Manchmal frag ich mich tatsächlich: Wo war die SPD eigentlich während der Ampelzeit?
Waren die Grünen damals so übermächtig, dass sie alles alleine durchgesetzt haben, gegen SPD und FDP - Willen? Wow, ich hab da wohl einiges nicht richtig verstanden, scheint mir heute, wo alles, was damals geschaffen wurde, einfach so und ohne Gegenwehr - und auch ohne ausreichende Rechtsgrundlage - wieder gekippt wird. Mit Zustimmung der SPD. So schafft man doch kein Vertrauen!
European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) 24. Oktober 2025
Die Bundesregierung plant eine Abschwächung des Lieferkettensorgfaltspflichten-gesetzes (LkSG) im Schnelldurchlauf
- Als am 29.08.2025 der Referent*innenentwurf stand, wurde den Verbänden nur wenige Stunden Zeit eingeräumt, sich dazu zu äußern (siehe etwa die Stellungnahme des ECCHR).
- Schon wenige Tage danach, am 03.09.2025, beschloss das Kabinett den Regierungsentwurf zur Änderung des LkSG, der daraufhin dem Bundesrat zugeleitet wurde.
- Doch dieses Tempo scheint der Bundesregierung – allen voran dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) – noch nicht zu genügen.
- Statt die reguläre Beschlussfassung im Bundestag abzuwarten, hat das BMWE im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) schon am 26.09.2025 die nach dem LkSG zuständige Durchsetzungsbehörde Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kurzerhand direkt angewiesen, zahlreiche ihrer Durchsetzungsbefugnisse nicht mehr auszuüben.
Damit nimmt die Exekutive nicht nur die Gesetzesänderung praktisch vorweg, sondern beschneidet auch massiv die Effektivität des Gesetzes. Diese Weisung liegt dank einer Recherche von FragDenStaat nun im Original vor:
Unsere rechtliche Analyse hat ergeben: Es bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Weisung.
§ 19 Abs. 1 S. 2 und 3 LkSG übertragen dem BMWE zwar die Rechts- und Fachaufsicht über die Aufgaben des BAFAs, die das BMWE im Einvernehmen mit dem BMAS auszuüben hat.
Wegen der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) müssen sich BMWE und BMAS dabei aber im Rahmen der normativen Vorgaben des LkSG bewegen. Mit anderen Worten: Die aufsichtführenden Ministerien dürfen das BAFA nicht anweisen, etwas zu tun, wozu es nach dem LkSG nicht befugt ist, oder etwas nicht zu tun, wozu das LkSG es verpflichtet.
Soll das Gesetz geändert werden, muss dies durch den Gesetzgeber geschehen, also den Deutschen Bundestag. Dazu Lisa Pitz, LL.M. (TAU), Legal Advisor beim ECCHR:
„Eine Gesetzesänderung durch die exekutive Hintertür, wie sie BMWE und BMAS nun offenbar beabsichtigen, ist aus rechtsstaatlicher Perspektive höchst bedenklich – zumal die Ministerien in ihrer Weisung sogar noch über die von ihnen selbst vorgeschlagenen, ihrerseits höchst kritikwürdigen Änderungen am LkSG hinausgehen.“
In diesem Artikel unterziehen wir die einzelnen Bestandteile der Weisung einer rechtlichen Analyse.
Eigenmächtige Einstellung der Berichtsprüfung
Zunächst ordnen BMWE und BMAS in ihrer Weisung die Einstellung der Berichtsprüfung nach Abschnitt 4, Unterabschnitt 1 des LkSG an.
Dies ist auch in ihrem Gesetzesentwurf vorgesehen, noch steht aber sowohl die Berichtsprüfung durch das BAFA als auch die Berichtseinreichung durch die Unternehmen verpflichtend im LkSG.
