COP30: Scheinsieg der Fossilen
Die UN-Klimakonferenz gab keine Antwort, wie wir schneller CO2-Emissionen senken und den Amazonas retten können. Und doch sieht Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand bei Greenpeace, Fortschritte.
Greenpeace: Viele hatten hohe Erwartungen an die Klimakonferenz in Brasilien geknüpft, nun herrscht Katzenjammer. Wie lautet deine Einschätzung?
Martin Kaiser: Diese Weltklimakonferenz ist ein weiteres Opfer der Lobbymacht der Ölstaaten geworden. Tatsächlich ist die COP30 mit riesigen Erwartungen gestartet und mit einer herben Enttäuschung geendet. Ölkonzerne und Exportländer wie Saudi-Arabien und Russland haben in den Beschlüssen einen beschleunigten Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas verhindert.
Damit hat die internationale Staatengemeinschaft dabei versagt, gemeinsam und couragiert die eskalierende Klimakrise einzudämmen. Die USA haben zwar nicht am Verhandlungstisch gesessen, aber sie haben schon im Vorfeld Druck auf kleine Länder ausgeübt und so zum Scheitern beigetragen. Doch der Lobbyerfolg der Öl- und Gasindustrie wird schnell zu einem Pyrrhussieg. Mit jedem Extremwetterereignis wird der Druck der Bevölkerung auf das tödliche, fossile Geschäftsmodell größer. Klimaschutz ist Menschenrecht.
Auch fehlt ein Plan, der die Waldzerstörung bis zum Jahr 2030 beendet.
Ausgerechnet eine Konferenz im Amazonas-Regenwald, einem der globalen Klima-Kipppunkte, scheitert daran, die Zerstörung von Wäldern bis 2030 zu stoppen. Das ist ein Armutszeugnis für diese Konferenz und ihre brasilianische Präsidentschaft.
Immerhin wurde der Tropenwald-Fonds beschlossen. Ist das nicht ein großer Erfolg der brasilianischen Präsidentschaft?
Der Fonds ist tatsächlich ein Erfolg und es war wichtig, dass Deutschland noch während der Konferenz seinen Beitrag dafür angekündigt hat. Damit daraus ein glaubwürdiges Instrument für den Waldschutz wird, muss der deutsche Beitrag an klare Bedingungen geknüpft werden. Das Geld, das der Investitionsfonds für den Waldschutz erwirtschaften soll, darf nicht aus klima- und umweltschädlichen Investitionen kommen. Die direkte Unterstützung der indigenen Gemeinschaften muss garantiert und der Schutz intakter Wälder besser abgesichert werden. Und vor allem darf der freiwillige Tropenwald Fonds (TFFF) nicht davon ablenken, dass der Schutz der Wälder einen ambitionierten Waldaktionsplan braucht, der die Waldzerstörung bis 2030 wirksam stoppt.
Du hast die Klimakonferenz in Belém zwei Wochen vor Ort begleitet. Manche deutsche Besucher:innen sollen angeblich froh gewesen sein, die Stadt wieder zu verlassen. Wie ging es dir?
Ich habe die Menschen in Belém als lebensfroh und vor allem unglaublich gastfreundschaftlich kennengelernt. Die Stadt hat eine bunte Kultur und fantastisches Essen. Dass der Kanzler so abfällig über diesen Ort gesprochen hat, empfand ich als beschämend. Er hätte sich mehr Zeit nehmen sollen für seine Reise. Denn diese Konferenz hat mit gutem Grund hier am Tor zum Amazonas-Regenwald stattgefunden. Dieser Wald ist in großer Gefahr. Wenn er nicht sehr schnell besser geschützt wird vor Raubbau und Brandrodung, wird der Amazonas als Regenwald bald nicht mehr existieren. Wir müssen hier die Notbremse ziehen.
