Stern hier Meinung von Nico Fried 04. November 2025
Die Unions-Hysterie um Johann Wadephul ist Ausdruck nackter Angst
Außenminister Johann Wadephul hat die Union in Aufruhr versetzt. Sie fürchtet um das einzige Ergebnis ihrer Regierungsarbeit, das sie bisher als Erfolg verkaufen kann.
Johann Wadephul hat sich bestimmt nicht besonders klar ausgedrückt, als er über Abschiebungen nach Syrien sprach. Aber fest steht: Er hat sie mitnichten ausgeschlossen. Der Außenminister hat, wie man es von einem Vertreter einer christlichen Regierungspartei erwarten kann, in einer Mischung aus Empathie und Realitätssinn schlicht deutlich gemacht, dass Abschiebungen nach Syrien nicht so leicht zu verwirklichen sein werden wie eine Beamtenversetzung von Bonn nach Berlin.
Die Art und Weise, wie nun große Teile der Union über den Außenminister regelrecht herfallen, kann man deshalb nur noch als hysterisch bezeichnen. Dabei hat der Unmut über Wadephul nur sehr am Rande mit der konkreten Frage zu tun, welche Voraussetzungen für eine Abschiebung in Deutschland und in Syrien vorliegen müssen. Der wahre Grund für das Wadephul-Bashing liegt darin, dass die Migrationspolitik aus Sicht der Union nach einem halben Jahr der Kanzlerschaft von Friedrich Merz das einzige, aber auch wirklich das einzige Feld ist, auf dem sie konkrete Erfolge vorweisen zu können glaubt.
Die Wirtschaft kommt nicht in Gang, die Arbeitslosigkeit steigt, die Stimmung ist mies, die AfD klettert in den Umfragen unaufhörlich nach oben. In allem, was Friedrich Merz sich auch selbst gerne als Kompetenz zuschrieb, zuvorderst in der Wirtschaftspolitik, erweist er sich zumindest bislang als, nun ja, unterkompetent. Ja, diese Koalition hat schon einige gesetzliche Stimulantien für mehr Investitionen und Wachstum auf den Weg gebracht, aber eine Besserung ist noch nicht spürbar, nirgends, entgegen der Ankündigungen des Kanzlers. Und aus riesigen Haushaltslöchern glotzen den Koalitionären schon die nächsten Probleme entgegen.
Jens Spahns hanebüchene Parallele
Der Tumult, den einige Unionisten über Wadephuls Aussagen veranstalten, ist deshalb leicht durchschaubar: Es ist der Ausdruck der Angst, ja der Panik, dass man nun auch noch in der Migrationspolitik als zu weich erscheinen könnte. Die Minderung der Asylbewerberzahlen und die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung sind die einzigen Nuggets, die die Union bisher im Sieb der Regierungsarbeit gefunden hat, hineingespült nicht zuletzt auch von Maßnahmen der Vorgängerregierung und – Ironie der Geschichte – vom Ende des Bürgerkriegs in Syrien. Deshalb muss es immer weiter gehen, raus, raus, weg mit den menschlichen Relikten der schlimmen Merkel-Politik.
Kein Argument ist nun doof genug, um die Syrer möglichst schnell loszuwerden. Ganz besonders profiliert sich dabei mal wieder Fraktionschef Jens Spahn mit einer wirklich hanebüchenen Parallele: "Stellen Sie sich vor, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in den Trümmern. Wenn die Großväter und Großmütter unser Land nicht wieder aufgebaut hätten? Wie sähe es heute aus?"
Es bedarf schon einer gehörigen Portion populistischer Ignoranz, den Wiederaufbau hierzulande, der politisch von den Siegermächten organisiert und zumindest im Westen von den USA finanziell massiv unterstützt wurde, als Vorbild für Syrien zu nehmen, das von einem Diktator im Krieg gegen die eigenen Bürger verwüstet wurde, dessen ethnische Konflikte noch jede Menge Sprengstoff bergen, auf dessen Gebiet von der Türkei über Russland bis hin zu Israel und dem Iran rivalisierende Mächte vor allem ihre eigenen Interessen verfolgen und für das bislang von einer Art internationalem Marshall-Plan weit und breit nichts zu sehen ist. Aber bitte, welche Rolle spielen schon Fakten in einer überhitzten innenpolitischen Diskussion?
Johann Wadephul schadet der Union – weil er ihre Schwäche offenbart
Johann Wadephuls Äußerungen schaden der Union – aber nicht, weil er angeblich einer zu nachgiebigen Migrationspolitik das Wort redet, sondern weil er zeigt, wie leicht sich CDU und CSU in ihrer Angst vor dem eigenen Scheitern aufscheuchen lassen. Generalsekretär Carsten Linnemann versuchte mit dem Wort vom Scheinkonflikt einzufangen, was längst außer Kontrolle geraten war.
