Capital hier von Jannik Tillar 12. November 2025
Wirtschaftsweise erteilen der Bundesregierung einen scharfen Tadel
Wirtschaftsweise rügen die Bundesregierung scharf
Die Bundesregierung investiere nicht, wie im Sondervermögen beschlossen, sondern konsumiere. Das wird Deutschlands Wachstum bremsen, warnen die Wirtschaftsweisen die Koalition
Wer die Jahresgutachten des Sachverständigenrats für Wirtschaft der vergangenen Jahre nebeneinander legt, stellt erstaunliche Parallelen fest. Die Probleme, die die sogenannten Wirtschaftsweisen darin beschreiben, ähneln sich – was auch heißt: angepackt wurden davon bislang nur wenige.
Nun also, ein neuer Versuch. Mittwochmittag, Berlin-Mitte. Die fünf Ökonomen Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Monika Schnitzer, Achim Truger und Martin Werding halten ein 603 Seiten dickes Dokument mit dem Titel „Perspektiven für morgen schaffen – Chancen nicht verspielen“ in die Kameras – ihr neues Jahresgutachten. Darin werden sie, wieder einmal, extrem deutlich.
Das Schuldenpaket der Bundesregierung? Eine Art Mogelpackung, jedenfalls kein Investitionsbooster. Bürokratieabbau? Dauert zu lang. Und die Weltwirtschaft? Ist deutlich wettbewerbsfähiger als das teure Deutschland. Gerade einmal um 0,2 Prozent dürfte die Wirtschaft dieses Jahr wachsen – und das vor allem wegen Vorzieheffekten. Nächstes Jahr dürften es 0,9 Prozent werden – im günstigsten Fall.
„Die Herausforderungen sind nicht kleiner geworden“, sagte die Vorsitzende Monika Schnitzer auf der Pressekonferenz am Mittwoch. Es sind gewaltige Hausaufgaben, die die Sachverständigen der Bundesregierung mitgeben. Im Großen und Ganzen fasst der Rat sie in vier Blöcken zusammen: Sondervermögen verbessern, Europa ausbauen, Unternehmenssteuern reformieren und Vermögensaufbau stärken. Für jedes Ziel nennt das Beratergremium dabei drei Herausforderungen und für jede Herausforderung wiederum drei konkrete Maßnahmen.
Wirtschaftsweise kritisieren Schuldenpaket
Bei ihrer Kritik stürzen sich die Wirtschaftsweisen dabei vor allem auf das 500 Milliarden schwere Sondervermögen (SVIK), das mit der alten Mehrheit im Bundestag zu Jahresbeginn beschlossen wurde, und das die neue Bundesregierung gerade aufsetzt. Das Urteil könnte kaum deutlicher ausfallen. „Unter dem derzeitigen Ausgabenpfad bleiben die positiven makroökonomischen Effekte gering“, heißt es im Gutachten. In der Wissenschaftssprache bedeutet das: durchgefallen.
Die Kritik bezieht sich vor allem auf die Mittelverwendung: Statt das Geld, wie vorgesehen, zu investieren, zeige sich der befürchtete Verschiebebahnhof. Davor hatten die Wirtschaftsweisen bereits in ihrem Frühjahrsgutachten gewarnt. Letztlich fließen geplante Investitionen aus dem Kernhaushalt ins Sondervermögen. Die frei werdenden Mittel im Kernhaushalt werden dann für Wahlgeschenke wie die Mütterrente genutzt.
Im Bundeshaushalt 2025 sinken die geplanten Investitionen so um 18,3 Mrd. Euro, während die SVIK-Ausgaben um 18,9 Mrd. Euro steigen. Netto sei das Investitionsniveau so nur minimal – und es droht sich in Zukunft ähnlich fortzusetzen. „Die Zusätzlichkeit der Ausgaben wird unterlaufen“, schreiben die Ökonomen. Für die Länder und den Klima- und Transformationsfonds (KTF), die jeweils 100 Mrd. Euro aus dem SVIK bekommen, gibt es beispielsweise keine Regeln, mit der die Zusätzlichkeit der Mittel gewährleistet werden.
