Donnerstag, 14. Juli 2022

Klima-Sofortprogramm kommt später, irgendwann

ZDF und ARD beim gleichen Thema- ein unmittelbarer Vergleich

ZDF hier   von Kristina Hofmann  13.7.22

Ampel reißt Frist

Ein Programm zum Erreichen der Klimaziele war das große Ziel der Ampel. Heute sollte es vorliegen. Liegt es aber nicht, es gibt nur Vorschläge. Vielleicht für den Papierkorb.

Der Auftrag war eigentlich eindeutig: Weil bei Gebäuden und im Verkehr die CO2-Emissionen zu hoch sind, um die Klimaziele zu erreichen, "müssen die für diese Sektoren zuständigen Ministerien innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen". So hatte es im April der Expertenrat für Klima von der Ampel-Koalition nach dem Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts verlangt. Fristablauf: heute.

Verkehrs-, Klima- und Bauministerium haben ihre Einsparpläne am Mittwoch zwar präsentiert. Doch ob irgendetwas davon umgesetzt wird, ist völlig offen. Und ob das Klimaziel – 65 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 bis 2030 – eingehalten werden kann, auch.

Frist für Klimaplan kaum zu halten

Denn was fehlt, ist ein Gesamtkonzept der Ampel-Koalition. Und ob die Einzelmaßnahmen etwa im laufenden oder nächsten Haushalt eingepreist wurden und damit umgesetzt werden können. So hatten es sich SPD, Grüne und FDP aber vorgenommen.

Koalitionsvertrag, Seite 55: "Wir werden das Klimaschutzgesetz im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen." Später heißt es noch: "2022 auf den Weg bringen und abschließen".

Doch eine Einigung ist vor allem am Zwist zwischen Bundewirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gescheitert. Habeck konnte sich zumindest mit seiner Kabinettskollegin Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) bis Mittwoch einigen. Beide Ministerien präsentierten ihre Einsparvorschläge – etwa 30 Minuten getrennt von Wissing, der allein zur Pressekonferenz einlud. Andere Ressorts hielten sich völlig zurück.

Vielleicht im September, so ist zu hören, könnte es ein Einsparkonzept der ganzen Bundesregierung geben.

Keine neuen Gasheizungen ab 2024?

Um überhaupt die Klimaziele zu erreichen, müssten jedes Jahr mindestens zwei Prozent CO2-Ausstoß eingespart werden. Das Klimaschutzprogramm legt Obergrenzen in sogenannten Sektoren fest. Zwei Jahre hintereinander hatte der Gebäudebereich seine Grenze gerissen, voriges Jahr auch der Verkehr.

2021 hatte der CO2-Ausstoß insgesamt sogar um vier Prozent zugenommen – die höchste Zunahme seit 1990. Ohne Corona-Pandemie wäre es vermutlich noch mehr gewesen, stellte der Klima-Expertenrat fest, der die Berechnungen des Bundesumweltamtes überprüfte.

Ministerin Geywitz versuchte den Dissens mit einem kleinen Witz zu überspielen: Weil das Bau- und das Klimaministerium "das Klassenziel nicht erreicht hätten", müssten sie jetzt über den Sommer "nachsitzen". Konkret schlagen Geywitz und Habeck, der wegen Erkältungssymptomen nicht an der Pressekonferenz teilnahm, vor, die Gebäudesanierung voranzutreiben.

So soll die Erdgasheizung schon früher Geschichte werden: Per Gesetz soll festgeschrieben werden, dass ab 1. Januar 2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden soll – ein Jahr früher als im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Einbau von Wärmepumpen soll forciert werden, indem vor allem das Handwerk qualifiziert wird und insgesamt effizienter gebaut wird.

Gebäude sollen zudem energieeffizienter saniert werden – allerdings stehen die Einzelheiten der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes noch nicht fest. Öffentliche Gebäude wie Sportstätten und Schwimmbäder sollen ebenfalls verstärkt saniert werden, um den CO2-Ausstoß zu mindern. Wie genau? "Das werden wir nach der Sommerpause mit den Ländern und Kommunen besprechen", so Geywitz.