Dabei hat sich der Gesetzgeber entschieden, dem BAFA kein Ermessen bezüglich dieser Prüfung einzuräumen. § 13 Abs. 1 LkSG schreibt vor: „Die zuständige Behörde prüft, ob 1. der Bericht nach § 10 Absatz 2 Satz 1 vorliegt und 2. die Anforderungen nach § 10 Absatz 2 und 3 eingehalten wurden.“ Das bedeutet: Das BAFA kann nicht nur, sondern es muss die Unternehmensberichte prüfen. Dass dementsprechend auch die Aufsichtsbehörden nicht eigenmächtig entscheiden können, diese Berichtsprüfung einzustellen, zeigt sich im Übrigen auch an § 13 Abs. 3 LkSG:
Darin werden BMAS und BMWE ermächtigt, das Verfahren zur Einreichung und Prüfung näher zu regeln – nicht aber, dieses ganz einzustellen. Die nun erteilte Weisung tut jedoch genau das und dürfte damit gegen das LkSG verstoßen und folglich rechtswidrig sein. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die bisherige Praxis des BAFAs, das laut fortlaufend aktualisierter Bekanntmachung auf seiner Website bereits seit Inkrafttreten des Gesetzes eigenmächtig entschieden hat, „erstmalig zum Stichtag 1. Januar 2026 das Vorliegen der Berichte nach dem LkSG sowie deren Veröffentlichung [zu] prüfen. Auch wenn die Übermittlung eines Berichts an das BAFA und dessen Veröffentlichung nach dem LkSG bereits vor diesem Zeitpunkt fällig war, w[e]rd[e] das BAFA die Überschreitung der Frist nicht sanktionieren, sofern der Bericht spätestens zum 31. Dezember 2025 beim BAFA vorliegt.“
Vorauseilende Nichtverfolgung von Ordnungswidrigkeiten
Darüber hinaus gibt die Weisung vor, dass „[f]ür die im Gesetzentwurf zum LkSG ÄnG zur Streichung vorgesehenen (…) Bußgeldtatbestände (…) das öffentliche Verfolgungsinteresse erloschen [sei]. Die betroffenen laufenden Ordnungswidrigkeitenverfahren (…) [seien] einzustellen. Von neuen Verfahren und der Verhängung von Bußgeldern (…) [werde] insoweit abgesehen.“
Damit nehmen BMWE und BMAS die von ihnen vorgeschlagene Gesetzesänderung, wonach die derzeit 13 Bußgeldtatbestände auf nur noch vier beschränkt werden sollen, de facto vorweg. Im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) erscheint auch das problematisch.
Allerdings ist den Ministerien zuzugestehen, dass bei der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten das Opportunitätsprinzip (§ 47 OWiG) greift, das den Behörden einen relativ weiten Ermessensspielraum einräumt. In diesem Rahmen dürfen Behörden auch das öffentliche Interesse an der Verfolgung berücksichtigen, bei dem etwa eine Unsicherheit über die Rechtslage eine Rolle spielen kann.
Auch wenn eine solche Unsicherheit streng genommen nicht feststellbar ist – das LkSG gilt in seiner aktuellen Fassung zweifelsfrei fort, bis der Bundestag eine Gesetzesänderung beschlossen hat – ließe sich insofern wohl zumindest noch vertreten, dass sich BMWE und BMAS im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegen. Kritikwürdig ist dieses Vorgehen mit Blick auf demokratische Grundsätze nichtsdestotrotz.
Hierarchisierung von Menschenrechtsverletzungen und Aushebeln des präventiven Gesetzeszwecks
Doch BMWE und BMAS gehen in ihrer Weisung sogar über die von ihnen selbst vorgeschlagenen Änderungen zur Abschwächung des LkSG hinaus und führen weitere Hürden für die Verhängung von Bußgeldern ein. So heißt es: „Diese Voraussetzungen müssen bei jedem Verstoß im Einzelfall unter Anwendung eines sehr restriktiven Aufgriffsermessens geprüft werden, wobei die Verhängung eines Bußgelds stets nur als letztes Mittel bei eingetretenen gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Betracht zu ziehen ist.“ Diese zusätzlichen Kriterien, die weder das LkSG in seiner jetzigen noch in der nun vorgeschlagenen Änderungsfassung kennt, erscheinen aus mehreren Gründen rechtlich bedenklich.
Zum einen verbietet sich sowohl nach internationalen Menschenrechtsstandards als auch nach dem LkSG eine Hierarchisierung von Menschenrechtsverletzungen. Alle im LkSG genannten Menschenrechtsverletzungen sind „gravierend“. Das sieht im Übrigen auch der Gesetzgeber so, wie die Auffangklausel in § 2 Abs. 2 Nr. 12 LkSG zeigt: Diese erfasst neben der Liste explizit genannter Verletzungen andere vergleichbare „besonders schwerwiegende“ Menschenrechtsverletzungen. Der Gesetzgeber geht also gerade davon aus, dass alle vom Gesetz erfassten Menschenrechtsverletzungen „besonders schwerwiegend“ sind. Daher ist es schon fraglich, ob die Einführung des Kriteriums der „besonders gravierenden Menschenrechtsverletzung“ – die also die vom LkSG erfassten Verletzungen noch weiter abstuft – sich noch im gesetzlichen Rahmen des LkSG bewegt oder rechtswidrig ist.
