Sonntag, 10. Juli 2022

SHELL-BERATERIN KÜNDIGT ÖFFENTLICH: „ES IST KEINE GUTE BRANCHE, DIE MAN UNTERSTÜTZEN SOLLTE“

Capital  hier - ein Ausschnitt


Hatten Sie damals keine Bedenken, für Shell zu arbeiten?

Oh doch. Ich hatte immer ein gewisses Unbehagen, besonders nach der Deepwater-Katastrophe.
Da wurde ein Schlaglicht auf die gesamte Industrie geworfen und darauf, wie umweltschädlich sie ist. Als Forscherin bin ich der Meinung, dass jeder das Recht hat, etwas besser zu verstehen.
Unsere Aufgabe war es, für Shell besser verständlich zu machen, wie ihre Sicherheitskultur funktioniert und wo sie verbessert werden muss. Es war von Anfang an ein Kompromiss zwischen dieser umweltverschmutzenden Industrie und meinen Möglichkeiten, die Umweltverschmutzung zu verringern, indem ich Zwischenfälle verhindere. Man sieht den Wert der Arbeit, die man leistet.
Die Ergebnisse unserer Analysen hatten eine echte Bedeutung für die Mitarbeiter, die sich zu Wort gemeldet hatten, und für die Führungsteams, die auf der Grundlage dieser Ergebnisse Maßnahmen ergreifen mussten.


Wann hat sich Ihre Meinung zu Shell geändert?

In den letzten drei Jahren ist mein ökologisches Bewusstsein gewachsen. Die Warnungen der Wissenschaft werden ignoriert und die Unternehmen in der Welt machen vielfach einfach weiter wie bisher. Ich dachte immer öfter: Das ist kein guter Ort, um zu arbeiten. Es ist keine gute Branche, die man unterstützen sollte. Selbst wenn man in diesem Unternehmen etwas Gutes tut, muss man trotzdem mit diesem Konflikt leben. Und dieser Konflikt fing an, ziemlich schwer auf meinem Gewissen zu lasten.


Hatten Sie den Eindruck, dass Shell es ernst meint mit den Aussagen zur Klimaneutralität und der Transformation des Unternehmens?

Nein. Ich habe bei Shell so gut wie kein Gespräch über den Klimawandel gehört.
Ich meine, in Anbetracht des Zusammenhangs mit der allgemeinen Sicherheit, dem Wohlbefinden und der Gesundheit der Menschen
hätte man denken können, dass es ein größeres Thema ist. Manche sprechen von lokaler Umweltverschmutzung, besonders in Nigeria und im Nigerdelta. Im März, als ich das letzte Projekt abgab, habe ich einen Manager zum ersten Mal vom Netto-Null-Ziel sprechen hören und dass Shell darauf hinarbeiten müsse. Das sagt mir, dass es kein Teil der Kultur ist, denn wenn dem so wäre, würde man über den Klimawandel reden wie man auch über Sicherheit spricht. Das ist nicht der Fall.


In der Öffentlichkeit spricht Shell dafür ziemlich oft über den Klimawandel und Net Zero.

Sie schreiben das auch auf ihrer Website. Aber dann scrollen Sie weiter und finden Artikel, wonach sie diese Expansion und jene Expansion planen, neue Pipelines bauen und mehr Öl fördern. Das steht in direktem Widerspruch zu dem, was sie über den Übergang sagen. Und das ist der Grund, warum ich Ende Mai öffentlich gekündigt habe, denn ich denke, das muss klargestellt werden. Das ist doppelzüngig. Sie sagen eine Sache, die durch die PR-Abteilung und das Marketing-Team kommt, und doch ist das in der Praxis nicht die Realität, soweit ich das mitbekommen habe.


Was werfen Sie Shell vor?

Ich werfe ihnen vor, dass sie auf der einen Seite ein großes Sicherheitsstreben haben, ihr Sicherheitsziel ist es, keinen Schaden anzurichten. Andererseits ignorieren sie völlig die Risiken des Klimawandels, der zu extremen Schäden für die Menschen führt. Wir alle werden vom Klimawandel betroffen sein und tragen dazu bei. Aber sie als Unternehmen müssen erkennen, dass es bei ihnen um Risikomanagement geht. Die Öl- und Gasindustrie muss die Risiken bewerten. Wenn man das Risiko nicht ausschalten kann, dann muss man es abmildern. Ihr Mantra lautet immer: „Wir werden die Sicherheit immer über die Produktion stellen.“ Aber das ist eine sehr eng gefasste Beschreibung von Sicherheit, da sie die Sicherheit der Umwelt und die Sicherheit unserer Planetensysteme nicht in Betracht ziehen.


An wen haben Sie ihr Kündigungsvideo geschickt?

Insgesamt an 1400 Menschen. Ich habe eine E-Mail an die Mitglieder des Exekutivausschusses geschickt. Und dann habe ich eine sehr ähnliche E-Mail an meine Kolleginnen und Kollegen gesendet. Außerdem habe ich das Video auf LinkedIn hochgeladen.

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