Kanzleramtsminister Thorsten Frei definierte bestimmte Gruppen von Syrern, die bei einer Rückkehr nichts zu befürchten hätten – und dann kam der Bundeskanzler und sagte: Krieg vorbei, alle nach Hause, raus, raus mit ihnen. Natürlich ist auch das blanker Unsinn. Aber in dieser Regierungs-CDU darf eben jeder sagen, was er will, und der Kanzler spricht nur als einer von vielen.
Allerhand ist nun zu lesen, dass es sich bei Wadephul um einen Wiederholungstäter handele, was das Abweichen von Regierungs- oder Unionslinie angehe. Man kann die Bilanz des Außenministers aber auch ganz anders lesen:
Zum Entsetzen von Kanzler und Koalition kündigte der Außenminister einst an, Deutschland werde das Fünf-Prozent-Ziel der Nato mitmachen – am Ende kam es genau so. Zum Verdruss seines Kanzlers sagte Wadephul, ein Einsatz der Bundeswehr in der Ukraine würde die Bundeswehr überfordern – kurze Zeit später war Merz dann derselben Meinung. Zum Ärger vieler in der Union warnte Wadephul vor einer "Zwangssolidarität" mit Israel – kurze Zeit später schränkte der Kanzler Waffenlieferungen ein.Vielleicht ist Johann Wadephul in dieser Regierung einfach der Realist. Und manch anderer nur ein Sprücheklopfer.
Mirko Lange LinkedIn
Merz wollte unbedingt Kanzler. Spahn wollte unbedingt Macht. So viele in der CDU wollten es unbedingt. Sie wollten es mit allen Mitteln und schreckten vor nichts zurück.
Man hatte die CDU auch noch als kompetente Partei in Erinnerung. Solide, staatstragend, handlungsfähig.
Heute, nicht einmal ein halbes Jahr nach Amtsantritt, wirkt sie wie eine politische Hülle ihrer selbst.
Sie regiert, aber sie führt nicht. Sie redet, aber sie überzeugt nicht. Sie spielt Regierung, doch sie wirkt wie Opposition in eigener Sache.
Hashtag#EinerTutRichtiges
Und jetzt Wadephul. Er hat in Syrien gesehen, was man sehen muss: Zerstörung, Leid, Hoffnungslosigkeit. Er sagte, dort könne kein Mensch würdig leben. Ein Satz, menschlich und wahr. Doch statt Dank erntete er Empörung, fast Wut. Nicht von der Opposition, sondern aus den eigenen Reihen. Weil Empathie als Schwäche gilt. Weil in dieser CDU Menschlichkeit als Risiko wahrgenommen wird.
Hashtag#MoralischerBankrott
Wer auf das Leid anderer hinweist, wird gemaßregelt. Wer das Kreuz im Fraktionssaal erwähnt, wird belehrt, was Christlichkeit angeblich heißt. Die Partei, die sich einst auf Werte berief, reagiert heute reflexhaft auf Umfragen. Sie attackiert lieber den, der hinschaut, als sich mit dem auseinanderzusetzen, was er gesehen hat. Das ist keine Strategie, das ist Verantwortungsimitation.
Hashtag#KompetenzMythos
Noch vor einem Jahr nannte die CDU Robert Habeck den schlechtesten Wirtschaftsminister aller Zeiten. Jetzt sitzt sie selbst am Steuer, mit nahezu unbegrenzten Mitteln, und schafft es trotzdem nicht, Wachstum zu erzeugen. Die Wirtschaft stagniert, das Vertrauen bröckelt, die Kommunikation zerfällt. Reiche ist nicht die schlechtere Wirtschaftsministerin. Sie ist nur ehrlicher Beleg dafür, dass das System selbst leer läuft.
Hashtag#KanzlerOhneAutorität
Merz versucht zu führen, indem er dominiert. Doch Autorität entsteht nicht durch Lautstärke, sondern durch Richtung. Wenn ein Kanzler seine Minister als „Freunde“ verteidigen muss, weil er sie sonst verliert, ist er längst Teil des Problems. Die Union wirkt wie eine Koalition aus Eitelkeiten, in der jeder nur auf den Moment wartet, den anderen stolpern zu sehen.
Hashtag#RegierungsImitatoren
Die CDU gleicht derzeit einem Ensemble von Regierungsimitatoren. Sie spielt Politik, aber sie betreibt keine. Sie zitiert Verantwortung, aber sie übernimmt keine. Sie ruft nach Anstand, aber verwechselt ihn mit PR. Alles wirkt wie sorgfältig einstudiert: das Machtwort, die Empörung, die Selbstvergewisserung. Nur die Substanz fehlt. Es ist die Simulation einer Regierung, ohne die Haltung, die sie tragen würde. Und genau das macht sie so gefährlich: Sie sieht aus wie Führung, ist aber Fassade.
Hashtag#EndeDesZaubers
Vielleicht ist das die eigentliche Entzauberung: Nicht, dass die CDU uns enttäuscht hätte. Sondern, dass sie nichts mehr zu enttäuschen übrig lässt. Sie hat ihren moralischen Kern geopfert, um die Fassade der Stärke zu wahren. Doch Stärke ohne Haltung ist nur Härte. Und Härte ohne Sinn bloß Kälte.
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