Dazu kommt: Das vorhandene Geld wird auch noch schlecht eingesetzt. Im sogenannten „Länder- und Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetz (LuKIFG)“, das eigentlich eine Priorisierung und Zielgenauigkeit der Mittel sicherstellen soll, fehlen eben jene Punkte. Nicht einmal ein konsequentes Monitoring, wie die Mittel verwendet werden, sei abgesichert.
Das sei nicht nur bedauerlich, sondern verhindere Wachstum nahezu fahrlässig, urteilen die Wirtschaftsweisen. Grundsätzlich sei das Schuldenpaket nämlich zu begrüßen und habe großes Potenzial, Deutschland wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen – aber eben nur, wenn die Mittel auch ankommen und zusätzlich sind.
Jahresgutachten zeigt die alten Probleme auf
Daneben kritisieren die Sachverständigen eine Reihe bekannter, struktureller Probleme. Etwa, dass die demografischen Probleme nicht energisch genug angegangen werden. Rente, Gesundheit, Bildung – all diese Felder liegen unter der neuen Regierung weitestgehend brach. Letztlich spitzt der Rat hier nur die Kritik der Vorjahre weiter zu.
Die Lösungsansätze sind ebenfalls wohlbekannt. Europa etwa sei der Ausweg aus dem geopolitischen Sturm. Dafür müssen Handelsbarrieren abgebaut – sowie ein gemeinsamer europäischer Kapitalmarkt geschaffen und Verteidigungsfähigkeit aufgebaut werden.
Hohe Steuern, wenig Leistung
Aber auch Deutschland selbst muss sich verbessern. Die Steuerbelastung etwa ist zu hoch – gemessen am Rest der Welt, aber auch an dem, was Unternehmen dafür bekommen. Und die Steuern, die erhoben werden, wirken zudem investitionshemmend. Die Ökonomen schlagen etwa vor, Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung steuerlich gleichzubehandeln. Aktuell gebe es hohe steuerliche Anreize, Fremdkapital aufzunehmen – wodurch allerdings die Risiken bei Unternehmen und auf dem Finanzmarkt erhöht würden.
Statt die Gewinne simpel zu besteuern, schlagen die Wirtschaftsweisen eine sogenannte „Allowance for Corporate Equity“ (ACE) vor, mit der Eigenkapitalkosten von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden können, ähnlich wie bei den Zinsaufwendungen für Fremdkapital. In Belgien führte dies dazu, dass Unternehmen ihre Eigenkapitalquote um drei Prozentpunkte auf 39 Prozent erhöhten. Aber: Unter einer ACE ist die Bemessungsgrundlage schmaler, da nur ökonomische Renten (abzüglich kalkulatorischer Kosten) und nicht der gesamte buchhalterische Gewinn der Steuer unterliegen. Dies führt zu einem geringeren Steueraufkommen. Außerdem dürfte die Bankenlobby wenig begeistert sein.
Vermögensaufbau stärken
In der Finanzszene dürfte allerdings der vierte Vorschlag auf offene Ohren stoßen. Denn die Experten schlagen gezielte Maßnahmen vor, um den Vermögensaufbau zu stärken. Was im vergangenen Jahr unter dem Stichwort „privates Altersvorsorgedepot“ kursierte, befürworten die Ökonomen erneut. Dieses sollte nun bestenfalls direkt mit der geplanten Frühstart-Rente zusammen gedacht werden.
Außerdem sollten Ungerechtigkeiten bei Erbschaften und Schenkungen abgebaut werden. „Anstelle der bisherigen Freibeträge, die mehrmals in Anspruch genommen werden können, könnte ein Lebensfreibetrag für alle im Lebensverlauf kumuliert erhaltenen Vermögensübertragungen eingeführt werden“, schlagen die Ratsmitglieder vor. Der Status quo führe zu Steuergestaltung und erschwere soziale Aufstiege. „Hohe Betriebsvermögen werden in vielen Fällen annähernd oder komplett steuerfrei übertragen“, stellen die Ökonomen fest. Eine stärkere Ausrichtung am Leistungsfähigkeitsprinzip sei dringend nötig.
