Donnerstag, 28. Juli 2022

BW: Grün-Schwarz will Bauernfamilien stärken

schwäbische Zeitung hier  26.07.2022  Kara Ballarin

Preisdruck, zunehmende Wetterextreme, steigende Vorgaben zum ökologischeren Arbeiten: Immer mehr Bauern in Baden-Württemberg haben in den vergangenen Jahrzehnten aufgegeben. 1999 gab es laut Statistischem Landesamt rund 61 000, 2020 noch gut 39 000. 

Um die Familienbetriebe im Land zu erhalten und das Höfesterben zu stoppen, will die Landesregierung nach den Sommerferien mit Landwirten, Umweltschützern, Verbrauchern und dem Lebensmitteleinzelhandel Lösungen erarbeiten. So hat es das Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart beschlossen.

Schon im Koalitionsvertrag vor gut einem Jahr hat die grün-schwarze Koalition einen Strategiedialog Landwirtschaft verankert. „Das Ziel ist eine breite Verständigung für eine flächendeckende, gesellschaftlich getragene, bäuerliche Landwirtschaft mit ihren Familienbetrieben“, heißt es darin. Dabei sollten Natur-, Umwelt- und Tierschutz ebenso eine Rolle spielen wie die Frage, wie Landwirte mehr Respekt und Wertschätzung für ihre Arbeit bekommen. Und von ihrer Arbeit leben können. Denn: „Ein Großteil der Verbraucherinnen und Verbraucher ist sehr preissensibel“, heißt es nun in der Kabinettsvorlage, die der „Schwäbischen Zeitung“ vorliegt und die die Landesregierung am Dienstag abgesegnet hat.

Mit dieser Entscheidung ist der Strategiedialog, der auf zwei Jahre angelegt ist, nun offiziell beschlossen. In Kretschmanns Staatsministerium, konkret bei seinem Staatssekretär Florian Hassler (Grüne), sollen alle Fäden zusammenlaufen. Startschuss ist demnach am 23. September. Für diesen Tag ist geplant, dass alle Beteiligten eine Absichtserklärung, auf Neudeutsch: Letter of Intent, unterzeichnen. Gefragt sind hierfür nicht nur Landwirtschaft und Politik, auch Verbraucher, Verarbeiter von Lebensmitteln und vor allem der Lebensmitteleinzelhandel sollen mit ins Boot geholt werden.

Regionale Handelsketten wie Rewe und Edeka setzen bereits auf regionale Ware zu höheren Preisen. Gerade bei Discountern ist diese Bereitschaft aber wenig ausgeprägt. Kretschmann erklärt das Problem am Beispiel der aktuellen Kirschenernte. Die geschätzte Menge im Land liege mit rund 17 100 Tonnen deutlich über der des Vorjahrs. „Mit diesem Argument drückt der Handel die Preise und verkauft am Ende das Kilo Kirschen aus der Türkei trotzdem deutlich günstiger als der Bauer im Hofladen“, kritisiert er und mahnt angemessene Preise an.

Sechs Ziele gibt es, die der Strategiedialog Landwirtschaft erreichen soll. Die bäuerliche Landwirtschaft, die 40 Prozent der Landesfläche bewirtschaftet, soll erhalten werden, die Bauern sollen angemessen und fair für ihre Produkte bezahlt werden, zugleich soll die biologische Vielfalt auf den Äckern wieder zunehmen, regionale Produkte sollen mehr Absatz finden, der Anteil von Bio-Lebensmitteln soll steigen und das Bewusstsein der Verbraucher für all das soll wachsen. Erkenntnisse dazu, wie die Nachfrage für regionale Lebensmittel wachsen kann, erhofft sich die Landesregierung von einem geplanten Bürgerforum mit zufällig ausgewählten Menschen aus Baden-Württemberg.

Einige der Ziele decken sich mit den Vorgaben aus dem Biodiversitätsstärkungsgesetz, auf das sich Landesregierung, Bauern und Umweltschützer anstelle des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ geeinigt haben.....

