Freitag, 8. April 2022

„Wir alle werden nicht in Frieden leben können, wenn wir weitermachen wie bisher“

 Tagesspiegel  hier  Von Imke Wrage 04.04.2022

Folgen der Klimakrise

Von Südafrika über Mosambik bis in die Arktis: Theresa Leisgang besuchte die Plätze, an denen der Klimawandel sich schon heute stark bemerkbar macht. Ein Interview.

Theresa Leisgang, 33, ist Journalistin und Campaignerin. Sie erkundet die Verbindungen zwischen Menschenrechten und Klimakrise, zwischen Landwirtschaft und Artensterben, zwischen indigenem Wissen und imperialer Lebensweise. 

...Raus in die Welt, das hieß bei Ihnen letzlich: Acht Monate lang von Südafrika bis in die Arktis, tausende Kilometer über Land durch die Klimazonen. Genau das haben Sie 2020 zusammen mit dem Journalistin Raphael Thelen gemacht. Wie kam es dazu?

Wir wollten nicht mehr nur hier und da mal über die Klimakrise berichten. Es brauchte nicht noch einen Tweet, noch eine Kampagne, noch eine Reportage. Wir wollten das große Ganze verstehen und zeigen – und persönliche Antworten finden auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Also beschlossen wir, dorthin zu fahren, wo sich der Klimawandel schon heute stark bemerkbar macht. 

Was sind die drängenden Fragen, von denen Sie sprechen?
Wie sieht der Klimawandel aus und wer ist wie stark davon betroffen? Sprechen wir genug über den gesellschaftlichen Wandel, über persönliche Ängste und Überforderung, anstatt nur über abstrakte Themen wie Energiewende und Emissionshandel? Also: Was können wir gegen die Krise tun, als junge Menschen Anfang Dreißig, aber auch als Weltgemeinschaft? Wer müssen wir sein auf dem Weg in eine klimagerechte Welt? Wir wollten ein Fenster in die Welt von all denen öffnen, für die die Auswirkungen der Krise jetzt schon die Realität sind – und ihre Geschichten erzählen. 

Ihr Fenster in die Welt ist das Buch „Zwei am Puls der Erde“ geworden, 2021 erschienen, eine Art Zusammenfassung Ihrer Reise. Darin schreiben Sie: „Radikaler Wandel entspringt meist an den Rändern.“ Was heißt das?
Die Personen, die vom Klimawandel am stärksten bedroht sind, sind meist für uns in Deutschland wenig bis gar nicht sichtbar. Dabei sind sie es, die neue Ideen entwickeln und einen Weg nach vorn aufzeigen. Deshalb wollten wir genau diese Menschen finden und sprechen.

Startpunkt Südafrika: Warum?
In Kapstadt gab es 2017/2018 eine Jahrhundertdürre. Menschen sorgten sich vor einem „Day Zero“, an dem kein Wasser mehr aus den Leitungen fließt. Der Lösungsansatz lautete: kollektiver Verzicht. Es ist schwer, sich vorzustellen, nur 25 Liter Wasser am Tag für eine ganze Familie zu haben. Wenn ich meinen eigenen Verbrauch berechne, komme ich auf weit über hundert Liter. Wir wollten verstehen, wie kollektiver Verzicht funktioniert – und wie sich Krisen auch in Zukunft gemeinschaftlich angehen lassen. Die Prognose lautet ja, dass solche Dürren an vielen Orten weltweit immer häufiger und länger auftreten werden.

Was haben Sie gesehen und erlebt?
Ich habe Menschen gesehen und erlebt, die in der Krise zusammenhalten. Gemeinschaften, die es schaffen, kollektiv zu verzichten – egal wie reich oder priviligiert die einzelnen Personen sind. Es wurden in Kapstadt Facebook-Gruppen wie die “Water Warriors” gegründet, in denen sich Menschen gegenseitig unterstützten. Sängerinnen und Rapper aus der Stadt nahmen zweiminütige Lieder auf. Die liefen als Orientierung im Radio, denn länger sollten Menschen in Zeiten der Dürre dort nicht duschen. In Mosambik habe ich ähnlichen Zusammenhalt erlebt.

