Südkurier 08.04.2022 hier
Auszüge aus einem Interview mit Walter Schmid:
Walter Schmid lebt seit acht Jahren in Friedrichshafen und engagiert sich ehrenamtlich als Vorsitzender des Kreisseniorenrats, bei den Grünen, beim Frühlingserwachen und beim Bündnis für Vielfalt. Im Januar hielt er alleine eine Mahnwache für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor dem Rathaus in Friedrichshafen.
Herr Schmid, lebt Ihre Generation auf Kosten junger Menschen?
Ja, sie hat auf Kosten der Jungen gelebt und lebt auch heute noch so. Da habe ich einen ganz radikalen Standpunkt. Meine Generation, also die Nachkriegsgeneration, hatte die Möglichkeit, ein sehr privilegiertes Leben zu führen – wie nie zuvor in der Weltgeschichte. Wir Älteren haben die Welt in dem Zustand hinterlassen, in dem sie jetzt ist. Das trage ich mit mir herum. Ich spüre häufig ein schlechtes Gewissen.
Welchen Zustand meinen Sie?
Zum Beispiel den Klimawandel oder die immer stärkere Spaltung der Gesellschaft, die man während der Corona-Pandemie gesehen hat. Die Leute setzen sich nicht mehr genug für Freiheit und Frieden ein, finde ich....
Stellen Sie Ihren Altersgenossen ein derart schlechtes Zeugnis aus, dass sie nun handeln müssen?
Nehmen wir das Beispiel Ökologie. Als Zeugnisnote würde ich hier ein Mangelhaft vergeben. Denn die Erkenntnisse des Klimawandels liegen schon lange vor – und trotzdem haben wir nichts geändert. Viele Senioren haben aber heute die Zeit, etwas zu bewegen. Sie können etwa zu Fuß mit dem Rucksack einkaufen gehen, anstatt das Auto zu nehmen.
Vergeben Sie weitere schlechte Noten?
Auch wirtschaftlich hätten wir mehr vorsorgen müssen, besonders in guten Zeiten. Hohe Pensionen und Renten gehen heute auf Kosten der Jungen – sie werden deutlich weniger bekommen. Das gilt auch für meine beiden Söhne, die 39 und 46 Jahre alt sind. Sie werden Abschläge hinnehmen müssen. Zudem haben rechte Parteien ihre meisten Anhänger bei älteren Leuten. Auch das kann ich nicht verstehen. Für das politische Handeln gebe ich uns daher eine Vier minus.
Aber junge Menschen wachsen heute doch in Wohlstand auf. Übertreiben Sie nicht?
Wenn man den Wohlstand unserer Gesellschaft als Grundstein legt: Ja. Den haben natürlich auch wir geschaffen. Das war eine große Leistung. Aber in den 1960er oder 70er Jahren, als sich vieles materiell nach dem Krieg verbessert hat, galt weiterhin das Motto „Höher, schneller, weiter“. Wir haben das zu wenig hinterfragt und nicht aufgepasst. Die Folgen, wie etwa den Klimawandel, dürfen unsere Nachkommen ausbaden.
Was also ist zu tun?
Senioren, die noch fit sind, sollten sich mehr für die Gesellschaft engagieren. Ich glaube, vielen älteren Menschen ist nicht bewusst, wie die verschiedenen Generationen zusammenhängen......
Fragen: Mario Wössner
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