Dienstag, 12. Juli 2022

Warum Klimaaktivismus richtig nerven muss

Zeit online Ein Gastbeitrag von   12. Juli 2022

Letzte Generation

Staus provozieren während der Sommerferien, geht's noch? Und ob.
Nur wer wieder irritiert, kann den Klimaschutz vielleicht noch voranbringen.

Sara Schurmann führt seit einigen Jahren viele Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Klimabewegung. Auch von den Medien forderte Schurmann in einem offenen Brief 2020 einen anderen Umgang mit der Klimakrise.

Sie kleben sich auf die Straße, binden sich während eines Bundesligaspiels am Fußballtor fest und versuchen, den Gasfluss in Pipelines zu unterbrechen. Die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" wollen nicht gemocht werden, sie wollen irritieren. Weil sie dafür zum Großteil negative Berichterstattung bekommen, stören ihre Aktionen aber selbst andere Klimaaktivistinnen. Sie fürchten, dass die Proteste die Menschen abschrecken könnten, anstatt sie vom Mitmachen zu überzeugen.

Anstatt zu überzeugen, will die Letzte Generation Bewusstsein schaffen. Das funktioniert eher über Gefühle als über Argumente. Es geht darum, Gewissheiten zu erschüttern, indem Aktionen vom Akzeptierten abweichen. Und damit sind die Proteste gar nicht so weit weg von den Anfängen von Fridays for Future.
Als sich Greta Thunberg das erste Mal vor das schwedische Parlament auf die Straße setzte, irritierte sie. Als ihrem Beispiel innerhalb kürzester Zeit Tausende Schüler in allen möglichen Ländern folgten und freitags die Schule schwänzten, war das für viele Eltern, Politiker und Medien der eigentliche Skandal. 

Indem sie die größte internationale Klimabewegung überhaupt aus dem Boden stampften, haben Fridays for Future nicht nur das vergessene Thema Klimawandel groß gemacht – sie haben das Bewusstsein der Öffentlichkeit verschoben. Gelungen ist das durch eine Kombination von Irritation (Gretas Reden, Schulstreiks am Freitag, globale Massenbewegung junger Menschen) und Information (mehr Berichterstattung der Medien, Interviews mit Wissenschaftlerinnen und die Unterstützung der Scientists for Future).

Dass die For Futures nie wieder so viele Menschen auf die Straßen bringen konnten wie beim Globalen Klimastreik im September 2019, liegt nicht allein an folgenden Krisen wie der Pandemie oder des Ukraine-Krieges. Es liegt auch daran, dass der Irritationseffekt der Proteste verschwunden ist.

Übers Klima zu reden, ersetzt effektiven Klimaschutz

Fridays for Future setzt seitdem vor allem auf Kooperation. Deren Aktivistinnen sitzen auf allen möglichen Panels und sprechen mit allen möglichen Gruppen, um meist freundlich, manchmal genervt, Überzeugungsarbeit "fürs Klima" zu leisten. Doch obwohl die Aktivisten den Klimadiskurs so stark bewegt haben wie nichts und niemand zuvor, ist keine der Lage angemessene Krisenpolitik in Sicht. Und das Zeitfenster für effektives Klimahandeln schließt sich rapide. Die aktuellen Jahre sind entscheidend, das machen sowohl der Weltklimarat (IPCC), als auch Fridays for Future immer wieder klar. Dabei wirken die Aktivistinnen aber so freundlich, dass viele gar nicht wahrzunehmen scheinen, dass ihr Slogan "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut", nicht nur ein schmissiger Reim ist, sondern wörtlich gemeint.

Vertreter der For-Future-Bewegung wurden in den vergangenen Jahren zunehmend auch deswegen eingeladen, damit sich Politikerinnen und Veranstalter selbst glauben machen konnten, schon allein dadurch etwas "fürs Klima" getan zu haben. Über Klimaschutz zu reden, ersetzt schon seit Jahrzehnten, wirklich etwas dafür tun zu müssen, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.
Anstatt mit weiteren Gesprächen mehr Druck aufzubauen, legitimieren die Aktivisten durch ihre Teilnahme an ihnen das Nichthandeln ungewollt sogar.
 Davor warnte schon vor Monaten die Ökologin und Aktivistin Carola Rackete.