Ein Jahr bevor Sie nach Mosambik reisten, hatte der Zyklon „Idai“  eine Schneise der Verwüstung durch das Land gezogen. Viele Menschen starben, verloren ihr Zuhause, jede Perspektive.
Viele Menschen sind noch stark mit dem Wiederaufbau ihrer Dörfer und der Infrastruktur beschäftigt. Wir haben aber auch mit Frauen gesprochen, die sich in einem feministischen Netzwerk organisiert haben, die schon weiter gedacht haben als nur an den Wiederaufbau. Nachhaltiger.

Nachhaltiger? Inwiefern?
Eines der zentralen Probleme in Mosambik ist, dass Frauen weniger Rechte haben. Im patriarchalen System tragen sie die Sorgearbeit für die Familie. Im Falle einer Naturkatastrophe wächst die Belastung und der Aufwand für Frauen zusätzlich – wenn sie sich überhaupt in Sicherheit bringen konnten, ihre Kleidung hindert sie daran, schnell zu rennen – und anders als Männer müssen sie auch noch ihre Kinder vor dem Hochwasser retten. All diese strukturellen Probleme gucken sich die Frauen aus dem feministischen Netzwerk an, um für kommende Stürme besser gewappnet zu sein und das Zusammenleben im Dorf zu verbessern.

Empfinden die Menschen, denen Sie begegnet sind, als ungerecht, dass sie zur Klimakrise am wenigsten beitragen, aber die stärksten Auswirkungen spüren?
Ich habe da mit Antonia, einer sehr beeindruckenden Frau aus einem Dorf in Mosambik, drüber gesprochen. Sie sagt: Ja, natürlich ist das nicht richtig – die reichen, westlichen Staaten sollten Reparationen zahlen, damit die Menschen im südlichen Afrika sich an das neue Klima anpassen können. Trotzdem hält sich Antonia mit solchen Gedanken nicht lange auf. Sie ist eine, die anpackt, die nach Lösungen sucht. 

Was ist ihre Art, der Krise zu begegnen?
Antonia ist eine kreative Frau, die Bäume und Heilkräuter pflanzt, eine Milch-Kooperative gestartet hat und Mikrokredite an Frauen im Dorf verteilt, damit die sich  kleine Business-Modelle aufbauen können. Mit dem Ziel, dass der nächste Sturm nicht so viele Häuser wegreißt, hat sie zusammen mit anderen rund 890 Hektar Land mit Mangroven-Bäumen bepflanzt und zieht in ihrem Garten Cashew-Setzlinge. Die Setzlinge will sie später im ganzen Dorf verteilen, um eine Ernte zu gewährleisten. Bis die Setzlinge groß sind, dauert es Jahrzehnte. Aber man muss jetzt damit anfangen. Diese Weitsicht hat mich beeindruckt. Vielen Menschen in ihrem Dorf macht das Hoffnung. Ich glaube: Um der Klimakrise zu begegnen, müssen wir mehr Frauen wie Antonia zuhören.....

 Die Menschen im Globalen Süden sprechen schon ganz lange und auf unterschiedlichen Plattformen – nur eben nicht auf denen, die auch uns hier in Deutschland erreichen. Als Journalistin kann ich eine Art Verstärker sein, um den Geschichten zu Lautstärke zu verhelfen. Und trotzdem hebt das natürlich die Machtdynamik nicht auf, dass ich als weiße, privilegierte Person die Geschichte erzähle.....



Wenn Sie auf die Reise durch Afrika zurückblicken: Welche zentrale Erkenntnis haben Sie für sich mitgenommen?
Es ist wichtig, sich darauf zu konzentrieren, wie wir CO2 reduzieren können. Aber dadurch werden wir der Klimakrise nicht begegnen. Deshalb ist es unbedingt nötig, gleichzeitig über Anpassungen zu sprechen und zu forschen, wie betroffene Länder mit den Auswirkungen umgehen können. Das Wissen von lokalen Gemeinschaften, von Indigenen, von Frauen, eben das Wissen von den Rändern, ist im Angesicht der Krise niemals durch Studien aus dem Labor zu schlagen. Der Klimawandel passiert nicht in Zukunft. Er ist jetzt da – und geht uns alle etwas an. Wir alle werden nicht in Frieden leben können, wenn wir weitermachen wie bisher

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