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Ex-Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan hat die Seiten gewechselt. Ein Gespräch über Allianzen und den Krieg, der die Energiewende beschleunigt.
taz am wochenende: Frau Morgan, als Chefin von Greenpeace International haben Sie nach dem Klimagipfel von Glasgow gesagt: Ohne die Aktivisten wäre er ein Flop gewesen. Jetzt vertreten Sie als Staatssekretärin ein Industrieland. Sind Sie auf die Seite gewechselt, die für die Flops verantwortlich ist?
Jennifer Morgan: Nein. Ich würde immer noch sagen, dass Glasgow ein Flop gewesen wäre ohne die Aktivisten. Wir brauchen in der aktuellen Klimakrise alle an Bord: Regierungen, Wissenschaft, gesellschaftliche Unterstützung. Wir brauchen Aktivismus.
Bisher war Ihre Rolle, die Industrieländer anzutreiben. Müssen Sie jetzt in Ihrem neuen Job die AktivistInnen bremsen?
Nein, wir müssen immer noch die Industrieländer vorantreiben. Deutschland hat die G7-Präsidentschaft und wir beschleunigen zu Hause die Energiewende. Ich denke nicht so sehr daran, wer auf welcher Seite steht, sondern daran, was man mit wem unternehmen kann. Wenn ich eine Person sehe und denke, da kann ich einen Unterschied machen, dann werde ich mit ihm oder ihr für eine progressive Allianz arbeiten.
Ihre ehemaligen Kollegen von Greenpeace fordern einen schnelleren Ausstieg aus russischem Öl und Gas als Ihre Regierung. Schlagen da nicht zwei Herzen in Ihrer Brust?
Bevor ich diese Arbeit übernahm, habe ich den Koalitionsvertrag ganz genau gelesen. Und ich habe gesehen: Das gibt es eine Menge Schnittmengen mit dem, was Greenpeace sagt: schnellerer Kohleausstieg, schnelleres Ende für Verbrennungsmotoren. Es geht um einen anderen Begriff von Wohlstand, der mehr ist als nur das Bruttoinlandsprodukt, um Klimagerechtigkeit und um bezahlbares und erneuerbares Wohnen. Ich hatte und habe das Gefühl, dass die Vorhaben sehr ambitioniert sind. Und meine Rolle ist es auch ein bisschen, die Wissenschaft und die NGOs in dieser Debatte in die Regierung einzubringen.
So schnell wird man von einer Aktivistin zur Diplomatin?
Ich bin eine aktivistische Diplomatin. Das heißt für mich, alles zu tun, um Klimaschutz voranzutreiben, um Klimagerechtigkeit zu schaffen. Und in meiner neuen Rolle habe ich andere Möglichkeiten als bei Greenpeace.
Ihr Job als Klimastaatssekretärin ist ja ganz neu. Was ist eigentlich Ihre Rolle?
Ich werde für die neue Klimaaußenpolitik dieser Regierung alle Hebel der Außenpolitik für Fortschritte im Klimaschutz nutzen. Mit den anderen Ressorts sind wir dabei, das Klimateam Deutschland aufzustellen. Aber auch mit Unternehmen und Bundesländern tausche ich mich aus. Hier im Haus reden wir ganz neu darüber, wie wir Klimaschutz in humanitäre Hilfe, Handelsabkommen oder wissenschaftliche Partnerschaften integrieren. Auf internationaler Ebene nutzen wir alle Instrumente, um die Grenze von 1,5 Grad Erwärmung zu halten. Meine Rolle ist es, Strategien zu entwickeln, Gespräche zu führen und Koalitionen – mit anderen – zu organisieren und voranzutreiben. Wir wollen eine Klimaaußenpolitik aus einem Guss.
Sie haben die 1,5-Grad-Grenze erwähnt. Was ist da Ihr Minimalziel?
Das Ziel ist: Wir müssen gegen jedes Zehntelgrad Erwärmung kämpfen.
Schaffen wir die 1,5 Grad?
