Stern hier von Christine Leitner 30.04.2023
Bild links: Wasserkraft von Schwarzwald-energy.de
Energieversorgung Wasserkraft in Zeiten von Klimawandel und Dürre: Warum sich Energieversorger keine Sorgen machen – und Umweltschützer schonWasserkraft hält das Leben in Österreich am Laufen. Zwei Drittel des Strombedarfs in der Alpenrepublik wird so gedeckt. Aber kann das in Zeiten von Klimawandel und Dürre so weitergehen?
Vom Zicksee im Burgenland, der in einer guten Saison mehr als 5000 Tagesgäste zum Baden anlockt, ist nichts übriggeblieben. Der Frühling hatte gerade erst begonnen, da war aus dem Gewässer schon eine Sandwüste geworden. Die Aussicht: staubiger, bröckelnder Seeboden statt wogendes Nass. Es ist trocken geworden in der Alpenrepublik, einem Land, das für den (Winter-)Tourismus stark auf Wasser angewiesen ist.
Womöglich könnten die Österreicher den Wassermangel künftig auch an der Steckdose spüren. Denn die Alpenrepublik deckt ungefähr zwei Drittel ihres Strombedarfs über Wasserkraft. Die hat in dem Land der Berge und Ströme eine über 100 Jahre alte Tradition, bundesweit gibt es um die 5000 Wasserkraftwerke. 2020 wurden so über 45.000 Gigawattstunden Strom erzeugt.
Doch die Ressource geht zurück, 13 Prozent weniger Niederschlag gab es in diesem Winter – verglichen mit dem Zeitraum von 1961 bis 1990. Betroffen sind laut Klimamonitoring der Bundesanstalt GeoSphere Austria vor allem westliche Bundesländer wie Tirol, Vorarlberg und Salzburg und die Südseite des Alpenhauptkamms. Das Niederschlagsdefizit lag dort zuletzt bei ungefähr 30 Prozent.
Anfrage bei den österreichischen Energieversorgen. Die Schneelage in den vergangenen Wintern sei durchwachsen gewesen, heißt es an vier Stellen. Von überdurchschnittlich im Jahr 2020/21 bis unterdurchschnittlich im Jahr darauf. Aber: "Für unsere Wasserkraftwerke ist die Niederschlagsmenge über das ganze Jahr entscheidend, die Schneelage im Winter ist nur ein Teil davon", erklärt Joseph Stocker, Sprecher des österreichischen Energiedienstleisters Kelag. Dass die Gletscher schneller schmelzen als bisher und in den kommenden Jahrzehnten ganz verschwunden sein könnten, ist für die Wasserwerke offenbar auch kein großes Problem. Geschmolzenes Gletscherwasser speist etwa die Speicherseen der Illerwerke in Vorarlberg nur zu rund drei Prozent, sagt Sprecher Andreas Neuhauser.
Problematischer schätzt Peter Meusburger von der Technischen Universität Graz Extremwetterereignisse wie Hochwasser oder Starkniederschläge ein. "Die lassen sich normalerweise nur bedingt nutzen und fließen größtenteils ungenutzt ab." Meusburger, der im Studiengang Wasserkraft lehrt, ist davon überzeugt, dass "die Wasserkraft eine Schlüsselrolle in der Energiewende und in der zukünftigen Versorgungssicherheit mit Strom spielen wird".
Österreich will 100 Prozent Ökostrom
Trotzdem stellen sich die Versorger darauf ein, dass sich die Stromerzeugung künftig verändert. Grund dafür ist unter anderem das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz (EAG). Es schreibt vor, dass das Land bis 2030 zu 100 Prozent mit eigenem Ökostrom versorgt werden soll. Bisher erzeugt Österreich gut drei Viertel seines Stroms mit erneuerbaren Energien. Mit Wasserkraft allein wird es aber nicht gehen. Im letzten Jahr wurde die Alpenrepublik erstmals seit Langem zum Nettoimporteur, kaufte also mehr Energie ein, als sie selbst exportierte. Das war zuletzt im Jahr 2000 so gewesen – und drückt die Ökobilanz der österreichischen Energieversorgung, denn das Eingekaufte stammt aus fossilen Energieträgern.
