Energiewende in Deutschland 9.04.2022 im Deutschlandfunk hier
Mit dem sogenannten Osterpaket will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Deutschland unabhängiger machen – von russischen Energieimporten und fossilen Rohstoffen gleichermaßen. Bis 2035 soll die Stromversorgung nahezu komplett aus erneuerbaren Energien erfolgen. Ist das realistisch?
Der Ausbau von Wind- und Solarenergie in Deutschland kam in den vergangenen Jahren unter der alten Bundesregierung kaum voran, 2021 sank der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung sogar. Mit dem sogenannten Osterpaket soll sich das ändern. Robert Habeck (Grüne), Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat das Energiesofortmaßnahmen-Paket, so der offizielle Name, am 6. April der Öffentlichkeit vorgestellt. Damit soll die Stromversorgung in Deutschland bis 2030 zu 80 Prozent und bis 2035 nahezu ausschließlich aus erneuerbaren Energien generiert werden.
Zentral ist die neue Einstufung: Der Ausbau erneuerbarer Energien liegt im „überragenden öffentlichen Interesse“ und ist eine „Frage der nationalen Sicherheit geworden“, heißt es in den Kerninhalten zu den Energiesofortmaßnahmen – vor dem Hintergrund des russischen Kriegs in der Ukraine ebenso wie der fortschreitenden Klimakrise. Das zieht eine vorrangige Behandlung von erneuerbaren Energien vor anderen Schutzgütern nach sich – und vereinfacht so Genehmigungsverfahren. Kurz gesagt: Bürokratie soll beseitigt werden.
Die FPD hat dem Paket bislang allerdings nur formal zugestimmt. Experten erwarten eine kontroverse Debatte im Bundestag.
Die Nettostromerzeugung beschreibt die insgesamt erzeugte Strommenge abzüglich des Eigenenergiebedarfs der Kraftwerke. Im Jahr 2020 wurden rund 17 Prozent des in Deutschland erzeugten Nettostroms aus dem fossilen Energieträger Erdgas gewonnen. (Deutschlandfunk / Andrea Kampmann)Welche Maßnahmen enthält das „Osterpaket“?
Fünf Gesetze sollen angepasst werden: das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Energie-Wirtschaftsgesetz, das Windenergie-auf-See-Gesetz, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz und das Bundesbedarfsplanungsgesetz. Insgesamt 56 Gesetzänderungen und Maßnahmen sind geplant. Der Fokus liegt auf dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien.
Wind- und Solarkraft
So soll der Zubau von Windkraftanlagen an Land pro Jahr verdreifacht werden.
2030 sollen demnach Land-Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 115 Gigawatt in Deutschland am Netz sein. Auch bei der Solarkaft soll deutlich angehoben werden, von sieben Gigabatt Zubau im laufenden Jahr auf 22 Gigawatt bis 2026.
Im Jahr 2030 sollen die Anlagen rund 600 Terawattstunden Strom zu produzieren.
Entsprechend dem Koalitionsvertrag sollen „Hindernisse und Hürden“ für erneuerbare Energien abgebaut werden. So gibt es Einigungen mit dem Umweltministerium zum Artenschutz und mit dem Verkehrsministerium zu Dreh-, Funk- und Wetterradaren. Beide haben den Ausbau der Windkraftenergie in den letzten Jahren gebremst. Aufgrund der neuen Einstufung von Energiepolitik als Geopolitik gilt diese nun als vorrangig in der Abwägung mit anderen Schutzgütern.
Artenschutzrechtliche Prüfverfahren – etwa zu gefährdeten Brutvogelarten -sollen künftig entsprechend vereinfacht werden. Radien um technische Einrichtungen, die durch Windräder potenziell gestört werden könnten, sollen künftig verkleinert werden und damit mehr Platz geschaffen werden. Die Rede ist von Navigationsanlagen für den Luftverkehr und Wetteranlagen. Forschungen haben gezeigt, dass dies möglich ist. Flächen für bis zu 1.000 Windkraftanlagen könnten so frei werden. Das entspricht in etwa dem Stromjahresbedarf der Stadt Berlin.
Klimaminister Habeck will zudem auch Bürgerinnen und Bürger sowie Kommunen stärker einbinden. So können Bürgerenergieprojekte künftig auch ohne aufwendige Ausschreibung realisiert werden. Aufgrund von EU-Beihilfeleitlinien ist dies auf maximal 18 Megawatt für Wind- und 6 Megawatt für Solar-Projekte begrenzt. Kommunen sollen sich künftig leichter an lokalen Windparks und der Direktvermarktung finanziell beteiligen können – das gilt auch für bestehende Anlagen.