Correctiv hier
Klima-Sparschwein wird geschlachtet
Damit Sie den Durchblick behalten, hier erst noch mal eine Übersicht. Die halbe Billion Euro, die wir in den kommenden Jahren investieren wollen, wird laut Plan der Bundesregierung so aufgeteilt:
- 300 Milliarden Euro für Investitionen des Bundes – zum Beispiel für Bahnschienen,
- 100 Milliarden, die Bundesländer unter sich und den Kommunen aufteilen – etwa für Straßen oder neue Schulgebäude,
- 100 Milliarden, die in den „Klima- und Transformationsfonds“ fließen sollen.
Letzterer ist ein Geldtopf, der schon unter Angela Merkel (CDU) als Bundeskanzlerin eingeführt wurde. Ziel: Klimaneutralität fördern. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass wir am Klimaschutz sparen, wenn die Wirtschaft schwächelt.
Wozu der Fonds dient:
Der Fonds, kurz KTF, ist das zentrale Instrument für Klimaschutz und Energiewende in Deutschland. So beschreibt es das Bundeswirtschaftsministerium selbst auf seiner Internetseite.
Im Prinzip ist er ein riesiges Sparschwein, von dem eine Menge Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden können. Zum Beispiel Zuschüsse für Hausbesitzerinnen und -besitzer, wenn sie energieeffizientere Heizungen oder dichtere Fenster einbauen.
Mit Geld aus dem KTF werden aber auch Firmen finanziell entlastet, also die Wirtschaft gefördert. Zum Beispiel ersetzt Geld aus diesem Fonds seit Anfang dieses Jahres die sogenannte EEG-Umlage. Diese Umlage mussten zuvor Firmen und Privatkunden als Aufschlag auf den Strompreis zahlen, damit erneuerbare Energien ausgebaut werden konnten.
Was unsere Recherche zeigt:
Es ist etwas kompliziert. Also: Die Bundesregierung wollte ja, wie oben erwähnt, dafür sorgen, dass ein großer Batzen Geld aus dem „Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität“ in diesen bereits bestehenden Topf fließt, den KTF.
Genauer gesagt lautete das Versprechen (hier nachzulesen):
Jedes Jahr fließen ab sofort zehn Milliarden Euro aus dem Sondervermögen in den KTF. Und zwar zusätzlich
Wir haben nun aber herausgefunden,
dass dieses Versprechen nicht eingehalten wird
In unserem heute veröffentlichten Text erklären wir dies ausführlich.
Kern der Recherche ist, dass aus dem Fonds nun offenbar eine ganze Reihe von Ausgaben bezahlt werden sollen, die nicht „zusätzlich“ zur normalen Haushaltsplanung erfolgen. Sondern die mehr oder weniger laufende Ausgaben sind. Was mit anderen Worten bedeutet: keine großen neuen Ausgaben für Klimaschutz.
TAZ hier 12.11.2025 Anja Krüger
Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen: Regierung verkleckert Sondervermögen
Die Ökonom:innen kritisieren, dass zu wenig Geld aus dem Infrastrukturfonds in zusätzliche Investitionen fließt. Das schade der Konjunktur.
Der Sachverständigenrat Wirtschaft kritisiert den Umgang der Bundesregierung mit dem kreditfinanzierten „Sondervermögen“ für Infrastruktur und Klimaschutz: Die vielen Milliarden werden die Konjunktur nur wenig anschieben, weil die Regierung das Geld zu großen Teilen nicht für zusätzliche Investitionen nutzt, sagen die Wirtschaftsweisen. Das von der Regierung selbst eingesetzte Gremium moniert in seinem am Mittwoch vorgelegten Jahresgutachten, dass zu viel Geld aus dem „Sondervermögen“ für Umschichtungen im Haushalt und kurzfristige Zwecke ausgegeben wird, die sogenannten konsumtiven Ausgaben.
Dabei sind wirksame Maßnahmen für eine Konjunkturerholung dringend erforderlich.
Die deutsche Wirtschaft ist zwei Jahre in Folge geschrumpft. Die Wirtschaftsweisen erwarten für 2025 ein minimales Wachstum von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das prognostizierte Plus für 2026 von 0,9 Prozent geht vor allem auf steigende staatliche Ausgaben und die kalenderbedingte hohe Zahl an Arbeitstagen zurück.
