Mittwoch, 5. November 2025

Trotz Rückschritt lobte Schneider die Einigung als "wichtigen Fortschritt für das Klima"

Zeit hier  5. November 2025, DIE ZEIT, Reuters, dpa, yer , ut

Klimaschutz: EU-Staaten einigen sich auf abgeschwächtes Klimaziel

Kurz vor der Weltklimakonferenz in Brasilien haben sich die EU-Umweltminister auf ein Klimaziel für 2040 verständigt. Dieses wurde nach stundenlangen Verhandlungen in Brüssel aber abgeschwächt, wie der dänische Klimaminister Lars Aagaard mitteilte, der das Treffen leitete.


Die Minister einigten sich darauf, dass die EU-Staaten ihre Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 90 Prozent senken sollen. Der Kompromiss sieht allerdings vor, dass fünf Prozentpunkte davon durch Deals mit dem außereuropäischen Ausland erkauft werden können. Effektiv müssen die Staaten ihre eigenen Emissionen also nur um 85 Prozent senken. Zudem wird der Start des neuen Emissionshandels für Verkehr und Gebäude (ETS2) um ein Jahr auf 2028 verschoben. Über die Einigung muss noch mit dem Europaparlament verhandelt werden.

Ursprünglich hatte die EU-Kommission eine Emissionssenkung um 90 Prozent bei einem Anteil von maximal drei Prozent an Zertifikaten aus Drittstaaten vorgeschlagen. Dafür hatte sich bei Beginn der Beratungen am Dienstag auch Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) eingesetzt. "Die drei Prozent internationale Gutschriften, das ist für uns das Maximum, was wir uns vorstellen können", hatte Schneider gesagt. "Wir wollen, dass die Investitionen in Klimaschutz in Europa stattfinden."

Trotzdem lobte Schneider die Einigung als
"wichtigen Fortschritt für das Klima"

Die Verhandlungen seien intensiv gewesen, das Ergebnis sei gut. Dieses sei auch eine gute Nachricht für die deutsche Wirtschaft, weil es gleiche Wettbewerbsbedingungen gebe. Die Europäische Union habe sich als handlungsfähig und verlässlich erwiesen und könne auf dieser Grundlage eine tragende Rolle bei der anstehenden Weltklimakonferenz spielen.

Polen und Italien forderten noch deutlichere Abschwächung

Die EU stand unter Zeitdruck für ihr neues Klimaziel, um nicht mit leeren Händen zum Weltklimagipfel in Brasilien zu fahren. Dieser beginnt am kommenden Montag in Belém. Zwei Fristen, im Februar und zuletzt im September, wurden schon gerissen, weil sich die Mitgliedsstaaten nicht einig geworden waren.

Die Abschwächung des Klimaziels geht auf die Bedenken einiger Länder zurück, dass höhere Investitionen in Klimaschutz Wirtschaft und Verbraucher überforderten. Zudem gibt es angesichts des Ukraine-Kriegs neue Prioritäten wie höhere Verteidigungsausgaben. Zusätzlich belasten Billigimporte aus China und die Zollpolitik der USA die Wirtschaft insgesamt. Frankreich und Portugal hatten gefordert, die Option zum Ankauf von Klimagutschriften aus Drittländern auf fünf Prozentpunkte zu erhöhen. Polen und Italien verlangten zehn Prozentpunkte.

Bislang muss die EU ihre Klimaziele durch Treibhausgas-Minderungen auf eigenem Boden erreichen. Bei der Nutzung von Auslandszertifikaten zur Kompensation befürchten Kritiker, dass Staaten im Globalen Süden ihre nationalen Klimaziele bewusst niedriger ansetzen, um sich Aufstockungen von den Europäern bezahlen zu lassen – oder dass Minderungen doppelt angerechnet werden könnten. 


hier  RND Artikel von Sven Christian Schulz 4.11.25

EU-Klimaziel beschlossen: Durchbruch nach Abbruch der Verhandlungen in der Nacht

Es war 4.30 Uhr am frühen Morgen, als der dänische Umweltminister Lars Aagaard das Ratsgebäude in Brüssel verließ. Bis tief in die Nacht hatten die Minister der EU-Staaten beim Sondertreffen um neue Klimaziele für 2035 und 2040 gerungen. Zuvor war der Entwurf bereits in entscheidenden Punkten abgeschwächt worden. In informellen Gesprächen hatte Aagaard in der Nacht versucht, einen Kompromiss auszuhandeln. Am Vormittag wurde dieser schließlich von den Ministern beschlossen.

Der Wind hat sich gedreht. Ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen, noch vor vier Jahren Aushängeschild europäischer Politik, sind kaum mehr vorstellbar – im Gegenteil. In letzter Minute wollte man deshalb durch Zugeständnisse an Länder wie Polen, Frankreich und Italien eigentlich eine Einigung erzielen und das Ziel von 90 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2040 gegenüber 1990 formal retten. Ohne diesen Kompromiss hätte die EU am Donnerstag bei der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém wohl mit leeren Händen dagestanden.

