Sonntag, 23. November 2025

Fühlt sich an wie eine Reise zum Mars - doch Klimaschutz ist für Europa der einzige Weg, um wirtschaftlich und gesellschaftlich zu überleben

Peter Jelinek 23. November 2025
Quelle: ZEIT | Instagram

Der Mann, der Benzin über die Brandmauer kippt(e)

die europäische Brandmauer brennt lichterloh. Ein jahrzehntelang währender Konsens unter demokratischen Kräften in Europa ist aufgelöst und das alles für ein einziges Gesetz, von dem hierzulande kaum jemand wirklich gehört hat, geschweige denn im Alltag berührt gewesen wäre. 

Dieser November wird wohl in die Geschichtsbücher eingehen, so viel ist klar und es ist der Beginn einer sich langsam aber stetig radikalisierenden Politik, die Arten- und Klimaschutz endgültig aus dem Weg räumen könnte. Könnte, denn noch ist nichts in Stein gemeißelt und politische Mehrheiten ändern sich bekanntlich stetig.

Ja, dass sind schwere Worte, aber rückblickend das Ergebnis jahrelanger destruktiver, gar ideologischer Kampagnenarbeit von Konservativen im EU-Parlament, deren Chef, Manfred Weber (CSU) nun dort ist, wo er jahrelang hin wollte: im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Seine neue Macht basiert nun auf der Basis von Rechten und unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung wird indirekt den rechts-libertären Wunschträumen von Big Tech bis fossiler Wirtschaft, wenig bis kein Staat, keine Kontrolle, kein Regelwerk, direkt oder indirekt freien Lauf gelassen.

Um das zu verstehen, müssen wir einmal die letzten vier Jahre kurz rekapitulieren und dann zu jenem Gesetz kommen, das in diesem geschichtsträchtigen November aufgeweicht wurde – mit Hilfe von Rechtspopulisten, Neo-Faschisten und Rechtsextremen. Und wir müssen uns überlegen, welche Wege von diesem Pfad führen, der Europa nicht mehr als Einigungsprojekt – die uns versprochene ever closer Union – sieht. Vielmehr müssen wir die wirklich tiefgreifenden Fragen stellen: Hat Europa als Union in der aktuellen Form noch eine Zukunft und wenn nicht, was wäre ihre Antwort?

Die drei Kränkungen des Manfred Webers 

Mit der EU-Wahl 2019 begann alles: Am 23. bis 26. Mai 2019 wählten die Europäer*innen ein neues Parlament und zumindest in einigen größeren EU-Ländern gab es eine sogenannte grüne Welle. Getragen von den bis dahin größten Klimaprotesten der Europäischen Union (bzw. der Welt) gelangen die Forderungen von der Straße direkt in die Machtzentren Brüssels. Hierzulande errangen die Grünen ihren bis heute größten Triumph. Nicht zwangsläufig durch eine starke Kampagne, sondern mehr durch den damaligen Zeitgeist.


Im Schatten dieses Triumphs ging aber eines unter: Der eigentliche Gewinner dieser Wahl war Manfred Weber von der konservativen EVP-Fraktion, die damals wie heute die größte Fraktion stellt. Aber 2019 war deshalb so besonders, weil im Vorfeld alle demokratischen Parteien sich auf das Prinzip der Spitzenkandidat*innen geeinigt hatten. Eine lose Einigung zwischen den EU-Mitgliedsländern unterstützte dieses Verfahren, was so explizit bis heute nicht in der EU-Wahl vorgesehen ist und 2024 keine große Rolle mehr spielte.

So hingen damals in Berlin und anderswo im Land Wahlplakate von Frans Timmermans, dem niederländischen Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten (S&D) oder eben Manfred Weber, Ska Keller (Greens/EFA) usw. usf. Der Zeitgeist war: Es ist eine europäische Wahl mit richtigen Spitzenkandidat*innen und die Gewinnerin wird auf dem obersten Posten der EU-Kommission sitzen. Jene Institution, die Gesetzesvorschläge vorlegt und die anschließend von Parlament und Rat verhandelt werden.

