Mittwoch, 8. Oktober 2025

Zähne gezogen: Wirtschaftsministerium hat das deutsche Lieferkettengesetz faktisch abgeschafft, jetzt kommt das EU-Gesetz dran

Brandmauer? Nicht in der EU, da arbeitet die EVP (CDU/CSU)  schon lange und weniger sichtbar mit den Rechtsextremen zusammen, wenn sie es brauchen kann.

Heise hier 28.09.2025 Stefan Krempl


Zähne gezogen: Wirtschaftsministerium schafft Lieferkettengesetz faktisch ab
Das Wirtschaftsressort hat das zuständige Bundesamt angewiesen, bei der Anwendung des Lieferkettengesetzes zurückhaltend und unternehmensfreundlich zu agieren.

Die Bundesregierung hat das nationale Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten verpflichtet, massiv entschärft. 

Das von Katherina Reiche (CDU) geführte Wirtschaftsministerium hat in Abstimmung mit dem Arbeitsressort unter Bärbel Bas (SPD) die zuständige Aufsichtsbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), am Freitag angewiesen, künftig bei der Durchsetzung der Vorgaben "zurückhaltend und unternehmensfreundlich" vorzugehen.

Diese faktische Entkernung folgt auf den Kabinettsbeschluss von Anfang September zur Novelle des Gesetzes. Der umstrittene Regierungsentwurf sieht vor, die Bürokratie radikal einzudämmen, was Schwarz-Rot prinzipiell schon im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Die Pflicht für Unternehmen, detaillierte Jahresberichte über ihre Sorgfaltspflichten zu erstellen, soll ersatzlos und rückwirkend abgeschafft werden. Neun von dreizehn möglichen Bußgeldtatbeständen werden den Plänen zufolge aus dem Katalog der Ordnungswidrigkeiten gestrichen.

Um die Unternehmen sofort zu entlasten, hat das Haus von Reiche der Exportbehörde nun vorgegeben, Unternehmensberichte ab sofort gar nicht mehr zu prüfen. Ferner wird die Bafa entsprechend dem geplanten, aber noch gar nicht vom Bundestag verabschiedeten Gesetz laufende Bußgeldverfahren einstellen und keine neuen eröffnen, die auf den gestrichenen Tatbeständen beruhen.

Bußgelder nur noch bei schwersten Verstößen
Bußgelder für die verbleibenden relevanten Sachverhalte sollen nur bei besonders gravierenden Menschenrechtsverletzungen und unter sehr hohen Voraussetzungen verhängt werden. An das Bafa ging zugleich die Order, hierbei äußerst "restriktiv" vorzugehen, wenn die Fälle dies tatsächlich hergäben.

Gleichzeitig sollen die Exportkontrolleure ihre unterstützenden Aktivitäten etwa in Form von Umsetzungshilfen und der Förderung von Kooperationen weiter ausbauen. Mittelfristig werde das hiesige Gesetz durch eine "bürokratiearme Umsetzung der europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) ersetzt werden", heißt es beim Wirtschaftsressort. Die Regierung sage zu, die Belastungen für die Wirtschaft dabei so gering wie möglich zu halten.

Apple und Samsung wiederholt am Pranger
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) appellierte schon kurz nach Amtsantritt im Mai an die EU-Gesetzgebungsgremien, die erst 2024 beschlossene europäische Lieferkettenrichtlinie gleich wieder abzuschaffen. "Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben", betonte der Konservative mit Blick auf die hiesigen einschlägigen Bestimmungen, über die die CSDDD der EU teils hinausgeht. Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) setzte kurz darauf andere Akzente: "Natürlich müssen wir jetzt gucken: Wie können Berichtspflichten gedämpft werden, wie kann Bürokratie abgebaut werden? Aber insgesamt waren wir uns einig, das Lieferkettengesetz ist wichtig."

