Mittwoch, 31. Mai 2023

Kommt das Renaturierungsgesetz unter die Räder?

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Auf europäischer Ebene werden derzeit die Weichen für den Schutz von Umwelt, Klima und Natur in den kommenden Jahrzehnten gestellt.

Angesichts ihrer Bedeutung finden die Beratungen und Entscheidungen in den Fraktionen, Ausschüssen, Kommission und Ministerräten eine viel zu geringe Beachtung. So droht gerade das wichtigste Naturschutzprojekt seit Jahrzehnten am Widerstand einer Allianz aus Lobbyverbänden, konservativen Parteien und einiger Regierungen zu scheitern: Die EU-Renaturierungsverordnung.

Sie ist ein Kernstück des „Green Deal“ der Kommission unter Ursula von der Leyen. Damit sollen nach den Plänen der EU-Kommission bis 2030 ein Fünftel aller geschädigten Ökosysteme in Europa ökologisch wieder in einen guten Zustand versetzt werden. Kommt die Verordnung, würde sie einen Meilenstein auf dem Weg zur Umsetzung des Weltnaturschutzabkommens markieren, auf das sich fast alle Staaten der Erde vor einem halben Jahr in Montreal geeinigt hatten.

Scheitert sie oder wird sie auf die lange Bank geschoben, scheitert auch das Versprechen der EU-Staaten, mit mutigen Schritten bei der Umsetzung des Montreal-Abkommens voranzugehen. Auch die Bundesregierung steht hier in der Pflicht. „Wir brauchen Deutschland dringend als starke Stimme. Die Bundesregierung muss sich laut und deutlich für das Gesetz aussprechen“, fordert auch Ariel Brunner. Mit dem Europachef des Vogelschutz-Dachverbandes BirdLife International haben wir ausführlich über das Thema gesprochen.

Lesen Sie das Interview hier.


Frankfurter Allgemeine Zeitung  hier Artikel von Hendrik Kafsack • 22. Mai

Naturschutzpaket: EU-Christdemokraten kündigen Green Deal auf

Anfang Juni 2024 ist Europawahl. Der Wahlkampf hat nicht begonnen, aber die seit Amtsantritt der aktuellen EU-Kommission bestehende Von-der-Leyen-Koalition bröckelt. Seit einiger Zeit klagen Sozialdemokraten, Liberale und Grüne im EU-Parlament, die christdemokratische EVP-Fraktion rücke vom Green Deal ab. Tatsächlich werben führende Christdemokraten wie der Klimapolitiker Peter Liese und der Vorsitzende des Agrarausschusses, Norbert Lins, für eine Regulierungspause.

Sie reagieren damit auch auf die Ergebnisse der jüngsten deutschen Landtagswahlen und der Provinzwahlen in den Niederlanden. Die hatten der Bauer-Bürger-Bewegung BBB nach Protesten gegen strikte Stickstoffgrenzwerte starke Gewinne beschert. „Wir haben am Green Deal mitgewirkt und sehr ambitionierte Klimaziele durchgesetzt“, sagt Liese. Zugleich seien die Menschen insbesondere im ländlichen Raum von den Vorschlägen, die allen voran auf Betreiben der Grünen in Brüssel und auch Berlin gemacht würden, objektiv überfordert (das neue Zauberwort der Verhinderer, die schon seit 20 Jahren auf der Bremse stehen)

Schon an diesem Dienstag wollen sie ein Zeichen setzen. Die EVP will im Agrarausschuss einen zentralen Gesetzesvorschlag aus dem Naturschutzpaket der Kommission vom vergangenen Juni ablehnen. Der federführend zuständige Umweltausschuss soll das Gesetz Mitte Juni dann beerdigen. Die Kommission, Grüne, aber auch der mächtige liberale Vorsitzende des Umweltausschusses, der Franzose Pascal Canfin, sind empört.

