Mittwoch, 19. November 2025

„Organisierte Leugnung des Klimawandels gibt es nur in vier Ländern“

Süddeutsche Zeitung hier 19. November 2025  Interview von Christoph von Eichhorn

Nichts sagen, nichts hören, nichts sehen – aber der Klimawandel ist immer noch da.
In Brasilien findet die Weltklimakonferenz statt, doch wie wichtig ist der Welt das Thema noch? Warum Yale-Forscher Anthony Leiserowitz trotz allem optimistisch bleibt – und wie man über Klimaschutz kommunizieren kann, ohne ein Wort zu sagen.

Die Weltklimakonferenz COP30 in Brasilien steht unter keinem besonders guten Stern:
Die USA haben der Klimadiplomatie den Rücken gekehrt, vergangene Woche erklärte UN-Generalsekretär António Guterres, ein Überschreiten der 1,5-Grad-Marke sei unvermeidlich: „Wir müssen unser Scheitern eingestehen.“

Inmitten vieler anderer Krisen rutscht die Klimakrise auch in Deutschland von der politischen Agenda. Liegt das auch an der Stimmung in der Bevölkerung? Anthony Leiserowitz, Direktor des „Yale Program on Climate Change Communication“, erforscht die öffentliche Meinung zur Erderwärmung in den USA und vielen anderen Ländern seit Jahrzehnten.

SZ: Als vor zehn Jahren der Pariser Klimavertrag beschlossen wurde, hofften viele, dass dieses Abkommen das Problem der Erderwärmung löst. Doch mittlerweile scheint die Welt ziemlich abgelenkt zu sein. Wie bewusst sind sich die Menschen noch des Klimawandels?

Anthony Leiserowitz: Wir haben dazu vor einiger Zeit Umfrageergebnisse aus 187 Ländern weltweit gesammelt. Es ist keine wirklich repräsentative Umfrage, da sie auf der Facebook-Plattform ausgeführt wurde. Da Facebook jedoch dreieinhalb Milliarden Nutzer hat, ist es ein beträchtlicher Datensatz. Eine Erkenntnis daraus ist, dass etwa 40 Prozent der Erwachsenen auf der Erde wenig bis gar nichts über den Klimawandel wissen, vorwiegend in den Entwicklungsländern.

Wie kann das sein, wo doch der Klimawandel in Form von Extremwetter immer stärker zu spüren ist?

Viele Menschen spüren lokale Veränderungen – Temperatur, Niederschlagsmuster, häufigere und schwerere Extremwetterereignisse, sich verändernde Vegetationsperioden. Aber ihnen fehlt das Wissen, um zu verstehen, warum dies geschieht – und noch wichtiger, wie sie darauf reagieren können.

Wie lässt sich dem begegnen?

Die gute Nachricht ist: Es handelt sich zwar um eine umfangreiche kommunikative Herausforderung, aber keine schwierige. Wenn wir den Menschen in einem Satz erklären, was der Klimawandel ist und wie er mit extremen Wetterereignissen zusammenhängt, sagen sofort mehr als 85 Prozent der Menschen weltweit: „Ja, das passiert tatsächlich.“ Und sie sehen darin eine direkte Bedrohung für sich selbst und ihre Familien und sind oft besorgter als Menschen in den Industrieländern.

In Deutschland und der übrigen westlichen Welt gibt eine Mehrheit in Umfragen oft an, dass der Klimawandel ein riesiges Problem ist. Dennoch werden die meisten nicht politisch aktiv oder verändern ihren Lebensstil. Was sind die größten Hindernisse zwischen Wissen und Handeln?

Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass es nicht die eine amerikanische oder deutsche Öffentlichkeit gibt, sondern verschiedene Segmente. In den USA sind etwa rund 70 Millionen Menschen vollkommen überzeugt davon, dass der Klimawandel stattfindet. Diese Gruppe ist sehr besorgt, unterstützt Maßnahmen nachdrücklich und wäre bereit, sich persönlich zu engagieren. Wenn wir sie fragen, warum sie nicht handeln, ist der Hauptgrund: Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Wissenschaftler, Regierungen, Unternehmen, Medien, Pädagogen haben die Bedrohung also besser kommuniziert als die Maßnahmen, die ergriffen werden können.

Ist es nicht eher der Job von Regierungen und Firmen, etwas zu verändern, statt der von einzelnen besorgten Bürgern?

Das ist ein Scheingegensatz. Einige sagen, es komme allein auf individuelles Handeln an – weniger fliegen, weniger Fleisch essen –, während andere sagen, persönliches Verhalten spiele keine Rolle und es zähle allein der Systemwandel. 

Es ist aber kein „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-als-auch“. Der jüngste Bericht des Weltklimarats schätzt, dass etwa 40 bis 70 Prozent der Gesamtemissionen durch Verbraucherentscheidungen verursacht werden. Diese Entscheidungen werden jedoch durch Systeme ermöglicht oder eingeschränkt. Ich würde zum Beispiel gerne mit einem energieeffizienten Hochgeschwindigkeitszug von New York nach Kalifornien fahren, aber das geht nicht, weil das System diese Option nicht bietet, während dies in Europa oder China oft der Fall ist. Systeme prägen individuelle Optionen, aber Individuen sind entscheidend für die Veränderung von Systemen – insbesondere in Demokratien.

Könnte mangelndes Engagement eine Folge davon sein, dass der Klimawandel häufig als etwas Abstraktes angesehen wird, das nur andere betrifft?

Ja. In den Industrieländern sehen viele Menschen den Klimawandel als zeitlich und räumlich weit entfernt an. Damit ist die Annahme gemeint, dass die Auswirkungen die eigene Generation nicht betreffen und dass sich der Klimawandel woanders abspielt: Er trifft Eisbären oder weit entfernte Entwicklungsländer, nicht mein Land, meine Stadt, meine Familie oder mich.

