Samstag, 16. Juli 2022

Nach dem großen Solarsterben: Jetzt droht auch Windkraft dieses Schicksal

Wurde der Hebel gerade noch rechtzeitig herumgerissen in der Windkraftbranche?
Es ist vom heutigen Standpunkt her aus keiner Sicht nachvollziehbar, was sich in den letzten Jahren bei den Erneuerbaren Energien abgespielt hat. Wieso man eine florierende, sinnhafte Branche sehenden Auges abgewürgt hat? 

efahrer hier  12. Juli 2022 | Sepp Reitberger

Zehn Jahre nach dem großen Solarsterben in Deutschland, der die komplette einheimische Halbleiterfertigung für Solarzellen zum Opfer fiel, werden die abgebauten Kapazitäten schmerzlich vermisst. Jetzt droht der Windkraft-Branche das gleiche Schicksal.

Sovello zum Beispiel, einer der kleineren deutschen Hersteller, hatte Ausbaupläne, die für das Jahr 2014 250 Megawatt Peakleistung garantieren sollten, was für die Bestückung von 25.000 durchschnittlichen Hausdächern mit je 10 kWp gereicht hätte. Die anderen Namen lauten Q-Cells, Solon, Solar Millenium. Das US-Unternehmen First Solar machte im Jahr 2012 seinen Standort in Frankfurt an der Oder dicht. Schott Solar hatte Ende 2011 noch Pläne für einen Rekord-Solarpark mit 2,2 Megawatt Peakleistung präsentiert – und musste im Februar 2012 seine Photovoltaik-Produktion in Alzenau einstellen. Allein an diesem Standort verloren 276 Menschen ihren Arbeitsplatz.

Und dann gibt es natürlich noch die richtig großen: Solarworld war einer der Lieblinge der Investoren. Das Unternehmen aus Bonn machte lange Zeit Hoffnung darauf, in einem konsolidierten deutschen Photovoltaik-Markt als Sieger übrigzubleiben und schaffte es immer wieder, Investorengeld einzusammeln. Noch im Jahr 2014 gelang der Börsengang, obwohl allein im Jahr 2013 606 Millionen Euro Verlust in den Büchern standen.

Heute ist von diesen Herstellern im besten Fall noch der Name übrig. Die Massenproduktion von Photovoltaik-Zellen läuft in Fernost. Module „Made in Germany“ werden hier nur zusammengefügt.

Politische Weichenstellung und Konkurrenz aus Fernost

Wie konnte das passieren? Zwei Gründe sind aus heutiger Sicht ausschlaggebend: Unternehmen und Investoren befanden sich in einem Rausch des Erfolgs. Mit Steuergeldern unterstützt waren Produktionsstätten, zumeist in den neuen Bundesländern gebaut worden. Die Firmen sahen sich an der Spitze der Entwicklung und übersahen dabei, was zeitgleich in China passierte: Dort hatte man die Zeichen der Zeit längst erkannt und echte Massenfertigung für PV-Zellen auf den Weg gebracht, die mit der Leistung und Effizienz von deutschen Produkten nicht mithalten konnten, die sie beim Preis pro Kilowatt Peakleistung aber klar unterboten. 

An den Weltmarktpreisen hatte sich die schwarzgelbe Koalition bei der Neuregelung der Förderung für private Solaranlagen orientiert – und ganz bewusst den starken Ausbau der Photovoltaik abrupt abgebremst. Der damalige Umweltminister Peter Altmaier gab in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau zu Protokoll: Die Kosten der Energiewende würden sich ohne weitere Eingriffe bis Ende der 2030er Jahre auf rund eine Billion Euro anhäufen. Im Juli 2013 wertete es das Umweltministerium in einer Pressemeldung als Erfolg, dass der PV-Ausbau um 40 bis 50 Prozent zurückgegangen sei. 

