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Österreich
müsste eigentlich bereits in acht Jahren klimaneutral sein, sagt Arnulf
Grübler, Mitautor des dritten Teils des IPCC-Berichts. In diesem geht
es um die Möglichkeiten, mit denen die Klimakrise noch abgeschwächt
werden kann.
Viele der Maßnahmen wären schnell umzusetzen, gut leistbar
und hätten sogar positive Nebeneffekte. Es würde uns unterm Strich
besser gehen.
Das müsse öfter gesagt werden, anstatt ständig die
Klimakatastrophe an die Wand zu malen.
Sie sind seit 1995 an den Berichten des Weltklimarats IPCC beteiligt. Was hat sich seither in der Forschung getan?
Arnulf Grübler: Eigentlich wenig. Wir haben damals schon das meiste gewusst. Jetzt gibt es bloß mehr Studien, die in die Tiefe gehen, und wir können dadurch Unsicherheiten besser eingrenzen und etwa das verbleibende CO2-Budget berechnen. Die größte Veränderung ist aber, dass wir nicht mehr alles aus der Klimaperspektive betrachten. Wir schauen uns mittlerweile Klimaschutz im Kontext der nachhaltigen Entwicklung an. Viele vor allem nachfrageseitige Maßnahmen können in mehreren Bereichen gleichzeitig Vorteile bringen.
Mein Lieblingsbeispiel ist die Digitalisierung. Dadurch können wir unseren Konsum so organisieren, dass wir ein Auto nicht mehr besitzen, sondern leihen. In so einer “Shared Economy” (deutsch: Gemeinschaftswirtschaft) verbinden wir öffentliche Verkehrsmittel mit Fahrrädern, Scootern und Car-Sharing und schaffen ein kostengünstiges Mobilitätspaket für alle. Mit viel weniger Fahrzeugen, Ressourcen, Staus und einer besseren Luftqualität.
Am Montag ist der dritte Teil des aktuellen Weltklimaberichts erschienen. Was sagt uns dieser über die Möglichkeiten zur Abschwächung der Klimakrise?
Grübler: Wir werden sogar das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen können, wenn drastische Maßnahmen raschest umgesetzt werden. Ansonsten ist das Ziel nicht mehr erreichbar und wir werden mit höherem Klimawandel leben müssen. Fest steht, wir müssen global die Emissionen ungefähr ums Jahr 2050 auf null bringen. Österreich müsste schon 2030 klimaneutral sein, wenn man bedenkt, dass die internationalen Verpflichtungen bisher weit verfehlt wurden und ein Entwicklungsspielraum für Indien und Afrika notwendig ist.
Neu im Bericht ist, dass dieser zeigt, wie stark die Kosten vieler
klimafreundlicher Maßnahmen gesunken sind. Vor allem bei kleinen,
seriellen Technologien wie Windturbinen, Photovoltaik, Brennstoffzellen
und Batterien.
Nicht aber bei großen Kraftwerken und Geoengineering. Das
liegt vor allem daran, dass die kleinen, modularen Technologien viel
stärker genutzt werden und wir so mehr Lerneffekte und rasche
Verbesserungen erzielen können.
Was war Ihre Aufgabe für diesen Bericht?
Grübler: Ich habe am neuen Kapitel 5 mitgearbeitet.
Darin werden nachfrageorientierte Maßnahmen begutachtet. Was brauchen
wir wirklich für eine gute Lebensqualität?
Brauchen wir die Technologie,
oder eher das, was sie uns ermöglicht?
Hier passt wieder das Beispiel
der Mobilität: Wollen wir ein Auto, oder wollen wir einfach von A nach B
kommen?
Wenn wir nachfrageorientierte Maßnahmen treffen, könnten wir
bis zu 80 Prozent der CO2-Emissionen einsparen.
Welche Maßnahmen wären das?
Grübler: Wir müssen Rohstoffe besser nutzen.
Die
Energienachfrage muss sinken und wir müssen mit dem Verbrauch runter.
Ein klassisches Beispiel ist die Wärmedämmung.
Ein anderes die
Elektrifizierung von Fahrzeugen. Ein Elektromotor ist mehr als dreimal
so effizient wie ein Verbrennungsmotor.
Außerdem brauchen wir eine
funktionierende Kreislaufwirtschaft.
Und wir müssen eben Mobilität
anders denken. Ich habe da ein Problem mit dem Wort “Verzicht”.
Ist es
Verzicht, wenn ich bei schönem Wetter mit dem Fahrrad fahre, anstatt in
der verstauten Innenstadt einen Parkplatz suchen zu müssen? Wir bewegen
uns ohnehin zu wenig, da tut ein bisschen Bewegung auch der Gesundheit
gut.
Und wie schaffen wir die anderen zwanzig Prozent?
Grübler: Da braucht es hauptsächlich serielle erneuerbare Technologien wie Brennstoffzellen, Photovoltaikanlagen, Windenergie und Kraftwerke. Das war’s dann schon. Wir brauchen keine grandiose Wasserstoff-Ökonomie. Das würde zu lange dauern und wäre zu aufwendig. Zudem könnten wir unseren Energieverbrauch ohnehin um bis zu 40 Prozent verringern und wären dann weniger vom russischen Erdgas oder von importieren Alternativen abhängig.
Was bedeutet das konkret für Europa und Österreich? Wie schnell muss das umgesetzt werden?
