Spiegel hier Von manager-magazin-Redakteurin Eva Müller
Kriegsgewinnler werden jetzt bestraft
Reinhold Würth kennt die Grausamkeit des Krieges aus eigener Erfahrung. Als Junge sah der Unternehmer nach dem Bombardement von Heilbronn Leichen am Straßenrand liegen. Die Attacke eines Jagdfliegers überlebte er nur knapp: »20 Meter weiter links, und ich wäre tot gewesen.« Im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg appellierte er 2020: »Es gibt nichts Schlimmeres als Krieg.«
Der Angriff des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Ukraine bewegt den 86-jährigen Unternehmer deshalb »zutiefst«. Würth beschäftigt in der Ukraine 118 Mitarbeiter. Der Milliardär und seine Tochter Bettina Würth beschlossen, den Mitarbeitenden vor Ort und deren Familien zu helfen. Die Würths entschieden mit den Führungsgremien ihres Schraubenkonzerns, eine Million Euro zu spenden. Parallel schickte der Betriebsrat drei 40-Tonner und mehrere Transporter mit Sachspenden Richtung Kriegsgebiet.
Wie selten zuvor lenkt der Krieg in der Ukraine das Augenmerk auf die ethische Dimension des Wirtschaftens. Welche gesellschaftliche und moralische Verantwortung müssen Unternehmen übernehmen? Wie sollen und können sie auch über die Profitinteressen hinaus für das Leben und die Rechte von Menschen in ihrem Umfeld einstehen?
Die Standardantworten auf diese Sinnfragen hat Würth in den vergangenen Jahren von seiner Abteilung Umwelt, Soziales und Gesellschaft (ESG) ausarbeiten lassen. Die Nachhaltigkeitsfachleute haben für den Konzern mit 83.000 Mitarbeitenden in mehr als 80 Ländern einen ethischen Verhaltenskodex entwickelt. Die Regeln zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der Lieferkette werden von hauseigenen Spezialisten überwacht.
Eine Extremsituation wie Russlands Krieg passt allerdings nur schwer in die Vorzeigekodizes der Konzerne. Würth lässt sein Russlandgeschäft zunächst weiterlaufen, unter Einhaltung aller Sanktionen natürlich.
Andere Konzerne gingen über die staatlichen Sanktionen hinaus: Apple, Nike, H&M, Ikea, und Adidas hatten ihre Läden in Russland kurz nach Kriegsbeginn geschlossen. Techkonzerne wie Oracle, Intel oder sogar Lenovo aus China, Autobauer wie BMW, Mercedes oder VW stoppten ihr Russlandgeschäft ebenso wie die Ölriesen Shell, BP und Exxon, die Investments von knapp 20 Milliarden Euro abschrieben. Tengelmann-Eigner Christian Haub rechnet gar mit Enteignung, nachdem er die 27 Obi-Filialen schließen ließ.
Die entschiedene Reaktion der Multis entspricht dem Zeitgeist. Bereits 2011 legten die Vereinten Nationen fest, dass Firmen in ihrem Einflussbereich für die Wahrung der Würde der Menschen und den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen verantwortlich sind. In 17 Zielen beschreiben sie die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung. Was zunächst freiwillig war, wird nach und nach in Gesetzesform gegossen: Ethisches Management, so der Plan, soll Gewinnmaximierung als Hauptziel allen Wirtschaftens ablösen.
Was das bedeutet, werden die deutschen Topmanagerinnen und -manager spätestens ab dem 1. Januar 2023 spüren. Das Gesetz, das dann in Kraft tritt, klingt wie ein Anschlag auf die deutsche Sprache. Dafür beschreibt der Titel aber sehr präzise, worum es geht: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Es legt fest, dass Unternehmen – auch im Kriegsfall – systematisch gegen Verletzungen von Grundrechten vorgehen müssen. Und zwar entlang ihrer gesamten Lieferkette – von den Rohstoffen bis hin zu den Auswirkungen auf die Kunden. Dafür müssen sie alle Stufen ihrer Wertschöpfung auf Menschenrechts- und Umweltrisiken prüfen, bei Verstößen Abhilfe schaffen und jährlich berichten.