Heute stellt sich die Frage, ob eine Billion Euro über einen Zeitraum von 27 Jahren wirklich zuviel gewesen wären. Die explodierenden Gaspreise könnten im Energiemarkt sehr viel schneller zu Kosten in dieser Größenordnung führen. Die in Summe rund 70.000 Arbeitsplätze, die im Bereich der Erneuerbaren Energien in Deutschland verlorengingen, scheinen das geringere Problem zu sein: Die meist hochqualifizierten Kräfte sind vom Arbeitsmarkt schnell aufgesaugt worden.

Europäische Windkraft kriselt vor sich hin

Heute stellt sich eine weitere Frage: Passiert mit der Windkraft gerade das Gleiche wie vor zehn Jahren mit Solar? Siemens Gamesa, das deutsch-spanische Windkraft-Unternehmen war mit seiner Gründung Weltmarktführer – und kriselt wirtschaftlich vor sich hin. Ein schlechtes Quartal reiht sich an das andere, und obwohl klar ist, dass die Windkraft weltweit einen langanhaltenden Boom erleben wird, macht der Windkraftriese mit über 25.000 Mitarbeitern dreistellige Millionenverluste. Der Umsatz fällt im Jahresvergleich. Kein Wunder, dass Siemens Gamesa heute an der Börse mit 17,80 Euro im Vergleich zum Höchststand von Anfang 2021 bei weniger als der Hälfte steht.

Die ganze Branche steht in Europa stark unter Druck. Nordex hat gerade die letzte Rotorblatt-Fertigung in Deutschland abgewickelt. Die Produktionsanlagen in Rostock werden nicht mehr benötigt, rund 200 Mitarbeiter verlieren ihren Job. Nordex produziert nur noch außerhalb der EU, in der Türkei und in den USA, wo die Kosten niedriger und die Bedingungen günstiger sind.

Ruinöse Bieterwettbewerbe - trotz Rekord-Niedrigpreisen

Wie kann das sein? Auch bei dieser Entwicklung hat Peter Altmaier seine Finger im Spiel, zum Beispiel indem er im Jahr 2020 die Ausschreibungen für Offshore-Windparks neu gestaltete: Anstatt den Betreibern einen Förderungs-Aufschlag in Aussicht zu stellen, ließ er die Konkurrenten um die Offshore-Kapazitäten in einen Unterbietungs-Wettbewerb einsteigen: Anlagen, die ohnehin schon unter den gängigen Marktpreisen für Strom produzieren konnten, mussten sich jetzt gegenseitig unterbieten und damit einen teuren Eintrittspreis für die saubere Stromproduktion bezahlen.

Die abgebauten oder nicht aufgebauten Kapazitäten werden bitter vermisst werden, wenn die Energiekrise, die durch hohe Gaspreise und den Ukraine-Krieg angeschoben wurde, anhält. Rentabel ist die Windstrom-Produktion längst: In Großbritannien wurde der Betrieb einer Offshore-Farm im Bieterwettbewerb mit einem neuen Rekordpreis abgeschlossen: 4,4 Cent kostet die Kilowattstunde Strom aus der Anlage, die vor der schottischen Küste entstehen soll. Zum Vergleich: Dem Betreiber des neuen Atommeilers Hinkley Point C, der mit Jahren Verzögerung und mit dramatischen Kostensteigerungen in England gebaut wird, garantiert die Regierung einen Preis von rund 12 Euro-Cent pro Kilowattstunde.


NTV  Von Marc Dimpfel  12.07.2022

Krisenbranche schöpft Hoffnung"Windkraft wird mit Macht zurückkommen"



Deutschland will so schnell wie möglich weg vom russischen Gas und setzt dabei auch auf den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien. Gleichzeitig steckt die Windkraftbranche tief in der Krise. Die Bundesregierung will nun frühere Entscheidungen korrigieren.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat Deutschland denkbar unsanft aus dem fossilen Dornröschenschlaf gerissen. Angesichts des Gas-Dilemmas treibt die Bundesregierung den Ausbau erneuerbarer Energien mit dem neuen Osterpaket voran. Plötzlich steht auch Windkraft wieder hoch im Kurs. Ganz und gar nicht ins Bild passt da die Entscheidung des heimischen Windkraftanlagenherstellers Nordex, den Rostocker Standort zur Rotorblattproduktion zum 30. Juni dichtzumachen. Der Grünen-Politiker Johann-Georg Jaeger verbalisierte am Tag der Schließung das Paradoxon, das auch die rund 600 nunmehr Ex-Beschäftigten umtreiben dürfte: "Wir schließen dieses Werk, obwohl wir wissen, in ein, zwei Jahren werden wir jedes Rotorblatt brauchen - und zwar die aus Indien und aus Deutschland."