Sie haben ermittelt, dass es in Bezug auf den Klimawandel „sechs Amerikas“ gibt – die „Alarmierten“, die „Besorgten“, die „Vorsichtigen“, die „Uninteressierten“, die „Zweifler“ und die „Leugner“. Ist das anderswo ähnlich?

Organisierte Leugnung des Klimawandels gibt es nur in vier Ländern: in den USA, Kanada, Australien und in geringerem Maße im Vereinigten Königreich. In Deutschland gibt es kleine Nischen, aber die meisten Deutschen, selbst die rechtsgerichteten, leugnen die Klimarealität nicht. Die Anhänger von Bolsonaro in Brasilien glauben, dass der Klimawandel real, vom Menschen verursacht und ernst ist. Auch in China, Indien oder Indonesien gibt es keine nennenswerte organisierte Leugnung des Klimawandels. Eine intensive politische Polarisierung ist also auf wenige Länder beschränkt – hat dort, wo sie auftritt, jedoch starke Auswirkungen.

Vergrößern sich die Gräben zwischen den sechs Amerikas unter der Trump-Regierung?

Langfristige Trends zeigen, dass die Gruppe der „Alarmierten“ dramatisch gewachsen ist – von etwa 15 Prozent vor einem Jahrzehnt auf heute 26. Auch bei den „Besorgten“ gibt es Zuwächse. Die Gruppe der „Leugner“ hingegen, die überzeugt sind, dass es sich um einen Schwindel handelt, lag vor zehn Jahren bei elf Prozent und liegt heute bei etwa zehn.

Sie unterscheiden zwischen „alter Leugnung“ und „neuer Leugnung“. Was ist der Unterschied?

Dieser Begriff stammt nicht von uns, sondern von Michael Mann (Klimaforscher an der University of Pennsylvania, Anm. der Red.). Die alte Leugnung argumentiert, dass es keinen Klimawandel gibt, dass er ein Schwindel ist, dass er nicht vom Menschen verursacht wird oder dass er gut für uns ist. Eine Kernstrategie war die Leugnung des wissenschaftlichen Konsenses. Die neue Leugnung greift stattdessen Lösungen an: Sie behauptet etwa, Windkraftanlagen würden Wale oder Vögel töten – daher könne man kein Umweltschützer sein und Windkraft unterstützen. Oder es wird behauptet, Elektroautos seien unzuverlässig und würden in Brand geraten. Ziel ist es, den Übergang zu einer sauberen Energiewirtschaft zu untergraben.

Die Trump-Regierung scheint beide Strategien zu verfolgen – die Unterdrückung von Lösungen, aber auch das Abstreiten wissenschaftlicher Ergebnisse. Dazu lässt die Regierung Informationen zum Klimawandel im Internet löschen und verbietet Behörden, über das Thema zu reden. Wie wirkt sich das auf die öffentliche Meinung aus?

Die Überzeugung, dass die Erderwärmung real und vom Menschen verursacht ist, das Ausmaß der Besorgnis und die Unterstützung für staatliche Maßnahmen haben sich vor, während und nach der Präsidentschaftswahl nicht verändert. Das zeigt etwa unsere letzte Erhebung vom Mai. Was sich jedoch bereits klar geändert hat, ist die mediale Berichterstattung zum Klimawandel – sie ist in den USA im Vergleich zu 2023 wahrscheinlich um etwa die Hälfte eingebrochen. Politiker sprechen kaum noch darüber, ebenso wie Führungskräfte aus der Wirtschaft. Das könnte sich auf Dauer auf die Öffentlichkeit auswirken: Wenn die Führungsebene verstummt, gerät das Thema aus dem Blickfeld.

Vor ein paar Jahren sagten Sie, dass Windkraft, Solarenergie, Elektroautos und Fleischersatzprodukte nun von Unternehmen weltweit verfolgt werden und die fossile Lobby diese Entwicklung nicht mehr aufhalten kann. Sind Sie immer noch so optimistisch?

Heute sogar noch mehr! Die Menschen kaufen Elektroautos, unterstützen saubere Energie, installieren Solaranlagen auf ihren Dächern, kaufen Wärmepumpen – einige, weil ihnen der Klimawandel am Herzen liegt, viele andere, weil es gesünder, kostensparender und zuverlässiger ist.

Haben Sie einen Rat, wie man am besten mit Nachbarn oder Bekannten über das Klima spricht? Sollte man sein cooles neues Elektroauto erwähnen, um sie neidisch zu machen?

Ein Elektroauto zu besitzen und zu fahren, ist Kommunikation, auch wenn Sie kein Wort sagen. Sichtbare Akzeptanz ist ein soziales Signal. Ein Kollege aus Yale hat herausgefunden: Wenn ein Haushalt eine Solaranlage auf dem Dach installiert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haushalt in der Nachbarschaft dies ebenfalls tut; wenn ein zweiter Haushalt eine Anlage installiert, steigt die Wahrscheinlichkeit erneut.

Einige grüne Technologien führen zu Gegenreaktionen. Beispielsweise berichten viele Radfahrer von Aggressionen seitens Autofahrern. Aus Ihrer Sicht ist es eine Minderheit, die sich so ablehnend verhält?

Ich wäre sehr überrascht, wenn in Deutschland oder anderswo auch nur annähernd eine Mehrheit gegen das Fahrrad wäre. Aber es stimmt, dass Menschen sich durch Veränderungen bedroht fühlen. Einige mögen sie nicht, manche wehren sich aktiv dagegen. Das liegt einfach in der Natur des Wandels.

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