Doch wenige Tage nach der Wahl im Mai 2019 war relativ schnell klar: Manfred Weber wird nicht dort oben sitzen. Frankreich stellte sich quer. An seiner Stelle wird die deutsche Ursula von der Leyen von der CDU sitzen, die zu diesem Zeitpunkt als Verteidigungsministerin bekannt war. Frankreich erhält dafür den Posten in der EZB. Das war die Kränkung Nummer eins für Weber: Er fiel einem Machtpoker zwischen Deutschland und Frankreich zum Opfer.

Kränkung Nummer zwei geschah parallel: Er gewann zwar die Wahl, aber seine Partei verlor hierzulande und anderswo etliche Stimmen an die Grünen, Liberale (oder aber Rechte). Klimaschutz? Dazu konnten weder Weber noch seine andere Parteikolleg*innen wenig bis gar nichts sagen, zumal wenige Monate vorher die Schwarz-Rote Koalition unter Merkel mit ihrem Klimaschutzgesetz der gesamten Bewegung vor den Kopf stieß. 

Kränkung Nummer drei folgte wenige Monate später: Europas Green Deal wurde im Dezember 2019 ausgerufen, passend zur damaligen Klimakonferenz in Madrid. Es schien als Geschenk für die Grünen, die zwar einige Sitze hinzugewinnen konnten, aber noch immer eher eine Randerscheinung im Parlament wiederspiegelten. Weber wiederum musste seinen Parteikolleg*innen erklären, dass sie jetzt grünes Wirtschaften sinnvoll, Arten- und Klimaschutzgesetze mittragen und sowieso nichts gegen Klimaziele sagen dürfen. Eine 180 Grad-Kehrtwende in der parlamentarischen und sprachlichen Gebrauchsanweisung der Konservativen.

Was das weberische Fass überlaufen ließ 

Doch für einige Monate schien es, als ob diese inhaltliche Wende stemmbar ist: Die große Fluchtbewegung 2015 aus Syrien oder die Brexit-Wahl schienen die Stramm-Rechten keinen Aufwind mehr zu geben. Zwar gewannen sie auch im Mai 2019 hinzu, aber eben nicht so deutlich. Die offizielle Ausrichtung der Kommission und die seit Jahrzehnten inoffizielle Koalition im EU-Parlament zwischen Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen wurde jetzt durch die Grünen bei bestimmten Gesetzen erweitert – es schien eine heile Welt, auch wenn die Klimakrise anklopfte. Das Motto: Die EVP gibt den gesetzlichen Ton an, saugt die Themen der anderen auf und dann ist Ruhe. 

Doch Europas Projekt der Mondlandung, wie die neue Kommissionschefin Ursula von der Leyen es einst nannte, war eben nicht mit zwei oder drei neuen Gesetzen geschehen, sondern wie schon damals unter Kennedy eine Reise mit ungewissem Ausgang. 


Bis 2050 klimaneutral werden bedeutet,
eine in Europa über 250 Jahre aufgebaute
fossile Infrastruktur aus Kohle, Öl und Gas
in den nächsten 30 Jahren umzubauen
samt den weltweit gewachsenen Strukturen
nicht vor den Kopf zu stoßen


Von der Energiewende bis zur Mobilität über die Frage der Waldnutzung oder grundlegend den (seltenen) Ressourcen: alles muss umgestellt werden. Auf Erneuerbare, Elektrifizierung, Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit. Das allein wäre schon für Deutschland ein Mammutprojekt, für 27 Länder, die im Dauermodus regionale oder bundesweite Wahlen haben und sich damit Stimmung und Mehrheiten immer wieder ändern, ist das keine Mond, sondern mindestens eine Marsmission. Und das alles in einer Welt, die zum damaligen Zeitpunkt einigermaßen gut lief für die EU. 

Im Weißen Haus kündigte sich bereits ein demokratischer Präsident an, Trump schien ein (heftiger) Verkehrsunfall gewesen zu sein. Wirtschaftlich ging es der Autoindustrie noch einigermaßen gut (was nur trügerisch war, weil die Abhängigkeiten zum Gas oder das Verschlafen bei der E-Mobilitätswende absehbar waren). Dann kam die Corona-Pandemie 2020. Die Welt stand buchstäblich still und Weber meldete sich zum ersten Mal zu Wort: Der Green Deal muss warten. Von der Leyen widersprach Weber: Es geht weiter, das Ergebnis war der RRF-Fund – Europas erstes großes Geldpaket (was bis heute unsere Wirtschaft ankurbelt) und der Versuch, sich der Pandemie samt ihren Folgen entgegenzustellen.

