Abschied von russischer Energie
NTV 17.03.2022 (aber immer noch aktuell in der Aussage) hier
Ausländische Devisen, Halbleiter, Jachten, Luxuswaren - die Sanktionsliste gegen Russland ist lang. Ein europäischer Importstopp für Öl oder Gas ist bisher aber nicht angedacht. Vor allem die Bundesregierung setzt weiter auf russische Energielieferungen, weil Heizen, Mobilität und Industrie ohne nicht möglich sind. Oder etwa doch? "Wir können alle einmal frieren für die Freiheit", lautet ein Vorschlag, den unter anderem Altbundespräsident Gauck unterstützt: Heizung runterdrehen, Gasverbrauch senken, Energieabhängigkeit beenden. Bruno Burger stimmt zu - teilweise. Es sei ganz einfach, beim Heizen Energie zu sparen, ohne, dass jemand frieren müsse, sagt der Energiespezialist vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) im "Klima-Labor". Vor der Raumtemperatur würde er sich aber das deutsche Tankverhalten vorknöpfen: "Man muss sehen, dass zu viele Leute zu dicke Autos mit zu großem Spritverbrauch fahren."
ntv.de: Für diese Woche haben unsere Wetterkollegen 20 Grad Celsius vorausgesagt. Der Vorschlag, für Freiheit und Frieden frieren zu müssen, hat sich damit erledigt, oder?
Bruno Burger: Es muss grundsätzlich niemand frieren, nur auf etwas Komfort verzichten. Das geht auch ganz einfach. Ich habe selbst einen Versuch gemacht und bei 21 Grad Raumtemperatur meine Heizung abgeschaltet. Nach einer Woche hatte ich immer noch 19 Grad im Haus. Das ist nicht Frieren. Und ich habe praktisch eine ganze Woche keine Heizenergie verbraucht.
Da haben Sie aber eine super Isolierung, oder?
Ja, das ist ein Haus mit guter Isolierung. Das ist zwölf Jahre alt, aber ich habe schon beim Bau darauf geachtet, dass es energiesparend ist. Wir haben 20 Zentimeter Isolation auf den Wänden, dreifach verglaste Scheiben, eine Lüftungsanlage mit Wärme-Rückgewinnung. Es war letzte Woche auch sonnig, durch die Fensterscheiben ist also viel Wärmeenergie reingekommen, die das Haus nachgeheizt hat. Klar, im Altbau geht so etwas nicht, aber im Neubau ist es durchaus möglich.
Haben Sie auch geschaut oder berechnet, wie viel Energie und Geld Sie eingespart haben?
Wie viel Geld wir gespart haben, kann ich nicht genau sagen, aber ich habe geschaut: Normalerweise brauchen wir an einem Tag 25 bis 30 Kilowattstunden zum Heizen. Wenn man das umrechnet, entspricht das der Leistung eines Bügeleisens. Das zeigt, wie wenig Strom man verbraucht. Man merkt beim Bügeln auch schon, dass es im Haus warm wird.
Ein Bügeleisen reicht, um das komplette Haus zu heizen? Dann braucht man ja gar keine Heizung mehr.
Ja, aber man kann mit Strom viel effizienter heizen, auch eine Wärmepumpe antreiben und damit noch mal einen Faktor 3 bis 4 an Effizienz gewinnen. Dann braucht man noch mal weniger Strom.
Merkt man denn diesen Unterschied am Körper, wenn die Temperatur von 21 auf 19 Grad fällt?
Man muss natürlich einen Pullover anziehen. Wenn man den ganzen Tag im Homeoffice am Schreibtisch sitzt, gibt es vielleicht auch kalte Füße. Deshalb haben wir die Heizung auch wieder eingeschaltet, aber nicht mehr auf 21 Grad, sondern auf 20 Grad. Das geht auch sehr gut.
Das heißt, für immer lässt sich das nicht durchhalten?
Wenn man sieht, was die Bevölkerung in der Ukraine alles aushalten und durchhalten muss, können wir das auch durchhalten. Die Frage ist nur: Sind wir bereit, auf etwas Komfort zu verzichten?
Das ist das Argument von Altbundespräsident Gauck. Darum geht es ja eigentlich. Dieser niedlich klingende Vorschlag, für die Freiheit zu frieren, hat den sehr ernsten Hintergrund, dass wir von russischer Energie abhängig sind und Öl- und Gasimporte deshalb nicht oder nicht vollständig sanktionieren können. Aber das funktioniert, wenn wir die Heizung runterdrehen?