Dass Nordex in Zukunft auf dem indischen Subkontinent statt an der Ostsee Rotorblätter produzieren wird, erschließt sich vor allem aus betriebswirtschaftlicher Logik. Nordex sei gezwungen, die "globalen Produktions- und Beschaffungsprozesse" zu optimieren, um "profitabel zu produzieren und die Wettbewerbsfähigkeit" zu sichern, rechtfertigte Nordex-Chef José Luis Blanco diesen "schmerzhaften" Schritt. Übersetzt heißt das: Die Produktion in Deutschland ist schlichtweg zu teuer.

Tatsächlich herrscht bei den deutschen und europäischen Herstellern keine Goldgräberstimmung. Ob der Hamburger Konzern Nordex, Siemens Gamesa, oder der dänische Marktführer Vestas: Sie alle schreiben rote Zahlen. Nordex hatte im vergangenen Jahr einen Nettoverlust von 230 Millionen Euro eingefahren. Die Unternehmen leiden unter den massiv gestiegenen Rohstoffpreisen und insbesondere dem harten Preiskampf. "Die Werkschließung in Rostock ist die Schleifspur des massiven Einbruchs der Branche", erläutert Wolfram Axthelm im Gespräch mit ntv.de. Zwischen 2018 und 2020 seien 40.000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren gegangen, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie.

Markt war plötzlich halbiert

Verhängnisvoll aus Sicht der deutschen Produzenten war dabei das Erneuerbare-Energien-Gesetz der Bundesregierung aus 2017. Die zuvor festgeschriebene Vergütung wurde durch ein Ausschreibungsverfahren ersetzt, die Branche in den Wettbewerb gedrängt. Infolge sanken die Renditen. Zudem deckelte die Regierung das Ausschreibungsvolumen auf einen Zubau von nur noch 2800 Megawatt pro Jahr, erklärt Axthelm. "Man hatte plötzlich eine Halbierung des Marktes."

So stockt der Windkraftausbau in Deutschland bis heute. Auch weil die bürokratischen Mühlen nur langsam mahlen: Bis eine Anlage genehmigt wird, dauert es durchschnittlich sechs Jahre. Ebenso verschandeln die turmhohen Räder in den Augen vieler Bürger die Landschaft, das macht sie politisch unattraktiv. In Bayern, das Bundesland mit den strengsten Abstandsvorschriften zu Wohnhäusern, ist im ersten Quartal dieses Jahres keine einzige neue Windkraftanlage entstanden. Beim Vorreiter Schleswig-Holstein waren es im gleichen Zeitraum immerhin 25 Windräder an Land. Die Unternehmen erhalten ihre Aufträge zunehmend aus aufstrebenden Ländern wie Brasilien und China. Da lohnt es sich, ortsnah zu produzieren.

Die Bundesregierung ist sich der Problematik bewusst. Wirtschaftsminister Robert Habeck will erreichen, dass zwei Prozent der bundesdeutschen Landfläche für Windkraft reserviert werden. Im entsprechenden "Wind-an-Land"-Gesetz aus dem Osterpaket heißt es, man wolle "den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse für den beschleunigten Ausbau aus dem Weg räumen". Die Bundesländer werden verpflichtet, die Flächenvorgaben umzusetzen. Binnen 13 Jahren soll Deutschland seinen Strom so zum Großteil aus erneuerbaren Quellen beziehen. Die Nachfrage nach Windkraftanlagen dürfte sich enorm erhöhen. Noch hält sie sich in Grenzen. Im ersten Halbjahr 2022 wurden lediglich 235 neue Anlagen errichtet, wie aus Zahlen hervorgeht, die dem "Handelsblatt" vorliegen. Die Genehmigungen liegen mit 281 Windrädern 15 Prozent unter dem Vorjahreswert.