Die Wissenschaft sagt, dass wir das noch schaffen können. Aber es wird schwieriger mit jedem Jahr, in dem die Emissionen steigen. Wir können deshalb nicht wie vorher arbeiten, in kleinen Schritten. Wir müssen disruptive Momente suchen, sodass es schneller gehen kann. Die Konsequenzen, wenn wir es nicht schaffen, sind sonst zu groß: Ich war gerade in Bangladesch auf meiner ersten Auslandsreise. Da haben wir ein Dorf besucht, wo vor zwei Jahren ein intensiver Zyklon gewütet hat. Die Leute dort leiden so viel. Und wenn du ihnen in die Augen schaust, dann weißt du, wir müssen dringend etwas tun, denn sie haben daran keine Schuld.
Disruption ist ein Prozess der Zerstörung. Was sind diese disruptiven Momente?
Wir leben gerade in einem. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt unsere Energiewende. Wir wollen so schnell wie möglich unabhängig von Russlands Öl, Kohle und Gas werden. Es gibt aber natürlich auch andere Kräfte, die wollen den Moment nutzen, um mehr Öl und Gas und fossile Infrastruktur aufzubauen. Das müssen wir verhindern. Wir müssen gewinnen.
Für 1,5 Grad darf es weltweit keine neue fossile Infrastruktur geben. Aber Deutschland plant jetzt neue Terminals für Flüssiggas.
Der Krieg verlangt uns schwere Entscheidungen ab, die uns nicht in eine Sackgasse führen dürfen. Daher müssen neue Terminals auch grünen Wasserstoff aufnehmen können. Und wir dürfen nicht auf langfristige Lieferverträge setzen. Denn es gilt das Ziel, die Gasnetze bis spätestens 2045 zu dekarbonisieren. Wir wollen die Weichen so stellen, dass wir die Emissionen in den nächsten Jahren schneller runterbringen können.
Wie groß sind denn Ihre Möglichkeiten im Auswärtigen Amt? Hier arbeiten 3.000 Leute, die sich bisher kaum um das Thema gekümmert haben. Sie bringen 15 KlimaexpertInnen aus dem Umweltministerium mit. Wie groß ist Ihr Hebel, um hier viel zu ändern?
Mit der Entscheidung, den Klimaschutz ins Auswärtige Amt zu holen, hat eine neue Ära der Außenpolitik begonnen. Es gibt dafür eine große Offenheit und ein Interesse im Haus, um die Hebel des AA zu nutzen, um das 1,5-Grad-Ziel zu sichern. Viele Abteilungen im Haus wissen, wie dringend das ist. Vorher gab es nicht die Kapazitäten im Haus, das irgendwie in eine interne umfassende Strategie umzusetzen. Aber der Hebel ist groß. Auch, weil das Thema der Ministerin sehr am Herzen liegt. Da ist diese Disruption eine Chance und Deutschland kann mit einer kohärenten Klimaaußenpolitik ein Modell für die Welt werden.
Bisher sind Deutschland und die EU keine großen Vorbilder. Bei der COP27, der nächsten Klimakonferenz im November im ägyptischen Scharm al-Scheich, sollen alle Länder höhere Klimaziele vorlegen. Davon ist in Deutschland nichts zu sehen.
Alle Länder sollen ihre Klimapläne, ihre NDCs, verbessern. Wir können das als Deutschland oder in der EU machen. Es gibt verschiedene Wege, das zu erreichen. Am besten durch eine NDC-Erhöhung. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, die Ambitionen zu steigern: etwa durch mehr Erneuerbare, einen früheren Kohleausstieg oder die Vermeidung von Methanemissionen.
Sie sagen, eine der obersten Prioritäten Deutschlands sei Solidarität mit den Opfern. Im Bundeshaushalt 2022 werden aber die Mittel für Klimafinanzierung kaum erhöht.