Grübler: Am besten schon vorvorgestern. Wir haben zu lange nichts gemacht. In ganz Europa müssten die Emissionen bis 2030 auf null. Möglichkeiten gibt es genug. Europa könnte so sogar wieder zum Innovations- und Marktführer im Nachhaltigkeitsbereich werden. Man könnte dafür sogar einen IPCC-Sonderbericht einfordern, der den Weg skizziert.
Wie kann man sicherstellen, dass dafür notwendige nationale Maßnahmen sozial gerecht sind? Was muss die Bundesregierung gegen die sozialen Ungleichheiten innerhalb Österreichs unternehmen?
Grübler: Ein erster Schritt wäre, mit
klimaschädlichen Subventionen aufzuhören.
Im IPCC-Bericht steht, dass
mehr als 50 Prozent der globalen Emissionen im Flugverkehr vom reichsten
Prozent der Bevölkerung verursacht werden. Diese Emissionen werden
nicht einmal besteuert. Wenn Benzin teurer wird, werden die “armen”
Leute am Land mit einer höheren Pendlerpauschale entschädigt. Aber das
Pendlerpauschale dient ja nicht nur den Armen, sondern vor allem der
Mittelklasse und den Reichen. Das ist eine undifferenzierte
Gießkannen-Politik. Dann wird gejammert, dass die Steuern für große,
schwere SUVs höher sind als für kleinere Autos. Aber diese
Steuerbelastung ist ungleich weniger als der zusätzliche Klimaschaden
der SUVs. Diese müssten noch viel teurer werden. Darum sage ich: Tax the
dirty Rich (deutsch: Besteuert die schmutzigen Reichen)!
Für niedrige Einkommen braucht es dagegen gezielt finanzielle Unterstützung und eine staatliche Anschubfinanzierung, etwa für die thermische Sanierung. Das kann man dann ja mit der Energieeinsparung zurückbezahlen. Schön und gut, dass es da bei Neubauten strengere Standards gibt. Aber wir müssen endlich den Altbestand angehen. Das ist ein absoluter Skandal. In Wien werden pro Jahr circa 2.000 Gemeinde-Wohnungen saniert. Wenn das so weiter geht, dauert es 100 Jahre, bis alle Wohnungen saniert sind. Aber wir haben nur 20 Jahre Zeit, um das 1,5-Grad-Limit nicht zu überschreiten. Niemand spricht über diesen Skandal. Obwohl das ein wichtiges sozialpolitisches Thema ist, denn gerade in den Gemeindebauten wohnen Leute, die eher bedürftig sind und jetzt eine hohe Energierechnung zu zahlen haben.
Welche Sanierungsrate bräuchte es in etwa?
Grübler: Im IPCC-Bericht ist von etwa 3 Prozent der Gebäude pro Jahr die Rede. Momentan sind wir in Europa bei weniger als einem Prozent. Es braucht also eine Verdreifachung. Modelle gäbe es zur Genüge. In den Niederlanden gibt es beispielsweise ein Unternehmen, das einfach eine neue energiesparende Fassade über das ganze Haus stülpt. Mit integrierter Photovoltaik und dergleichen. Das dauert eine Woche und die Bewohner können während der Bauarbeiten sogar im Haus bleiben.
Der Klima- und Energieexperte Stephan Singer vom NGO-Netzwerk “Climate Action Network” schrieb am Sonntagabend über den Bericht, dass er zwar nicht perfekt sei - und das würde man von einem politisch ausverhandeltem Bericht nicht erwarten - aber er sei dennoch außergewöhnlich. Teilen Sie diese Einschätzung?
Grübler: Für mich als Wissenschafter ist er nicht außergewöhnlich, weil er kaum Neues bringt und nur bestätigt, was wir ohnehin schon lange wissen. In gewissen Bereichen ist er - vorsichtig formuliert - leicht missinterpretierbar. Aber der Bericht ist ja nicht an die Wissenschaft adressiert, sondern eine “Zusammenfassung für Politikfindung”. Wenn jemand von einer NGO sagt, dass der Bericht wichtig ist und trotz aller Schwächen einen guten Fortschritt bietet, dann freut mich das. Meine eigene Meinung als Wissenschafter ist da völlig irrelevant. Mich ärgert aber, dass viele Formulierungen und Grafiken so kompliziert sind. Es bräuchte eine Zusammenfassung, die jeder versteht.
Die Berichte des Weltklimarats IPCC sind mehrere tausend Seiten dick. Was sagen sie uns nicht, was aber unbedingt gesagt werden sollte?
Grübler: Wie man über den Bericht kommunizieren soll. Ich persönlich ziehe es vor, positive Beispiele zu bringen. Wenn wir Klimaschutz richtig angehen, wird die Welt besser, schöner, angenehmer, humaner und gleicher. Natürlich werden Probleme auftauchen, aber die kann man lösen. Man darf nicht immer verlangen, dass alles in einem Guss von vornherein ideal ist. Machen wir Klimaschutz bitte nicht, nur weil wir Angst vor der Klimakatastrophe haben, sondern machen wir es, weil wir eine bessere, lebenswerte Welt haben wollen und auch erreichen können - mit den richtigen Maßnahmen.
Zur Person: Arnulf Grübler ist emeritierter Wissenschafter am IIASA-Institut in Laxenburg (NÖ). Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der langfristigen Geschichte und Zukunft von Technologie und Umwelt, insbesondere in Energie-, Verkehrs- und Kommunikationssystemen. Seit 1995 ist er leitender bzw. mitwirkender Autor der Sachstandsberichte des Weltklimarat IPCC.
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