Vorab wurde diese Klimakonferenz eine Konferenz der Anpassung, auch eine Konferenz der Wahrheit genannt. Wie würdest du sie rückblickend nennen?
Eine Konferenz der Klimabewegung und das hat sie zu einer guten COP gemacht, auch wenn die Verhandlungsergebnisse überhaupt nicht geliefert wurden. Nach so vielen Konferenzjahren in Autokratien ohne wahrnehmbare Zivilgesellschaft war die Klimabewegung, waren die Umweltorganisationen und vor allem die Indigenen hier in Belém präsent und willkommen. Zusammen mit über 60.000 Menschen haben wir gemeinsam auf den Straßen der Stadt ein starkes Zeichen gesetzt und vereinbart, über die Konferenz hinaus für Klimagerechtigkeit zu kämpfen.
Auf dem jährlichen Klimaschutz-Index der Umweltschutzorganisation Germanwatch ist Deutschland abgerutscht auf Platz 22. Überraschend?
Nein, es ist offensichtlich, dass sich Deutschland zuletzt in die falsche Richtung bewegt hat. Die Begründung für das schlechte Abschneiden deckt sich mit unserer Hauptkritik an der Klimapolitik der Bundesregierung: Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche drängt das Land in eine unnötige und gefährliche Abhängigkeit von Erdgas. Damit bremst sie den Ausbau der erneuerbaren Energien, schadet dem Klima und zementiert eine Abhängigkeit von fossilen Lieferanten.
Und der Bundeskanzler ebenso wie der CSU-Chef gefährden den zuletzt richtig Fahrt aufnehmenden Boom des Elektroautos mit wirtschafts- und klimaschädlichen Debatte darum, das beschlossene Auslaufen von neuen Verbrennern 2035 wieder zurückzudrehen. Als würden die deutschen Ingenieur:innen es in zehn Jahren nicht schaffen, noch bessere E-Autos zu bauen und den Klimaschutz im Verkehr voranzubringen.
Viele waren fassungslos, als die Bundesregierung die Steuer auf klimaschädliche Flüge gesenkt hat, während hier in Belém über Wege zu besserem Klimaschutz verhandelt wurde. Hat die Bundesregierung überhaupt ein Interesse an Klimaschutz?
Dieser absurde Beschluss der Regierung Merz hat weit über Deutschlands hinaus irritiert. Auch weil die Koalition damit gegen ihre eigenen Überzeugungen handelt. Wenn der Markt den Klimaschutz regeln sollte, muss klimaschädliches Wirtschaften teurer werden, nicht billiger. Und klar müssen dabei soziale Härten über ein Klimageld und eine sozial gestaltete Klimapolitik ausgeglichen werden. Aber funktionieren kann die Modernisierung, vor der wir stehen, nur, wenn die Politik die Verbrennung von Fossilen benachteiligt und die Nutzung von Erneuerbaren begünstigt.
Auch wenn es öfter schwer fällt,gerade bei Vertreter:innen
der Union ein Interesse an Klimaschutz zu erkennen:
CDU und CSU können es sich gar nicht leisten,
Klimaschutz zu ignorieren.
Das Thema ist zentral für ihre Kernthemen.
Damit die Bewahrung der Schöpfung, wie die Union es sich auf die Fahnen schreibt, mehr als eine leere Floskel ist, muss die Union sich für eine Landwirtschaft einsetzen, die ohne Tierquälerei auskommt und das Trinkwasser nicht weiter mit Nitraten verschmutzt, für eine Waldwirtschaft, die nicht länger auf Monokulturen und Abolzung setzt, auf eine Energiewirtschaft, die uns mit sauberen Erneuerbaren unabhängig macht von fossiler Zerstörung.
Und eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik, für die die Union stehen will, braucht einen ökologischen Kompass. Die großen Zukunftstechnologien in der Mobilität, der Energieversorgung und der Wärmeversorgung sind allesamt grün.