Die Konjunktur würde sich besser entwickeln, wenn wie ursprünglich vorgesehen das Geld aus dem Infrastrukturfonds, den die Bundesregierung geschaffen hat, tatsächlich für zusätzliche Projekte ausgegeben würde, so die Wirtschaftsweisen. Über einen Zeitraum von 12 Jahren werden 500 Milliarden Euro bereitgestellt, die über Kredite finanziert werden. Mithilfe dieses „Sondervermögens“ soll die Infrastruktur auf Vordermann und der Klimaschutz vorangebracht werden. Die Grünen haben der dafür nötigen Grundgesetzänderung nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die Investitionen zusätzlich erfolgen und Geld explizit in den Klimaschutz fließt. Sie werfen der Regierung Wortbruch vor, weil das zu großen Teilen nicht der Fall ist.
Auch die Wirtschaftsweisen kritisieren, dass zu wenig Geld in zusätzliche Investitionen fließt. Das Finanzpaket biete Chancen, sagt Monika Schnitzer, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, bei der Vorstellung des Jahresgutachtens. „Diese dürfen aber nicht verspielt werden.“
Zu wenig zusätzliche Investitionen
Doch offenbar macht die Bundesregierung genau das. Bis zum Jahr 2030 lassen sich dem Gutachten zufolge nur 98 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen als zusätzliche Investitionen und Ausgaben für Klimaneutralität einordnen. Das ist weniger als die Hälfte der bis dahin eingesetzten Mittel aus dem „Sondervermögen“. Die Folge: Das mögliche Wirtschaftswachstum fällt viel geringer aus als bei einer Verwendung des Gelds ausschließlich für zusätzliche Investitionen.
Die Wirtschaftsweisen fordern, dass die gesetzlichen Vorgaben für das Kriterium der Zusätzlichkeit bei den Investitionen verschärft werden. Sie schlagen eine systematische Überwachung der Ausgaben vor. „Ein gesetzlich verankertes unabhängiges Monitoring-Gremium könnte die Verwendung der Mittel überwachen und auf Fehlentwicklungen hinweisen“, heißt es in ihrem Gutachten.
Auch bei den Bundesländern ist nach Auffassung der Ökonom:innen zentral, dass die Investitionen zusätzlich erfolgen. Die Länder sollen von den 500 Milliarden Euro „Sondervermögen“ 100 Milliarden erhalten. Die Wirtschaftsweisen schlagen eine länderspezifische Investitionsquote vor, um sicherzustellen, dass die Mittel nicht vielfach in ohnehin vorgesehene Projekte fließen. Außerdem empfehlen sie, dass die Gelder für die Länder zu 60 Prozent an die Kommunen weitergereicht werden.
Mit Blick auf die Staatsfinanzen stellt das Gremium auch aktuelle Projekte der Bundesregierung infrage. „Kurzfristig sollten fragwürdige Ausgaben wie die Ausweitung der Mütterrente, die Umsatzsteuerermäßigung in der Gastronomie, die Anhebung der Entfernungspauschale und die Wiedereinführung der Dieselkraftstoffsubventionen für Land- und Forstwirtschaft unterbleiben“, fordern die Wirtschaftsweisen.
Reform der Erbschaftsteuer
Gleichzeitig mahnen die Ökonom:innen Änderungen bei der Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen an. Eine Reform soll ihrer Auffassung nach dafür sorgen, dass alle Vermögensarten gleichmäßig besteuert werden. Heute werden Unternehmenserb:innen stark bevorzugt. „Die Verschonungsregelungen für das Betriebsvermögen sorgen dafür, dass ausgerechnet sehr hohe Erbschaften und Schenkungen häufig nur vergleichsweise gering besteuert werden“, so der Wirtschaftsweise Achim Truger.
Eine beliebte Methode, um Steuern bei der Weitergabe von Vermögen zu vermeiden, sind Schenkungen. Bislang gibt es dafür alle zehn Jahre neue Freibeträge. Hier schlagen die Wirtschaftsweisen die Einführung eines Lebensfreibetrags vor. Damit würde die anfallende Steuer ausschließlich vom übertragenen Vermögen abhängen und nicht mehr vom Zeitpunkt der Weitergabe. Das Bundesverfassungsgericht wird voraussichtlich noch in diesem Jahr ein Urteil zur Erbschaftsteuer fällen, was eine schnelle Reform nötig machen könnte.
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