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Statt Rosen gibt es harsche Kritik zum 70. Geburtstag für Merz:
Wirtschaftsweise zerlegen den Umgang mit dem Sondervermögen.
Statt eine klimaneutrale Zukunft zu finanzieren, verschwendet die Merz-Klingbeil-Koalition das Geld aus dem Sondervermögen lieber.
Laut Wirtschaftsweisen nutzt die Koalition weniger als die Hälfte des Sondervermögens für echte Zusatzinvestitionen – fatal in Zeiten, in denen wir dringend mehr staatliche Mittel für unser Bildungssystem, unsere öffentliche Infrastruktur und grüne Zukunftstechnologien brauchen.
Die Wirtschaftsweisen fordern explizit eine höhere Erbschaftsteuer bei Betriebsvermögen. Aktuell sorgen viele Ausnahmetatbestände dafür, dass gerade hohe Erbschaften und Schenkungen oft sehr niedrig besteuert werden. Ich hoffe, Sie nehmen Ihr Geburtstagsgeschenk ernst, Herr Merz.
Zeit hier Interview: Carla Neuhaus und Jens Tönnesmann Aus der ZEIT Nr. 48/2025 12.11. 2025
Monika Schnitzer: "Die Regierung hat den Ernst der Lage nicht erkannt"
Zu wenig Wachstum, zu wenig Weitsicht: Die Vorsitzende der "Wirtschaftsweisen" sagt, die Politik vergeige den Wandel – und hat ein paar Vorschläge.
DIE ZEIT: Frau Schnitzer, vor einem Jahr ist die Ampel-Regierung zerbrochen, auch am Streit über den Umgang mit der Wirtschaftskrise. Trotz neuer Regierung geht es der Wirtschaft heute kaum besser. Wie kommt das?
Monika Schnitzer: Die neue Bundesregierung hat zwar schnell ein großes Finanzpaket aufgelegt, um mehr in Verteidigung und Infrastruktur zu investieren. Nur reicht das nicht. Die Politik hat sich zu lange darauf verlassen, dass unsere Konjunktur automatisch anzieht, sobald die Weltwirtschaft wieder stärker wächst. Das ist aber nicht mehr der Fall. Die deutsche Exportindustrie ist nicht mehr so wettbewerbsfähig wie früher. Wir sind nicht innovativ genug. Und die Zollpolitik der USA und der starke Euro machen die Exporte noch teurer.
ZEIT: Kanzler Friedrich Merz sagte im September, wir redeten die Wirtschaft schlecht. Das Glas sei halb voll, nicht halb leer. Liegt er also falsch?
Schnitzer: Wir haben durchaus noch eine leistungsfähige Wirtschaft. Aber wir verlassen uns zu stark auf traditionelle Branchen wie die Automobil-, die Chemie- und die Stahlindustrie, die uns in der Vergangenheit viel Wohlstand gebracht haben. Wir müssen uns neu aufstellen, sonst werden wir global zurückfallen. Und ich sehe da nicht genug Veränderungswillen. Jeder denkt zu sehr an seine eigene Amtszeit und nicht daran, was danach kommt. Damit meine ich nicht nur die Politik, sondern auch die Vorstände in den Konzernen.
ZEIT: Merz sagt, Deutschland befinde sich nicht in der Stagnation, sondern im Turnaround ...
Schnitzer: Da würde ich ihm widersprechen. Ich sehe noch keinen Turnaround. Um ein modernes industrielles Vorzeigeland zu werden, müsste die Industrie effizienter produzieren, künstliche Intelligenz einsetzen, Neues entwickeln. Das passiert noch viel zu wenig, und das ist ernüchternd.
ZEIT: Dann geben Sie vor allem den Unternehmen die Schuld an der Misere?
Schnitzer: Die Politik muss es den Unternehmen leichter machen, sich zu verändern. Bislang macht sie es ihnen eher leicht, am Althergebrachten festzuhalten. Das ist bequem. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Gemütlichkeit.
ZEIT: Die Regierung hat immerhin einen sogenannten Wachstumsbooster beschlossen mit besseren Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, damit sie mehr investieren. Hilft das nicht?
Schnitzer: Diese kleine Steuersenkung wird natürlich helfen. Aber sie kann nur ein Baustein sein von vielen. Mir fehlt das Gesamtkonzept. Die Regierung denkt zu sehr vom Status quo her.
Sie argumentiert etwa, dass der Strombedarf der Wirtschaft nicht so stark steigen wird, man die Energieversorgung also weniger ausbauen muss, als bisher geplant. Wenn die Unternehmen allerdings in Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz oder Elektromobilität investieren, wird ihr Stromverbrauch deutlich steigen.
ZEIT: Wo versteckt sich denn die hoffnungsvollste Botschaft in Ihrem Gutachten, das Sie mit dem Sachverständigenrat gerade vorgelegt haben?