Dann der zweite Schock 2022: Putins Panzer Rollen auf Kiew zu. Erneut meldet sich Weber zu Wort: Der Green Deal muss warten. Wieder widerspricht von der Leyen und beschleunigt sogar (sinnvollerweise) den Ausbau der Erneuerbaren (REPowerEU). Wieder geht es weiter mit den Gesetzespaketen zum Green Deal: Klimaschutzgesetz samt Maßnahmen wie Verbrenner-Aus, Reform des Emissionshandels, Effizienzrichtlinie uvm. werden verhandelt. Es scheint, als ob keine Krise der Welt die Marsmission aus dem Konzept bringen kann, aber unter der Konservativen Fraktion brodelt es und es bilden sich erste Risse in der inoffiziellen Koalition zwischen Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen. 

Das Fass zum Überlaufen brachte dann 2023 und 2024 der Abschluss des europäischen Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur (NRL) – einer wichtigen Säule des Green Deals, um den Verlust der biologische Vielfalt zu stoppen und verlorenes wiederherzustellen. Trump lief sich parallel mit seinen faschistischen Hintermännern und dem MAGA-Kult warm für eine zweite Amtszeit und für Weber war es, gepaart mit dem rasant beschleunigten Rechtsruck in der gesamten EU und dem drohenden Aus der Ampelregierung in Berlin, das Ende seiner Geduld. 

Seine Partei verlor die Abstimmung zum NRL. Nach Webers Vorstellung hätte dieses Gesetz niemals zur Abstimmung im Parlament stehen dürfen und dann gewann es auch noch eine Mehrheit, die der sozialdemokratische Verhandlungsführer erzielte. Das brachte sein Fass zum Überlaufen.

Webers Antwort: Benzin auf die Brandmauer

Für Weber war dann 2024 klar, wohin die Reise im Wahlkampf gehen wird: Gegen die angebliche links-grüne Mehrheit im EU-Parlament. Das ist seine Geschichte, die sich bis heute durchzieht. Die Europawahlen im Juni 24 markierten dann für ihn die Kehrtwende: Zwar saß erneut Ursula von der Leyen an der Spitze der Kommission, aber ihre Wiederwahl fiel deutlich schlechter aus als noch 2019, ja konnte nur mit den Stimmen von Webers Erzfeind sichergestellt werden: den Grünen.

Deren Bedeutungsverlust bei den Wahlen erhielt mit dieser Wahl noch einmal einen kurzen Lichtblick, der keine zwei Jahre später in völliger politischer Bedeutungslosigkeit endete und in diesem Newsletter wieder am Anfang des Themas: Wieso hier derzeit Geschichte geschrieben wird und wir uns für die nächsten Jahre wappnen sollten, wenn es um den Arten- und Klimaschutz geht. 

Denn um das europäische Lieferkettengesetz (CSDDD) im Namen der Entbürokratisierung abzuschwächen ignorierte Weber nicht nur das letzte Angebot der Grünen, gemeinsam mit Sozialdemokraten und Liberalen eine Mehrheit zu finden, sondern nahm bewusst in Kauf, dass sein Vorschlag nur mit den drei Fraktionen rechts der EVP eine Mehrheit bekommen wird.

Weber kippte damit Benzin über die Brandmauer und die Rechten warfen johlend das Streichholz. Die Brandmauer brennt seitdem ungestört ab und wird in den nächsten Monaten und Jahren nur noch als Aschehaufen übrig bleiben, wenn sich nichts ändert. Das Verbrenner-Aus wird im Herbst 2026 kippen, der zweite Emissionshandel und andere Klimamaßnahmen werden nicht weiter bestehen können, auch wenn kürzlich noch verhindert werden konnte, dass sie jetzt schon abgesägt wurden. Es wird wieder aufgemacht werden, spätestens, wenn die wirtschaftlichen Daten nicht stimmen und Wahlen anstehen (2029 Bundestags- und Europawahl).