Ein Fünftel der Ökosysteme renaturieren

Der Vorschlag zur Renaturierung, um den es geht, soll die EU-Mitgliedstaaten verpflichten, 20 Prozent der Ökosysteme, auf dem Land wie im Wasser, bis 2030 wiederherzustellen. Es sei leicht, aus dem grünen Milieu der Innenstädte von Bonn, Aachen oder Tübingen eine Ausweisung von Naturschutzgebieten und ein strenges Management in Naturschutzgebieten zu fordern, sagt Liese.

In der Landwirtschaft jedoch führe das zu Existenzängsten. Darüber hinaus ständen zu strikte Naturschutzvorgaben im Widerspruch zum angestrebten Ausbau der erneuerbaren Energiequellen in Europa – und damit den Klimazielen. Der Vorschlag der Kommission sei so schlecht, dass er nicht geheilt werden könne. Das unterscheide ihn auch von den ebenfalls von der EVP kritisierten Vorschlägen zum Pflanzenschutz, wo zumindest Kompromisse denkbar seien.

„Die EVP befindet sich im Wahlkampfmodus“, sagt der Europaabgeordnete und Biolandwirt Martin Häusling (Grüne). „Wir können uns wie beim Klimaschutz beim Schutz der Biodiversität keine regulatorische Pause leisten; beide Krisen müssen als gleichwertige Krisen betrachtet werden.Die EU habe im Dezember auf dem Weltnaturgipfel in Montreal konkrete Ziele zugesagt. Diese müsse sie nun mit dem Vorschlag zur Renaturierung auch umsetzen.

Canfin wirft Liese die bewusste Verbreitung falscher Informationen vor. „Ich empfehle Herrn Liese den Blick in die Artikel 4 und 5 des Vorschlags“, sagt er. Da stehe ganz klar, dass der Ausbau von Wind- und Sonnenkraftanlagen inklusive der Netzanbindung von den Vorgaben ausgenommen sei. Der für den Vorschlag zuständige Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans geht noch einen Schritt weiter. Der Bau von Offshore-Windkraftanlagen könne auch eine Meeresschutzzone schaffen, sagt er im Interview mit dem französischen Onlinemedium „Contexte“.

Sümpfe haben einen Wert für den Klimaschutz

Diejenigen, die die biologische Vielfalt wiederherstellen wollten, und diejenigen, die auf demselben Land Solarparks oder Windräder bauen wollten, könnten zusammenarbeiten. Canfin betont, auch im Agrarteil des Green Deals gehe es um Klimaschutz. Das werde oft übersehen. Die Renaturierung von Sümpfen etwa kann nach Kommissionsangaben ein Viertel der Emissionen ausgleichen, die die Landwirtschaft erzeugt.

Für Timmermans und Canfin ist die Lage klar: Es geht den Christdemokraten nicht um Inhalte, sondern darum, Punkte am rechten Wählerrand zu sammeln. Nach den Wahlen in Italien, Schweden und Finnland zeige sich, dass die EVP etwas mehr nach rechts schaue, sagt Timmermans. Der Vorsitzende der EVP und Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), habe dabei offenbar keine Hemmungen, mit den rechten Fraktionen von ECR und ID gemeinsame Sache zu machen, sagt Canfin.

Dabei treffe jeder gegen den Green Deal gesetzte Stich die Kommissionspräsidentin und wahrscheinliche EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen. Schließlich sei der Green Deal zuallererst ihr Projekt. Canfin ist auch deshalb zuversichtlich, zumindest einen Teil der EVP-Fraktion doch noch zur Zustimmung zu bewegen und die Blockade zu verhindern. Die EU stehe vor zwei entscheidenden Wochen, sagt er.


TAZ hier

EU streitet über Umweltgesetze:  Brüsseler Klima-Konsens bröckelt

Frankreich, Belgien und die EVP fordern eine Pause bei der Umweltgesetzgebung. Sie bringen Kommissionschefin von der Leyen in Bedrängnis.