Der Entwurf der EU-Kommission für ein Paket zum Bürokratieabbau sieht vor, dass die CSDDD später greift, dann nur noch ein Fünftel der derzeit vorgesehenen Unternehmen betrifft und weniger Informationen zutage bringt. Mit der Richtlinie sollen vor allem große Konzerne verpflichtet werden, ihre negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt wie Kinderarbeit, Sklaverei, Arbeitsausbeutung, Verschmutzung, Entwaldung, übermäßigen Wasserverbrauch oder die Schädigung von Ökosystemen abzumildern. Das bezieht sich auch auf Tochtergesellschaften und Geschäftspartner. Betroffene sollen entsprechende Prüfprozesse aufsetzen und diese dokumentieren. Zuvor traten etwa bei Apple, Samsung & Co. mehrfach Missstände in den Lieferketten zutage.


WiWo  hier (hinter Bezahlschranke) Clara Thier 29.09.2025 

„Sofortige Entlastung für Unternehmen“ – Bundesregierung setzt das Lieferkettengesetz schrittweise aus


Bundesregierung sägt am Lieferkettengesetz
Das Lieferkettengesetz als zahnloser Tiger: Sanktionen werden künftig noch unwahrscheinlicher. Was die Weisung aus Berlin nun genau für Unternehmen bedeutet, bleibt aber unklar.


TAZ  hier 7.10.2025

Konservative flirten mit extrem Rechten: Lieferketten-Regeln kommen unter die Räder

Die EU-Lieferketten-Richtlinie wird abgeschwächt. Wie sehr, können sich CDU und EVP aussuchen – und sich vielleicht mit den Ultrarechten verbünden.

Bevor sie ihre Wirkung überhaupt entfalten kann, wird die europäische Lieferketten-Richtlinie wohl schon abgeschwächt. In dieser Woche laufen entscheidende Verhandlungen im Europäischen Parlament.

Dabei hält sich die Europäische Volkspartei (EVP), der auch die deutsche Union angehört, zwei Varianten offen – eine Einigung mit den Rechten und Rechtsextremen oder mit den Fraktionen der linken Mitte.

Die Richtlinie verpflichtet größere Unternehmen, sich um die Menschenrechte der Beschäftigten ihrer Lieferanten in aller Welt zu kümmern. Dabei geht es unter anderem um Mindestlöhne, Mindesturlaub und sichere Arbeitsbedingungen.

Die Regelungen traten vor einem Jahr in Kraft, doch die Unternehmen müssen sie bisher noch nicht umsetzen.

Zahlreiche Schwächungen der Richtlinie
Angesichts der ökonomischen Stagnation und vieler Beschwerden aus der Wirtschaft über zunehmende Bürokratie legte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mittlerweile Vorschläge zur Abschwächung der Richtlinie vor.

Diese bedürfen auch der Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten und des Europäischen Parlaments. Eine Zwischenentscheidung fällt wohl am 13. Oktober im Rechtsausschuss des Parlaments.

Auf dem Weg dorthin hat Jörgen Warborn, der Verhandlungsführer der EVP, nun ein Paket geschnürt. Demnach sollen nur noch Unternehmen ab 5.000 Beschäftigten unter die Regelung fallen – bisher gilt sie noch ab 1.000 Arbeitskräften.

Im Prinzip müssen sich diese Firmen nur um ihre unmittelbaren Zulieferer kümmern, jedoch nicht mehr um deren Vorlieferanten. Und die eigentlich geplante wirksame Haftung, die geschädigte Beschäftigte vor Gericht durchsetzen könnten, wird gestrichen.

CDU und EVP können sich Rechts oder Mitte aussuchen
Manchen Po­li­ti­ke­r:in­nen des Europäischen Parlaments reichen diese Schritte zur Abschwächung aber nicht. Zu ihnen gehören etwa die CSU-Abgeordneten Angelika Niebler und Markus Ferber.

Sie brachten unter anderem den Antrag ein, die komplette Lieferketten-Richtlinie aufzuheben – eine Forderung, die auch Zustimmung in den Rechtsaußen-Fraktionen findet. Etwa die polnische Partei PiS in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) unterstützt das.

Auf der anderen Seite stehen die Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen, die die neuen Menschenrechtsregeln für die globale Wirtschaft mehrheitlich erhalten wollen. Für sie ist ein zentraler Punkt, dass die geplante strengere, zivilrechtliche Haftung nicht gelöscht wird.