Wir könnten Russland stufenweise sanktionieren. Russland verstärkt ja auch den Krieg permanent und wird immer aggressiver, darauf sollten wir reagieren. Zuerst mit einem Tempolimit. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat berechnet, dass wir damit 3,7 Milliarden Liter Öl einsparen würden. Solange wir kein Tempolimit auf den Autobahnen haben, meint es die Politik meines Erachtens nicht richtig ernst mit der Reduktion des Energieverbrauchs.
Also müsste der Vorschlag eigentlich "Laufen für die Freiheit" oder "Fahrradfahren für den Frieden" lauten?
Die, die laufen oder Fahrrad fahren, tun am meisten für Freiheit und Frieden und für die Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Die, die Auto fahren, können sich an ein Tempolimit halten. Wenn wir auf der Autobahn 130 Kilometer pro Stunde statt 150 oder 180 fahren, sinkt der Spritverbrauch drastisch. Mit einem Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde hätten wir noch viel größere Einsparungen. Vielleicht beschließen wir auch autofreie Sonntage.
Wir könnten ein Ölembargo auch deshalb machen, weil nur 35 Prozent unseres Öls aus Russland kommen und wir nationale Reserven haben, die für 90 Tage ausreichen. Das ginge am ehesten. Dann könnte man das weiter eskalieren. Als Zweites vielleicht mit einem Kohle-Embargo: Wir beziehen 50 Prozent unserer Steinkohle für Steinkohlekraftwerke aus Russland. Das könnte man als Nächstes ins Auge fassen.
Das Problem bei diesen Vorschlägen ist ja, dass sie immer alle gleichzeitig treffen, also auch Menschen, die keine Alternativen haben, die mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen. Ist es denn richtig, Verbrauchern und Verbraucherinnen so viel abzuverlangen?
Wir müssen etwas tun. Wir können nicht einfach business as usual betreiben, während in der Ukraine Leute im Luftschutzbunker sitzen. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass wir über Wohlstand diskutieren, während andere um ihr Leben bangen. Und im privaten Bereich können wir am schnellsten sparen. Klar, wir haben auch die Industrie. In der Nahrungsmittelproduktion, in der Papierindustrie, in der Kunststoffindustrie, in der Glas-Keramik-Industrie oder in der Metallindustrie wird viel Erdgas für die Erwärmung von Stoffen genutzt. Aber dort ist der Verrbauch abhängig von der Konjunktur, nicht von der Wetterlage.
Das klingt nach dem Argument von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der sagt, dass es bei einem Energieembargo nicht um individuellen Komfort oder Wohlstand geht, sondern um "tiefe Einschnitte, ökonomisch und sozial. Wir reden über Versorgungsengpässe im nächsten Winter, über Wirtschaftseinbruch und hohe Inflation, über Hunderttausende Menschen, die ihre Arbeit verlieren". Unterschätzt man die Wirkung, die solche Vorschläge haben?
Das kann schon sein. Die Leopoldina hat ausgerechnet, was man einsparen könnte, und kam zu dem Schluss, dass man kurzfristig auf Erdgas verzichten kann. Ja, das hilft nur in diesem Winter, für den nächsten muss man wirklich schauen, wo das Gas herkommt. Aber die Frage ist: Müssen wir uns heute schon um den nächsten Winter sorgen, während sich die Menschen in der Ukraine um die nächste Stunde sorgen?
Wenn wir beim Autofahren beginnen, greifen Sie als Erstes aber auch den größten deutschen Lobbyverband an. Gerade bei dem Thema gab es in den vergangenen Jahren ja häufiger politischen Stunk.
Klar, aber man muss auch sehen, dass zu viele Leute zu dicke Autos mit zu großem Spritverbrauch fahren. Mir ist klar, dass es Menschen mit geringen Einkommen gibt, die auf das Auto angewiesen sind. Die können wir gezielt unterstützen. Aber wir müssen nicht pauschal bei jedem Liter Benzin 30 oder 40 Cent obendrauf legen, sodass auch der SUV-Fahrer profitiert, der zehn oder mehr Liter Sprit verbraucht. Wer so dicke Autos kauft, muss bereit sein, dafür zu bezahlen.
Man hört bei Ihnen heraus, dass wir uns offensichtlich keine Gedanken darüber machen, wie viel Energie beim Heizen oder Benzin beim Autofahren wir eigentlich verbrauchen. In einem Beitrag von Correctiv hieß es auch, dass das Bundeswirtschaftsministerium die Frage, wie viel Öl und Gas wir einsparen könnten, wenn wir weniger Auto fahren oder weniger heizen würden, nie untersucht hat. Ist uns dieses Thema komplett durchgerutscht?