Biomethan und Wasserstoff
Neben Wind- und Sonnenenergie werden noch andere Energieträger benötigt, die Spitzenlasten tragen können, damit auch an wind- und sonnenarmen Tagen mit hohem Stromverbrauch die Versorgung gewährleistet ist. Diese Aufgabe sollen künftig Kraftwerke mit dem Brennstoff Biomethan übernehmen. Die Ausschreibungsmengen werden ab dem kommenden Jahr erhöht. Außerdem sollen Anlagen gefördert werden, die mit überschüssigem Strom klimaneutralen Wasserstoff herstellen. Das Gas wird dabei lokal gespeichert und später wieder zur Stromerzeugung verbrannt. Weil es dabei in seinen ursprünglichen Elementarzustand – Wasser – zurückgeführt wird, entstehen im gesamten Prozess keine klimaschädlichen Emissionen.
Wie soll das Paket finanziert werden?
Laut Klimaminister Robert Habeck (Grüne) wird der Ausbau Erneuerbarer den Steuerzahler in den nächsten Jahren nicht viel kosten. Die größten Summen würden Unternehmen und private Investoren tragen. Über den Klimafonds der Regierung, in den nicht abgerufene Coronagelder der Bundesregierung fließen, sollen verschiedene Fördermaßnahmen laufen.
Die bisherige Finanzierungsquelle, die EEG-Umlage auf den Strompreis, wurde aufgrund der gestiegenden Energiepreise früher als geplant gekippt. Zum zweiten Halbjahr 2022 entfällt sie komplett.
Aus Sicht der Nürnberger Wirtschaftstheoretikerin Veronika Grimm, Mitglied der Wirtschaftsweisen, und Ottmar Edenhofer, dem Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), ist es sinnvoll, die Vergütung für Solar- und Windkraftprojekte wie im Paket vorgesehen stärker an den Markt zu koppeln statt auf staatliche Subventionen zu setzen – das sorge dafür, dass die Anlageplanung effizient werde.
Wie fallen die Reaktionen aus?
Der Koalitionspartner FDP hat dem Osterpaket bislang nur vorbehaltlich zugestimmt. Sie sieht das Ziel des klimaneutralen Stromssystem bis 2035 als nicht erreichbar sowie als nicht durch den Koalitionsvertrag gedeckt an – und hofft auf Veränderungen im kommenden parlamentarischen Verfahren.
Umweltverbände begrüßten die Maßnahmen. Greenpeace fordert allerdings, die Bürgerinnen und Bürger noch stärker in den Ausbau der Erneuerbaren mit einzubeziehen. Die Deutsche Umwelthilfe sprach von einem „großen Sprung nach vorn“. Ein Manko bleibe allerdings die fehlende Bereitstellung von Flächen für Windkraft. Ziel der Bundesregierung ist es, Windkraft auf mindestens zwei Prozent der Landesfläche zu produzieren. Klimaminister Robert Habeck (Grüne) will in der Sache den Konsens mit den Ländern suchen – und in einem für den Sommer geplanten Folgepaket nachliefern.
Aus Sicht der Klima-Ökonomen fällt das Urteil überwiegend positiv aus. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Insituts für Klimafolgenforschung (PIK), lobte bei einem Pressegespräch am 7. April das hohe Tempo, das Habeck vorgebe. Das sei sehr wichtig, wie der jüngste Bericht des Weltklimarats IPPC zeige. Dieser nennt den Ausbau von Wind- und Solarstrom neben dem Schutz bestehender Wälder als wichtiges Instrument, um die Erderwärmung zu begrenzen und die unermesslichen Gefahren der Klimakrise beherrschbar zu machen.
Deutschland brauche auch eine stärkere europäische Perspektive bei der Energiepolitik, sagte Edenhofer. Man müsse auch auf den Import von erneuerbaren Energien setzen und Projekte europaweit ausschreiben. Ziel dürfe nicht sein, Deutschland „energetisch autark“ zu machen, sondern das Land in eine „europäische Arbeitsteilung“ einzubeziehen. Europa müsse als gemeinschaftlicher Akteur auftreten und dabei auch eine soziale Kompensation für steigende Energiepreise berücksichtigen.
Die Wirtschaftstheoretikerin Veronika Grimm betonte in dem Pressegespräch, es gelte, geeignete europäische Standorte für die Energieerzeugung zu finden und über „die nationale Ebene hinauszudenken“.
Der Bundesverband der Windparkbetreiber für die Offshore-Windparks hat unter anderem die neue Mechanik bei Ausschreibungsverfahren beklagt. Aus Sicht der Betreiber liegen die Hürden für den Markteintritt zu hoch.
Nicht zuletzt könnte der Fachkräftemangel die Pläne des Wirtschaftsministers gefährden:
Deutschland fehlen nicht nur Fachleute wie Energieberater und Experten für Wärmepumpen und alternative Heizsysteme, sondern auch Handwerker für die Umsetzung der Energiewende. Ein schneller Ausbau der Erneuerbaren wird darüber hinaus auch durch Lieferengpässe gefährdet.
Mehr dazu im Tagesspiegel in diesem Interview mit
Umweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen)
„Markus Söder ist kein Garant für stringente Energiepolitik“
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