Die EVP und Warborn können sich ihre Mehrheit jedoch im Prinzip aussuchen. Dem schwedischen Politiker steht einerseits die Option zur Verfügung, eine noch stärkere Abschwächung mit den Rechten beschließen. Über die andere verhandelt er weiter mit Mitte-links – mit den Parteien, die von der Leyen zusammen mit der EVP ins Amt gewählt haben.

Katholische NGO warnt vor „Fall der Brandmauer“
Das hat die katholische Entwicklungsorganisation Misereor und weitere Un­ter­stüt­ze­r:in­nen des Lieferkettengesetz jetzt bewogen, vor dem „Fall der Brandmauer“ zu warnen.

Eine Kooperation mit den Hartrechten „wäre ein fatales Signal für Menschenrechte, die Umwelt, das Klima und die politische Zukunft der EU wie auch mittelfristig für Deutschland“, sagte Armin Paasch von Misereor.

Auch wenn es dazu nicht kommen sollte, können Warborn und die EVP beide Seiten gegeneinander ausspielen. Der Verhandlungsspielraum von Mitte-links hält sich in Grenzen.

In der deutschen Politik steht die Abschwächung des hiesigen Lieferkettengesetzes ebenfalls auf der Tagesordnung. Kürzlich hat das Bundeskabinett beschlossen, dass die Unternehmen keine Berichte mehr darüber abgeben müssen, ob und wie sie das Gesetz einhalten.



LobbyControl  hier LinkedIn

In Brüssel drohen die Christdemokraten nächste Woche gemeinsam mit einer rechtspopulistischen bis rechtsextremen Mehrheit, die europäische Lieferkettenrichtlinie weitgehend auszuhöhlen. 

Es geht um Menschenrechte und den Schutz der Umwelt entlang der ganzen Lieferkette unserer Konsumgüter. 

Für viele - nicht für alle - in der Union scheinen Schutz von Menschenrechten oder der Umwelt in Herstellerländern zunehmend "Gedöns". Sie sollen der Wettbewerbsfähigkeit zum Opfer fallen. Seit Monaten machen große deutsche Industrieverbände Druck, die Richtlinie an den entscheidenden Punkten abzuschwächen - obwohl sich viele Unternehmen für diese Richtlinie ausgesprochen und sich bereits auf sie eingerichtet haben. 

Manche CDU/CSU-Abgeordnete wie Angelika Niebler wollen gar die ganze Lieferkettenrichtlinie zu Fall bringen. So forderte sie gemeinsam mit anderen Abgeordneten eine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitenden und 1,5 Milliarden Jahres-
umsatz. Laut Initiative Lieferkettengesetz wären davon dann nur noch 120 Unternehmen in Deutschland betroffen.

Angelika Niebler haben wir schon mehrfach wegen ihrer Interessenkonflikte durch Nebentätigkeiten kritisiert. Sie ist beispielsweise Präsidentin des Unternehmerverbands Wirtschaftsbeirat der Union, der auch im EU-Lobbyregister eingetragen ist. 

Wir werden am 13.10. sehr genau hinsehen, ob die Christdemokraten wirklich bereit sind, in Brüssel endgültig die Brandmauer einzureißen, um gegen Menschenrechte zu stimmen. Es gibt eine Mehrheit für eine Lieferkettenrichtlinie mit SPD, Grünen, Linken und FDP. Selbst diese wäre gegenüber dem ursprünglichen Gesetz auf Druck der Konservativen schon abgeschwächt. Die Brandmauer würde also komplett ohne Not gerissen. 

Für weitere Infos, lest das Briefing der Initiative Lieferkettengesetz unten



Armin Paasch  LinkedIn

BRIEFING: Rechtsbündnis gegen #Lieferkettenrichtlinie und Nachhaltigkeit?
 
Jörgen Warborn, schwedischer Abgeordneter und Berichterstatter der EVP im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, sprach letzten Dienstag eine kaum verhohlene Drohung aus: Wenn die Fraktionen S&D, Grüne und Renew der EVP nicht noch weiter entgegenkommen, steht eine andere Mehrheit als "Option 1" für eine noch drastischere Aushöhlung der EU- #Lieferkettenrichtlinie (#CSDDD) im Rahmen des #Omnibus I Pakets bereit. Renew konkretisierte in einer Pressemitteilung, was Warborn meinte: „eine Mehrheit zwischen Rechten (EVP) und Rechtsaußen (EKR, Patrioten, ESN)“. Geplant ist die Abstimmung im Rechtsausschuss des EP für den 13. Oktober.
 