Prognosen des Versorgers Wien Energie zufolge könnte sich der Energiebedarf in Österreich bis zum Jahr 2040 verdoppeln – dank E-Mobilität, Wärmepumpen und steigendem Bedarf bei der Gebäudekühlung. Deshalb planen die Energieversorger, ihre Produktionsquellen auszubauen. Der Verbund, Österreichs größter Energieversorger, produziert seinen Strom bisher zu 90 Prozent mit Wasserkraftwerken. Künftig sollen Windräder und Photovoltaikanlagen 25 bis 35 Prozent davon produzieren. Damit reagiert das Unternehmen auch auf den Klimawandel und Extremwetterereignisse.
Umweltschützer kritisieren Wasserkraft
"Wir gehen auch davon aus, dass unsere Pumpspeicherkraftwerke eine noch bedeutendere Rolle spielen werden, um die volatile Erzeugung aus Windkraft und Photovoltaik flexibel auszugleichen und die Netzstabilität zu gewährleisten", teilt eine Verbund-Sprecherin schriftlich mit. Pumpspeicherkraftwerke – auch "Kathedralen des Ökostroms" genannt – werden zurzeit an mehreren Standorten in Österreich gebaut. Dabei handelt es sich um Hohlräume tief im Berg. Die dort eingebauten Turbinen werden durch das herabrauschende Wasser betrieben.
Die größte Anlage entsteht gerade in der Kraftwerksgruppe Kaprun im Bundesland Salzburg. Die Anlage "Limberg III" soll ab 2025 betrieben werden und verbindet die zwei Speicherseen Mooserboden und Wasserfallboden. Auch die Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz im Tiroler Kühtai plant einen neuen Speicher.
Kritik kommt von Umweltschützern. Sie befürchten, dass die Anlagen die Fluss- und Bergökologie weiter zerstören könnten. Der österreichische Ableger der Organisation WWF spricht von einem "grünen Mythos", denn 70 Prozent der Wasserkraftwerke sollen die ökologischen Mindeststandards nicht erfüllen. Staudämme würden etwa die Wanderung von Fischen behindern, weil die Flüsse in regelmäßigen Abständen durch Barrieren unterbrochen würden. "Der nur kleine Beitrag zur Energiewende steht in keinem Verhältnis zu Naturzerstörung", heißt es beim WWF.
2022 wurden EU-weit 325 Hindernisse in Flüssen entfernt, die meisten davon in Spanien, Schweden und Frankreich, zeigt der Jahresbericht von Dam Removal Europa. So könne sich die Artenvielfalt in den Gewässern regenerieren, sind Umweltschützer überzeugt. Der WWF plädiert dafür, Wasserkraftwerke vermehrt durch Photovoltaikanlagen auf Dächern zu ersetzen und den Energiekonsum allgemein herunterzufahren.
Für die österreichischen Stromversorger steht derweil fest: "Wir brauchen den Mix aus allen verfügbaren erneuerbaren Energiequellen" – also Wasser-, Windkraft, Photovoltaik und Biomasse. "Windkraft und Photovoltaik sind jene Energiequellen mit dem größten Ausbaupotenzial. Gleichzeitig sind die erwarteten Auswirkungen des Klimawandels auf diese Technologien sehr gering", sagt Kelag-Sprecher Stocker.
Wasserkraft-Experte Meusburger rechnet allerdings damit, dass die Bedeutung der Werke für die kurz- und mittelfristige Speicherung steigen wird. "Aktuell ist die Wasserkraft die einzige großtechnisch erprobte Stromspeichertechnologie und bietet neben minimalen Investitionskosten auch die höchsten Wirkungsgrade."
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