Da müssen wir ran. Der erste Teil der Solidarität ist, dass wir zu Hause viel machen, um die Emissionen zu senken. Da sind wir mit dem Fit-for-55-Paket der EU auf einem guten Weg. Der zweite Teil ist die Klimafinanzierung. Da hat Frau Merkel im letzten Jahr in der Tat versprochen, dass Deutschland seine Hilfen von derzeit 4 auf 6 Milliarden in 2025 aufstockt. Das ist die häufigste Frage von Entwicklungs- und Schwellenländern und auch unsere Erwartung: dass Deutschland seine Verpflichtung einhält. Wir müssen liefern. Und deshalb hoffe ich, dass der Bundestag auch mehr Geld für die internationale Klimafinanzierung beschließt als die jetzt für 2022 debattierten knapp 4,2 Milliarden Euro.
Wie relevant ist das alles, wenn China weiter die Kohle ausbaut und so die globalen Emissionen hoch hält?
Man muss sich klarmachen: An China kommt niemand vorbei. Ohne die Kooperation mit China werden wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen. Den Ausbau der Kohle thematisieren wir mit den Chinesen in verschiedenen Gesprächen. Wichtig ist der Kontext, in dem sich China bewegt: Das Land will ein glaubwürdiger multilateraler Partner sein. Unsere Partnerschaften mit anderen Schwellenländern oder den besonders verletzlichen Staaten sind ihnen sehr wichtig, weil das eine Weltordnung schafft, bei der sie dabei sein wollen. Und China will wissen, welches Land in welche Richtung geht. Das ist unsere Möglichkeit, China zu engagieren und zu mehr Klimaschutz zu bewegen. Die EU-Planung zum CO2-Außenzoll, dem sogenannten CBAM, ist wichtig. Aber noch wichtiger ist zu verstehen, dass China auf der Seite der Länder sein will, die vorangehen und nicht gegen sie. Die Frage ist also: An welchen Fäden ziehen wir?
Aber diese Fäden im UN-System reißen gerade. Russland als Mitglied des Sicherheitsrats tritt Völkerrecht mit Füßen, der Hunger in armen Ländern nimmt zu. Wird das Klimathema im Ukrainekrieg zweitrangig?
Ja und nein. Einerseits beschleunigen wir unsere Energiewende, wie gesagt. Das bleibt unsere Priorität. Das ist in anderen Ländern nicht so. Als wir vor zwei Wochen in der Sahelzone waren, die Ministerin und ich, da war das Thema Klima und Sicherheit oben auf der Agenda. Für mich war das ein wichtiges Zeichen: Klimawandel ist immer noch Topthema – auch in Kriegszeiten. Das Thema darf nicht verloren gehen, die vulnerablen Staaten wissen das auch. Auf der anderen Seite wird es natürlich schwieriger. Wir werden alles tun, weiter multilateral zu arbeiten. Wir werden im Juni in Bonn bei der Vorbereitung der COP27 sehen, wie das thematisiert wird.
Können Sie sich vorstellen, mit einer russischen Delegation zu verhandeln?
Im Moment werden wir nicht mit einer russischen Delegation verhandeln. Es ist klar: Das ist nicht möglich. Wie das im November in Scharm al-Scheich wird, wird sich daran entscheiden, wie dann die Lage in der Ukraine ist.
Russland könnte wegen des Prinzips der Einstimmigkeit eine UN-Konferenz komplett blockieren. Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt, die UN-Verhandlungen aufzugeben und sich darauf zu konzentrieren, „Klima-Clubs“ von gleichgesinnten Staaten voranzubringen?
Wir brauchen beides. Auch in schwierigen Zeiten ist der multilaterale Ansatz wichtig. Der Klimaprozess hat auch Trump überlebt. Auch das war eine riesige Disruption. Aber wir brauchen das Multilaterale, weil sonst die kleinen Inselstaaten und die am wenigsten entwickelten Länder nicht dabei sind. Und diese Länder sind es, die Druck machen. Aber das ist nicht genug. Wir brauchen auch die Politik der EU, etwa mit dem Außenhandelszoll CBAM.
Muss Europa auch beim Klima härter verhandeln und nicht mehr Everybody’ s Darling sein wollen?
