Sonntag, 10. Juli 2022

"Schonzeit für Autofahrer"

Der Deutsche Städtetag fordert zusammen  mit der Agora Verkehrswende Versprechungen des Koalitionsvertrages ein, Verkehrsminister Wissing bremst trotz öffentlicher Zusage im Januar.
Ein bekanntes Muster inzwischen - was will er denn überhaupt beitragen zur Verkehrswende?
Was will er beitragen zum Klimaschutz - noch mehr Tankrabatte als zusätzliche Milliarden-Subventionen für die Öl-Industrie? Man könnte verzweifeln an dieser Verantwortungslosigkeit!

Lesen Sie auf jeden Fall das Papier des Städtetages!


Die Zeit hier am 16.6.22 Von 

Verkehrswende: Fast 200 Städte fordern von der Bundesregierung, ihnen mehr Instrumente für die Verkehrswende freizugeben.
Doch der Bundesverkehrsminister verteidigt das Autofahren.


Tagesspiegel  hier  auch von Caspar Schwietering

 Wissing will Autos verschonen

Die Ampel-Koalition hat eine Reform des Verkehrsrechts versprochen, damit Kommunen die Verkehrswende voranbringen können. Doch im Bundesverkehrsministerium hat das bisher keine Priorität. Verkehrsminister Wissing will Autofahrer:innen für mehr Rad- und Fußwege keinen Platz wegnehmen.

Zeit-Bericht und Tagesspiegel  sind leider nur mit Abo lesbar, daher finden Sie unten den Original-Text des Deutschen Städtetags.


SAZBike.de  hier  22.06.2022
200. Stadt tritt Initiative für Tempo 30 bei

Die Unterstützung für die kommunale „Initiative für lebenswerte Städte durch stadtverträgliche Geschwindigkeiten“, also für Tempo 30, wächst auf 200 Städte und Gemeinden an. Diese fordern mehr Kompetenzen auf Kommunalebene.

Mit der Stadt Overath (NRW) ist in diesen Tagen die 200. Kommune der Initiative beigetreten. Das Spektrum reicht von kleinen Landgemeinden bis zur Bundeshauptstadt. Allein in den letzten zwei Monaten haben über 60 Kommunen ihren Beitritt erklärt – die Dynamik dieser neuen kommunalen Bewegung ist ungebrochen. Noch im März waren es 100 Unterstützer, im November 50 und im Juli 2021 sieben Städte, die mehr Kompetenzen zur Einrichtung von Tempo-30-Zonen forderten. 

Auch Organisationen wie der Deutsche Städtetag und Agora Verkehrswende, das ist eine Vereinigung von Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik und Stadtplanung, unterstützen die Initiative. 
Anlässlich einer Online-Konferenz der Städteinitiative am 22. Juni mit über 200 Teilnehmern und Teilnehmerinnen forderte Thomas Dienberg, Bürgermeister und Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig als Sprecher der Initiative den Bund auf, endlich im Sinne der Initiative tätig zu werden.
 „Unsere Kernforderung, den Kommunen mehr Kompetenzen zu übertragen, wenn es darum geht, innerörtliche Geschwindigkeiten festzulegen, findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder – wir haben kein Verständnis für die momentane Verzögerungstaktik des Bundesverkehrsministeriums“, so Dienberg und verwies auf das seit zweieinhalb Monaten bei Bundesminister Dr. Volker Wissing vorliegende Gesprächsangebot der Initiative. 

Wissing hatte im Januar in seiner ersten Rede als Bundesverkehrsminister mehr Kompetenzen für Kommunen zu Tempo 30 angekündigt. Städtetag-Chef Helmut Dedy hatte dies wenige Tage später ausdrücklich gelobt.

Koalitionsvertrag sieht neues Verkehrsrecht vor

Die explizite Ankündigung im Koalitionsvertrag, das Straßenverkehrsrecht so anzupassen, dass zukünftig auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen, biete eine ausgezeichnete Grundlage, um schnell zu einer sachgerechten Gesetzesänderung im Sinne von lebenswerteren Städten und Gemeinden zu kommen, ergänzte Frauke Burgdorff, Stadtbaurätin der Stadt Aachen.

