Spiegel hier Eine Kolumne von Christian Stöcker 24.07.2022
Umgang mit der Klimakrise
Der Klimanotstand ist nicht mehr zu ignorieren, trotzdem mangelt es an Handlungsbereitschaft. Das hat auch psychologische Gründe – wir denken erst um, wenn wir selbst Katastrophen erleben. So bitter es klingt: Das werden wir.
Die Klimaforscherin Friederike Otto hat der »taz« diese Woche einen beklemmenden, wenn auch nicht überraschenden Satz gesagt: »Wir müssen auch in Europa lernen, dass Wetter tödlich sein kann.« Wir müssten lernen, uns zu schützen. Noch ist nicht sicher, wie viele Menschen den extremen Temperaturen dieser Woche zum Opfer gefallen sind, hierzulande und weltweit, aber dass diese extreme Hitzewelle Todesopfer gefordert hat, ist sicher .
... Starkregen wird durch die Erderhitzung wahrscheinlicher, auf Hitzewellen trifft das noch ungleich stärker zu, und, so Friederike Otto: »Hitzewellen sind mit Abstand die tödlichsten Extremwetterereignisse, die wir in Europa haben.« Europa, heißt es in einer kürzlich erschienen »Nature«-Studie , ist ein »Hitzewellen-Hotspot«.
Und die Hitzewelle betrifft nicht nur Europa, sondern weite Teile des Planeten.
Dass wir längst mittendrin stecken in der Klimakrise, sollte nun wirklich für alle offensichtlich sein. Trotz alledem gibt es weiterhin Menschen, die die menschengemachte Erwärmung nicht wahrhaben wollen. In Deutschland sind das einer britischen Studie zufolge immer noch 18 Prozent . »Es ist eben Sommer«, konnte man diese Woche in den sozialen Medien häufiger lesen. Natürlich wird diese Position mit jedem weiteren Extremwetterereignis noch absurder, aber sie ist immer noch da.
Viel problematischer ist aber mittlerweile etwas anderes: Die meisten Menschen wissen oder ahnen jetzt, dass das, was die Klimaforschung seit Jahrzehnten ankündigt, jetzt wirklich eintritt, und zwar oft schneller als erwartet. Sie ziehen daraus aber keinerlei Konsequenzen. Noch nicht ganz so klar scheint vielen zu sein, dass wir weiterhin erst am Anfang einer Periode stehen, in der es immer heißer, immer extremer werden wird. Das schlägt sich aber auch in der Berichterstattung noch nicht ausreichend nieder – oder wie viel haben Sie vom »Petersberger Klimadialog« diese Woche mitbekommen?
Nur ein Drittel »sehr besorgt«
Der oben zitierten Befragung zufolge sind nach wie vor nur 34 Prozent der Deutschen »sehr besorgt« über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Zukunft der Menschheit, weitere 45 Prozent »etwas besorgt«. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in den übrigen europäischen Ländern, die in der Studie vorkommen. Das ist eine enorm verzerrte Wahrnehmung der Realität....
Noch immer fehlen die Mehrheiten
Für wirklich entschlossenes Gegensteuern scheinen aber weiterhin die politischen Mehrheiten zu fehlen. Der jetzt regelmäßig in Deutschland durchgeführten Planetary Health Action Survey (PACE) zufolge ist die Bereitschaft, in Sachen Klima zu handeln – individuell wie politisch – in Deutschland sehr ungleichmäßig verteilt.
Am weitesten verbreitet ist Handlungsbereitschaft bei den Wählerinnen und Wählern der Grünen (82 %), am wenigsten bei denen von AfD (21 %) und FDP (26 %). Das erklärt vermutlich auch Teile des Verhaltens von FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner und Verkehrsminister Volker Wissing. Und natürlich der massive Einfluss von Porsche auf die FDP-Spitze, den »Die Anstalt« diese Woche enthüllte . Demnach brüstete sich Porsche-Chef Oliver Blume bei einer Betriebsveranstaltung, Lindner habe ihn während der Koalitionsverhandlungen »fast stündlich auf dem Laufenden gehalten«. Nicht alles ist Psychologie, vieles auch nur knallharte, skrupellose Klientelpolitik.
