Spiegel Kolumne von Christian Stoecker 9.11.25
1. Der Ort (Belém) an sich mahnt zum Handeln und das Ausrichterland Brasilien ist zur Abwechslung mal kein Petrostaat.
2. Die Willigen formieren sich (Metropolen), die Leugner machen sich lächerlich.
3. Die globalen Mehrheiten für mehr Klimaschutz sind gewaltig.
4. Die Märkte kippen bereits. Es gibt jetzt nicht nur ein „Weg von“, sondern auch ein „Hin zu“.
5. Die USA sind nicht vertreten - also ist Trump auch nicht im Weg.
Bei der Klimakonferenz im brasilianischen Belém gibt es Grund zur Hoffnung. Das zeigt sich schon an der Autokolonne, in der Brasiliens Präsident Lula beim Gipfeltreffen vorfuhr.
1. Der Ort an sich mahnt zum Handeln
Die vergangenen zwei Klimakonferenzen – genauer: die »Conferences of the Parties« (COP) – fanden in Petrostaaten statt: Die jüngste, mit der Nummer 29, in Aserbaidschan, dem Land, dessen Herrscher mutmaßlich gern mal Abgeordnete der Union schmieren lässt , damit sie in der EU seine Interessen vertreten. Die vorangegangene in Dubai, mit dem Chef des staatlichen Ölkonzerns als Konferenzpräsident und eigentümlichen Verhandlungstipps von der Unternehmensberatung McKinsey, die hervorragende Kunden in der Ölbranche hat.
Zum Autor
Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitionspsychologe und Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation und mehrere Forschungsprojekte über digitale Öffentlichkeit und Desinformation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.
Im brasilianischen Belém dürfte die Stimmung deutlich anders sein, aus diversen Gründen:
Zwar verfügt auch Brasilien über fossile Brennstoffvorkommen, doch die spielen keine so zentrale Rolle für die Wirtschaft des Landes wie in reinen Petrostaaten, die fast ausschließlich von Öl und Gas leben. Dem Präsidenten des Landes, Luiz Inácio Lula da Silva, sind die Gefahren der Klimakrise sehr bewusst. Er will den Regenwald retten – und Belém liegt am Rand dieses Regenwaldes. Paradoxerweise wurden für eine Autobahn und die Unterkünfte für die Delegierten noch mehr Bäume gefällt. Diese Delegierten werden die Zerstörung des Waldes, der sich einem für die ganze Welt bedrohlichen Kipppunkt nähert, also vor Augen haben, wenn sie darüber verhandeln, wie die Menschheit die Zerstörung ihrer eigenen Lebensgrundlagen aufhalten kann.
2. Die Willigen formieren sich, die Leugner machen sich lächerlich
Auch wenn im Weißen Haus ein Klimawandelleugner sitzt und sich hartnäckig die (falsche) Vorstellung hält, dass das Thema gerade in den Hintergrund rücke, angesichts all der anderen Krisen und Kriege – vielerorts und gerade in den Metropolen dieser Welt ist das Thema Klimakrise präsenter denn je. Gerade haben sich die Bürgermeister vieler Großstädte rund um den Globus im Vorfeld der COP in Rio de Janeiro getroffen, im Rahmen des »C40«-Netzwerks , dem 97 Metropolen von London bis Freetown in Sierra Leone, von Boston bis Bogotá angehören. Alle haben sich schnellen Emissionsreduktionen und schneller Anpassung an die Erhitzung verschrieben. 33 Städte haben sich bei ihrer Jahrestagung nun zusammengeschlossen, um gemeinsam Projekte voranzutreiben, um extreme Hitze zu bewältigen.
Londons Bürgermeister Sadiq Khan sprach von einem »existenziellen Kampf zwischen den Klimazerstörern und den Klimaverteidigern« und erwähnte Donald Trump explizit als einen der »Zerstörer«. Anwesend war auch die Bürgermeisterin von Phoenix , Arizona. Der Hauptstadt eines Staates also, den Donald Trump mit 5,5 Prozent Vorsprung gewonnen hat – und fünfzig weitere US-Bürgermeister. In den Großstädten der Welt entfaltet sich ein großer Teil aller ökonomischen Aktivität, dort florieren Bildung, Forschung und Innovation. Aber diese Orte sind zugleich von Hitze, Starkregen, steigendem Meeresspiegel und anderen Folgen der Erhitzung in besonderer Weise betroffen. Den Stadtbewohnern rund um den Globus ist die Dringlichkeit deshalb in besonderer Weise bewusst – und die Metropolen können für sich genommen schon sehr viel erreichen.
