Sonntag, 21. Mai 2023

Absurder Vorwurf: Klimaprotest ist keine kriminelle Vereinigung

 TAZ hier

Die Ermittlungen gegen die Letzte Generation entbehren jeder Grundlage. Ein Berliner Staatsanwalt sieht keine schweren Straftaten.

Es ist ein unhaltbarer Vorwurf: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt gegen Mitglieder der Letzten Genration wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung; und auch das Landgericht Potsdam erklärte diesen Anfangsverdacht nun erst einmal für rechtmäßig und lehnte eine Beschwerde eines von einer Hausdurchsuchung betroffenen Aktivisten ab. Die Brandenburger Ermittler greifen damit zu dem schwerstmöglichen Vorwurf, der einer Kriminalisierung der Klimaaktivist:innen, vergleichbar etwa mit gewalttätigen Neonazi-Kameradschaften, gleichkommt und schwerwiegende Grundrechtseingriffe ermöglicht.

Sie stellen in den Raum, dass es sich bei den stets friedlichen und symbolischen Aktionen der Letzten Generation, um gewichtige Straftaten handele, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Mit der Realität hat das jedoch nichts zu tun, eher mit dem ungesunden Empfinden eines auf Rache für die Störungen trachtenden Mobs.

Wie wohltuend nüchtern und sachlich erscheint dagegen die Einschätzung der Berliner Staatsanwaltschaft. Der zuständige Oberstaatsanwalt Holger Brocke stellte die Vorwürfe schon im Januar vom Kopf auf die Füße. In einem Schreiben, das der taz jetzt bekannt wurde, begründete er auf fünf Seiten, wieso es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung anzusehen sei. Mit dem Brief begründete er einem besorgten Bürger, der eine entsprechende Anzeige gestellt hatte, warum von Ermittlungen hinsichtlich des Vorwurfs abgesehen wird.

Brocke argumentiert darin grundsätzlich, dass die Aktionen „nicht nur durch die verfassungsrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt sind, sondern sogar im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) stehen.“ Ergo: Die Mitglieder der Letzten Generation haben das Bundesverfassungsgericht im Rücken, wenn sie sich gegen den Rechtsbruch der Bundesregierung stellen, die nicht ausreichend für die Reduktion der Treibhausgasemissionen sorgt.

Keine schweren Straftaten

Dass sie dabei Straftaten begehen, steht außer Zweifel. Nur sind diese eben nicht von dieser Schwere und Relevanz, dass sie den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung stützen könnten. Brocke nimmt all jene Vorwürfe auseinander, die die Brandenburger Ermittler zur Grundlage ihrer Ermittlungen gemacht haben: Die Blockade des Flughafens BER, das Abdrehen von Ventilen in der Raffinerie in Schwedt und eine Kartoffelbrei-Attacke im Barberini-Museum in Potsdam.

Brocke würdigt all das, was im öffentlichen Aufschrei stets untergeht. Die Blockade des BER wurde von den Ak­ti­vis­t:in­nen zuvor bei der Feuerwehr angekündigt, eine konkrete Gefährdung des Flugverkehrs habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Genauso wenig war die Betätigung von Notfallventilen mehrerer Ölleitungen dazu geeignet, „zu nennenswerten Störungen von Anlagen oder Unternehmen“ zu führen. „Die Aktionen dürften den Rahmen eines letztlich symbolischen Charakters nicht überschritten haben“, so Brocke.

Das gilt ebenso für die Attacken auf Kunstwerke in Museen. Zwar sei dort mitunter Sachschaden entstanden und die Rahmen beschädigt worden, die Bilder selbst, die sich hinter einer Glasscheibe befinden, seien aber in keinem Fall beschädigt worden. Nichts spreche zudem dafür, dass die Ak­ti­vis­t:in­nen dies intendiert hätten.

In dem Schreiben geht es zudem um die gängigste Aktionsform der Letzten Generation, das Blockieren von Straßen, die selbst Brandenburger Ermittlern nicht als Taten einer kriminellen Vereinigung gelten. Diese fallen, so schreibt es Brocke, in den „Anwendungsbereich der Versammlungsfreiheit“ und verlaufen zudem friedlich. Auch beim Ausbremsen des Autoverkehrs auf Autobahnen durch eigene Fahrzeuge „dürfte es sich um ein langsames Ausbremsen gehandelt haben, bei dem keine Verkehrsteilnehmenden (konkret) gefährdet worden sind.“

Diese Woche hat die Berliner Staatsanwalt mitgeteilt, dass sich an ihrer Einschätzung hinsichtlich des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung nichts geändert habe. Wieso auch? Ihre Begründungen sind nicht von der Hand zu weisen.

Wie dagegen die Brandenburger Ermittler das Gegenteil all dessen in einem Hauptsacheverfahren beweisen wollen, bleibt ein Rätsel. Sie werden sich mit ihrem Ermittlungseifer blamieren.


Süddeutsche Zeitung hier  19. Mai 2023, Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Aktivismus:  Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung?

Erste Aktivisten sind bereits zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Sollte die Justiz noch einen Schritt weitergehen, hätte das für die Klimaschützer erhebliche Konsequenzen.

