Konservative flirten mit extrem Rechten: Lieferketten-Regeln kommen unter
die Räder
Die EU-Lieferketten-Richtlinie wird abgeschwächt. Wie sehr, können sich CDU und EVP aussuchen – und sich vielleicht mit den Ultrarechten verbünden.
Bevor sie ihre Wirkung überhaupt entfalten kann, wird die europäische Lieferketten-Richtlinie wohl schon abgeschwächt. In dieser Woche laufen entscheidende Verhandlungen im Europäischen Parlament.
Dabei hält sich die Europäische Volkspartei (EVP), der auch die deutsche Union angehört, zwei Varianten offen – eine Einigung mit den Rechten und Rechtsextremen oder mit den Fraktionen der linken Mitte.
Die Richtlinie verpflichtet größere Unternehmen, sich um die Menschenrechte der Beschäftigten ihrer Lieferanten in aller Welt zu kümmern. Dabei geht es unter anderem um Mindestlöhne, Mindesturlaub und sichere Arbeitsbedingungen.
Die Regelungen traten vor einem Jahr in Kraft, doch die Unternehmen müssen sie bisher noch nicht umsetzen.
Zahlreiche Schwächungen der Richtlinie
Angesichts der ökonomischen Stagnation und vieler Beschwerden aus der Wirtschaft über zunehmende Bürokratie legte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mittlerweile Vorschläge zur Abschwächung der Richtlinie vor.
Diese bedürfen auch der Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten und des Europäischen Parlaments. Eine Zwischenentscheidung fällt wohl am 13. Oktober im Rechtsausschuss des Parlaments.
Auf dem Weg dorthin hat Jörgen Warborn, der Verhandlungsführer der EVP, nun ein Paket geschnürt. Demnach sollen nur noch Unternehmen ab 5.000 Beschäftigten unter die Regelung fallen – bisher gilt sie noch ab 1.000 Arbeitskräften.
Im Prinzip müssen sich diese Firmen nur um ihre unmittelbaren Zulieferer kümmern, jedoch nicht mehr um deren Vorlieferanten. Und die eigentlich geplante wirksame Haftung, die geschädigte Beschäftigte vor Gericht durchsetzen könnten, wird gestrichen.
CDU und EVP können sich Rechts oder Mitte aussuchen
Manchen Politiker:innen des Europäischen Parlaments reichen diese Schritte zur Abschwächung aber nicht. Zu ihnen gehören etwa die CSU-Abgeordneten Angelika Niebler und Markus Ferber.
Sie brachten unter anderem den Antrag ein, die komplette Lieferketten-Richtlinie aufzuheben – eine Forderung, die auch Zustimmung in den Rechtsaußen-Fraktionen findet. Etwa die polnische Partei PiS in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) unterstützt das.
Auf der anderen Seite stehen die Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen, die die neuen Menschenrechtsregeln für die globale Wirtschaft mehrheitlich erhalten wollen. Für sie ist ein zentraler Punkt, dass die geplante strengere, zivilrechtliche Haftung nicht gelöscht wird.
Die EVP und Warborn können sich ihre Mehrheit jedoch im Prinzip aussuchen. Dem schwedischen Politiker steht einerseits die Option zur Verfügung, eine noch stärkere Abschwächung mit den Rechten beschließen. Über die andere verhandelt er weiter mit Mitte-links – mit den Parteien, die von der Leyen zusammen mit der EVP ins Amt gewählt haben.
Katholische NGO warnt vor „Fall der Brandmauer“
Das hat die katholische Entwicklungsorganisation Misereor und weitere Unterstützer:innen des Lieferkettengesetz jetzt bewogen, vor dem „Fall der Brandmauer“ zu warnen.
Eine Kooperation mit den Hartrechten „wäre ein fatales Signal für Menschenrechte, die Umwelt, das Klima und die politische Zukunft der EU wie auch mittelfristig für Deutschland“, sagte Armin Paasch von Misereor.
Auch wenn es dazu nicht kommen sollte, können Warborn und die EVP beide Seiten gegeneinander ausspielen. Der Verhandlungsspielraum von Mitte-links hält sich in Grenzen.
In der deutschen Politik steht die Abschwächung des hiesigen Lieferkettengesetzes ebenfalls auf der Tagesordnung. Kürzlich hat das Bundeskabinett beschlossen, dass die Unternehmen keine Berichte mehr darüber abgeben müssen, ob und wie sie das Gesetz einhalten.
LobbyControl hier LinkedIn
In Brüssel drohen die Christdemokraten nächste Woche gemeinsam mit einer rechtspopulistischen bis rechtsextremen Mehrheit, die europäische Lieferkettenrichtlinie weitgehend auszuhöhlen.
Es geht um Menschenrechte und den Schutz der Umwelt entlang der ganzen Lieferkette unserer Konsumgüter.
Für viele - nicht für alle - in der Union scheinen Schutz von Menschenrechten oder der Umwelt in Herstellerländern zunehmend "Gedöns". Sie sollen der Wettbewerbsfähigkeit zum Opfer fallen. Seit Monaten machen große deutsche Industrieverbände Druck, die Richtlinie an den entscheidenden Punkten abzuschwächen - obwohl sich viele Unternehmen für diese Richtlinie ausgesprochen und sich bereits auf sie eingerichtet haben.
Manche CDU/CSU-Abgeordnete wie Angelika Niebler wollen gar die ganze Lieferkettenrichtlinie zu Fall bringen. So forderte sie gemeinsam mit anderen Abgeordneten eine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitenden und 1,5 Milliarden Jahres-
umsatz. Laut Initiative Lieferkettengesetz wären davon dann nur noch 120 Unternehmen in Deutschland betroffen.