Aus dem Arten- und Klimaschutz soll Kleinholz gemacht werden

Eine Rede von Weber vor wenigen Tagen beim Treffen der Jungen Union ließ tief die Kränkung und Pläne Webers blicken, die den oben gezeichneten Pfad vorzeichnet:

"Sozialdemokraten, Grüne und Liberale: Linksliberale im Kern. Diese Mehrheiten haben das Verbrenner-Aus beschlossen – gegen unseren Widerstand. Haben die Entwaldungsverordnung beschlossen – gegen unseren Widerstand. Haben das Natur-Wiederherstellungsgesetz (beschlossen) – auch ein bürokratischer Wahnsinn. Und ich sage euch: Ich bin derzeit beschäftigt im Aufräumen der Fehler der letzten drei Jahre."

Weber sagte diese Worte fast schon erleichtert, ja gar freudig und er kündigte diese Schritte Anfang diesen Jahres auch an: 

“Es ist für alle Fraktionen sehr klar, dass sich die Mehrheiten im EU-Parlament verändert haben und alle Fraktionen sich an die neue Realität anpassen müssen. (...) Es gibt auch eine andere Mehrheit, mit der man bauen kann”, sagte kürzlich Jörgen Warborn, führender EVP-Unterhändler im EU-Parlament.

Mit dieser Neu-Rechten Mehrheit schreibt Weber europäische Geschichte. Sie wird nicht in Stein gemeißelt sein, weil es keinen Koalitionsvertrag gibt und es auch vorher nie gab, aber die Richtung ist unverkennbar. 


So, wie man 2019 und 2020 versuchte
die grünen Themen aufzusaugen,
so versuchen es die Konservativen nun mit den Rechten. 

Sie scheiterten an den grünen Themen,
weil sie in ihrer parteipolitischen Geschichte
wenig bis gar nichts damit anfangen konnten,
bei den rechten Themen – von Migration über Wirtschaft
und eben gegen den Klimaschutz (die Grünen) –
sind die Überschneidungen hingegen frappierend. 


Anders gesagt: Der kleinste gemeinsame Nenner mit den ökologischen Themen war nie überlebensfähig, weil die ideologische Ausrichtung der Partei es nie war und Weber diese Ausrichtung nicht geben konnte – selbst wenn er wollte

Diese neue Marschrichtung findet sich wenige Tage nach Webers Aussage auch in der EU-Kommission wieder. EU-Chefin Ursula von der Leyen sagte beim G20-Gipfel in Südafrika allen Ernstes: "Wir kämpfen nicht gegen fossile Brennstoffe, wir kämpfen gegen die Emissionen aus fossilen Brennstoffen."

Ein Geschenk an die Petrol-Staaten weltweit, aber allen voran mit Blick auf die innereuropäischen Spannungen ein klares Signal an ihre Parteikolleg*innen und natürlich Manfred Weber. Diesen anti-wissenschaftlichen Gedanken-Spagat auch nur auszusprechen ist für sich genommen schon unfassbar, aber es ist vor allem ein schleichender Abgang ihres politischen Erbes: ihr Green Deal. 

Lange konnte sie sich auf Schützenhilfe in Deutschland oder auch Frankreich verlassen, auch wenn die Umstände schwierig waren und auch, wenn Weber oder die rechten Fraktionen sie angriffen. Diese Zeiten sind vorbei und damit die ökologischen Prioritäten. Die ökologische Dimension in der Politik wird, wenn überhaupt, in Fußnoten landen, sollte dieser Weg verfolgt werden. Für Europa ist das aber ein mehr als trügerischer Pfad, der angesichts der letzten Jahre und ihren Schockmomenten eigentlich kein Pfad, sondern ein Abgrund ist.

Wir Europäer*innen belügen uns selbst, wenn wir den Klimaschutz absägen

Dabei ist Klimaschutz kein Thema einer (grünen) Partei allein, sondern weltweit gesehen nichts anderes als die Frage, in was für einer Welt wir leben – sprich, was für ökologische Voraussetzungen unsere Kinder und die kommenden Generationen noch erleben werden

Je nach Szenario ist es eine Welt, die in einigen Teilen der Welt hochgradig menschenfeindlich ist – und das nur, weil es wahlweise so heiß wird, dass dort wirklich niemand leben kann oder weil die Küsten absaufen. Somit ist Klimaschutz die Überlebensgrundlage unserer bisherigen zivilisatorischen Errungenschaften. Das sage übrigens nicht ich selbst, sondern die Wissenschaft.