In der Europäischen Union wird der Ruf nach einer „Pause“ beim Umwelt- und Klimaschutz lauter. Knapp ein Jahr vor der Europawahl im Juni 2024 versuchen immer mehr Politiker, sich mit Warnungen vor „überbordender Bürokratie“ und „Überforderung der Industrie“ zu profilieren.

Den Auftakt machte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. „Was Regelungen angeht, sind wir vor den Amerikanern, den Chinesen und allen anderen Weltmächten“, kritisierte der rechtsliberale Präsident. Die EU dürfe nicht noch mehr Gesetze auf den Weg bringen, warnte Macron.

Ähnlich klingt es neuerdings in Belgien. „Wir müssen verhindern, dass der Wagen überladen wird“, warnte Premier Alexander De Croo. Er sprach sich gegen höhere Auflagen für Landwirtschaft und Industrie aus.

Im Europaparlament stellt sich die konservative Fraktion der Europäischen Volkspartei quer. Sie wirft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vor, zu viel ans Klima und zu wenig an die Industrie zu denken. In der letzten Woche kam es zum Eklat.

Fossile Allianz ist zurück

Bei den Beratungen über das sogenannte Naturschutzpaket, bei dem es um die Pestizidverordnung und um ein EU-Gesetz zur Renaturierung geht, gerieten sich EU-Klimakommissar Frans Timmermans und der CDU-Politiker Norbert Lins in die Haare. Die Landwirte seien überfordert, so Lins. Timmermans hielt dagegen, dass die Überschwemmungen in Italien zeigten, wie dringend nötig der Umwelt- und Klimaschutz sei. Eine Gesetzgebungspause könne sich Europa nicht leisten. Doch es half nichts: Zwei Ausschüsse stimmten am Ende gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur.

Einen Rückschlag gab es auch bei den erneuerbaren Energien. Auf Drängen Frankreichs und einiger osteuropäischer Staaten hat das Europaparlament einen Beschluss zu neuen Ausbauzielen für Erneuerbare auf Juni verschoben. Frankreich fordert, die Atomkraft stärker anzurechnen – schließlich sei sie ja klimafreundlich.

Möglicherweise bahnt sich eine neue Allianz an. Macron und De Croo gehören beide der liberalen Parteienfamilie „Renew“ an. Im Europaparlament könnten sie mit der EVP gemeinsame Sache machen.

Oder geht es vor allem gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen? Die CDU-Politikerin hatte den „Green Deal“ nach ihrem Wechsel nach Brüssel 2019 in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Der größte Teil ihrer Gesetze, die Europa bis 2050 klimaneutral machen sollen, wurde bereits verabschiedet. Einige wichtige Teile wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz fehlen aber noch.

Nun könnten sie in den Sog des Europawahlkampfs geraten, fürchten die Grünen. „Die fossile Allianz ist zurück“, warnt der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss. Sie reiche von Macron bis zur extremen Rechten. „Man versucht, mit populistischen Parolen gegen von der Leyen zu punkten“, so Bloss.

Ganz anders sieht das Peter Liese, der umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion. Der CDU-Politiker spricht von einer „Zeitenwende im Umweltausschuss“, nachdem dort ein Vorschlag der EU-Kommission gescheitert war. Die Vorlage zu Industrie-Emissionen wurde „in allen relevanten Punkten substanziell abgeschwächt“, so Liese. Dies sei jedoch kein Versuch, den Klimaschutz auszuhebeln. Es gehe darum, die „Dekarbonisierung der Industrie“ weiter voranzutreiben und dafür weniger wichtige Ziele zurückzustellen.

Vor allem die Menschen auf dem Land seien überfordert, erklärte Liese. Die Grünen hätten beim Umweltschutz überzogen. Die Gescholtenen weisen dies empört zurück. Es sei die EVP, die den Konsens aufgekündigt habe, heißt es bei den Grünen.

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