Schnitzer: Das neu geschaffene Sondervermögen Infrastruktur könnte tatsächlich einen großen Effekt auf unsere Wirtschaft haben, wenn man es für die richtigen Investitionen einsetzt. So wie es jetzt angelegt ist, wird man seine Wirkung aber erst 2026 spüren. Dann dürfte die Wirtschaft insgesamt um 0,9 Prozent zulegen. Davon gehen nach unseren Prognosen nur 0,3 Prozentpunkte auf das Finanzpaket zurück. Weitere 0,3 Prozentpunkte erwarten wir schlicht deshalb, weil 2026 mehr Feiertage auf die Wochenenden fallen und es deswegen mehr Arbeitstage gibt. Die übrigen 0,3 Prozent hätte es auch unabhängig davon gegeben.
ZEIT: Sie hatten mit dem Sachverständigenrat selbst vorgeschlagen, die Schuldenbremse zu lockern. Das Sondervermögen geht auf vier andere Ökonomen zurück, die an Weiberfastnacht ein entsprechendes Papier entworfen haben. Warum hat das Wort Ihres Gremiums so wenig Gewicht?
Schnitzer: Dass sich das vier Männer an Weiberfastnacht ausgedacht haben, ist schon lustig. Aber im Ernst: Wir haben als Sachverständigenrat bereits im vergangenen Jahr vorgeschlagen, dass der Staat sich umso stärker verschulden darf, je niedriger die Schuldenstandsquote ist, also die Verschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung. Damit waren wir nicht allein. Dass diese Vorschläge nicht umgesetzt wurden, hat auch damit zu tun, dass im Frühjahr nur drei Wochen Zeit waren, um das Grundgesetz zu ändern, bevor sich der neue Bundestag formierte. Da konnte man keine grundlegendere Reform ausverhandeln.
"Die Jungen müssen die Schulden abzahlen,
die wir heute machen"
ZEIT: War die schnelle Lösung die bestmögliche?
Schnitzer: In der kurzen Zeit schon. Allerdings muss die Politik noch mal nachbessern. Bei der Verteidigung können künftig alle Ausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, aus Schulden finanziert werden. Damit hat man das klare Signal gesetzt: Wir tun für die Verteidigung alles, was nötig ist. Langfristig könnte die Möglichkeit, unbegrenzt Kredite für das Militär aufnehmen zu können, die Staatsschulden allerdings massiv steigern. Das ist ein Problem.
ZEIT: Ob neue Kredite vertretbar sind, hängt davon ab, wie viel man erwirtschaftet. Deshalb schauen Ökonomen auf besagte Schuldenstandsquote, die aktuell bei etwas mehr als 60 Prozent liegt. Was ist Ihre Prognose, wie sie sich entwickelt?
Schnitzer: Wenn wir das Geld aus dem Sondervermögen in Projekte investieren, die die Produktivität und das Wachstum ankurbeln, können wir uns höhere Schulden leisten. Wenn man die aktuelle Haushaltsplanung anschaut, wird der Wachstumseffekt aber eher gering ausfallen. Deshalb dürfte Deutschland angesichts der hohen Kredite in zehn Jahren bei einer Schuldenquote von 85 Prozent liegen.
ZEIT: Das wäre deutlich über der Grenze von 60 Prozent, die die EU erlaubt. Zugleich gibt es viele Länder in der EU, die schon jetzt höher verschuldet sind. Sind 85 Prozent ökonomisch vertretbar?
Schnitzer: Wir sind wegen Trumps unwägbarer Zollpolitik, Russlands Angriffskrieg und dem Strukturwandel in einer außergewöhnlichen Situation. Da ist ein höherer Schuldenstand durchaus gerechtfertigt, solange man dafür sorgt, ihn später wieder zurückzufahren. Entscheidend dafür ist, dass das zusätzliche Geld ausschließlich in Investitionen fließt. Im besten Fall könnte dann das Wachstum jedes Jahr um einen Prozentpunkt höher ausfallen. Nur: Schaut man sich die Pläne der Bundesregierung an, ist das vielfach nicht der Fall. Man schafft sich mit dem Investitionsprogramm Spielraum im Kernhaushalt, um Geld für teure Wahlgeschenke auszugeben: die Ausweitung der Mütterrente, die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie, die Subventionen für Agrardiesel, die Pendlerpauschale. Das kostet zusammengenommen schnell zehn Milliarden Euro im Jahr, hat aber keine Wachstumseffekte.
Verjubeln sie das Sondervermögen? hier
ZEIT: Man könnte aber auch sagen, man investiert mit Subventionen für Agrardiesel oder einer höheren Pendlerpauschale in den gesellschaftlichen Frieden. Ist das nicht sinnvoll?
Schnitzer: Nein. Mit dem Argument könnte jede Gruppe sagen, sie hätte auch gerne etwas. Solche Wahlgeschenke lassen eher vermuten: Die Regierung hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Friedrich Merz müsste eine Ruckrede halten, damit jedem klar wird, wo wir stehen und was das jedem von uns abverlangt. Bisher geht die Politik allerdings nur zulasten der jungen Generation.
