Samstag, 23. April 2022

Leserbrief: Unabhängigkeit darf nicht zu Willkür führen

2 ganz wunderbare Leserbriefe zum Prozeß von W. Ertel - Danke schön für diese Gedanken

Schwäbische Zeitung 

Leserbrief zu: „4000 Euro Strafe für Baumbesetzung“, 20. April:

Das Urteil im Fall Professor Dr. Ertel legt einen tiefliegenden Fehler unseres Justizsystems offen: Richter sind unabhängig (das ist gut so und muss so sein), aber auch nur Menschen mit Fehlern.
Sie sind nicht gehalten, sich an sachbezogene Argumente (hier der beklagten Partei) zu halten, da es keine entsprechenden Qualitätsmanagementvorschriften für Richter gibt.

Die Verteidigung hatte eine sehr bedenkenswerte Argumentation hinsichtlich der Vorschrift zur Anmeldung einer Versammlung vorgetragen. Das Grundgesetz diene nämlich dem Schutz der „Versammlung“ und nicht Dritter (wie Zuschauer). Wenn nun in aller Herrgottsfrühe eine „Demonstration“ von drei Menschen mit einer Handvoll geladener Gäste (Presse) auf einem leeren Gelände stattfindet, muss man sich doch fragen, ob diese drei nicht auf ihren „Schutz“ verzichten konnten und ob unsere überlastete Polizei eingreifen musste.

Es wurde niemand geschädigt, im Gegenteil: Das Land als Besitzer des Geländes überwand seinen jahrelangen Büroschlaf, die Kultusministerin war's zufrieden, wir sparen Zehntausende von Euro Heizkosten ein, die Klimavorschriften (!) zum Energiesparen sind endlich angegangen.
Auch hier machte der junge Richter keine Abwägung der Rechtsgüter.
Das Signal des Urteils ist: Weiter so wie immer, lasst uns in Ruhe, obwohl die Klima-Uhr Sekunden vor zwölf steht, wie der Angeklagte treffend ausführte.

Professor Ertel will in die Revision gehen. Auch dort trifft er auf Richter ohne Vorgaben zum Qualitätsmanagement. Dieselben Richter, die bei Nichteinhaltung solcher Richtlinien einen Beklagten verurteilen würden, wenden sie auf sich selbst nicht an. Auch ich erlebte dies am OLG, wo ein Notar, der eindeutig Fehler machte, durch Richter in Schutz genommen wurde, Gegenargumentation verboten. 

Man kann ja in Revision gehen? Ein völlig unsozialer Aspekt, denn das finanzielle Risiko ist für einen Normalsterblichen selten tragbar - er bleibt im System. Richterliche Unabhängigkeit darf nicht zu Willkür führen. Muss man, um das Problem der richterlichen Ignorierung zentraler Argumentation einer Lösung zuzuführen, nun auch Bäume erklimmen? Landes- und Bundesjustizministerium wimmeln das Problem ab. Die Bundesrechtsanwaltskammer will auch nicht dran rühren - schließlich verdienen deren Anwälte am Prozessieren. Der Rechtsstaat ist der Kitt unserer Gesellschaft. Brüchiger Kitt hält nichts zusammen. Er muss ausgebessert werden, ehe der Rahmen fault und zerfällt.

Rolf Schiller, Ravensburg

links: Prof. Ertel nach einer Klima-Aktion in Ravensburg, im Gespräch mit "der Polizei". Bild von H. Schickle


Zum selben Thema:

„Eine Schande“ und als „deprimierend“ geißelt Antonio Guterres, UN-Generalsekretär, die völlig unzureichenden Maßnahmen von Politik und Wirtschaft gegen die Klimaerwärmung. Aus der Ukraine fleht täglich ein verzweifelter Präsident Selenskyj, dass wir für das Überleben der Ukrainer auf russisches Öl und Gas verzichten mögen.

Und in Ravensburg? Hier hat es ein Professor mittels einer spektakulären, pressewirksamen Aktion geschafft, dass nach zehn Jahren vergeblichen Bemühens eine vollkommen unnötige, immense und leicht zu behebende Energieverschwendung an der Weingärtner Hochschule behoben wird. Großartig, oder? Von Richter Klaus Ferstl vom Amtsgericht jedoch eine satte Strafe von 4000 Euro, wogegen der Staatsanwalt in Berufung gehen will. Er will 5000 Euro!
Was? Eine Belohnung hätte der Professor verdient!

Aber am Amtsgericht wird mithilfe eines Gesetzes, das für ganz andere Szenarien wie Menschenaufläufe und Demonstrationen gedacht ist, künstlich ein Vorwurf konstruiert, um derlei bürgerschaftliches Engagement zu behindern, zu bestrafen und auszuhebeln.

Ist das der Sinn unserer Gesetze und der Auftrag der Justiz, frage ich? Es ist eine Schande, um noch einmal den UN-Generalsekretär zu zitieren, wie sich ein Staatsanwalt Spieler und ein Richter Ferstl, blind für die wirklichen Probleme unserer Zeit, vor den Karren der ewig Gestrigen spannen lassen, die immer noch nicht verstanden haben, dass uns das Weiter so, gerade bei der Energieverschwendung, in ein globales Chaos stürzt.

Ulla Köberle-Lang, Schlier

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