Das kann schon sein. Die Stromrechnung kommt einmal im Jahr, da sieht man nicht, ob man an einem Tag mehr Strom verbraucht hat als an einem anderem, weil man vergessen hat, irgendwas auszuschalten. Beim Benzin ist es auch so. Das war inflationsbereinigt schon teurer. Wir hatten 2008 auch schon eine Gas-Knappheit, aber wir haben das alles immer wieder vergessen. Wir hatten bei den erneuerbaren Energien bis 2012 einen starken Ausbau. Dann kam die sogenannte EEG-Novelle, die Strompreisbremse. Damit wurden die Erneuerbaren komplett ausgebremst, wir haben danach immer nur an der Brücke zu den Erneuerbaren gebaut, am Gas. Das eigentliche Ziel, die Energiewende, haben wir komplett aus den Augen verloren.
Das erste Erneuerbare-Energien-Gesetz stammt ja vom 29. März 2000, ist also ziemlich genau 22 Jahre alt. Trotzdem diskutieren wir heute immer noch darüber, wie wir unsere Abhängigkeit von Öl und Gas reduzieren können. Das ist doch ein kompletter Fehlschlag, oder?
Technologisch nicht, aber politisch wurden die Erneuerbaren mit dieser EEG-Novelle von den damaligen Ministern Rösler und Altmaier ausgebremst. Davon haben sie sich nie mehr erholt. Wir hatten bei Solaranlagen schon einmal einen Zubau von acht Gigawatt. 2013, als Sigmar Gabriel Wirtschaftsminister wurde, lag der Zubau am Boden bei 1 bis 1,5 Gigawatt. Es gab zwar noch mal eine leichte Steigerung auf 5 Gigawatt, aber wir sind immer noch nicht auf dem Level, das wir 2012 schon hatten.
Um den Bogen zum Anfang wieder zu spannen: Was genau wäre Ihrer Meinung nach der erste Schritt, den wir in Deutschland angehen müssten, um uns von russischen Energieimporten zu lösen?
Wir müssen die Energieverschwendung stoppen, Effizienzmaßnahmen ergreifen, bewusst mit Energie umgehen. Wir müssen im Haus nicht jeden Raum heizen, sondern nur die Räume, in denen man sich aufhält. Wir müssen bewusst lüften, nicht das Fenster den ganzen Tag gekippt halten. Wir können kürzer duschen. Ich habe gestern ein Experiment gemacht, wie kurz man duschen kann: Ich habe es in zwei Minuten geschafft, nur eine davon ist Wasser gelaufen. Das geht. Man kann die Raumtemperatur senken, man kann weniger Autofahren. Wir sollten das Tempolimit einführen. Und wenn wir den Ölverbrauch gedrosselt haben, können wir ein Ölembargo verhängen und in einem zweiten Schritt vielleicht ein Steinkohle-Embargo. Beim Gas ist es wirklich am schwierigsten, weil wir da extrem abhängig und die Speicher nicht voll sind.
Und mit Blick auf die Zukunft brauchen wir auf jeden Fall mehr Solar- und Windenergie?
Ja. Wir müssen endlich mit voller Kraft in Solar- und Windenergie einsteigen, wir brauchen einen nationalen Kraftakt. Wir müssen die ganzen bürokratischen Hürden abbauen. Nur, wenn wir erneuerbare zubauen, können wir fossile Energie sparen. Wenn wir eine Wärmepumpe nutzen, spart jede Kilowattstunde erneuerbare Energie beim Heizen drei Kilowattstunden Gas. Wir müssen vom Benziner auf Elektroautos umsteigen, das ist auch viel effizienter. Mein Elektroauto fährt mit 15 Kilowattstunden pro 100 Kilometer, das sind umgerechnet 1,5 Liter Benzin. Es ist technisch unmöglich, ein Benzin-Auto mit einem so geringen Verbrauch zu bauen.
Haben Sie zum Schluss vielleicht noch eine Erklärung, wieso ein Land mit so vielen schlauen Menschen wie Deutschland bei diesen Themen offensichtlich so viele falsche Entscheidungen trifft?
Woran das genau liegt, müssen Sie die Politik fragen. Wir in der Solarbranche haben immer gemahnt, dass der Zubau nicht reicht. Wir hatten immer das Argument der Klimakatastrophe, aber das hat anscheinend nicht gereicht. Jetzt haben wir ein zweites Argument: die Abhängigkeit von fossilen Energien. Hoffentlich genügt das.
Mit Bruno Burger sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
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