Freitag, 22. April 2022

In Friedrichshafen Auto-frei leben - das geht

 20.04.2022  |  VON SABINE WIENRICH SABINE.WIENRICH@SUEDKURIER.DE  hier

Familie Spieß lebt ohne Auto

Friedrichshafen – Satteltaschen, Fahrradanhänger, Kindersitz. „Da passt dann wirklich ein großer Einkauf rein“, sagt Sandor Spieß und lacht. Samstags macht der 34-Jährige den Großeinkauf in einem Häfler Biomarkt mit dem Fahrrad. „Ende Mai kommt unser zweiter Sohn, bis dahin wollen wir dann etwas haben, in dem wir die Babyschale sicher fixieren können“, sagt seine Frau Corinna Burger. Ein Auto? „Nein“, kommt es wie aus der Pistole geschossen, „ein Lastenrad!“ Familie Spieß lebt ohne Auto – das soll auch mit bald zwei kleinen Kindern so bleiben.

Auto auf Dauer zu teuer

....„Es war wirklich nur noch ein teurer Klotz am Bein“, ergänzt Burger und rechnet vor: „75 Euro für den Stellplatz, dann noch die Reparaturen, TÜV, Benzin, Reifen.“ Viel Geld und viel Zeit – beides wollten die damals frisch gewordenen Eltern nicht mehr investieren. Hinzu kam der Wunsch, sich aktiv an der Verkehrswende zu beteiligen. Als Sohn Amos (2,5 Jahre) eins wurde, haben sie das Auto verschenkt.

Bewegung statt Bequemlichkeit

Einkauf, Kita, Arbeit. Die täglichen Wege meisterte die Familie ohnehin mit dem Rad. „Wir hatten total Glück, eine schöne Wohnung in der Margaretenstraße zu bekommen, also total zentral“, sagt Burger, die ebenfalls als Lehrerin am GZG arbeitet. Ein größeres Einfamilienhaus mit Garten draußen im Hinterland? Das wäre für die junge Familie nicht in Frage gekommen. „Wir wollten kurze Wege, denn lange Fahrten kosten viel zu viel Lebenszeit“, erklärt die 33-jährige Lehrerin. Und dann wäre da noch die Sache mit dem ÖPNV. Die Verkehrswende sei erst in den Startlöchern, die Bus- und Bahnanbindungen auf dem Land zu schlecht. „Wenn pro Tag nur ein Bus fährt, geht es da kaum ohne Auto“, sagt Burger..... (das muss sich ändern!)

Carsharing nicht attraktiv genug  ...... aber: Ausflüge klappen gut

Für Ausflüge nutzt die Familie den Nahverkehr oder das Rad oder beides. „Unser Radius beträgt etwa 30 Kilometer“, sagt Sandor Spieß, „man ist natürlich schon etwas eingeschränkter als mit Auto.“ Die Ziele werden so ausgesucht, dass sie gut erreichbar sind. ...

Funktioniert sie so, die viel beschworene Verkehrswende? Corinna Burger denkt nach. „Ich sehe uns nicht als Umweltretter. Die Verkehrswende muss von oben, also von der Politik, gemacht werden. Und da passiert noch viel zu wenig.“ Dann zählt sie auf, welche Vergünstigungen Autofahrer vom Bund bekommen: „Dienstwagen, Pendlerpauschale, Abwrackprämie, bald 30 Cent Steuerersparnis auf Sprit. Wo ist der Anreiz, aufs Fahrrad umzusteigen?

Radwege stark ausbaufähig

Sandor Spieß ergänzt: „Wir sehen es doch in Friedrichshafen auf kommunaler Ebene, dass es Autofahrern viel bequemer gemacht wird als Radlern.“ Etwa beim Thema Erhöhung der Parkgebühren oder bei der Sanierung der Friedrichstraße, wo der Radweg statt die Straße gesperrt wurde – und eigentlich auch eine perfekte autofreie Zone möglich wäre. Auch die Radwege seien stark ausbaufähig. „Wenn der Radstreifen nur durch eine Farbmarkierung von der Straße abgetrennt ist, ist das gerade für Kinder und Familien echt schwierig“, sagt Spieß und verweist auf die Maybachstraße beim Landratsamt. Dort gibt es jetzt eine Grünbepflanzung im Mittelstreifen – zwischen den beiden Straßen, nicht aber zum Radweg hin. „Wenn man Mobilität wirklich neu denken will, also zukunftsgerichtet und klimafreundlich, dann muss man im Kleinen beginnen, Alternativen zum Auto so attraktiv wie möglich zu machen“, ist sich Burger sicher....

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