Sport im Alltag: Der renommierte Münchner Sportmediziner Martin Halle erklärt, wieso er Radfahren für den besseren Einstiegssport hält als Joggen, wie schnell sich dadurch die Gesundheit verbessern lässt - und wie viel man damit abnehmen kann.
Sport bringt die Organe zum Sprechen, sagt Sportmediziner Martin Halle. Besonders das Radfahren legt er allen ans Herz, die endlich fitter werden wollen. Halle leitet die präventive und rehabilitative Sportmedizin und Sportkardiologie an der Medizinischen Universitätsklinik Klinikum rechts der Isar der TU München.SZ: Herr Halle, Fahrradfahren soll gut für die Gesundheit sein. Ammenmärchen oder Binsenweisheit?
Martin Halle: Tatsächlich kann man nichts anderes behaupten: Fahrradfahren ist eine Bewegungsform, die wirklich gesund ist. Außer man fällt vom Rad.
Gilt das für alle?
Grundsätzlich schon. Gerade für Leute, die sonst nichts mit Sport am Hut haben, eignet sich das Fahrradfahren wunderbar als Einstiegssportart. Wer unfit oder übergewichtig ist, Knie- oder Fußprobleme hat, kann gut aufs Rad steigen. Hier wird einem das eigene Körpergewicht durch den Sattel teilweise abgenommen. Und durch die Gangschaltung hat man eine gute Steuerungsmöglichkeit, wenn man nicht so stark strampeln möchte. Für Gemütliche gibt es mittlerweile das E-Bike.
Dann bleibt aber vom Sporteln nicht mehr viel übrig. (das stimmt so überhaupt nicht, siehe hier)
Natürlich gilt: Wer auf dem Fahrrad sportlich aktiv werden will, muss in eine kontinuierliche Belastung kommen. Der Puls geht hoch, das Herz fängt an schneller zu schlagen, das Blut fließt mit stärkerem Druck durch die Gefäße.
Dann bekommt man gleich einen roten Kopf und vollgeschwitzte Kleidung. Was hat man davon?
Eine ganze Menge positiver Nebeneffekte. Durch den verstärkten Blutfluss zum Beispiel entstehen Scherkräfte an der Innenschicht der Gefäße. Das macht die Gefäßwände elastischer, die können dann mehr Sauerstoff transportieren und unsere Organe besser damit versorgen. Und das Beste an dem Effekt ist: Er lässt sich kontinuierlich ansammeln. So kann eine 60-Jährige die Gefäße einer 30-Jährigen haben, wenn sie regelmäßig Fahrrad fährt.
Wer jung bleiben möchte, sollte also mehr Fahrradfahren?
So kann man es auf den Punkt bringen. Und die Effekte beziehen sich nicht nur auf die Beine, die ja beim Radeln hauptsächlich aktiv sind. Auch die Gefäße in den Armen und sogar die Herzkranz-Arterien werden aktiviert. Der ganze Körper arbeitet mit und profitiert davon....
Also kann man auch ganz entspannt auf einer Spazierfahrt fitter werden?
Zumindest nicht unfitter. Aber natürlich gilt auch hier: Je höher die Intensität der Belastung, je mehr Muskulatur ich aktiviere, desto intensiver auch die Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems und desto stärker der gewünschte Effekt. Beim Joggen zum Beispiel, wenn der Körper deutlich stärker belastet wird, weil das eigene Gewicht komplett mitgenommen wird, sind die Effekte stärker als beim Fahrradfahren. Grundsätzlich kann man sagen, 15 Minuten Joggen gleicht 30 Minuten Fahrradfahren.
Welche Gesundheitseffekte sind denn noch wünschenswert?
Es gibt den sogenannten Crosstalk zwischen Knochen und Muskeln auf der einen Seite und Organen auf der anderen. Den wollen wir ankurbeln.
Was ist das?
Durch die Belastung der Muskeln und Knochen beispielsweise in den Beinen werden Osteokine und Myokine, also bestimmte Botenstoffe, ins Blut ausgeschüttet, die Kontakt aufnehmen mit allen anderen Organen im Körper. Und diese reagieren darauf mit spezifischen Anpassungen. Zum Beispiel wird so die Bildung von Polypen im Darm verhindert, eine mögliche Vorstufe von Darmkrebs. Oder die Regeneration der Netzhaut wird angekurbelt. Auch die kognitive Leistung unseres Gehirns wird verbessert und geschädigte Gefäße regenerieren.