In einem neuen Briefing dokumentieren Misereor, Global Policy Forum Europe und die Initiative Lieferkettengesetz die problematische Rolle einiger MEPs der Union mit Blick auf ein solches Rechtsbündnis gegen Nachhaltigkeit

Angelika Niebler (Vize-Vorsitzende der CSU), Daniel Caspary MdEP, Markus Ferber, MdEP u.a. hatten unisono mit Abgeordneten der Fratelli d’Italia, des Rassemblement National, der PiS und der AfD die komplette Aufhebung der CSDDD gefordert. Frau Niebler hatte explizit und öffentlich eine mögliche Mehrheit mit der rechten Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) rund um Giorgia Meloni ins Spiel gebracht. Hinzu kommt: Die EKR reicht nicht zur Mehrheit. Erforderlich wären auch Stimmen aus weiteren ultra-rechten Fraktionen, die der EVP-Vorsitzende Manfred Weber mal als „politische Feinde“ bezeichnet hat, wie den Patrioten für Europa (PfE) und Europa Souveräner Nationen (ESN).
 
Mit der Drohung von Warborn könnte dieses unheilvolle Szenario am 13.10. im Rechtsausschuss und in der darauffolgenden Woche im EP Realität zu werden. Von der #CSDDD bliebe nur noch eine  leere Hülle übrig. In Deutschland würden nur noch 120 statt aktuell 2.700 Unternehmen zur Achtung der #Menschenrechte und der #Umwelt verpflichtet. Unternehmen müssten für Schäden faktisch nicht mehr haften und keine Maßnahmen zum #Klimaschutz ergreifen. Und weit mehr steht auf dem Spiel: der Abriss der #Brandmauer im EP. Es wäre ein verheerendes Signal für #Menschenrechte, die #Umwelt, das #Klima und die politische Zukunft der EU wie auch mittelfristig in Deutschland.
 
Bleibt zu hoffen, dass die vernünftigen Stimmen innerhalb der Union und EVP jetzt laut und deutlich vernehmbar werden: für einen Kompromiss mit der politischen Mitte und für die viel beschworenen „europäischen Werte“!






Jonathan Packroff  LinkedIn

Bürokratieabbau statt Brandmauer

Theoretisch steht sie noch, die viel beschworene Brandmauer. Praktisch zeigt sie deutliche Risse. Aktuelles Beispiel: Im EU-Parlament bahnt sich ein neues Tête-à-Tête von CDU/CSU und AfD an.

Konkret geht es um ein Gesetz zum Bürokratieabbau (harmloser Name: „Omnibus Nachhaltigkeit“). Es soll die EU-Lieferkettenrichtlinie und Nachhaltigkeitsberichte eindampfen.

„Ich schließe keine Mehrheit aus, solange wir die Kosten für Unternehmen senken und die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken“, sagt mir der schwedische EU-Abgeordnete Jörgen Warborn. Er verhandelt für die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören.

Im Klartext: Auch mit der nationalkonservativen EKR (u. a. Meloni, PiS) und den Rechtsaußen-Fraktionen Patrioten (Orbán, Le Pen) und ESN (AfD), könnte eine Mehrheit gebildet werden, wenn es keine Einigung in der Mitte gibt.

Es wäre nicht das erste Mal: Bereits bei den Themen Grenzschutz und Entwaldung hatte es gemeinsame Mehrheiten von CDU/CSU und AfD gegeben. Neu sei, dass die EVP so offen mit einer rechten Mehrheit drohe, beschreibt ein Insider.

Lob kommt von AfD-Chefin Alice Weidel. Sie sagt meinem Kollegen Jan Schroeder: „Es ist ein sehr erfreuliches Signal, dass es vereinzelt zu einem Umdenken in der EVP kommt.“

Alle Hintergründe und Stimmen zum Thema gab es heute Morgen von Magdalena Thiele, Jan und mir im The Pioneer Hashtag#Hauptstadt-Briefing. Nachzulesen hier: https://lnkd.in/e8zMrVkn


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