Es ist der bislang schärfste Vorstoß, die deutschen Unternehmen ethisch in Verantwortung zu nehmen. Anosha Wahidi jedenfalls, die für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit das Regelwerk mitverhandelte, lässt keinen Interpretationsspielraum: »Die Unternehmen müssen die Risiken ihrer Tätigkeit für Mensch und Umwelt aktiv in ihr Wirtschaften einbeziehen«, sagt die Referatsleiterin. Bei Verstößen drohen Geldbußen von bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes sowie der zeitweilige Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.
Lange wehrten sich die Lobbyisten gegen das Gesetz, setzten Abschwächungen durch. So betrifft es zuerst nur Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden in Deutschland. Ab 2024 sind auch die mit mehr als 1000 Personen gefordert. BDI-Präsident Siegfried Russwurm will bis heute die Unternehmen weitgehend aus politischen Konflikten heraushalten. »Diskussionen sollten Staaten mit Staaten führen«, sagt er in einer Publikation von Roedl & Partner. Die Berater sekundieren mit einer Auflistung der Probleme, die das LkSG für Firmen schafft – von der unbeherrschbaren Komplexität der Lieferkette über Wettbewerbsverzerrungen bis zu unklaren Haftungsfragen.
Mit derlei Argumenten konnten die Verbände lange allzu scharfe Vorgaben abwehren. Während in Kalifornien (2012), den USA (2013), Großbritannien (2016), Frankreich (2017) und Australien (2019) längst strenge Gesetze gelten, verschafften die deutschen Lobbyorganisationen ihren Mitgliedern 2016 mit einem Nationalen Aktionsplan (NAP) Aufschub. Über fünf Jahre sollten sie sich freiwillig zur Moral verpflichten.
Was den meisten prompt egal war. Mehr als 80 Prozent der Unternehmen kamen ihren Sorgfaltspflichten nicht nach, ermittelte EY in Begleitumfragen zum NAP. Dass die Verbände bis dato maulen, das im Sommer 2021 verabschiedete Gesetz sei unpräzise und schwer zu realisieren, ist für Wahidi »der Beweis, dass sich kaum jemand damit beschäftigt hat«. Längst lägen ausführliche Kommentierungen und Hilfestellungen vor.
Viel Zeit bleibt den Säumigen nun nicht mehr. »Für 2023 wird es eng«, warnt Anwalt Lothar Harings. Der Partner der Hamburger Kanzlei Graf von Westphalen empfiehlt den Unternehmen, das LkSG ernst zu nehmen: »Das ist ein scharfes Schwert.«
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) überwacht seine Einhaltung und darf Bußgelder verhängen. Bafa-Präsident Torsten Safarik kündigte an, die dafür aufgebauten Zweigstellen in Borna und Merseburg würden pünktlich loslegen.
Ethisch korrekt oder weg
Renata Jungo Brüngger strebt nach dem Status der Klassenbesten. Die Vorständin für Integrität und Recht bei Mercedes hat frühzeitig begonnen, den Konzern auf ethisches Wirtschaften auszurichten: »Unser Geschäft muss nachhaltig werden, oder wir haben irgendwann keines mehr«, sagt sie. Nicht nur Kunden und Mitarbeiter verlangten unternehmerische Verantwortung für Mensch und Natur, sondern zunehmend auch die Investoren.
In der Autobranche lauern besonders viele Risiken für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden: Leder für die Innenausstattung, Kautschuk für die Reifen, Eisenerz, Bauxit und Kupfer für Karosserie oder Kabel – überall kann etwas schieflaufen. Der Umstieg auf Elektromobilität erzeugt zusätzlich Probleme: Die Batterierohstoffe stammen oft aus Ländern mit prekären Arbeits- und Umweltbedingungen.