Unter den Wählerinnen und Wählern der SPD sind immerhin fast zwei Drittel (62 %) handlungsbereit in Sachen Klima, unter denen der Union aber weniger als die Hälfte (42 %).
Psychologische Grundkonstanten
Für dieses (Ver-)Zögern im Angesicht der Katastrophe gibt es – neben fossiler Propaganda und Lobbyeinfluss – eine ganze Reihe von psychologischen Erklärungen.
Die einfachste und kürzeste ist das moderne Äquivalent dessen, was Freud »Verdrängung« genannt hätte. Im Jargon der Kognitionspsychologie heißt das: Dissonante Information wird abgewertet, konsonante Information wird aufgewertet. Wenn wir etwas wissen, das eigentlich mit unserem eigenen Verhalten oder unseren Einstellungen unvereinbar ist, dann suchen wir Menschen nach Informationen und Deutungen, die den Widerspruch zu reduzieren scheinen. Deshalb kennt jeder Raucher einen Raucher, der 90 Jahre alt geworden ist.
Beim Klima klingt das so: »Ist eben Sommer.« »Deutschland stellt nur ein Prozent der Weltbevölkerung.« »Aber China.« »Wir brauchen Technologieoffenheit.« »Wir tun doch schon mehr als andere.«
Was man eher selten hört oder liest: »Wir stehen auf Platz vier der größten Treibhausgas-Emittenten der Geschichte, die EU auf Platz zwei.«
Wir sind inkompetente Zocker
Ein zweites psychologisches Phänomen, mit dem wir uns selbst im Weg stehen, ist unser leider in Klimafragen äußerst selbstzerstörerischer Umgang mit Risiken. Wir sind eher bereit, Risiken einzugehen, wenn es um mögliche Verluste geht , weniger bei Gewinnen. Gibt es eine kleinere Summe sicher zu gewinnen, eine größere nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, wählen die meisten Versuchspersonen den sicheren, kleineren Gewinn.
Dreht man die Versuchsanordnung um, ändert sich das Bild: Wenn es um einen kleineren, sicheren Verlust und einen nicht völlig sicheren, aber größeren Verlust geht, sind viele Versuchspersonen plötzlich risikofreudig und nehmen den großen Verlust in Kauf. Fatal, wenn es um die Zukunft der Menschheit geht.
Analog dazu entscheiden sich Versuchspersonen, die die Wahl haben, eine kleinere Belohnung bald zu bekommen, eher dafür als für eine größere, auf die sie länger warten müssten. Noch schlimmer wird dieser Effekt, wenn auch nur ein Hauch Unsicherheit über die zu erwartenden Folgen herrscht.
Die Gefahr der »psychologischen Distanz«
Tatsächlich sind die Verluste, die uns die Klimakrise beschert, schon jetzt sichtbar und die künftigen so gewaltig, dass diese Woche sogar die »Börse vor Acht« in der ARD sich diesem Thema widmete.
Weniger häufig wird über die fantastischen Gewinne gesprochen, die uns schnelle, entschlossene Abkehr von fossilen Brennstoffen bringen kann. Aber auch hier wirken, in beiden Fällen, die jahrzehntelangen, glasklar dokumentierten Lobbybemühungen der Fossilbranchen bis heute nach – vielen scheint bis heute noch nicht so recht klar zu sein, wie gewaltig die Gefahr ist, in der wir alle schweben. Nicht erst unsere Kinder und Enkel, aber die natürlich noch mehr.
Mit diesem Phänomen verwandt ist ein weiteres, ebenfalls empirisch gut dokumentiert: Menschen sind weniger bereit, ihr Verhalten zu ändern, wenn die vermuteten Konsequenzen des »Weiter so« weit weg scheinen. Räumlich oder zeitlich . Man nennt das schlicht »psychologische Distanz«.