Bei der Online-Konferenz tauschten sich vor allem Vertreterinnen und Vertreter von Städten und Gemeinden anhand von konkreten Beispielen über die Vorteile einer solchen Flexibilisierung des Rechtsrahmens aus, von der gesamtstädtischen Mobilitätsstrategie bis zur Behebung konkreter Probleme bei der Gestaltung von Straßen und Plätzen in Hinsicht auf Sicherheit und Aufenthaltsqualität. Auch schwierige Fragen wie die Auswirkungen auf den ÖPNV wurden dabei nicht ausgeklammert.

Um diesen Vorstoß handelt es sich:

 08.07.2021  hier

"Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten"
Neue kommunale Initiative für stadtverträglicheren Verkehr

Kommunen haben ein großes Interesse daran, angemessene Geschwindigkeiten selbst festzulegen. Dies zeigt die neue Städteinitiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten – eine neue kommunale Initiative für stadtverträglicheren Verkehr". Organisiert von der Agora Verkehrswende mit Beteiligung des Deutschen Städtetages wurde die Initiative am 6. Juli bei einer Online-Veranstaltung gestartet.

Die Initiative bekennt sich zur Mobilitätswende und fordert den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten.

Der Deutsche Städtetag hält die Vorschläge für eine gute Grundlage, die in Modellversuchen erprobt werden sollte. Der kommunale Spitzenverband plädiert dafür, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit außerhalb von Hauptstraßen auszuprobieren.

Zum Statement von Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages zum Thema Tempo 30 anlässlich der Gründung der Städteinitiative

Hier finden das Kurzpapier der neuen Städteinitiative zum downloaden.

Hier  Liste-Initiativstaedte-Unterstuetzer-Tempo-30


Die Städte und Gemeinden in Deutschland stehen beim Thema Mobilität und Verkehr vor großen Herausforderungen. Eine stadt- und umweltverträgliche Gestaltung der Mobilität ist Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der Städte.

Lebendige, attraktive Städte brauchen lebenswerte öffentliche Räume. Gerade die Straßen und Plätze mit ihren vielfältigen Funktionen sind das Aushängeschild, das Gesicht der Städte. Sie prägen Lebensqualität und Urbanität. 
 Diesen Anspruch mit den Mobilitäts-, Erreichbarkeits- und Teilhabeerfordernissen von Menschen und Wirtschaft zu vereinbaren, ist eine zentrale Aufgabe.

Ein wesentliches Instrument zum Erreichen dieses Ziels ist ein stadtverträgliches Geschwindigkeitsniveau im Kfz-Verkehr auch auf den Hauptverkehrsstraßen.
Dort produziert der Autoverkehr in den Städten seine höchste Verkehrsleistung. Dort verursacht er aber auch die meisten negativen Auswirkungen – von den Lärm- und Schadstoffbelastungen für die dort lebenden Menschen über die Unfallgefahren bis zum Flächenverbrauch. 

Seit langem wissen wir, dass im Hinblick darauf eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h erhebliche positive Auswirkungen haben würde: 

  • Die Straßen werden wesentlich sicherer, gerade für die besonders Gefährdeten, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs bzw. mobilitätseingeschränkt sind.
  • Die Straßen werden leiser – und das Leben für die Menschen, die an diesen Straßen wohnen, deutlich angenehmer und gesünder. 
  • Bei Gewährleistung eines guten Verkehrsflusses kann auch die Luft in den Straßen sauberer werden, was allen zu Gute kommt, die hier unterwegs sind. 
  • Die Straßen gewinnen ihre Funktion als multifunktionale Orte zurück, die mehr sind als Verbindungen von A nach B. 
  • Und schließlich: die Straßen werden wieder lesbarer, Regeln einfacher und nachvollziehbarer (kein Flickenteppich mehr), das Miteinander wird gestärkt, der Schilderwald gelichtet. 
  •  Die Leistungsfähigkeit für den Verkehr wird durch Tempo 30 nicht eingeschränkt, die Aufenthaltsqualität dagegen spürbar erhöht. 
  • Und auf die Länge des Straßennetzes bezogen ist Tempo 30 in den allermeisten Städten ohnehin schon längst die Regel und nicht mehr die Ausnahme. Dies heißt auch: Tempo 30 ist eine Maßnahme für die Städte und Gemeinden und die Menschen, die dort wohnen - es ist keine Maßnahme, die sich gegen den Autoverkehr richtet.

