...Doch noch ist es nicht zu spät. »Die Welt steht am Scheideweg«, so
IPCC-Chef Hoesung Lee am Montag bei der Vorstellung des Berichts. Um die
globale Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten, müssten die globalen
Treibhausgasemissionen spätestens vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen und
bis 2030 um 43 Prozent gesenkt werden.
Die große Frage im dritten
Teil lautet deshalb: Wie kommen wir schnell von unserem hohen
Emissionsniveau runter? Die Ergebnisse zeigen, wie hart die Menschheit
an sich arbeiten muss, um aus dem Klimadilemma halbwegs unbeschadet
herauszukommen.
Laut dem Bericht gibt es diese zentralen Lösungswege:
Änderung des Lebensstils und Reduktion des Verbrauches von natürlichen Ressourcen
Neuorganisation von Verkehr, Wohnen und Arbeiten
Effizienter Einsatz von Energie und Investitionen in erneuerbare Energien
der Atmosphäre CO₂ entziehen und es unterirdisch einlagern (Negativemissionen)
Vermeidungstechnologien wie die Abscheidung von CO₂ aus Industrieprozessen
Umlenkung von Finanzflüssen hin zu klimafreundlichen Technologien
CO₂ aus der Luft ziehen: »Ohne wird es nicht gehen« Bisher
rechnete der Weltklimarat stets einige dieser Lösungen in seine
Klimaszenarien mit ein, blieb aber bei den Details recht vage. Der
aktuelle Bericht listet erstmals alle bisher bekannten Optionen zur
Treibhausgasreduktion auf und bewertet ihre Potenziale und Risiken.
Darunter so unterschiedliche Ansätze wie die Reduktion der
Fleischproduktion bis hin zu Technologien, die der Atmosphäre CO₂
entziehen – und so die Effekte der Erderwärmung eindämmen.
Das Potenzial allein der technischen Möglichkeiten ist laut dem Bericht riesig: Hunderte Gigatonnen CO2
könnten bis zum Ende des Jahrhunderts der Atmosphäre wieder entzogen
werden – und damit die Klimabilanzen der Länder aufgebessert werden.
Derzeit emittieren die Staaten pro Jahr fast 40 Gigatonnen an CO₂.
»Wir
können uns jetzt nicht den Luxus erlauben, nur eindimensional zu
denken«, so Oliver Geden, Klimaexperte der Stiftung Wissenschaft und
Politik (SWP), zum SPIEGEL. »Die Zeit drängt und wir müssen über alle
Möglichkeiten reden«.
Geden hat sich mit den Möglichkeiten zum »Carbon Dioxide Removal«
(CDR) beschäftigt. Darunter fallen alle Technologien und Methoden, die
CO₂ aus der Atmosphäre entfernen und sogenannte Negativemissionen
ermöglichen. »Es ist höchste Zeit, dass die Regierungen diese
Klimaschutzmaßnahmen endlich ernst nehmen«, so Geden. »Die Mehrheit der
Staaten hat mittlerweile Netto-Null-Ziele bis Mitte des Jahrhunderts,
aber kaum jemand will ernsthaft darüber reden, wie diese erreicht werden
sollen . « Wer sich ein »Netto«-Ziel setze, sage damit schon, dass es
unvermeidbare Restemissionen geben wird, die dann ausgeglichen werden
müssen. Anderenfalls wäre es nur ein »Null-Emissionsziel«, so Geden.
Für eine solche CO2 -Entnahme gibt es ganz unterschiedliche Lösungen . Das Gas kann etwa:
über
Pflanzen durch Fotosynthese gebunden werden. Das geschieht durch
Wiederaufforstung oder etwa den Anbau von Pflanzen und deren
anschließende Verwertung und Untergrundspeicherung des CO₂ – auch BECCS
genannt.
durch beschleunigte Verwitterung von Gestein gebunden werden.
Außerdem gibt es mittlerweile CO₂-Vermeidungstechnologien , die im
Bericht ebenfalls eine Rolle spielen: So kann das CO₂ aus einer
Produktionsanlage abgeschieden, verflüssigt und schließlich im
Untergrund gespeichert werden, auch Carbon Capture and Storage (CCS )
genannt. Das geschieht bereits in Pilotanlagen bei Zementwerken. Dann
wird es zwar nicht aus der Luft geholt, aber sein Ausstoß in die
Atmosphäre verhindert.
Der
Bericht macht klar: Je länger wir uns mit »normalem« Klimaschutz Zeit
lassen, desto nötiger werden solche Techniken. Laut dem ersten
Teilbericht des Weltklimarates, der im August erschien, ist der Zug
eigentlich bereits abgefahren. Demnach wird die 1,5 Grad-Schwelle
bereits in den 2030er-Jahren überschritten, selbst beim ehrgeizigsten
Szenario. »Es ist unwahrscheinlich, dass wir da drunter bleiben werden –
aber vielleicht kommen wir im Laufe des Jahrhunderts dahin zurück«, so
Geden.