„Die Folgen des Klimawandels sind ein globales Problem, das Europa nicht allein lösen kann“, sagte Aagaard. „Wir müssen unseren Teil beitragen und mit dem Rest der Welt verhandeln, damit das 1,5-Grad-Ziel am Leben bleibt.“ Es gehe um die richtige Balance zwischen ehrgeizigen Zielen und einem wettbewerbsfähigen Europa. Aagaards polnischer Kollege Krzysztof Bolesta stellte klar: „Wir wollen weder die Wirtschaft noch das Klima zerstören. Wir wollen beides gleichzeitig retten.“

Emissionszertifikate als umstrittener Ausgleich

Deutschland hatte sich hinter den Vorschlag der EU-Kommission gestellt, die Treibhausgase bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren. „Das entspricht unserer Verantwortung für die Welt“, sagte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD). „Die Kombination von Umweltschutz, Klimaschutzpolitik und Wirtschaftspolitik ist zentral.“ Europa sei herausgefordert durch den „ehemaligen großen Partner USA“, der sich aus der Klimaschutzpolitik verabschiedet habe und sie im Zweifel sogar bekämpfe – und durch den harten Wettbewerb mit China.

EU-Diplomaten erwarten, dass es beim Vorschlag der EU-Kommission bleiben wird, den Ausstoß um 90 Prozent zu senken. In der Praxis jedoch wird das Ziel durch neue Schlupflöcher erheblich verwässert werden: EU-Staaten sollen 5 Prozent ihrer Einsparungen über den Ankauf von Emissionszertifikaten aus Drittländern erfüllen dürfen. Ursprünglich waren einmal 3 Prozent vorgesehen.

Konkret bedeutet das: Die EU-Staaten müssen ihre Emissionen real nur um 85 Prozent senken und können die restlichen 5 Prozent durch Abkommen mit anderen Ländern auf der Welt erkaufen. Zudem soll das Klimagesetz künftig regelmäßig überprüft und bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten angepasst werden können – eine Art „Notbremse“. Neben der Einigung der EU-Staaten ist auch die Zustimmung des EU-Parlaments nötig.

Erde steuert laut UN auf 2,8 Grad Erwärmung zu

Noch während die Minister verhandelten, erreichte sie die Nachricht, dass die Erde laut UN auf 2,8 Grad Erwärmung in diesem Jahrhundert zusteuere und die einst vereinbarten 1,5 Grad schon innerhalb des nächsten Jahrzehnts überschritten würde.

Die EU legt immer wieder Zwischenziele auf ihrem Weg zu einem klimaneutralen Europa 2050 fest. So will sie den Druck auf Regierungen und Unternehmen aufrechterhalten und die wirtschaftliche Transformation vorantreiben. Das 2040-Ziel ist dabei zentral, auch im internationalen Kontext: Von ihm lässt sich ein Ziel für 2035 ableiten, das die EU bei der UN-Klimakonferenz am Donnerstag vorlegen muss. Aus dem neuen 2040-Ziel ergibt sich eigentlich eine Reduktion von 72,5 Prozent. Verpflichten wollen sich die EU-Staaten aber nur auf den Zielkorridor 66,25 Prozent und72,5 Prozent im Vergleich zu 1990.

Für Deutschland ändert sich wenig, weil das deutsche Gesetz ohnehin ambitioniertere Einsparungen von 77 Prozent vorsieht. Unternehmen hierzulande hatten dadurch bislang teils höhere Auflagen als europäische Wettbewerber. Schneider hofft, dass sich dies nun angleichen wird: „Je stärker in ganz Europa die Anstrengungen sind, umso besser ist dies auch für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.“

Viele Verbände sind jedoch längst überzeugt: Die Klimaziele sind praktisch unerreichbar geworden, auch wenn die Unternehmen Jahrzehnte Zeit hatten, auf eine klimafreundliche Produktion umzustellen. Doch hohe Energiepreise, kostspielige Investitionen in klimaneutrale Technologien sowie der Druck durch Wettbewerber in den USA und in China bremsen vielerorts die Transformation.

Industrie gegen reine Sonntagsreden

Die großen Verbände warnen, Europa riskiere einen teuren Alleingang beim Klimaschutz und verliere gegenüber China und den USA weiter an Wettbewerbsfähigkeit. „Klimaneutralität erreicht man nicht mit Sonntagsreden, sondern mit bezahlbarer Energie und verlässlicher Infrastruktur. Davon sind wir weit entfernt“, kritisierte Wolfgang Große Entrup vom Verband der Chemischen Industrie. „Strom und Wasserstoff bleiben teuer und knapp. Das bremst Investitionen und gefährdet den Standort.“

Schneider teilt die Sorge um Europas Wirtschaft, zieht aber andere Schlüsse: „Die EU muss vorn dabei sein – bei den Technologien, bei den Innovationen und bei den zukünftigen Märkten.“ Er erteilt günstigerer Energie aus neuen Atomkraftwerken eine klare Absage. 90 Prozent der weltweit neu installierten Stromkapazität im vergangenen Jahr stammten aus erneuerbaren Energien. 

„Alle, die hier über die Nuklearenergie sprechen:
Das ist eine alte Geschichte – die Erneuerbaren sind der Erfolg.“

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