Fridays for Future reden nicht nur mit Entscheidungsträgern, sie knüpfen auch Verbindungen mit Gewerkschaften und solidarisieren sich unter anderem mit der antirassistischen Bewegung – auch in der Hoffnung auf Gegenseitigkeit. Aber es ist kein Selbstläufer, dass andere Bewegungen die Klimakrise mitdenken und entsprechend agieren. Nur weist Fridays for Future sympathisierende Gruppen nicht offensiv auf ihren blinden Fleck hin.

Das Modell positiver Klimakommunikation geht davon aus, dass es Menschen abschreckt, statt zu aktivieren, wenn man sie zu stark mit der Klimakatastrophe konfrontiert. Die Aufrufe, etwa "fürs Klima" und "kommende Generationen" wählen zu gehen, verschonen aber sowohl Gegnerinnen als auch Verbündete vor der allzu konkreten Erkenntnis, was genau dieses Klima mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat. Junge Eltern davor, dass es um nichts weniger geht als die Frage, ob ihre Kinder den Zusammenbruch zivilisatorischer Strukturen miterleben und Seniorinnen davor, dass selbst viele 70-Jährige in ihrem Leben noch spüren werden, wie der verpasste, verschleppte und verhinderte Klimaschutz ihrer Generationen ihre eigenen, für selbstverständlich gehaltenen Lebensgrundlagen gefährdet.

Nicht die Leugner verhindern effektiven Klimaschutz

Es fehlt nicht nur in der Politik, sondern auch der breiten Öffentlichkeit weiterhin an ausreichendem Krisenbewusstsein. So viele wie möglich mitnehmen – diese Strategie kann und wird daher nicht aufgehen. Fridays for Future wird Verbündete zwar grundsätzlich davon überzeugen können, dass etwa die Verkehrswende richtig und wichtig ist. Wenn sie dann aber die nötigen Maßnahmen fordern, um Emissionen möglichst schnell und wirksam zu reduzieren, etwa autofreie Innenstädte innerhalb kürzester Zeit, das sofortige Streichen von Kurzstreckenflügen oder einen Baustopp neuer Autobahnabschnitte, werden diese Gruppen die Forderungen nicht aktiv unterstützen, weil sie sie für übertrieben halten.

Was aber meint "Klimabewusstsein" überhaupt? Im Wesentlichen gibt es drei Bewusstseinsstufen zur Klimakrise, die oft als persönliche Meinungen oder Positionen zur Klimakrise missverstanden werden. 

Typ 1 erkennt an, dass der Klimawandel real und ein ernstes Problem ist, nimmt aber noch immer an, dass die Klimakrise ein Problem der Zukunft ist, die Klimaveränderungen auch Positives bereithalten und wir uns eben anpassen müssen. 

Typ 2 sieht nach den Hitzewellen der vergangenen Jahre und der Flutkatastrophe im eigenen Land zunehmend, dass die Klimakrise ernst und akut ist, hält die richtig dramatischen Auswirkungen aber noch für relativ weit weg. Um die Kurve zu kratzen, haben wir in diesem Verständnis noch knapp 30 Jahre Zeit, das Ausmaß der nötigen Transformation und was bis wann geschafft sein muss, scheint nur bedingt klar zu sein. 2019 einmal auf dem Klimastreik gewesen zu sein, halten viele daher für ausreichendes Klimaengagement von ihrer Seite. Um den Rest kümmern sich schließlich die Schüler.

Typ 3 ist bewusst, wie massiv die nahende Klimakatastrophe ihr eigenes Leben betreffen wird, dass ein Großteil der Veränderungen irreversibel ist, was das bedeutet und wie wenig Zeit bleibt, diese Kipppunkte und Veränderungen vielleicht noch abzuwenden.