Eine Rechtswidrigkeit der Weisung liegt jedenfalls aber wegen des zusätzlich eingeführten Kriteriums nahe, dass die Menschenrechtsverletzung bereits eingetreten sein muss. Das LkSG verfolgt einen dezidiert präventiven Zweck (siehe etwa Gesetzesbegründung, S. 43: „Das Risikomanagement dient dem Ziel, menschenrechtliche Risiken und Rechtsgutsverletzungen entlang ihrer Lieferketten zu identifizieren, zu verhindern, zu beenden oder zumindest zu minimieren.“). Gerade die zentralen Sorgfaltspflichten des Erstellens einer Risikoanalyse (§ 5 LkSG) und des Ergreifens von Präventionsmaßnahmen (§ 6 LkSG) zeigen: Es ist einer der Hauptzwecke des LkSG, zu verhindern, dass es überhaupt zu Menschenrechtsverletzungen oder umweltbezogenen Verstößen kommt, indem bereits bloße Risiken (§ 2 Abs. 2 und 3 LkSG) adressiert werden. Unternehmen sollen einem risikobasierten Ansatz folgen (siehe auch Gesetzesbegründung, S. 47).
Dass der Gesetzgeber dementsprechend Präventions- (§ 6 LkSG) und Abhilfemaßnahmen (§ 7 LkSG) für gleichermaßen wichtig erachtet, zeigt sich auch an § 24 Abs. 2 Nr. 1 LkSG, der Verstöße gegen diese beiden Pflichten mit der höchsten Geldbuße belegt. Dies wird sogar im kürzlich beschlossen Änderungsgesetzentwurf als Begründung der Beschränkung auf nur noch vier Bußgeldtatbestände nochmals betont: „Damit sind nur solche Pflichtverstöße bußgeldbewährt, die der Gesetzgeber im Rahmen des LkSG als besonders schwerwiegend bewertet hat und bereits in der bisherigen Fassung des § 24 Absatz 2 mit einer erhöhten Geldbuße (…) belegt hat.“ Dementsprechend soll auch nach dem Änderungsgesetzentwurf der Bundesregierung das nicht (rechtzeitig) erfolgte Ergreifen von Präventionsmaßnahmen weiterhin bußgeldbewehrt bleiben.
In eklatantem Widerspruch dazu hebelt das BMWE in seiner Weisung nun aber den präventiven Gesetzeszweck des LkSG weitgehend aus, indem es Bußgelder auf bereits eingetretene Menschenrechtsverletzungen beschränkt. Daran anknüpfend macht es auch sehr deutlich, dass es diese Voraussetzung vor allem für Abhilfemaßnahmen (nicht aber ohne Weiteres für Präventionsmaßnahmen) als erfüllt ansieht (Auszug aus der Weisung: „Die Voraussetzungen können erfüllt sein bei fehlenden Abhilfemaßnahmen entgegen § 7 Absatz 1 Satz 1 LkSG (vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 6 LkSG in der bisherigen Fassung); fehlendem Konzept entgegen § 7 Absatz 2 Satz 1 LkSG oder § 9 Absatz 3 Nummer 3 LkSG (vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 7 LkSG in der bisherigen Fassung). Auch in den Fällen anderer zur Weitergeltung vorgesehener gesetzlicher Bußgeldtatbestände bedarf das öffentliche Verfolgungsinteresse im Hinblick auf gravierende Menschenrechtsverletzungen besonderer Darlegung.“). Diese ganz erhebliche Einschränkung der Durchsetzungsmöglichkeiten für präventive Zwecke bewegt sich weder im normativen Rahmen des LkSG in seiner jetzigen Fassung noch in dem des von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungsentwurfs. Auch insofern dürfte die Weisung daher rechtswidrig sein.