Eine kluge Wirtschaftspolitik nutzt das enorme Know-How in Deutschland, um das Land bei diesen Trends an die Spitze zu steuern, mit klaren Rahmenbedingungen und Anreizen. Dabei greifen Ökologie und Ökonomie ineinander - eine riesige Chance für die Union, die sie bislang noch gar nicht richtig angenommen hat.
Die EU mit allen Mitgliedsstaaten hat sich für einen Ausstiegsfahrplan aus fossilen Energien stark gemacht. Auch wenn der nicht gemeinsam verabschiedet wurde: Was bedeutet das für Deutschland?
Im Kern ging es bei dieser Klimakonferenz darum, wie die Welt schneller von Kohle, Öl und Gas auf saubere Erneuerbare umsteigen kann. Natürlich gilt das auch für Deutschland. Greenpeace hat deshalb gemeinsam mit Germanwatch schon unter der Ampel-Regierung eine Zukunftsklage gegen die zu schwache Klimapolitik der Bundesregierung eingereicht.
Und natürlich läuft diese Klage unter der schwarz-roten-Regierung weiter. Unmittelbar nach der COP will der Umweltminister Carsten Schneider ein Klimaschutzprogramm vorlegen. Dabei muss er allen voran im Verkehr, bei Gebäuden und Wäldern einen teils deutlichen Rückstand aufholen.
Lula hat seine Forderung nach Beiträgen von Superreichen zur Klimafinanzierung auf der COP30 wiederholt. Hat dieser Vorschlag eine Chance, in den laufenden UN-Verhandlungen zur Rahmenkonvention für internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen aufgegriffen zu werden?
Hier und heute hat es noch keine Chance, aber auf jeden Fall in der Zukunft. Im aktuellen Entwurf der neuen UN-Steuerkonvention ist bereits vorgesehen, dass Staaten gemeinsam sogenannte “high-net-worth-individuals” effektiver besteuern. Lulas Forderung einer Milliardärssteuer passt also direkt in den laufenden Prozess. Entscheidend wird jetzt, dass die Staaten die Verbindung zur UNFCCC klar ziehen - denn die Steuerkonvention kann zu einer wichtigen Säule globaler Klimafinanzierung werden.
Einige Länder haben bei der parallel zur COP30 stattfindenden Verhandlung in Nairobi bereits angedeutet, das Verursacherprinzip stärker zu verankern, aber insgesamt bleiben die Verhandlungen noch hinter der Dringlichkeit zurück.
Bis der Vertrag 2027 vorgelegt wird, braucht es mehr politischen Mut, um extreme Vermögen endlich fair zu besteuern. Genau deshalb begleiten wir den Prozess und setzen uns in Deutschland mit einer Greenpeace-Kampagne für eine ökologische Milliardärssteuer ein. Mit ihr sollen Superreiche ihren fairen Beitrag zu Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit leisten.
Die Klimakonferenz ist vorbei, die Klimakrise beschleunigt sich weiter. Wie geht es jetzt weiter?
Diese Konferenz wurde massiv von den öl-exportierenden Ländern unterlaufen, um den Ausstieg aus den Fossilen zu verlangsamen. Selbst die US-Regierung von Donald Trump hat im Hintergrund Einfluss genommen und Länder unter Druck gesetzt. Die Konsequenz aus dieser ernüchternden Konferenz lautet: Europa braucht eine konsequente Klimapolitik und muss diese mit konsequent geförderten Clean-Tech-Branchen zu einem Standortvorteil aufbauen. Europa muss mit kulturellem Gespür alte Partnerschaften pflegen und neue aufbauen.
Greenpeace wird weiterhin diejenigen stellen, die mit fossilen Geschäftsmodellen, Profit auf Kosten unser aller Lebensgrundlagen machen wollen. Mit den anderen wollen wir sozial-ökologische Lösungen verbreitern und weiterentwickeln. Und die derzeit diskutierte Reform der Vereinten Nationen muss die Möglichkeit schaffen, zukünftig mit qualifizierten Mehrheitsentscheidungen Durchbrüche auf Klimakonferenzen zu ermöglichen. Mit dem aktuellen Einstimmigkeitsprinzip kommen wir in dieser geopolitischen Lage nicht mehr voran.