ZEIT: Der könnten die Investitionsprogramme aber auch helfen. Woran machen Sie das also fest?
Schnitzer:
Die Jungen müssen die Schulden abzahlen,
die wir heute machen.
Sie werden künftig wohl einen Wehrdienst absolvieren müssen. Sie werden mehr für Kranken- und Pflegeversicherung
zahlen müssen.
Ebenso für die Rentenversicherung,
wenn man sie nicht zügig reformiert.
Auf den Schultern der Jungen lastet die ganze Verantwortung. Statt das anzuerkennen, hört man nur,
der jungen Generation fehle es an der nötigen Arbeitsmoral. Dabei arbeitet sie heute insgesamt eher mehr als früher.
ZEIT: Friedrich Merz hält den Sozialstaat in seiner heutigen Form nicht mehr für finanzierbar, Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas hat das "Bullshit" genannt. Wer hat recht?
Schnitzer: Wenn die Regierung für ein Wachstumswunder sorgen würde, wäre alles weiter finanzierbar. Aber ich sehe kein Wachstumswunder. Deshalb müssen wir beispielsweise die Renten von der Lohnentwicklung entkoppeln, damit sie weniger stark steigen.
ZEIT: Viele Menschen halten es für ungerecht, wenn ihre Sozialleistungen gekürzt werden, während, so ihr Empfinden, sehr reiche Menschen immer reicher werden. Stimmt dieser Eindruck?
Schnitzer: Wir haben uns das in unserem neuen Gutachten genau angeschaut, weil uns über sehr hohe Vermögen inzwischen mehr Daten vorliegen als früher. Tatsächlich sind die Vermögen in Deutschland im europäischen Vergleich sehr ungleich verteilt. Im Osten haben die Menschen weniger Vermögen als die im Westen. Interessant ist auch: Frauen erben weniger und erhalten weniger Schenkungen von Betriebsvermögen als Männer.
"Die Steuer müsste gerechter gestaltet werden"
ZEIT: Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Schnitzer: Wer arm ist, gewinnt im Laufe seines Lebens kaum Vermögen dazu, spart kaum und erzielt nur schlechte Renditen. Wer dagegen reich ist, erzielt höhere Renditen und wird immer reicher. Dazu kommt: Kinder reicher Eltern werden auch selbst eher reich – nicht aufgrund ihrer Gene, sondern wegen vererbter Vermögen. Sie können sich eine bessere Bildung leisten und bekommen beispielsweise eher das nötige Kleingeld, um eine Firma zu gründen. Und das ist ungerecht.
ZEIT: Die Bundesregierung will ab 2026 jedem Kind ab sechs Jahren zehn Euro in ein kapitalgedecktes Altersvorsorgedepot überweisen. Ist diese sogenannte Frühstart-Rente ein richtiger Schritt?
Schnitzer: Ja, diesen Vorschlag haben wir vor einem Jahr gemacht. Auch wenn zehn Euro pro Monat ein extrem kleiner Betrag ist, ist es ein Anfang und ein Schritt zu mehr Kapitalmarktbildung. Daneben bräuchte es auch ein entsprechendes Depot für Erwachsene, um beispielsweise vermögenswirksame Leistungen am Kapitalmarkt anlegen zu können. Solche Angebote nehmen ärmere Menschen bisher kaum in Anspruch, dabei sollte der Staat ihnen helfen und sie auch zusätzlich fördern.
ZEIT: Und was der Staat den Ärmeren dazugibt, das holt er sich bei den Reicheren über die Erbschaftsteuer oder eine Vermögenssteuer?
Schnitzer: Das ist Sache der Politik. Die Erbschaftsteuer müsste ganz unabhängig davon reformiert werden, weil Erbschaften und auch Schenkungen unterschiedlicher Vermögensarten bisher sehr ungleichmäßig belastet werden. Derzeit prüft das Bundesverfassungsgericht ja erneut, ob die aktuellen Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
ZEIT: Braucht es also höhere Steuern auf große Erbschaften?
Schnitzer: Nicht generell. Aber die Steuer müsste gerechter gestaltet werden. Bislang ist es so, dass der Staat vererbte Betriebsvermögen mitunter vollständig verschont, wenn sich die Erben verpflichten, den Betrieb und die Arbeitsplätze zu erhalten. Dadurch kann im Extremfall jemand Millionen erben und dafür weniger Steuern zahlen müssen als ein anderer mit einer kleinen Erbschaft.
ZEIT: Was schlagen Sie vor?
Schnitzer: Der Staat sollte die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung abschaffen. Sie ermöglicht es Menschen, die ein Betriebsvermögen im Wert von mehr als 26 Millionen Euro erben, einen Steuererlass zu beantragen, wenn sie die anfallende Steuer nicht aus ihrem verfügbaren Privatvermögen bezahlen können. Diese Begünstigungen von Betriebsvermögen zu kippen, könnte dem Staat neun Milliarden mehr Einnahmen bringen.
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