"Ich glaube, es hakt nach wie vor am Verständnis des Klimawandels, am Verständnis dessen, was da auf uns zukommt. Auch übrigens bei politischen Entscheidungsträger*innen", sagte kürzlich der Meteorologe Karsten Schwanke beim ExtremWetterKongress & DeutscheKlimaManagementTagung und gab es sehr eindrücklichen Beispiel dafür, was er damit meint. Aber hören wir ihm zu!

Eine andere Perspektive ist die wirtschaftliche Komponente und damit kommen wir zum eigentlichen Aspekt, dem der Green Deal inhärent ist – und weshalb von der Leyen diesen Kurs wohl auch lange verteidigte. 

Klimaschutz ist für Europa der einzige Weg, um wirtschaftlich und gesellschaftlich zu überleben. Wie kommen wir zu der Annahme? Das hat Gründe – hier sind drei davon.


1. Klare Marktrahmen schaffen Innovation – sprich ein level playing field

"Mit Unsicherheiten können (Unternehmen) umgehen. Sie können aber nicht damit umgehen, wenn die Politik alle naslang die Richtung ändert. Richtungssicherheit muss da sein. Mein Lieblingsbeispiel ist CO2-freie Individualmobilität 2035.

Wenn man da sagt: Das ist unser Thema und das ist unser Ziel und darauf können sich alle Akteure einstellen, dann können die Batterieforscher*innen was machen. (...) Vieles kann ausprobiert werden, manches wird scheitern, manches wird sich durchsetzen. Das kann man ja dann ausprobieren und dann kommen die Investitionen auch.

Aber wenn ich dauernd mir überlege, soll ich jetzt da rein investieren, wo ich eine Produktionsstätte dafür aufbauen, ein Forschungslabor dafür aufbauen und in vier Wochen sagen die: Nee, jetzt ist genau andersrum. Das kann es letztendlich nicht sein."

Die Worte stammen vom Wirtschaftswissenschaftler Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung. Worte in einer Zeit, die passender dazu nicht sein könnte. Denn vor lauter "Technologieoffenheit" wird vergessen, dass sich der weltweit größte Automarkt der Welt, also China, längst entschieden hat wohin die Reise geht und auch die Pkw-Produktion hierzulande bei Verbrennern stetig sinkt, während die bei E-Autos stark zunimmt.

 


Es ist das derzeit beste Beispiel, wie mit klaren gesetzlichen Rahmen ein Innovationswettbewerb geschaffen werden kann und ja, der gefällt nicht allen, aber er ist notwendig. 


2. Klimaschutz lindert die fossilen Abbängigkeiten und damit die Erpressbarkeit Europas

Ein anderer Aspekt ist Europas Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Einer der besten Gründe für die Abkopplung von den klimaschädlichen Ressourcen ist Deutschland selbst, dessen Gasindustrie in den letzten Jahrzehnten nur durch Putins billiges Gas bestehen konnte. Innerhalb weniger Monate musste das umgestellt werden und heute bezieht die EU ihr Gas größtenteils aus Norwegen, aber z.T. noch immer aus Russland. 

 


Insgesamt zeigt aber ein Blick auf Deutschlands fossile Importe, was wir hier jedes Jahr ausgeben, damit der Motor läuft. Denn jedes Jahr importiert Deutschland fossile Brennstoffe im Wert von Ø 81 Mrd. EUR

 


Schaffen wir hier den Absprung, werden auf dem politischen Parkett die Karten neu gemischt und genau deshalb wird so vehement dagegen gearbeitet – das jüngste Beispiel auf der 30. Klimakonferenz in Belém ist hier nur eines von vielen. Dort blockierten erneut die fossilen Länder einen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern.


3. Klimaschutz schafft eine lebenswerte Zukunft (vor Ort)

Viele von uns haben sicherlich über Paris großartigen Wandel gehört: Noch vor einigen Jahren waren hohe Schadstoffbelastungen im Herzen der Stadt ungemütliche Routine. Schrittweise änderte sich das. Aus Parkplätzen wurden Parks, aus Autostraßen Begegungsorte. Bäume, Wiesen, Orte mit Wasser schaffen Abkühlungen in den engen Straßen von Paris, die sich im Sommer immer stärker aufheizen und das Leben zur Herausforderungen machen.