3. Die globalen Mehrheiten für mehr Klimaschutz sind gewaltig
Die Idee, dass sich niemand mehr für Klimaschutz interessiert, dass die Leute »jetzt andere Sorgen haben«, ist auch und gerade bei deutschen Politikern und Medienschaffenden sehr populär. Sie ist aber falsch. Die Frage, ob ihre eigene Regierung mehr gegen die Klimakrise tun sollte, beantworteten in einer 2024 in »Nature« publizierten Befragung mit 130.000 Teilnehmenden in 125 Ländern 89 Prozent mit »ja«. 69 Prozent wären bereit, ein Prozent ihres Einkommens für die Bekämpfung der Katastrophe zur Verfügung zu stellen. Es gibt zahlreiche weitere Studien, die alle in dieselbe Richtung zeigen. Dazu kommt: 75 Prozent der Menschheit leben in Ländern , die mehr fossile Brennstoffe importieren als exportieren, also auch ein starkes wirtschaftliches Interesse am Umstieg auf erneuerbare Energien haben.
Wir in Deutschland importieren fossile Brennstoffe für mehr als 80 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist buchstäblich verbranntes Geld. Die Motivation, diese auch geopolitisch hochproblematische Abhängigkeit endlich zu beenden und damit gleichzeitig auf eine lebenswerte Zukunft hinzuarbeiten, wächst stetig – zumal es jetzt sehr überzeugende Konkurrenz gibt. Zum »Weg von« ist ein in mehrfacher Hinsicht sehr attraktives »Hin zu« gekommen. Davon zeugt unter anderem, wie euphorisch sich die Menschen Solaranlagen an die Balkongeländer oder aufs Dach schrauben .
4. Die Märkte kippen bereits
Das Geld fließt längst in eine andere, bessere Richtung, auch wenn das hierzulande viele nicht mitbekommen haben. In erneuerbare Energien, Speichertechnologie, Elektromobilität und so weiter wird bereits doppelt so viel investiert wie in fossile Brennstoffe. Der Abstand wächst jedes Jahr weiter. Sogar in Deutschland verkaufen sich Wärmepumpen, allen Kampagnen, aller Desinformation zum Trotz, längst besser als Gasheizungen – nicht nur für Neubauten. Die Leute legen sich stetig mehr E-Autos zu, auch in der Bundesrepublik wächst der Absatz wieder stark. Das ist für die träge deutsche Automobilindustrie ein Problem, für den Rest der Welt aber eine ausgezeichnete Nachricht. Das gilt mittlerweile auch für den Lkw-Bereich: Wachstum gibt es dort nur noch mit Elektromotoren , etwa bei MAN. Die Verhandler bei der COP sehen also nicht nur etwas, das enden muss – die Dominanz fossiler Brennstoffe. Sie haben jetzt auch sehr klar vor Augen, wo es hingehen muss: in eine saubere, leisere, gesündere Welt ohne Smog, Stickoxide, Ruß und Tankerunglücke. Das könnte etwa die Verhandlungen über einen internationalen Emissionshandel vereinfachen – schließlich sind fossile Brennstoffe derzeit noch hochsubventioniert.
5. Die USA sind nicht im Weg
Für die Menschheit ist es selbstverständlich ein gewaltiger Rückschritt, dass im Weißen Haus ein rücksichtsloser Klimawandelleugner sitzt, der der US-Ölindustrie jeden Wunsch von den Augen abliest und sich immer wieder öffentlich mit Tiraden gegen erneuerbare Energien lächerlich macht. Dass Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen wird, ist ein großes Problem – wenn auch ein hoffentlich vorübergehendes. Dass die USA in Belém gar nicht vertreten sein werden, ist aber ein Vor-, kein Nachteil. Unter Joe Biden konnte die Supermacht, die selbst ein Petrostaat ist, noch eine positive Rolle spielen. Eine Trump-Delegation aber hätte die COP30 höchstens sabotiert. Ohne die Supermacht mit der verblendeten Regierung wird man in Brasilien vermutlich deutlich besser vorankommen. Ohne große Anstrengung wird China dort in eine globale Führungsrolle hineinspazieren können, Trump sei Dank. Es war kein Zufall, dass Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Donnerstag zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs in einer Kolonne vorfuhr, die unter anderem aus chinesischen Elektroautos bestand.
Die Europäische Union hat sich keinen Gefallen damit getan, die eigenen Klimaziele in letzter Sekunde vor der Konferenz mit zusätzlichen Schlupflöchern zu versehen . Die internationale Glaubwürdigkeit steigert man so nicht. Es ist aber noch nicht zu spät, beim Aufbruch in eine lebenswerte Zukunft eine Führungsrolle einzunehmen. Das wird nur dann gelingen, wenn die EU mehr Entschlossenheit an den Tag legt als derzeit. Donald Trump ist kein globaler Trendsetter – er ist ein Ausreißer, der sich zunehmend selbst isoliert, ein Auslaufmodell.
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