Muskeln und Organe kommunizieren miteinander?
Ich beschreibe das unseren Studierenden immer so: Wenn man mit einem Mikrofon in den Körper hineinhören und so diese Vorgänge im Körper hören könnte von jemandem, der gerade sitzt, würde man nur Stille vernehmen. Wenn man das Mikro dann bei einer Person dranhalten würde, die gerade Sport treibt, würde man ganz viele verschiedene Geräusche hören. Das ist dann wie morgendliches Vogelgezwitscher im Körper, Organe sprechen miteinander.
Ein schönes Bild.
Dieses Gezwitscher ist auch enorm wichtig für unsere Gesundheit. Wenn die Zellen nicht aktiviert werden, fallen sie in den Winterschlaf. Deshalb sollte man den Körper hin und wieder in Belastungssituationen bringen. Das gilt auch besonders für unsere alternde Bevölkerung.
Wie meinen Sie das?
Es gibt gar nicht genug Altenpflegeheime für all die Menschen, die nichts für ihre Gesundheit tun. Es ist letztendlich die tägliche Bewegung und der Sport, der uns auch im hohen Alter fit hält.
Was empfehlen Sie allen Fahrradfahrern?
Treten Sie ab und zu mal für eine Minute voll in die Pedale, nehmen Sie sich zum Beispiel bei einem bestimmten Hügel, den Sie immer wieder fahren, vor, so richtig aus dem Sattel rauszugehen und Vollgas zu geben. Das ist nur ganz kurz anstrengend. Aber für den Körper sind die Gesundheitseffekte sehr stark.
Und wie motivieren Sie Unentschlossene?
Radfahren ist ein super Einstieg, gerade für Menschen mit Vorerkrankungen. Das geht auch bis ins hohe Alter prima. Und auch mit starkem Übergewicht. Besser sogar, man fängt mit Fahrradfahren an und nicht etwa - wie viele, die sich vorgenommen haben abzunehmen - mit Walken oder Joggen. Die haben nämlich spätestens nach einer Woche Knieprobleme, weil ihre Oberschenkelmuskulatur, die das Knie hält, nicht auf diese Art der Belastung vorbereitet war. Auf dem Fahrrad passiert das nicht so leicht.
Kann man mit dem Rad abnehmen?
Definitiv. Selbst wenn Sie Ihre Essgewohnheiten nicht verändern, zeigen Studien mit Übergewichtigen: Durch zweimal zehn Minuten am Tag Fahrradfahren kann man im Jahr fünf Kilogramm Körpergewicht verlieren. Wenn man dann noch die Ernährung verbessert, ist der Effekt natürlich noch stärker.
Wie lange muss man auf dem Sattel sitzen bleiben, damit es was bringt?
Selbst zehn Minuten zur Arbeit fahren - meines Erachtens ist das bereits wunderbar. Neueste Studien zeigen, dass 20 Minuten Radfahren täglich einen eindeutigen, positiven Effekt haben. Deshalb: Falls die Arbeit vier, fünf Kilometer entfernt liegt, einfach mal das Fahrrad hin- und zurücknehmen. Hält man das ein Jahr lang durch, hat man seinen Gesundheitszustand schon um zwei Drittel verbessert. Das gilt für den Blutdruck: Der Effekt ist vergleichbar mit einer Tablette, die man sonst morgens nehmen muss. Und ungefähr vergleichbar mit einem Diabetes-Medikament.
Aufs Rad steigen statt in die Pillendose zu greifen - für viele wäre das eine tolle Perspektive.
Es ist möglich. Es muss nicht immer das lange, anstrengende Joggen sein. Vielen ist das vielleicht nicht klar: Selbst 20 Minuten Fahrradfahren am Tag können das Leben radikal verbessern. Und das Gute ist: Es ist nie zu spät, damit anzufangen.
Nehmen Sie sich selbst beim Wort?
Ich habe mir irgendwann mal geschworen: Martin, immer dann, wenn du aus dem Haus gehst, nimmst du das Rad zur Arbeit. Und außer an den ein, zwei Tagen, an denen es wirklich stark regnet, mache ich es auch immer.
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