Ja, ich glaube, Europa muss erstens zeigen, dass wir es ernst meinen. Das tun wir mit dem Fit-for-55-Paket. Wir sind ein großer Block, wir beschließen verbindliche Gesetze, wir reden über einen Außenzoll. Das ist alles gut. Wir müssen aber auch wieder zurück dahin, den armen Ländern wirklich zuzuhören. Wir sehen, dass die Auswirkungen der Klimakrise schon stattfinden und wir müssen da mehr tun. Das hängt sehr eng zusammen. Du kannst keine progressive Allianz mit verletzlichen Ländern aufbauen, ohne bei der Klimafinanzierung zu liefern oder bei der Finanzierung von Anpassung. Aber ja, Europa muss auch härter verhandeln. Es geht schließlich um alles.
Bei der Klimakonferenz wird es um lauter Themen gehen, die die Industrieländer ablehnen: mehr Geld für die Armen, für Anpassung, den Ausgleich von Verlusten durch den Klimawandel. Dazu der Krieg in der Ukraine. Die COP27 kann doch eigentlich nur scheitern.
Es wird kein einfaches Treffen, das ist klar. Die USA haben dann die Midterm-Wahlen hinter sich und Präsident Biden kann bisher seine Klimaagenda noch nicht so durchsetzen, wie er es will. Aber es gibt in den USA auch eine große Debatte über Klimagerechtigkeit. Leider ist diese nationale Debatte bisher nicht mit der internationalen Debatte über Klimagerechtigkeit verbunden. Aber klar, die COP wird eine Herausforderung. Die Botschaft lautet: Es geht beim Klimawandel für Millionen von Menschen um Leben und Tod. Und deswegen müssen wir alles tun, um unseren Beitrag zur Anpassung zu leisten. Uns muss klar werden, dass Ernährung, Sicherheitsfragen, Energieversorgung, Migration und Klima zusammenhängen. Wie können wir vermeiden, dass diese Konflikte stattfinden? Wie können wir Menschen ihre Heimat erhalten, damit sie nicht Klimamigranten werden müssen? Wie funktioniert Zusammenarbeit verschiedener Länder? Wir haben zum Beispiel ein Projekt in Zentralasien, da geht es eigentlich um die Auswirkungen der Klimakrise auf grenzüberschreitende Wasserressourcen. Wir sehen, wie die Staaten an einem gemeinsamen Problem zusammenarbeiten und auf Kooperation – nicht auf Konflikte – setzen. In diese Richtung müssen wir arbeiten. Denn was da auf uns zukommt, sind keine Wetterereignisse. Das ist eine Welle von Chaos.
Sie sind jetzt seit zwei Monaten hier im Amt. Was ist der größte Unterschied zwischen dem Auswärtigen Amt und Greenpeace?
Der Paternoster-Aufzug (lacht). Im Ernst: Greenpeace wird von Einzelpersonen finanziert und ich habe mich dort immer der Oma verpflichtet gefühlt, die 20 Euro gespendet hat. Hier im Ministerium sind wir verantwortlich gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern. Das ist ähnlich, aber anders.
Insgesamt klingen Sie so, als wollten Sie internationale Diplomatie mit den Mitteln einer NGO betreiben.
Wenn das heißt, aktiv mit neuen Ideen, Vernetzung und Kommunikation verschiedene Akteure zusammenzubringen, dann ja, das ist der Ansatz unserer und meiner Klimaaußenpolitik. So habe ich immer gearbeitet. Für mich ist das nicht neu. Für die Regierung und das Auswärtige Amt vielleicht schon.
IM INTERVIEW: JENNIFER MORGAN
56, ist seit 1. März Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt. Zuvor leitete sie von 2016 bis 2022 die Umweltorganisation Greenpeace International. Die geborene US-Amerikanerin ist Politikwissenschaftlerin und Germanistin und eine Kennerin der internationalen Klimapolitik. Unter anderem hat sie für Organisationen wie WWF und Thinktanks wie WRI gearbeitet und die Bundesregierung beraten. Morgan ist seit 2022 Deutsche und lebt in Berlin.
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