Wissing: "Offensichtlich noch Gesprächsbedarf"

Wissings Plan klingt nicht weniger ambitioniert. Sein jetzt vorgelegter Einsparplan senke den CO2-Ausstoß bis 2030 um 13 Millionen - mehr als sein Sektor Verkehr eigentlich müsste, sagte der FDP-Politiker am Mittwoch. (???)  Dabei gehe es um den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos, Förderung für klimaschonende Lkw-Trailer, Ausbau der Radinfrastruktur, des Öffentlichen Personennahverkehrs sowie mehr digitale Arbeit, um Wege zu vermeiden.

Ein Tempolimit sei zusätzlich aber nicht nötig, so Wissing.

Wissing machte deutlich: Er habe abzuwägen zwischen dem Klimaschutz einerseits sowie dem Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung und der Akzeptanz der Maßnahmen andererseits. Für ein Gesamtkonzept der Ampel-Regierung gebe es "ganz offensichtlich noch Gesprächsbedarf".
Wissig stellte klar:  
An mir scheitert nichts.

Er sei jederzeit zu Gesprächen bereit, "auch über den Sommer hinweg". Staatssekretär Patrick Graichen, der Minister Habeck heute vertrat, drückte den Gesprächsbedarf so aus: "Wir freuen uns auf die Diskussionen im Ressortkreis."

Der Klima-Expertenrat will sich diese Woche nicht äußern. Die Pläne von Habeck und Geywitz wolle man aber prüfen und sich dann äußern. Ende August.



ARD  13.07.2022 hier  Von Daniel Pokraka, ARD-Hauptstadtstudio

Wissings kleinster gemeinsamer Nenner

Die neuen Klimaschutzmaßnahmen im Bau- und Verkehrssektor stehen in der Kritik - insbesondere die Pläne von Verkehrsminister Wissing. Experten glauben nicht, dass damit genug CO2 eingespart wird - und Wissing selbst wohl auch nicht.

300 Meter kann man zu Fuß leicht in drei Minuten zurücklegen, aber in der Ampel-Regierung reichen diese 300 Meter heute, um zu zeigen, dass man sich in Sachen Klimaschutz nicht einig ist. 

Um 12 Uhr erklärt Verkehrsminister Volker Wissing in seinem Ministerium in der Berliner Invalidenstraße der Presse, wie er den CO2-Ausstoß im Bereich Verkehr bis 2030 so stark senken will, wie es das Klimaschutzgesetz verlangt.

Um 12:30 Uhr erklären Klima-Staatssekretär Patrick Graichen - Minister Robert Habeck ist mit Erkältungssymptome zuhause geblieben - und Bauministerin Klara Geywitz im Wirtschafts- und Klimaschutzministerium - ebenfalls in der Invalidenstraße -, was zum selben Zweck im Gebäudesektor geplant ist.

Uneinigkeit bei den Ministerien

Vorher hat im Kanzleramt das Kabinett getagt; die Ministerrunde hätte dort ein Klima-Gesamtpaket für einen CO2-Einsparungspfad bis 2030 über alle Sektorengrenzen - Verkehr, Gebäude, Energieerzeugung, Industrie, Landwirtschaft - hinweg beschließen können.
Doch man ist sich nicht einig, und so sind die heute vorgestellten Pläne der Ministerien nicht mehr als das: Vorschläge aus Sicht der jeweiligen Häuser, aber kein abgestimmter Fahrplan der Regierung.

Das Sofortprogramm des Klima- und Bauministeriums ist 15 Seiten lang, nicht alles ist neu. Ab 2024 sollen neu eingebaute Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden; reine Gasheizungen wären dann nicht mehr erlaubt. Ab 2025 wird demnach bei Neubauten der Effizienzstandard EH40 vorgeschrieben, bei der Förderung hat Sanierung Vorfahrt vor Neubau, eine "kommunale Wärmeplanung" wird vorgeschrieben. In einer großen Tabelle rechnen die Ministerien vor, dass sie mit diesen und zahlreichen anderen Maßnahmen die nötigen CO2-Einsparungen bis 2030 erreichen würden. 

Experten kritisieren Wissings Pläne

Das Sofortprogramm des Verkehrsministeriums umfasst drei Seiten, ergänzt durch ein Gutachterpapier. Volker Wissing setzt zur CO2-Einsparung unter anderem auf einen Ausbau der Ladeinfrastruktur für Autos und Lkw, auf mehr Radverkehr, mehr und bessere Busse und Bahnen und weniger Verkehr durch mehr Homeoffice. Die Verfehlung des CO2-Einsparziels - drei Millionen Tonnen im Jahr 2021 - wird damit laut Wissing bis 2030 überkompensiert, aber jedes Jahr müsse man notfalls nachsteuern.