Vor sechs Jahren begann Mercedes damit, die Menschenrechtsrisiken in seiner Lieferkette mit mehr als 60.000 direkten und unzähligen mittelbaren Zulieferern zu identifizieren.....
Wenn ein Menschenrechtsrisiko erkennbar sei – etwa weil Nichtregierungsorganisationen (NGO) oder Medien über Probleme bei bestimmten Rohstoffen und Produktionsbedingungen berichten –, müssen die Unternehmen künftig laut LkSG auch bei mittelbaren Lieferanten agieren. Das Prinzip der »substantiierten Kenntnis« fordere, sich selbst zu informieren, erklärt Thomas Melde. Der Geschäftsführer der Nachhaltigkeitsberatung Akzente empfiehlt Datenbanken und Plattformen wie Ecovadis oder Sedex. Auch in NGOs wie Germanwatch, Oxfam oder Amnesty International gebe es »extrem viel Know-how«.
...Natürlich drückt ethisches Verhalten erst mal die Margen. Gerade in einer akuten Notlage wie einem Krieg zeige sich aber der »langfristige Nutzen einer durchgängigen Kontrolle über die Lieferkette« besonders deutlich, sagt Alberto Zamora, Mitgründer des auf Lieferantenmanagement spezialisierten Start-ups Osapiens. Wer ein Vertrauensverhältnis zu seinen Partnern aufgebaut hat, wird in Krisen besser bedient. Außerdem erkennt er durch Risikoanalysen schneller drohende Ausfälle und kann umsteuern
In Zukunft werden wohl weitere, deutlich strengere Gesetze erlassen. Der Ende Februar vorgelegte Entwurf für eine EU-weite Lieferkettenregelung geht deutlich über die deutschen Bestimmungen hinaus. Er sieht etwa eine privatrechtliche Haftung bei Menschenrechtsverstößen vor – die Firmen könnten verklagt werden. Zudem wird ein Importverbot für Waren debattiert, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden.
Kein »Business as usual«
Ausbeutung versucht Engelbert Strauss in Bangladesch zu verhindern. Der Anbieter von Arbeitskleidung lässt dort in zwölf Betrieben von rund 19.000 Menschen gut 40 Prozent seiner Produktion fertigen. »Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir die Sozial- und Umweltstandards vor Ort weiterentwickelt«, erzählt Steffen Strauss, der mit Bruder Henning die Familienfirma führt. ...
Einen umfassenden Code of Conduct für Soziales und Umwelt sowie regelmäßige Prüfungen vor Ort hat Nanda Bergstein bei Tchibo vor mehr als zehn Jahren eingeführt. Mit Dutzenden Mitarbeitern und zweistelligem Millionenbudget kümmert sie sich als Direktorin bei der Kaffee-und-Kram-Kette um Corporate Responsibility.....
Das
LkSG gibt den Advokaten ethischen Handelns schlagkräftige Argumente an
die Hand. Was das im Kriegsfall bedeutet, erklärt Spitzenbeamtin und
LkSG-Autorin Wahidi.
Kriegerische Auseinandersetzungen stellen ein
Risiko für Menschenrechtsverletzungen dar. Unternehmen mit Engagement in
der Ukraine sind deshalb aufgefordert, alles zu tun, um Schaden von den
Beschäftigten vor Ort abzuwenden: »Auf keinen Fall dürfen etwa die
Einkäufer verlangen, dass Lieferanten im Kriegsgebiet ihre Leistung wie
vertraglich vereinbart erbringen.« Zudem müssten sie im Rahmen ihrer
Möglichkeiten Gefahren abwenden. So könnten sie Tiefgaragen zu
Luftschutzräumen umwidmen, Notstromaggregate bereitstellen oder
gefährliche Chemikalien abpumpen, die bei Beschuss auslaufen könnten.
Konkret, sagt Wahidi, heiße das: »Im Krieg kann es kein Business as usual geben.«
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