Deshalb muss das Straßenverkehrsrecht zulässige Höchstgeschwindigkeiten innerorts (30 km/h als Regel, andere Geschwindigkeiten je nach örtlichen Gegebenheiten und Erfordernissen als Ausnahme) neu regeln. Die Kommunen haben immer noch nicht die Möglichkeit zu entscheiden, wann und wo Geschwindigkeiten flexibel und ortsbezogen angeordnet werden. 
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit muss endlich überall über die zuständigen Straßenverkehrsbehörden so angeordnet werden können, wie es unter Abwägung aller relevanten umwelt-, verkehrs- und städtebaubezogenen Belange angemessen ist.

Dies nutzt den Städten, erweitert ihre Gestaltungsfreiheit und öffnet ihre Entwicklung in Richtung mehr Lebendigkeit, Lebensqualität und Nachhaltigkeit.
 Die Städte und Gemeinden brauchen einen neuen straßenverkehrsrechtlichen Rahmen, der es ihnen ermöglicht, Tempo 30 als verkehrlich, sozial, ökologisch und baukulturell angemessene Höchstgeschwindigkeit dort anzuordnen, wo sie es für sinnvoll erachten - auch für ganze Straßenzüge im Hauptverkehrsstraßennetz und ggf. auch stadtweit als neue Regelhöchstgeschwindigkeit. 

 Diese Forderung ist alles andere als radikal – sie ist anderswo in Europa längst umgesetzt und bewegt sich auch in Deutschland in einem Umfeld von aktuellen politischen Positionierungen, die die Dringlichkeit dieser Anpassung des Rechtsrahmens unterstreichen: 

  • Der Deutsche Bundestag hat am 17.01.2020 in seiner mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommenen Entschließung „Sicherer Radverkehr für Vision Zero im Straßenverkehr“ einen eindeutigen Auftrag an den Bund formuliert, den Kommunen die Möglichkeit zu eröffnen, von der innerörtlichen Regelhöchstgeschwindigkeit von 50 km/h nach eigenem Ermessen auch auf Hauptverkehrsstraßen abzuweichen, wenn es den stadtpolitischen Zielen dient.
    So wird in der Entschließung u. a. gefordert, „es Kommunen durch eine Veränderung der gesetzlichen Vorgaben zu erleichtern, innerorts die Geschwindigkeitsbegrenzung von Tempo 30 km/h für ganze Straßen unabhängig von besonderen Gefahrensituationen anzuordnen“. 

  • Die Verkehrsministerkonferenz der Länder (VMK) hat am 16.04.2021 zum Tagesordnungspunkt „Sicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs“ den Bund einstimmig aufgefordert, die in einer Ad-Hoc-AG der VMK erarbeiteten Vorschläge „im Rahmen einer zeitnahen Novellierung des Rechtsrahmens, insbesondere von StVO, der VwV-StVO und Straßenverkehrsgesetz, in Abstimmung mit den Ländern ggf. zu berücksichtigen“. Zu diesen Vorschlägen gehört u. a. eine Ergänzung des § 39 StVO („Innerhalb geschlossener Ortschaften ist auch auf Vorfahrtsstraßen (Zeichen 306) mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von weniger als 50 km/h zu rechnen“) und ein Modellversuch zur Umkehrung der Regelgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h auf 30 km/h.

  • Das Bundeskabinett hat seiner Sitzung am 23.04.2021 einen neuen Nationalen Radverkehrsplan (NRVP) beschlossen, u. a. mit der Feststellung, dass es bedeutsam ist, “in Mischverkehren Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Verkehrsteilnehmenden zu reduzieren“.
    Damit liefert der Bund eine weitere Begründung, Tempo 30 auch im Hauptverkehrsstraßennetz anzuordnen. 