In diesem Bereich allerdings ändert sich, zumindest hierzulande, möglicherweise gerade etwas. Die Unübersehbarkeit und ständige Zunahme zerstörerischer Wetterereignisse, die Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren, auch hier bei uns, tun eins mit Sicherheit: Sie reduzieren die psychologische Distanz zum Thema Klimakrise.
Wo Propaganda ansetzt
Das gilt insbesondere dann, wenn die Menschen den Zusammenhang begreifen – was ein Grund ist, dass die Prediger des »Weiter so« den zweifelsfreien Zusammenhang zwischen mehr Extremwetter und Erhitzung weiterhin ständig in Zweifel zu ziehen versuchen. Das ist eine – natürlich absolut selbstzerstörerische – Propagandamaßnahme, die funktionieren kann, wie eine britische Überblicksstudie zeigt .
Daraus folgt: Sowohl verantwortungsbewusste Medien als auch Politiker müssen der immer noch virulenten Propaganda wesentlich entschlossener entgegentreten. Die Fossilbranchen sind bereit, die Zukunft der Menschheit aufs Spiel zu setzen. Es wird Zeit, sie entsprechend zu behandeln.
Dass persönliche Erfahrungen mit katastrophalen Ereignissen die Einstellung zu klimabezogenen Fragen ändern kann, zeigt eine Studie aus Australien, die im jüngsten Bericht der Uno-Organisation für Risikobewertung (UNDDR) zitiert wird: Der Aussage »aktuelle Buschbrände zeigen die Kosten des Nichthandelns beim Klimaschutz« stimmten zum Beispiel 79 Prozent derjenigen zu, die direkte Auswirkungen der Brände, und sei es nur Qualm, erlebt hatten, aber nur 48 Prozent der nicht persönlich Betroffenen. Kurz gesagt: Man muss viele Menschen mit der Nase darauf stoßen, damit sie begreifen, was wirklich los ist.
Was sonst noch hilft
Die wachsende Katastrophenfrequenz wird, so bitter das ist, in Zukunft hoffentlich helfen, Mehrheiten für die dringend notwendigen politischen und wirtschaftlichen Weichenstellungen zu schaffen. Weitere Faktoren, die die Handlungsbereitschaft steigern können, sind laut der oben zitierten Pace-Studie:
die Wahrnehmung von klimabedingten Gesundheitsrisiken
Vertrauen in Institutionen
soziale Faktoren – »die anderen machen auch mit«
eine hohe wahrgenommene Selbstwirksamkeit
mehr Wissen über Umwelt- und Klimathemen
Das ist eine To-do-Liste für deutsche Institutionen, deutsche Medien und die Politik.
Wichtig wäre für die Zukunft der Menschheit aber auch, dass sich die psychologische Distanz zum Thema Klimawandel in den USA sehr schnell ändert. Laut einer aktuellen Umfrage der »New York Times« betrachten dort nur ein Prozent der Wählerinnen und Wähler die Klimakrise als das wichtigste politische Thema. Kombiniert mit schwerreichen, von den Fossilbranchen finanziell vollständig abhängigen Politikern wie dem Senator Joe Manchin (Demokraten) ist das eine verheerende Mischung.
Die fossilen Lobbyorganisationen in den USA agieren weiterhin absolut skrupellos. Sie kaufen sich Richterinnen und Richter, ja sie finanzieren sogar weiterhin jene Politikerinnen und Politiker , die Donald Trumps Coup-Versuch unterstützt haben.
All das spricht erst recht dafür, dass Europa es vormachen muss: Dass eine klimafreundliche Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur überlebenswichtig und möglich ist, sondern auch geopolitisch, wirtschaftlich – und natürlich was die Lebensqualität angeht – extrem erstrebenswert. Wir wissen längst, wie das geht.
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