Angelika Niebler haben wir schon mehrfach wegen ihrer Interessenkonflikte durch Nebentätigkeiten kritisiert. Sie ist beispielsweise Präsidentin des Unternehmerverbands Wirtschaftsbeirat der Union, der auch im EU-Lobbyregister eingetragen ist.
Wir werden am 13.10. sehr genau hinsehen, ob die Christdemokraten wirklich bereit sind, in Brüssel endgültig die Brandmauer einzureißen, um gegen Menschenrechte zu stimmen. Es gibt eine Mehrheit für eine Lieferkettenrichtlinie mit SPD, Grünen, Linken und FDP. Selbst diese wäre gegenüber dem ursprünglichen Gesetz auf Druck der Konservativen schon abgeschwächt. Die Brandmauer würde also komplett ohne Not gerissen.
Für weitere Infos, lest das Briefing der Initiative Lieferkettengesetz unten
Armin Paasch LinkedIn
BRIEFING: Rechtsbündnis gegen #Lieferkettenrichtlinie und Nachhaltigkeit?
Jörgen Warborn, schwedischer Abgeordneter und Berichterstatter der EVP im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, sprach letzten Dienstag eine kaum verhohlene Drohung aus: Wenn die Fraktionen S&D, Grüne und Renew der EVP nicht noch weiter entgegenkommen, steht eine andere Mehrheit als "Option 1" für eine noch drastischere Aushöhlung der EU- #Lieferkettenrichtlinie (#CSDDD) im Rahmen des #Omnibus I Pakets bereit. Renew konkretisierte in einer Pressemitteilung, was Warborn meinte: „eine Mehrheit zwischen Rechten (EVP) und Rechtsaußen (EKR, Patrioten, ESN)“. Geplant ist die Abstimmung im Rechtsausschuss des EP für den 13. Oktober.
In einem neuen Briefing dokumentieren Misereor, Global Policy Forum Europe und die Initiative Lieferkettengesetz die problematische Rolle einiger MEPs der Union mit Blick auf ein solches Rechtsbündnis gegen Nachhaltigkeit.
Angelika Niebler (Vize-Vorsitzende der CSU), Daniel Caspary MdEP, Markus Ferber, MdEP u.a. hatten unisono mit Abgeordneten der Fratelli d’Italia, des Rassemblement National, der PiS und der AfD die komplette Aufhebung der CSDDD gefordert. Frau Niebler hatte explizit und öffentlich eine mögliche Mehrheit mit der rechten Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) rund um Giorgia Meloni ins Spiel gebracht. Hinzu kommt: Die EKR reicht nicht zur Mehrheit. Erforderlich wären auch Stimmen aus weiteren ultra-rechten Fraktionen, die der EVP-Vorsitzende Manfred Weber mal als „politische Feinde“ bezeichnet hat, wie den Patrioten für Europa (PfE) und Europa Souveräner Nationen (ESN).
Mit der Drohung von Warborn könnte dieses unheilvolle Szenario am 13.10. im Rechtsausschuss und in der darauffolgenden Woche im EP Realität zu werden. Von der #CSDDD bliebe nur noch eine leere Hülle übrig. In Deutschland würden nur noch 120 statt aktuell 2.700 Unternehmen zur Achtung der #Menschenrechte und der #Umwelt verpflichtet. Unternehmen müssten für Schäden faktisch nicht mehr haften und keine Maßnahmen zum #Klimaschutz ergreifen. Und weit mehr steht auf dem Spiel: der Abriss der #Brandmauer im EP. Es wäre ein verheerendes Signal für #Menschenrechte, die #Umwelt, das #Klima und die politische Zukunft der EU wie auch mittelfristig in Deutschland.
Bleibt zu hoffen, dass die vernünftigen Stimmen innerhalb der Union und EVP jetzt laut und deutlich vernehmbar werden: für einen Kompromiss mit der politischen Mitte und für die viel beschworenen „europäischen Werte“!
Jonathan Packroff LinkedIn
Bürokratieabbau statt Brandmauer
Theoretisch steht sie noch, die viel beschworene Brandmauer. Praktisch zeigt sie deutliche Risse. Aktuelles Beispiel: Im EU-Parlament bahnt sich ein neues Tête-à-Tête von CDU/CSU und AfD an.
Konkret geht es um ein Gesetz zum Bürokratieabbau (harmloser Name: „Omnibus Nachhaltigkeit“). Es soll die EU-Lieferkettenrichtlinie und Nachhaltigkeitsberichte eindampfen.
„Ich schließe keine Mehrheit aus, solange wir die Kosten für Unternehmen senken und die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken“, sagt mir der schwedische EU-Abgeordnete Jörgen Warborn. Er verhandelt für die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören.
Im Klartext: Auch mit der nationalkonservativen EKR (u. a. Meloni, PiS) und den Rechtsaußen-Fraktionen Patrioten (Orbán, Le Pen) und ESN (AfD), könnte eine Mehrheit gebildet werden, wenn es keine Einigung in der Mitte gibt.
Es wäre nicht das erste Mal: Bereits bei den Themen Grenzschutz und Entwaldung hatte es gemeinsame Mehrheiten von CDU/CSU und AfD gegeben. Neu sei, dass die EVP so offen mit einer rechten Mehrheit drohe, beschreibt ein Insider.
Lob kommt von AfD-Chefin Alice Weidel. Sie sagt meinem Kollegen Jan Schroeder: „Es ist ein sehr erfreuliches Signal, dass es vereinzelt zu einem Umdenken in der EVP kommt.“
Alle Hintergründe und Stimmen zum Thema gab es heute Morgen von Magdalena Thiele, Jan und mir im The Pioneer Hashtag#Hauptstadt-Briefing. Nachzulesen hier:
https://lnkd.in/e8zMrVkn
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