Experten allerdings halten Wissings Pläne für unzureichend. Wiebke Zimmer vom Thinktank Agora Verkehrswende spricht von einer "Minimallösung". Damit solle "offensichtlich erst einmal nur die CO2-Zielverfehlung aus dem Jahr 2021 ausgeglichen werden - und das auch noch über Jahre verteilt."

"Keine ausreichenden Maßnahmen"

Für Malte Hentschke-Kemper von der Klima-Allianz Deutschland enthält Wissings Plan "keine ausreichenden Maßnahmen, um die im Klimaschutzgesetz geforderten Reduktionsziele für die kommenden Jahre zu erreichen." Der Experte spricht von einer "gigantischen Umsetzungslücke", die sich nicht mit E-Fuels und der Förderung von Elektro- und Hybridfahrzeugen schließen lasse.

Agora-Expertin Zimmer fordert Wissing auf, "klimaschädliche Privilegien und Subventionen abzubauen"; Elemente wie die KfZ-Steuer, Kaufprämie, Dienstwagenbesteuerung, Pendlerpauschale, Pkw-Maut und CO2-Preis in Kombination mit einer Klimaprämie müssten reformiert werden.

Sorgenkind Verkehrssektor

Schmerzhafter als diese Kritik sind für Wissing vermutlich die Sticheleien aus dem 300 Meter entfernten Wirtschaftsministerium. Staatssekretär Graichen legt Wert darauf, zu betonen, dass der Bereich Verkehr bis 2030 mehr CO2 einsparen muss als der Bereich Gebäude - nämlich 270 Millionen Tonnen. Um diese Zahl gehe es, sagt Graichen, und nicht um die Zielverfehlung von drei Millionen Tonnen im Jahr 2021.

Dass man im Wirtschafts- und Klimaschutzministerium, das für die Einhaltung der Klimaziele gesamtverantwortlich ist, mit dem Verkehrsministerium nur sehr begrenzt zufrieden ist, ist kein Geheimnis. Das Sorgenkind in Sachen CO2-Einsparung war der Sektor Verkehr schon immer. Seit 1990 ist hier - anders als in Bereichen wie Industrie, Energieerzeugung und Landwirtschaft - der CO2-Ausstoß fast konstant.

Dass im Verkehrsministerium ein FDP-Minister sitzt, macht die Sache aus Sicht des grün geführten Klimaministeriums nicht leichter. Hier hat man weniger Probleme, klimaschädliche Verhaltensweisen und Technologie früher oder später zu verbieten. Für FDP-Mann Wissing sind Vokabeln wie "Tempolimit" und "Verbrennerverbot" dagegen Reizwörter.

Heute machte Wissing klar, dass er sich als Verkehrsminister nicht ohne Rücksicht auf Verluste in die Rolle des obersten Klimaschützers begeben will. Er müsse abwägen zwischen Klimaschutz und den "Mobilitätsbedürfnissen der Gesellschaft und auch der Akzeptanz der Gesellschaft". Dem werde sein Konzept gerecht, findet Wissing. 

Kritik auch im Gebäudesektor

Abgesehen davon gibt es nicht nur an Wissings CO2-Reduktionsplan Kritik, sondern auch an dem von Habeck und Geywitz im Bereich Gebäude. Uta Weiß vom Thinktank Agora Energiewende sieht darin, obwohl der Plan in die richtige Richtung gehe, "größtenteils eine Absichtserklärung". Die Regel, dass neue Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen, müsse jetzt schnell zum Gesetz werden. Andernfalls könne der Markthochlauf von einer halben Million Wärmepumpen pro Jahr kaum gelingen. Außerdem nenne das Sofortprogramm Mindestenergiestandards für Gebäude nur am Rande - obwohl solche Standards für den Erfolg der Wärmewende zentral seien.

Die Kritik an den Plänen von Verkehrsminister Wissing fällt freilich lauter aus. Es sieht so aus, als stünde in den nächsten Tagen und Wochen der Bereich Verkehr im Mittelpunkt der Diskussionen über CO2-Einsparungen. Einigen muss sich die Ampel so oder so, in allen Sektoren - wenn sie ihr Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag einhalten will, bis Ende 2022 ein umfassendes Klimaschutzprogramm zu beschließen.

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