges: für Transparenz bei der Angabe von Emissionen und um Vergleichbarkeit - damit wir uns die Zukunft nicht schönrechnen.
Drittes Beispiel: Ich habe Professor Saleemul Huq von der Unabhängigen Universität Bangladesch zugehört. Er war enttäuscht, dass es nicht gelang, den lange beschlossenen, eigentlich bereits 2020 fälligen Klimafonds der Industrienationen zusammenzubekommen. 100 Milliarden Dollar pro Jahr sollten dem globalen Süden helfen, den Klimawandel zu bewältigen. Zum Vergleich: Die jährlichen Schäden allein durch die deutschen Emissionen betragen mehr als 150 Milliarden Euro. Saleemul Huq benennt den Vertrauensverlust in Verhandlungen bei all den Menschen, die die Klimakrise nicht verantworten, aber alles durch sie verlieren. In Bangladesch wächst die Zahl der Vertriebenen entsetzlich schnell, doch immer weniger Menschen sterben: Weil sie wissen, was man tun muss, wenn ein Zyklon heranrollt, weil Schulkinder ihre Nachbarn überzeugen, Schutz zu suchen, weil eine Warnung fast immer die Gefährdeten erreicht. Länder wie Deutschland können davon lernen, nach der Flut von 2021, sagt er.
Klimakonferenzen sind also ein essenzieller Teil der großen Kraftanstrengung. Man sollte ihnen viel Unterstützung geben, denn gerade internationale Allianzen können große Schrauben stellen. Auch Kritik an mangelndem Fortschritt muss sein - denn Kritik ist ja auch nur eine Form, Hoffnung auszudrücken. Viel schlimmer wäre Gleichgültigkeit.
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