Vetternwirtschaft! Bei den Grünen! Im Klimaministerium! Es ist nicht verwunderlich, dass ein solch schwerwiegender Vorwurf das Meinungsklima im politischen Berlin, in den Kommentarspalten der Zeitungen und in den sogenannten sozialen Medien erhitzt wie sonst nur fossile Kraftwerke das echte Klima. Das hat mindestens drei Gründe:
- Erstens, nicht alle Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen.
- Zweitens, es gibt eine starke Lobby der Klimaschutz-Verhinderer, der Graichens Fehler ganz gelegen kommt.
- Und drittens wird in der Debatte einiges verdreht, wenn es um Lobbyismus geht.
Fangen wir vorne an: Der wichtigste Beamte in Habecks Ministerium, Staatssekretär Patrick Graichen, hat seinen Interessenkonflikt beim Besetzungsverfahren für den Chefposten bei der Deutschen Energieagentur nicht rechtzeitig transparent gemacht. Graichen mangelte offenbar das Bewusstsein dafür, dass es ein Problem ist, wenn die Findungskommission für den Posten seinen langjährigen engen Freund als Top-Kandidaten vorschlägt und er selbst dieser Kommission vorsitzt. Graichen hätte den Interessenkonflikt frühzeitig anzeigen müssen und nicht erst, als Medien bereits danach fragten. Und er hätte sich aus der Findungskommission zurückziehen müssen, als ihm die Bewerbung seines Freundes bekannt wurde.
Es ist daher richtig, dass das Besetzungsverfahren neu aufgerollt wird.
Aber reicht das? Ganz klar nein. Das Wirtschafts- und Klimaministerium darf den Fehler nicht einfach wegwischen. Es sollte nach den tieferen Gründen fragen, wie es zu einem solchen Fehler überhaupt kommen konnte und nach Antworten, wie sich so etwas künftig vermeiden ließe. Im besten Fall gelangt man dabei zu Lösungen, die den Umgang mit Interessenkonflikten grundsätzlich verbessern, nicht nur bezüglich freundschaftlicher oder familiärer Verbindungen. Mehr Transparenz über Einflussnahme auf politische Entscheidungen, über personelle und finanzielle Verstrickungen, bessere Durchsetzung von Compliance-Regeln, all das wäre nicht nur für das Wirtschaftsministerium empfehlenswert. Gerade erst wurde die Bundesregierung übrigens wieder für ihren unzureichenden Umgang mit Interessenkonflikten vom Europarat kritisiert.
Doch zur Wahrheit gehört auch: Mit dem aktuell heiß diskutierten Gebäudeenergiegesetz bringt das Klimaministerium finanzstarke Lobbygruppen gegen sich auf – allen voran die Gasindustrie, die um ihr milliardenschweres fossiles Geschäftsmodell bangt. Schon seit Jahren hat die Gasindustrie noch jeden Eingriff in den Heizungsmarkt mit ihrer Lobbypower zu verhindern gewusst. Die geringste Spur von Fehlverhalten wird in einer solchen Gemengelage von politischen Gegenkräften gerne aufgegriffen, aufgebauscht und skandalisiert. Das Gerede von Clan- oder auch Mafia-Strukturen, wie es aus Teilen der Union und der AfD zu hören ist und von einigen Medien bereitwillig verbreitet wird, ist dabei völlig unangemessen. Solche Wortwahl dient vor allem der Stimmungsmache und verhindert sachliche Kritik.
Eine Verdrehung der Tatsachen ist es auch, wenn die familiären Verbindungen von Graichen ins Öko-Institut mit Lobbyverflechtungen gleichgesetzt werden, wie wir sie etwa aus der Russland/Nordstream-Connection oder dem Cum/Ex-Skandal kennen. Bei diesen geht es um milliardenschwere Geschäftsinteressen und zu diesem Zweck gezielt geknüpfte Netzwerke. Dass sich die drei Geschwister Graichen seit Jahrzehnten umwelt- und klimapolitisch engagieren und einer nun Staatssekretär ist, ist damit nicht vergleichbar. Natürlich ist es dennoch zentral, dass auf Grund der familiären Verbindungen keine Vorteile für das Institut entstehen. Das hat das Ministerium auch frühzeitig klargestellt – und tatsächlich erhielt das Institut mehr Geld, als noch der CDU-Politiker Peter Altmaier das Wirtschaftsministerium führte.
Trotzdem hätten Habeck und Graichen vor diesem Hintergrund eine besonders sensibel sein müssen. Schon jeder Anschein, dass Familie oder Freunde bevorteilt werden könnten, hätte strikt vermieden werden müssen. Der gravierende Fehler könnte somit nun vor allem denjenigen nutzen, die mit aller Kraft ihr fossiles Geschäftsmodell verteidigen wollen.
Herzliche Grüße
Timo Lange, Campaigner für Lobbyregulierung
Dieser Text erschien zuerst als Meinungsbeitrag in der Taz vom 10. Mai 2023.
Mit welchen Netzwerken, Methoden und
Lobby-Erzählungen die Gasindustrie ihr Geschäft mit Erdgas erhalten will, haben
wir in unserer Studie „Pipelines
in die Politik: Die Macht der Gaslobby in Deutschland“
beleuchtet.
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