Die echten Verhinderer von Klimaschutz unterstützen ihn grundsätzlich

Und ja, es gibt auch noch jene, die die Erderhitzung wahlweise für nicht real, oder real aber nicht menschengemacht oder menschengemacht aber nicht dramatisch halten. Allerdings sind zumindest in Deutschland nicht sie es, die effektiven Klimaschutz maßgeblich bremsen. Es sind jene, die Klimaschutz grundsätzlich unterstützen, für die dann aber doch zunächst immer etwas anderes wichtiger ist. Denn Maßnahmen, die zu spät kommen, werden uns nicht schützen. Jede Tonne Treibhausgase, die in die Luft geblasen wird, befeuert die Klimakrise und gefährdet unsere Sicherheit.

Wenn die Klimabewegung erfolgreich sein will, muss sie es also schaffen, ein der Faktenlage angemessenes Krisenbewusstsein zu schaffen. Dazu braucht es, wie anfangs bei Fridays for Future, eine Kombination aus Irritation und Information. Fakten allein reichen nicht aus, um das Ausmaß der Krise zu begreifen. Man muss auch emotional an sich heranlassen können, was diese Fakten bedeuten. Davor schützen uns unbewusste aber wirkmächtige psychologische Abwehrmechanismen, etwa Verdrängung, kognitive Dissonanz und der Confirmation Bias – die Neigung, Informationen so wahrzunehmen, dass sie unsere eigenen Erwartungen bestätigen.

Weil wir seit Jahrzehnten vom Klimawandel hören, nehmen viele Menschen an, halbwegs einschätzen zu können, wie die Lage ist. Positive Klimakommunikation lässt sie in dem Glauben. Sie nimmt ihnen so auch die Chance, sich des Ausmaßes der Krise bewusst zu werden und effektiv für die eigene Zukunft und die ihrer Kinder und Enkel einsetzen zu können.

Neue Gruppierungen wie der Aufstand der Letzten Generation und Scientist Rebellion setzten nun vor allem auf Irritation und wollen durch die Konfrontation mit der Klimakatastrophe aufrütteln. Gemessen am durchschnittlichen Krisenbewusstsein erscheint ihr Protest unverhältnismäßig. Genau das jedoch kann ein Hebel sein, um weiteres Krisenbewusstsein zu schaffen – und so weitere Proteste und die Zustimmung zu effektiven Maßnahmen wahrscheinlicher zu machen.

Wenn die meisten anderen ruhig bleiben, bleiben wir es auch

Der Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, versucht, die Paradoxie der aktuellen Situation in einem Interview mit folgendem Bild begreifbar zu machen: "Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt." Wie kann es angesichts dessen sein, dass nicht zumindest Eltern und junge Menschen jede Woche massenweise auf der Straße stehen und protestieren? 

Was unerklärlich scheint, haben Psychologen gut erforscht, etwa durch die sogenannte Rauchstudie. Darin wurde untersucht, wie Personen darauf reagieren, wenn gefährlich aussehender Rauch in einen Raum eindringt. Waren sie allein, meldeten 75 Prozent den Rauch, saßen sie zusammen mit anderen Wartenden im Raum, nur noch 38 Prozent. Warteten sie zusammen mit eingeweihten Testpersonen, die den Rauch bewusst ignorierten, reagierten nur noch 10 Prozent. Das Experiment machte klar: Wir orientieren uns in unserem Verhalten an dem Verhalten anderer – und wenn die meisten anderen ruhig bleiben, bleiben wir es auch. Selbst wenn es rational betrachtet gar keinen Grund dazu gibt.

Zuletzt parodierte dieses globale kollektive Verhalten der Kinofilm Don't Look Up. Genau das wollen die neuen Aktivistinnen durchbrechen. Sie nehmen dabei in Kauf, Menschen gegen sich aufzubringen und so zumindest eine Debatte auszulösen – ähnlich wie damals die Schulstreiker.

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