Geden argumentiert: In den vergangenen Jahren sind die
Emissionen – außer in der Corona-Pause – nicht gesunken, es gibt ein
konstant hohes Level an zusätzlichen Klimagasen. »Für viele Regierungen
ist das eine unbequeme Diskussion, aber sie muss dringend geführt
werden, wenn sie es mit den globalen und nationalen Klimazielen halbwegs
ernst meinen «, so der Sozialwissenschaftler. In Deutschland stehe das
seit Jahren auf der Agenda – aber bisher habe man sich nicht festlegen
wollen.
Konstant hohes Level an zusätzlichen Klimagasen Die Debatte ist noch recht jung – und unbequem, besonders wenn es um die Risiken der CO2 -Entnahme
und Speicher-Techniken geht. Etwa die Untergrundspeicherung wurde von
der Zivilgesellschaft in der Vergangenheit scharf kritisiert. Aus diesem
Grund gibt es in Deutschland seit 2012
ein Quasi-Verbot für CCS . Die Szenarien der Weltklimaberichte rechnen
schon länger mit solchen Technologien. Im aktuellen Klimabericht heißt
es allerdings, dass deren weltweite Verbreitung in den vergangenen
Jahren hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Es fehlten politische
Instrumente und öffentliche Unterstützung für die Technologie.
Einige CO2 -Entnahme-Techniken
lassen sich dagegen schon heute breit anwenden: So könnten bis 2030
fast fünf Gigatonnen CO₂ pro Jahr allein durch CO2 -Bindung
auf Ackerböden erreicht werden, etwa durch schonenderes Pflügen oder den
Anbau bestimmter Pflanzenarten. Das klingt zwar weniger aufregend, ist
aber weitaus realistischer als unterirdische Speicher.
»Biologische
Methoden wie die Aufforstung oder die verstärkte Speicherung von CO₂ in
Böden schneiden hinsichtlich der Kosten sehr gut ab«, bestätigt Geden.
Allerdings bestehe bei fortschreitendem Klimawandel die Gefahr, dass das
CO₂ nicht dauerhaft gespeichert werde.
Die Einsparung durch CCS wird dagegen zumindest im nächsten Jahrzehnt auf weit unter einer Gigatonne geschätzt. Auch DACCS – also das Einfangen von CO₂ aus der Luft und dessen Speicherung im Untergrund – habe laut Geden theoretisch ein sehr großes Potenzial – sei aber bisher noch kostspielig und verbrauche viel Energie. »Es geht nicht darum, sich jetzt auf eine Technik festzulegen«, sagt Geden. »Aber die Regierungen müssen realisieren, dass sie um das Thema nicht herumkommen und die Ziele anders auch nicht schaffen.«
Änderung des Lebensstils: Gewinn statt Verzicht Gleichzeitig kann sich die Menschheit nicht nur auf findige Ingenieure verlassen. Soll der Klimawandel ausgebremst werden, muss sich auch unser Alltag ändern, heißt es in dem Bericht . So könnten weltweit allein 40 bis 70 Prozent aller Emissionen bis 2050 durch einen veränderten Lebensstil eingespart werden. Den größten Anteil daran hätten das Energiesparen beim Wohnen und in der Industrie, aber auch eine Neuorganisation von Städten – und die dezentrale Versorgung von Gebäuden mit erneuerbaren Energien.
Es gebe laut Bericht enorme Potenziale beim klimafreundlichen Heizen und Kühlen, Stromsparen, bei Alternativen zum Autoverkehr , weniger Flugreisen oder im Recycling. Allein eine Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung und die Vermeidung von Lebensmittelabfällen könnte die weltweiten Emissionen pro Jahr um etwas über zwei Gigatonnen reduzieren – das entspricht knapp dreimal dem CO2 -Ausstoß von Deutschland.
Die Autoren und Autorinnen kamen zu dem Schluss, dass eine andere Art zu konsumieren, zu essen oder sich fortzubewegen auch das Wohlbefinden steigert. Kein Verzicht also, sondern ein Gewinn.»Teile unseres derzeitigen Lebensstils sind nicht nur klimaschädlich,
sondern schaden auch unserer Gesundheit und sind mit hohen Kosten für
die Allgemeinheit verbunden«, sagt der Co-Autor des Kapitels Felix
Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate
Change (MCC) dem SPIEGEL. »Unser heutiges fossiles System ist zutiefst
unlogisch und kontraproduktiv in jeglicher Hinsicht. «
Ein Beispiel
ist der Autoverkehr in Innenstädten. Durch mehr Fahrräder, Fußgänger
und öffentliche Verkehrsmittel gebe es laut Bericht weniger Stau,
Luftverschmutzung und Lärmbelästigung – und das Wohlbefinden der Städter
steigere sich. »Das derzeitige autozentrierte System der Europäischen
Union führt zu etwa 500 Milliarden Euro an externen Kosten jährlich,
während zu Fuß gehen und Fahrradfahren der Allgemeinheit 90 Milliarden
Euro an Gewinn bringen «, erklärt Creutzig. Sichere Fahrradwege könnten
zudem europaweit 10.000 vorläufige Todesfälle vermeiden.
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