  • Das am 29.04.2021 veröffentlichte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz des Bundes formuliert zudem einen klaren Handlungsauftrag an den Bund: Er muss so rasch wie möglich alle zur Verfügung stehenden rechtlichen Maßnahmen ergreifen, um auch die Mobilitäts- und Verkehrswende voranzutreiben.
    Auch wenn niedrigere innerörtliche Höchstgeschwindigkeiten nur in geringem Umfang direkten Einfluss auf die CO2-Emissionen haben: Sie sind ein zentrales Element einer Stadtverkehrspolitik, die die Nutzung der Verkehrsmittel des Umweltverbundes stärken und damit auch die klimaschädlichen Auswirkungen des Autoverkehrs verringern will.

Bei der Forderung, die Handlungsspielräume der Städte bei der Anordnung von Tempo 30 im Hauptverkehrsstraßennetz der Städte zu vergrößern, geht es nicht um eine undifferenzierte und pauschale Maßnahme. 

Die Änderung des Rechtsrahmens soll deshalb durch ein vom Bund gefördertes und zentral evaluiertes Modellvorhaben in mehreren Städten begleitet werden. Das Modellvorhaben ermöglicht, verschiedene Aspekte vertieft zu untersuchen, die genauerer Betrachtung bedürfen. Das hilft, bei der Anwendung des neuen Rechtsrahmens etwaige negative Begleiteffekte der Neuregelung minimieren zu können bzw. ggf. rechtlich nachzusteuern. Das Modellvorhaben kann u. a. folgende Themen umfassen: 

  • Der straßengebundene ÖPNV darf durch niedrigere zulässige Höchstgeschwindigkeiten im Hauptverkehrsstraßennetz nicht signifikant benachteiligt werden. Es soll untersucht werden, in welchem Umfang solche Nachteile auftreten (z. B. Reisezeit, Auswirkungen auf betriebliche Kosten) und mit welchen Maßnahmen sie kompensiert werden können. 

  • Auf vielen Hauptverkehrsstraßen kann aus Platzgründen nicht oder nur mit erheblichem zeitlichem Vorlauf eine ausreichend dimensionierte separate Radverkehrsinfrastruktur geschaffen werden.
    Die Anordnung von Tempo 30 kann hier (auch als Zwischenlösung) bei Mischverkehr bzw. nicht ausreichenden Infrastrukturangeboten (z. B. Schutzstreifen) die Sicherheit erhöhen. Dazu fehlt es aber bislang an belastbaren Untersuchungen. 

  •  Tempo 30 im innerörtlichen Hauptverkehrsstraßennetz soll nicht zu Verdrängungseffekten mit einer erhöhten Belastung untergeordneter Straßen führen. Besondere Bedeutung hat deshalb ein störungsarmer Verkehrsfluss. Es können ggf. aber auch ergänzende regulierende Maßnahmen im Nebennetz sinnvoll sein (z. B. Höchstgeschwindigkeiten < 30 km/h, Umgestaltung von Quartiersstraßen nach dem Vorbild von „Superblocks“ und anderes).

ERKLÄRUNG  6. Juli 2021
Die für Mobilität und Stadtentwicklung zuständigen Beigeordneten, Bürgermeister:innen und Stadtbaurät:innen der unterzeichnenden Städte erklären daher: 

1. Wir bekennen uns zur Notwendigkeit der Mobilitäts- und Verkehrswende mit dem Ziel, die Lebensqualität in unseren Städten zu erhöhen. 
 
2. Wir sehen Tempo 30 für den Kraftfahrzeugverkehr auch auf Hauptverkehrsstraßen als integrierten Bestandteil eines nachhaltigen gesamtstädtischen Mobilitätskonzepts und einer Strategie zur Aufwertung der öffentlichen Räume. 
 
3. Wir fordern den Bund auf, umgehend die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Kommunen im Sinne der Resolution des Deutschen Bundestags vom 17.01.2020 ohne weitere Einschränkungen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts dort anordnen können, wo sie es für notwendig halten. 

 4. Wir begrüßen ein vom Bund gefördertes begleitendes Modellvorhaben, das wichtige Einzelaspekte im Zusammenhang mit dieser Neureglung vertieft untersuchen soll (u. a. zu den Auswirkungen auf den ÖPNV, zur Radverkehrssicherheit und zu den Auswirkungen auf das nachgeordnete Netz), um ggf. bei den Regelungen bzw. deren Anwendung nachsteuern zu können. 

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