Es liest sich wie die Chronik einer unaufhaltsamen Eskalation. Wurde anfangs noch diskutiert, ob die Verkehrsblockaden der "Letzten Generation" aus Gründen des Klimaschutzes wirklich eine strafbare Nötigung seien, sind nun bereits die ersten Aktivisten zu Gefängnisstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Und inzwischen hält sich hartnäckig die Diskussion, ob man noch einen Schritt weiter gehen sollte. Ob die Klimaschützer als "kriminelle Vereinigung" einzustufen seien.

Bisher ist das freilich eine Sondermeinung im Lande Brandenburg, wo die Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen die Gruppe wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt; dort geht es unter anderem um eine Protestaktion der Aktivisten gegen die PCK-Raffinerie in Schwedt, bei der Ventile zugedreht worden sein sollen. Das Landgericht Potsdam hat die Einschätzung bekräftigt, und die Landespolitik applaudiert, bis hinauf zum Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD). Andere Staatsanwaltschaften hingegen, namentlich im Blockade-Hotspot Berlin, halten den gravierenden Vorwurf nicht für gerechtfertigt.

Wann gelten die Blockaden der "Letzten Generation" als Nötigung?

Wäre die "Letzte Generation" wirklich eine kriminelle Vereinigung, dann hätte dies erhebliche Konsequenzen für die Klimaschützer. Es bliebe nicht bei einzelnen Urteilen gegen Blockierer, die Justiz könnte vielmehr gegen alle Mitglieder der Gruppe vorgehen - Höchststrafe fünf Jahre Haft. Und selbst bloße Unterstützer wären mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe dabei; wer Aktivisten zum Einsatzort fährt, könnte sich auf der Anklagebank wiederfinden.

Schaut man sich den einschlägigen Paragrafen 129 genauer an, dann wachsen freilich die Zweifel an der harten Brandenburger Linie. Richtig ist zwar, dass Mitglieder der Gruppe Straftaten begehen - womöglich auch solche, die schwerer wiegen als die Nötigung hupender Autofahrer. Wegen der Aktion in der Raffinerie in Schwedt wird wegen Störung öffentlicher Betriebe ermittelt, Höchststrafe fünf Jahre. Als ähnlich heikel könnte sich eine Aktion am Berliner Flughafen erweisen.

Allerdings spricht Paragraf 129 von Gruppierungen, "deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist". Da scheiden sich die Geister: Verfolgt die "Letzte Generation" wirklich den "Zweck", Straftaten zu begehen? Oder sind sie lediglich das - aus Sicht der Aktivisten notwendige - Übel, das sie für ein höheres Ziel in Kauf nehmen, nämlich für den Klimaschutz? Zumindest bei den Klebeaktionen ist die Strafbarkeit keineswegs von vornherein klar, im Gegenteil: Wann Blockaden mit politischer Botschaft als Nötigung gelten und wann nicht, ist rechtlich hoch umstritten, da gibt es keinen Automatismus.

Noch entscheidender aber ist ein Punkt, auf den Matthias Jahn, Strafrechtsprofessor in Frankfurt, hinweist. Paragraf 129 ist ein sogenanntes Vorfelddelikt. Er droht bis zu fünf Jahre Haft an, auch wenn kein Tropfen Blut geflossen, kein bisschen Beute beiseitegeschafft ist - Strafe ohne Schaden. Ein Ring von Drogendealern kann ins Gefängnis gesteckt werden, bevor er auch nur ein Tütchen Stoff verkauft hat, und zwar deshalb, weil eine straff "auf die Begehung von Straftaten" ausgerichtete Truppe schon für sich genommen eine Gefahr darstellt. Man will das Kind retten, bevor es in den Brunnen gefallen ist.

Allerdings wird dieses "Vorfeld" allzu leicht uferlos, und die Ermittler nehmen den Paragrafen gern als Türöffner für eine Razzia. "Darin liegt das ganz große Besteck der Strafprozessordnung", sagt Jahn. Auch die Staatsanwaltschaft Neuruppin hatte gegen die "Letzte Generation" eine Durchsuchung veranlasst.

Klebeaktionen sind eher unangenehm als gefährlich

Deshalb benötigt die Vorschrift Leitplanken. Nur wenn die geplanten Straftaten eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit" bedeuten, kann man von einer kriminellen Vereinigung ausgehen, sagen die Gerichte. Hätte die "Letzte Generation" reihenweise Raffinerien lahmlegen wollen, wäre das eine klare Sache. War der Protest in Schwedt hingegen eine eher symbolische und noch dazu einmalige Aktion - wonach es bisher aussieht -, wäre der Vorwurf überzogen. Und bei den Klebeaktionen gilt das ohnehin, die sind eher unangenehm denn gefährlich.

Dass die Hürden hier hoch liegen, hatte der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus den 80er-Jahren deutlich gemacht. Damals ging es um ein Unternehmen, dessen einziger Zweck die illegale Vermittlung von Arbeitskräften war. "Paragraf 129 soll die erhöhte kriminelle Intensität erfassen, die in der Gründung oder Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet", schrieb der BGH damals. Das setze eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus - die von den illegalen Arbeitsvermittlern nun wirklich nicht ausgehe.

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