Sorge vor neuem Solarenergie-Szenario

Eine derart maue Auftragslage wird die Hersteller nicht aus der Krise holen. Habeck selbst soll noch versucht haben, in Gesprächen mit Nordex den Rostocker Standort zu retten. Ohne Erfolg. Droht der Windkraft das gleiche Schicksal wie einst der Solarbranche? Erlebten deutsche Hersteller Anfang der 2000er Jahre noch einen Höhenflug, brach ab 2011 der Markt ein. Auch hier war eine wegfallende staatliche Vergütung der Grund. Chinesische Firmen klopften an und konnten dank komfortablen Subventionen ihre Fotovoltaikanlagen kostengünstig anbieten. Für die deutsche Industrie hatte das eine Massenpleite zur Folge, es kam zu Spannungen in den Handelsbeziehungen nach China. Experten halten die Energiewende ohne Hilfe der Volksrepublik für gestorbenAber: Seit einiger Zeit spürt die Branche wieder Aufwind.

Auch für die Windkraft geht es in Zukunft wieder bergauf, ist sich Axthelm sicher. "Wir erleben jetzt schon, dass quer über die Wertschöpfungskette wieder Neueinstellungen vorgenommen werden und Personal überall gesucht wird." Nach Jahren der Unsicherheit habe das Osterpaket der Branche neue Sicherheit gegeben, etwa durch die deutliche Erhöhung des Ausschreibungsvolumens auf 10.000 Megawatt ab dem Jahr 2024. "Wir sehen den klar definierten politischen Willen, einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben".

Bundeskanzler Olaf Scholz glaubt ebenfalls nicht, dass die Windkraftanlagenhersteller eine Insolvenzwelle ereilt. "Wir sind das Land, das über sehr erfolgreiche Unternehmen verfügt, die bei der Solarenergie, aber auch der Windenergie über sehr gute technologische Kompetenzen verfügen", sagte er in der ARD. Ziel sei es, dass die Firmen weiterhin in Deutschland produzieren. Die Hersteller werden von den massiven Investitionen in erneuerbare Energien profitieren, verspricht Scholz.

Gute Voraussetzungen in Deutschland

Denn der Standort Deutschland bietet Axthelm zufolge einige Vorteile. "Die Erfahrungen der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass man sich auf Lieferketten nicht immer verlassen kann." Auch seien die industriellen Voraussetzungen gut. "Windenergie ist tief im deutschen Maschinenbau und in der Anlagentechnik verankert. Wir können hier auf gefestigte Produktionsstandorte zurückgreifen", so der Branchenvertreter.

Für den krisengeplagten Anlagenbauer Nordex war das zweite Quartal bereits ein kleiner Lichtblick. Es konnten deutlich mehr Aufträge eingeholt werden als im Vorjahreszeitraum. Der Auftragseingang belief sich auf rund 1836 Megawatt, nach 1534 Megawatt im Vergleichsquartal. Am Sonntag kündigte Nordex an, mit einer Kapitalerhöhung bei seinen Aktionären 212 Millionen Euro einzusammeln. Die frischen Mittel seien "ein Schutz gegen kurzfristige, branchenspezifische Risiken" und würden die Position am Markt verbessern, teilte Nordex mit. Das Unternehmen hofft, vom erwarteten Windkraft-Boom zu profitieren.

Axthelm zufolge liegt es jetzt in den Händen der Länder, die politischen Rahmenbedingungen umzusetzen, also Flächen bereitzustellen und Genehmigungsverfahren anzukurbeln. Denn ein Produktionshoch könne nur durch reale Aufträge entstehen. Mit ausreichend Druck aus Industrie und Mittelstand werde es aber vorangehen, sagt der Experte. "Die Bundesregierung konnte den Hebel gerade nochmal rumreißen. Jetzt ist der Optimismus groß, dass die deutsche Windkraftbranche mit Macht zurückkommt."

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