Lisa Pitz, LL.M. (TAU), Legal Advisor beim ECCHR, macht dies an einem praktischen Beispiel deutlich:
„Unternehmen nur bei bereits eingetretenen Menschenrechtsverletzungen für nicht (rechtzeitig) ergriffene Maßnahmen zu sanktionieren, bedeutet übersetzt: Solange eine Zuliefererfabrik wie damals die Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch nur einsturzgefährdet ist, deutsche Unternehmen aber keine Präventionsmaßnahmen ergreifen, um den Einsturz zu verhindern, droht ihnen kein Bußgeld. Erst wenn die Fabrik einstürzt und wie 2013 über 1.100 Menschen sterben, und das Unternehmen dann trotzdem keine (Abhilfe-)Maßnahmen ergreift, muss es befürchten, sanktioniert zu werden. So kann Prävention - einer der Hauptzwecke des LkSG (auch nach den vorgeschlagenen Änderungen) - offensichtlich nicht funktionieren!“
Schließlich bestehen auch insgesamt Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Weisung, da sie das BAFA erheblich in seiner Aufsichtsfunktion einschränkt: sowohl durch all die oben genannten, dem Gesetzestext fremden Kriterien als auch durch die generelle Anweisung, ein „sehr restriktive(s) Aufgriffsermessen“ anzuwenden. Denn auch wenn das Opportunitätsprinzip einen weiten Ermessensspielraum eröffnet, folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) und der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) zunächst ein klares Regel-Ausnahme-Prinzip: Es besagt, dass Behörden grundsätzlich verpflichtet sind, für rechtmäßige Zustände zu sorgen; gegen rechtswidrige Zustände nicht einzuschreiten, stellt dagegen die Ausnahme dar (ausführlicher dazu die Kommentarliteratur zu § 47 OWiG, etwa HK-OWiG/Gassner OWiG § 47 Rn. 12.). Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis scheint das BMWE in seiner Weisung aber gerade umkehren zu wollen, wenn es vorschreibt, dass „die Verhängung eines Bußgelds stets nur als letztes Mittel (…) in Betracht zu ziehen ist“ und daraus ein „sehr restriktives Aufgriffsermessen“ folgert. Der Gedanke der „ultima ratio“ ist Teil der typischen Angemessenheitsabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Er darf aber nicht dazu führen, dass im Regelfall keine Bußgeldahndung von Ordnungswidrigkeiten erfolgt, die der Gesetzgeber ausdrücklich mit einem solchen belegt hat.
BAFA-Mitarbeitende müssen ihre Bedenken geltend machen
Diese erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Weisung bedeuten nach § 63 Abs. 2 S. 1 BBG im Gegenzug, dass die für die Durchsetzung des LkSG zuständigen Beamt*innen des BAFAs die Pflicht haben, ihre Bedenken unverzüglich gegenüber BMWE und BMAS geltend zu machen („Remonstrationspflicht“). Diese Pflicht besteht schon dann, wenn Beamt*innen die Weisung bloß als möglicherweise rechtswidrig ansehen – was nach obigen Ausführungen jedenfalls der Fall sein dürfte. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit besteht sogar eine Verpflichtung zur Verweigerung der Ausführung.
Nach § 63 Abs. 1 BBG tragen Bundesbeamt*innen für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung. Von dieser Verantwortung sind sie nur dann befreit, wenn sie ihrer Remonstrationspflicht nachkommen, die Anordnung jedoch nach Geltendmachung bei dem/der unmittelbaren Vorgesetzten durch den/die nächsthöhere/n Vorgesetzte/n bestätigt wurde, das aufgetragene Verhalten nicht die Würde des Menschen verletzt und nicht erkennbar strafbar oder ordnungswidrig ist (§ 63 Abs. 2 BBG). Verstoßen Beamt*innen gegen diese Pflicht, drohen ihnen in der Theorie sogar disziplinarrechtliche Sanktionen. Es liegt also auch im eigenen Interesse der BAFA-Beamt*innen ihre Bedenken gegenüber BMWE und BMAS im vorliegenden Fall geltend zu machen, um sich rechtlich abzusichern.
Vor allem sind aber die verantwortlichen Ministerien gefragt. Sie sollten dringend die Rechtmäßigkeit ihrer Weisung überprüfen und zumindest die erkennbar rechtswidrigen Teile aufheben (bzw. klarstellend deren Rechtswidrigkeit und damit Nichtigkeit feststellen) – im Sinne der Rechtssicherheit, des Rechtsstaatsprinzips und der demokratisch gebotenen Gewaltenteilung.
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