Was sind für Greenpeace jetzt die wichtigen klimapolitischen Prozesse in Deutschland? Wo kann die Bundesregierung Fortschritte erzielen?
Das logische Brückenglied zwischen der beendeten Klimakonferenz und der deutschen Politik ist das ausstehende Klimaschutzprogramm, das Umweltminister Schneider bald vorlegen will. Es muss die Lücke auf dem Weg zu den deutschen Klimazielen schließen. Die klaffen besonders groß beim Verkehr und bei Gebäuden.
Im Verkehr fangen die europäischen Flottengrenzwerte gerade an zu wirken, auch wenn sie schon deutlich abgeschwächt wurden. Die Zulassungszahlen bei E-Autos steigen, das schädlichste wäre, die Beschlüsse zum Verbrenner-Aus jetzt wieder in Frage zu stellen.
Auch bei der Wärmewende ist einiges in Bewegung gekommen und wir wollen dabei helfen, dass dieser Trend sich beschleunigt und wir werden nicht aufhören, vor den Nachteilen und Gefahren einer Rückwärtsrolle zum Gas zu warnen. Und natürlich werden wir auch nach dem Ende der COP weiter für einen wirksamen Schutz unserer Wälder arbeiten, sie sind unsere Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise und davon kann man nicht genug haben.
Was gibt dir nach so einer Konferenz Hoffnung?
In Belem hatte ich beeindruckende Begegnungen mit den Anführern indigener Gemeinschaften, die sich seit Jahrzehnten gegen die Profitgier großer Konzerne im Regenwald wehren. Sie halten dem mit einer großen Kraft entgegen. Das gibt auch mir Kraft für die anstehenden Herausforderungen der Klimabewegung. Denn wie hat der Philosoph und ehemalige Präsident von Tschechien, Václav Havel, einmal gesagt: “Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.”
Wieso klassische Klimapolitik ihr Ende erreicht hat
Die COP30 in Belém markiert eine Zäsur in der Klimapolitik, schreibt Bernhard Pötter vom Climate.Table. In Zukunft gehe es nicht mehr um politische Entscheidungen, sondern um die Umsetzung der Beschlüsse. „Und das wird die Konferenzen verändern und neue Koalitionen nötig machen.“
Die „unbequeme Wahrheit“: „Die Fronten zwischen alter fossiler Welt und erneuerbaren Strukturen sind verhärtet und hart umkämpft. Stillstand ist die Folge“, so Pötter.
„Die Klimaverhandlungen sind eine gigantische Diplomatie-Maschinerie mit mageren Ergebnissen“, fasst Pötter zusammen. Was fehlt, sei aktive Klimapolitik. Doch die versage derzeit bei „ihrer wichtigsten Aufgabe: dem geordneten Rückbau der fossilen Wirtschaft.“
„Klimapolitik wird derzeit vor allem von kurzfristiger Gewinnmaximierung dominiert“, kritisiert Pötter. Globale Investitionsströme würden an denen vorbeifließen, die die grüne Industrie und erneuerbare Energie besonders nötig hätten – wie der afrikanische Kontinent.
Vorreiterallianzen im Klimaschutz seien künftig entscheidend, um tragfähige Ergebnisse zu erzielen. Die EU könne bei der Bildung solcher Allianzen eine Vorreiterrolle übernehmen.
„Die Europäer müssten dafür ihre Spaltungen überwinden – und Klimapolitik endlich als zentralen Teil von Geopolitik und dem Kampf um die Zukunftsmärkte sehen.“
Die Analyse im Climate.Table: https://lnkd.in/eQDGdf9R
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