Businessinsider hier Christiane Rebhan
Landwirtschaftsminister Özdemir gewinnt ersten Showdown gegen Agrarlobby
Zum ersten Mal seit Beginn seiner Amtszeit muss Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) in den direkten Nahkampf mit den Landwirten.
Seit Wochen steht der Minister bei den Bauern in der Kritik. Sie finden, er stülpe ihnen seine idealistischen, ökologischen Ideen über. Dabei sind die Landwirte von der Energiekrise stark betroffen und wegen des Ukraine-Krieges zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung gefordert.
Im Bundesrat ging es am Freitag darum, ob die Bauern auch auf Ökoflächen künftig anbauen, düngen und spritzen dürfen. Doch der Minister setzte sich mit seinem Plan durch.
Es war der erste Machtkampf zwischen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und der Bauernlobby – im Bundesrat vertreten durch den Agrarausschuss. Und der Grünen-Politiker geht als Sieger hervor. In Deutschland wird zwar künftig auch auf Flächen Landwirtschaft betrieben, die eigentlich brach liegen sollen, aber es darf dort weiterhin nicht gedüngt werden.
Damit hat Özdemir den Krimi, der seit Wochen im Hintergrund aufgeführt wurde, für sich entschieden.
Normalerweise sind die sogenannten ökologischen Vorrangflächen dafür gedacht, die Artenvielfalt neben Ackerflächen zu erhalten, sie sind als Ausgleichsmaßnahmen nach Bundesnaturschutzgesetz gedacht. Auch Streuobstwiesen oder Feuchtwiesen zählen dazu. Kein Bauer würde seinen besten Boden als ökologische Vorrangfläche abtreten – in der Regel ist es auf diesen Feldern also sowieso schwierig, richtig viel zu ernten. Doch weil im Zuge des Ukraine-Kriegs eine weltweite Lebensmittelknappheit droht, hat die EU-Kommission erlaubt, auf den Ökoflächen zusätzlich Pestizide und Dünger zur Produktionssteigerung auszubringen. Dieser Linie hat sich der Agrarausschuss im Bundesrat angeschlossen und gegen Özdemirs Ministeriumsverordnung eine eigene Vorlage zur Abstimmung eingebracht. Der Ausschuss empfahl, auf den Brachflächen das ganze Jahr hinweg auf den Flächen Lebens- oder Futtermitteln anzubauen und dort auch Pestizide und Dünger zu verteilen.
Wie viel bringt die Idee des Agrarausschusses?
Das Thünen-Institut für Ländliche Räume schätzt, dass auf den Ackerflächen, über die im Bundesrat gestritten wurde, maximal 0,6 bis 0,8 Millionen Tonnen Getreide geerntet werden könnten. Das klingt nach sehr viel Nahrung, allerdings: In Deutschland werden in einem durchschnittlichen Jahr – also ohne große Dürren oder Hochwasser – 45 Millionen Tonnen Getreide geerntet.
Auf der ganzen Welt sind es etwa 2,5 Milliarden Tonnen. Etwa 170.000 bis 250.000 Hektar wären bundesweit überhaupt bestellbar gewesen. Nach Experteneinschätzungen sieht das Landwirtschaftsministerium die Möglichkeit, auf den Flächen zusätzliches Futter in Höhe von etwa 1,5 bis 2 Millionen Tonnen zu erzeugen. Würde man zusätzlich noch erlauben, dort zu düngen, wären laut einer Ministeriumssprecherin „deutlich höhere Futtererträge möglich“. Für so manche Aussaat wäre es nach Einschätzung der Landwirte inzwischen sowieso zu spät: Maximal Herbstfrüchte wie Sojabohnen oder Körnermais hätten die Bauern noch anpflanzen können, für Weizen wäre die Entscheidung zu spät gekommen.
So lief die Abstimmung im Bundesrat
Nachdem noch in dieser Woche sowohl von den Naturschutzverbänden, als auch von Interessensvertretern der Bauern viele Telefonate mit den Landesministern geführt wurden, enthielten sich die Länder, in denen die Grünen mitregieren (u.a. Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein). Damit reichte es nicht für eine absolute Mehrheit.
Angenommen wurde also der Vorschlag von Özdemir: Ab 1. Juli dürfen die Brachflächen und Zwischenfruchtflächen für die Futternutzung verwendet werden, auch Tiere können dort weiden. Özdemir sagte: „Es ist gut, dass der Bundesrat nicht so weit gegangen ist, wie manche gefordert haben. Eine völlige Produktionsfreigabe und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln hätte erhebliche negative Auswirkungen auf die Biodiversität. Allein das Umpflügen von Brachflächen, die teilweise seit Jahren stillgelegt sind, setzt zusätzliches CO₂ frei.“
Doch der echte Kampf steht dem Minister erst im kommenden Jahr bevor, denn ab 2023 müssen die Landwirte fünf Prozent ihres Ackerlands als nicht produktive Fläche ausweisen, auf denen dann unter anderem nicht gedüngt werden darf. Das ist noch einmal deutlich mehr als die eins bis zwei Prozent über die an diesem Freitag gestritten wurde. Zudem fordert Bauernverband – ähnlich der Gasreserve des Bundes – eine Stickstoffreserve anzulegen, um der Düngemittelknappheit entgegenzuwirken. Und auch da gehen die Vorstellungen der Landwirte und die des Ministers weit auseinander: Eine Ministeriumssprecherin sagte Business Insider: „Diese Forderung ist aus technischer Sicht problematisch (Sicherheit, Lagerfähigkeit des Stickstoffs). Die Firmen, die diese Art von Düngemittel produzieren, sollten ausreichend Gas zur Verfügung haben, damit die Düngemittel zum richtigen Zeitpunkt produziert werden können.“ Zur Nahrungsmittelknappheit kommt also auch noch die Energiekrise auf den Feldern in Deutschland an.
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