Doch nicht nur Paris wandelt sich. Vom Dorf bis zur Stadt entstehen Initiativen, die erst einmal nichts mit dem Klimaschutz zu tun haben, aber aus der veränderten Klimarealität heraus resultieren – oder einfach, weil die Ideen aus dem Bereich das Leben der Menschen wirklich besser macht.

Ein funktoinierender ÖPNV sorgt für Mobilität für alle. Sichere Radwege steigern die Gesundheit der Menschen bzw. senken die Kosten für Gesundheit – je nach Betrachtungsweise. Solarenergie senkt die Kosten für Eigenheimbesitzer*innen oder das E-Auto senkt den Geräuschpegel. Die Liste der lebenswerten Zukunft ist deutlich länger als die der Vorteile einer Autostadt aus den 1960er Jahren, aber fest steht: Ein Gesetz in Brüssel allein wird es nicht richten, wohl aber eben eine Richtung angeben, wohin es geht. Ändern wir diese Richtung nun alle paar Jahre, bewegen wir uns im Kreis.


Die Neuerfindung Europas ist unumgänglich

Schlussendlich ist Klimaschutz damit bei Weitem kein alleiniges Thema der Grünen. Im Gegenteil: Es könnte und sollte die Grundlage für die besten parteipolitischen Programme der demokratischen Parteien sein, die einen Ideenwettbewerb geradezu befeuern könnte. 

Könnte, wenn man sich darauf einlässt und allen voran die physikalische Realität dieses menschengemachten Ereignisses namens Klimawandel anerkennt und als Grundlage heranzieht. Endliche Ressourcen und die planetaren Grenzen sind dabei ebenso Teil der Grundlage wie die einfache Erkenntniss, dass wir (weltweit) abhängig waren von einer billigen Energie, die Wohlstand brachte, dessen jetztiger Wohlstand aber zeithistorisch betrachtet eine Krise auslöst, deren Rechnung in Zukunft wohl niemand mehr begleichen kann.


Sprich: Wir haben Schulden aufgehäuft.


Ökologische Schulden und vieles
werden wir nicht mehr begleichen können,
aber wir sollten uns zumindest darauf einigen,
dass wir keine weiteren Schulden anhäufen,
sondern in das investieren, was Schlimmes verhindert und
das Leben vieler Menschen besser macht. 


Dafür müssen wir aber auch verstehen, dass sich Klimaschutz als Grundkrise durch die Welt zieht und andere Krisen aufkommen lässt. Putins Angriffskrieg wird auch deshalb geführt, weil die Ukraine einen riesigen Ressourcenschatz im Osten hat. Ressourcen, die wir dringend für eine Wende brauchen. Und er ist nur möglich, weil wir durch unsere Abhängigkeit zu Gas und Öl diese Kriegsmaschine (noch immer) finanzieren.

Und zu dieser Krise gesellen sich dann andere europäische Fragen: Wie verteidigen wir uns gemeinsam gegen Putins Wahnvorstellungen? Wie machen wir uns unabhängig von Trumps Erpressungs-Deals angesichts einer digitalen Abhängigkeit? Wie schaffen wir die Wende, wenn über 90% der Solarmodule aus China kommen oder E-Busse aus China von Peking aus abgeschaltet werden können? Sprich: Wo liegt die Wertschöpfungskette der neuen Industrie? 



Diese Fragen tauchen derzeit im Wochentakt auf und in den großen Nachrichtenseiten ist dann oft zu lesen: "Für die Europäer schlägt die Stunde der Wahrheit”. Das stimmt. Das ist sie und wie Jürgen Habermas es kürzlich bei seiner Rede sagte: Europa sei auch deshalb gefesselt, weil in den meisten westlichen Mitgliedsstaaten der EU die innenpolitischen Kräfte stärker denn je an einer Rückabwicklung, einer Schwächung der Brüsseler Kompetenzen arbeiten.

Und damit sind wir im Kern der Frage angekommen: Sind wir endlich mal gewillt, wirklich geeint voranzugehen statt gebannt auf das Strohfeuer Manfred Webers zu blicken? Die Frage ist so groß die die Komplexität der Antwort, aber sie ist unausweichlich. Für Europa und für den Arten- und Klimaschutz.


PS: Es könnte alles so einfach sein, siehe dieses Beispiel in Frankreich.




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