Zeit hier Eine Kolumne von Marcel Fratzscher 8. April 2022
Auf Lebensmittel lässt sich nicht verzichten
...Die Politik tut alles Denkbare, und auch einiges noch vor wenigen Wochen Undenkbares, um die Spritpreise an der Tankstelle möglichst nicht steigen zu lassen. Obwohl vieles dafür spricht, dass der Trend der steigenden Preise weit in die Zukunft anhalten dürfte, tut die Politik jedoch bisher nichts gegen die immer teureren Nahrungsmittel. Dies sollte sich schleunigst ändern, zumal die Lösungen auf der Hand liegen....
Menschen mit geringen Einkommen geben im Vergleich zu Besserverdienenden anteilig das Drei-, Vierfache oder sogar mehr ihres monatlichen Einkommens für Nahrungsmittel aus. Auch wenn es offensichtlich ist, kann man es nicht oft genug betonen: Menschen können in ihrem täglichen Leben auf viele Dinge verzichten, auch zum Teil auf das Auto und manchen Energieverbrauch. Aber sie können nicht auf die Grundversorgung durch Lebensmittel verzichten. Zwar versuchen viele Menschen – und vor allem Bezieher von Hartz IV oder Grundsicherung – zu sparen, indem sie die (noch) billigeren Produkte kaufen. Einen großen Unterschied in der Geldbörse macht das meist nicht. Immer mehr Menschen nutzen daher die Angebote der Tafeln in Deutschland, die fantastische Arbeit leisten, um Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.
Kindern und Jugendlichen werden wichtige Zukunftschancen genommen
Gerade die stärkere Nutzung der Tafeln sollte ein Weckruf für Gesellschaft und Politik in Deutschland sein. Denn der wirtschaftliche Boom und der steigende Wohlstand der Zehnerjahre ist nicht bei allen Menschen hierzulande angekommen. Ganz im Gegenteil: Das Armutsrisiko, das jede und jeden betrifft, die oder der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, ist in den vergangenen 15 Jahren auf 17 Prozent gestiegen. Mit anderen Worten: Jede und jeder Sechste in Deutschland ist von relativer Armut betroffen.
Es sind vor allem Kinder und Jugendliche von alleinerziehenden Müttern, aber auch viele Alleinstehende. Dies heißt natürlich nicht, dass diese Menschen nicht genug zu essen haben. Aber ein Anstieg der Nahrungsmittelpreise bedeutet, dass sie immer weniger für andere Dinge ausgeben können und somit immer weniger soziale Teilhabe erhalten. Sie werden somit immer stärker marginalisiert in unserer Gesellschaft und gerade Kindern und Jugendlichen werden dadurch wichtige Zukunftschancen genommen.
..... Und auch müssen Landwirtschaft und Ernährung eine deutliche Transformation erfahren, um das Klima zu schützen. Gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ihre Ernährung umstellen und vor allem weniger Fleischprodukte konsumieren. Somit könnte der langanhaltende Trend der letzten Jahrzehnte hin zu immer günstigeren Lebensmitteln ein Ende haben und sich umkehren.
Wie die steigenden Preise abgefedert werden können
...Aber die Politik sollte auch in Deutschland dringend etwas tun, um die sozialen Härten der steigenden Lebensmittelpreise abzufedern. Das großzügige Hilfspaket von 16 Milliarden Euro der Bundesregierung im März hat fast ausschließlich auf die hohen Energiepreise abgezielt. Doch das allein reicht nicht aus. Eine erste Maßnahme wäre die sofortige Erhöhung des Satzes für Hartz IV und die Grundsicherung......
Mehrwertsteuersenkung käme bei den Verbrauchern an
Eine zweite mögliche Maßnahme wäre die temporäre Abschaffung der reduzierten Mehrwertsteuer von sieben auf null Prozent. Damit würden auch Nahrungsmittel günstiger werden – den deutschen Staat würde es pro Jahr mehr als zehn Milliarden Euro kosten. ....Es wäre also ein sehr effektives Instrument, das zudem sehr schnell umgesetzt werden könnte. ....
Als drittes brauchen wir eine größere Wertschätzung für die vielen ehrenamtlichen Organisationen, allen voran den Tafeln, die eine enorm wichtige Rolle bei der Grundversorgung vieler Menschen in Deutschland spielen. Wir als Gesellschaft sollten nicht nur Forderungen an die Politik stellen, sondern uns selbst stärker engagieren. Gerade die Tafeln würden von einer stärkeren Unterstützung aus der Gesellschaft, von Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern, profitieren, um den Menschen besser helfen zu können, die am härtesten von den höheren Lebensmittelpreisen betroffen sind.
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