Joachim Rukwied, der an der Spitze des Bauernverbands in Land und Bund steht, sprach jüngst von einer Chance dank des Strategiedialogs. „Wenn man Dinge nach vorne bringen will, braucht man Dialog“, erklärte er bei einem Besuch von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) auf einem Acker nahe Heilbronn. „Wir sind zuversichtlich, einen Konsens hinzubekommen, der unseren Bauernfamilien Zukunft aufzeigt.“ Noch euphorischer äußerte sich Özdemir. „Das ist ein super Modell, das ich anderen zum Nachahmen empfehle“, sagte er und versprach, die Einladung Kretschmanns, auch Teil des Dialogs zu werden, anzunehmen......


Süddeutsche Zeitung  hier  22. Juni 2022

Agrar - Fellbach:Gespräche von Bauern, Handel und Verbrauchern im Sommer

Der Ukrainekrieg belastet auch die baden-württembergischen Bauern, es wird Jahr für Jahr heißer, die EU-Vorschriften aus Brüssel schränken ein und die Kosten für die Höfe nehmen zu. Als hätten die Landwirte nicht schon genug Sorgen, laufen ihnen auch noch die Kunden weg, denn im Supermarktregal greifen sie angesichts der steigenenden Preise immer häufiger zur Billigkonkurrenz aus dem Ausland. Zuletzt musste sogar der Spargel auf dem Feld verdörren, Erdbeeren verkauften sich nur schlecht. Um den derzeit arg gebeutelten Bauern eine Perspektive zu geben, will das Land nach der Sommerpause auf die Landwirte zukommen und Handel sowie Verbraucher in die Pflicht nehmen.

Es gebe "ein Missverhältnis zwischen den Anforderungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft einerseits und dem Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher andererseits", kritisierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch bei der Mitgliederversammlung des Landesbauernverbands in Fellbach. "Da klafft eine gewaltige Lücke", kritisierte er. Das Land werde daher die seit langem diskutierte Idee eines sogenannten Gesellschaftsvertrags angehen und bis zum Sommer 2024 abschließen, kündigte der Regierungschef an.

Ziel sei es, in einem "Strategiedialog" mit Gesprächen und in Arbeitsgruppen einen breiten Konsens darüber zu erzielen, "wie wir gemeinsam das Beste rausholen für alle". Auch bei den bisherigen Dialogen zu den Themen Mobilität und Gesundheitswirtschaft habe sich das Format als guter Hebel erwiesen, weil sie alle Akteure eines Themas an einem Tisch versammelten und jeder seine Binnenlogik verlasse. Am Ende des Dialogs über die Zukunft der Landwirtschaft sollten konkrete Modellprojekte stehen, versprach der Regierungschef. Themen seien hier zum Beispiel die Regionalität und die Außer-Haus-Verpflegung.

Nach der Auftaktveranstaltung im Sommer sollten die einzelnen Projekte im kommenden Jahr an den Start gehen. Federführend sei das Staatsministerium. "Das heißt, was in den Strategiedialogen Thema ist, landet früher oder später am Kabinettstisch", sagte Kretschmann den Bauern zu.

Er nahm erneut auch die Verbraucher in die Pflicht: "Es wird oft billig mit preiswert verwechselt", sagte er. "Wenn ich immer nur zum Billigsten greife, dann kann ich das, was ich da alles erwarte, eben nicht bekommen."

Landesbauernpräsident Joachim Rukwied sagte die Zusammenarbeit zu und forderte "ein klares gesellschaftliches und politisches Bekenntnis zu unserer Landwirtschaft und zur heimischen Lebensmittelerzeugung". Entscheidend sei am Ende die Umsetzung in Baden-Württemberg, sagte Rukwied, der auch an der Spitze des Deutschen Bauernverbands steht und in Fellbach auf Landesebene im Amt bestätigt wurde. Der Landesbauernverband vertritt rund 33 000 Landwirte aus Baden-Württemberg.

Auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) begrüßte Kretschmanns Äußerungen. "Die Landwirtschaft und die Natur brauchen eine neue Perspektive", sagte der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle. "Nachhaltige, möglichst biologisch erzeugte Produkte aus Baden-Württemberg gibt es nicht zum Nulltarif." Allerdings sei auch die Bundesregierung in der Pflicht: "Angesichts gestiegener Lebensmittelpreise braucht es aus unserer Sicht auch eine Antwort aus Berlin, wie Grundnahrungsmittel für alle bezahlbar bleiben", sagte Enssle.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen