Samstag, 20. Mai 2023

Warum die Extremwetter in Südeuropa ein Lehrbeispiel für Politikversagen sind

SPIEGEL Klimabericht DER SPIEGEL - Klimabericht <themennewsletter@angebote.spiegel.de>

Freitag, 19. Mai 2023  Susanne Götze  hier

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

hatten Sie vor, im Sommer Urlaub in Südeuropa zu machen? Dann sollten Sie noch mal genau überlegen, wohin die Reise geht. Statt türkisfarbener Pools und malerischer Altstädte könnten Sie an einigen Orten eher von der Klimakrisen-Realität überrascht werden. Die ist weniger malerisch: Ein Aperol auf verschlammten Terrassen oder eine Woche bei mehr als 30 Grad Celsius ohne fließend Wasser sind wahrscheinlich wenig erholsam.

Die verstörenden Szenen der vergangenen Wochen aus Italien, Spanien und Frankreich holen so manche aus ihrer Komfortzone. Langsam wird das mit dem Verdrängen wirklich schwierig.

Diese Woche hat es die Menschen an der Adriaküste erwischt: Nach heftigen Regenfällen in der Region Emilia-Romagna und den Marken kam es zu teils dramatischen Überschwemmungen, mindestens 14 Menschen sind bereits gestorben, immer noch gibt es Vermisste. In einigen Gebieten der Emilia-Romagna fielen in 36 Stunden bis zu 50 Zentimeter Regen – das ist rund die Hälfte der jährlichen Menge. Auch in Bologna und Ravenna mussten 8000 Menschen ihr Zuhause verlassen, Zehntausende waren ohne Strom, Dutzende Städte und Gemeinden überschwemmt, zahlreiche Orte meldeten Erdrutsche.

In der betroffenen Stadt Forlì flohen viele Einwohnerinnen und Einwohner barfuß und in Panik in der nächtlichen Dunkelheit vor den Wassermassen. Einigen reichte das Wasser laut einem AFP-Fotografen bis zur Brust. »Das ist das Ende der Welt«, schrieb Bürgermeister Gian Luca Zattini auf Facebook. Seine Stadt sei »am Boden«.

»Nichts wird jemals wieder sein wie zuvor, das zeigen die Geschehnisse dieser Stunden«, sagte der Minister für Zivilschutz Nello Musumeci. »Wenn der Erdboden für eine lange Zeit trocken bleibt, wird er nicht aufnahmefähiger, sondern zementiert.« Dann ströme das Regenwasser über die Oberfläche, »was absolut unvorstellbare Zerstörung bringt«. 

Und er fügte hinzu: Italien habe es zunehmend mit tropischem Wetter wie in Afrika zu tun, wo lange Dürreperioden von heftigen Regenfällen unterbrochen werden, die der ausgetrocknete Boden nicht aufnehmen kann.

Dass dies ein Politiker sagt, der zur extrem rechten Partei Fratelli d’Italia von Premierministerin Giorgia Meloni gehört, ist bemerkenswert. Jahrelang hatten gerade rechte Parteien in Europa Klimaschutz ausgebremst. Meloni hatte allerdings schon im Wahlkampf angekündigt mehr für den Klimaschutz tun zu wollen.

Das wäre nun ein guter Anlass – allerdings ist die Lage in Italien recht komplex: Die Unwetter in Norditalien sind nicht nur Folge einer beispiellosen Winterdürre und von Starkregen, der laut Weltklimabericht in den kommenden Jahrzehnten häufiger und heftiger auftreten wird. An dem Ausmaß der Katastrophe ist auch jahrelanges politisches Fehlverhalten schuld. Italienische Behörden und Politiker taten bisher nicht nur wenig für Klimaanpassung, sondern gingen auch sonst recht respektlos mit der Natur um.

Gegenteil von Klimaanpassung: Brandrodung und Bauland an Hängen

Die Probleme sind also hausgemacht, die Klimakrise verschlimmert die Situation noch. Forschende warnen schon seit Jahren , dass Italien in Bezug auf Erdrutsche und Überflutungen eines der gefährdetsten Länder Europas ist. Seit den Fünfzigerjahren gab es dort mehr als eine halbe Million Erdrutsche, schreibt die Gruppe um den Geografen Philipp Blum in einer Studie, die erstmals eine europäische Datenbank erstellt hat.

Unbestritten ist, dass solche Erdrutsche wegen Klimawandelfolgen wie stärkere Regenfälle zunehmen. Doch es gebe noch einen weiteren Grund: Immer mehr Menschen siedeln sich laut den Forschenden an Hanglagen an. Neues Bauland bedeutet für die Gemeinden mehr Einnahmen. Auf den Grundstücken entstehen denn Wohnhäuser sowie Hotels oder Airbnb-Wohnungen mit tollem Bergblick. Auch der illegale Häuserbau boomt, oft gepaart mit Brandrodung, was die Berge noch instabiler macht. Solche Bauten sind so ziemlich das Gegenteil von Klimaanpassung.

Ähnliches lässt sich im Umgang mit Flüssen beobachten: »Überschwemmungen kann man nicht verhindern, aber wenn man aufhören würde, große Flächen zu versiegeln und die Flussauen in einen naturnahen Zustand zurückversetzen würde, dann wäre schon viel gewonnen«, erklärt Klimaforscher und einer der Autoren des Weltklimaberichtes, Wolfgang Cramer gegenüber dem SPIEGEL.

Im Fall von Italien kommen derzeit zudem zwei Krisen zusammen: die Flut und die Wasserknappheit. Wissenschaftler warnen, im Mittelmeerraum könne die Trockenheit in diesem Sommer die Rekorddürre des Vorjahres übertreffen. Norditalien fehlten nach zwei Jahren der Wasserknappheit 70 Prozent der Schneewasserreserven. Die Bodenfeuchtigkeit sei an vielen Orten um rund 40 Prozent gesunken. Ein derartiger Wassermangel könnte eine Situation wie im vergangenen Jahr auslösen.

Laut Antonello Pasini, Klimawissenschaftler des Nationalen Forschungsrats Italiens zeichne sich ein Trend ab: »Es gibt eine Zunahme der Niederschlagsmenge pro Jahr, aber gleichzeitig eine Abnahme der Anzahl der Regentage und eine Zunahme der Regenintensität an den wenigen Tagen, an denen es regnet.«

Das letzte Wasser für Export-Erdbeeren

Ähnliches ist derzeit in Spanien zu beobachten – auch dort geht es ums Wasser. Und auch dort reagieren Politiker fahrlässig auf die Folgen des Klimawandels. Auf der iberischen Halbinsel ist es so trocken wie seit mindestens 1200 Jahren nicht. In Südspanien wird enorm viel Gemüse und Obst angebaut, jetzt geht den Landwirten das Wasser aus.

Für den Anbau von Erdbeeren, die vor allem in Deutschland gegessen werden, soll nun in Andalusien ein Naturparadies geopfert werden. In dem 1969 gegründeten Nationalpark Doñana im Südwesten des Landes, der gut 122.000 Hektar umfasst und damit etwa halb so groß wie das Saarland ist, geht der Grundwasserspiegel schon seit Jahren dramatisch zurück. Der Grund: Legale und illegale Brunnen werden benutzt, um große Wassermengen vor allem für Frucht- und Gemüseplantagen sowie für den Tourismus abzuzweigen. Weil gerade Wahlkampf ist, stellt sich die konservative Regionalregierung nun in dem Wasserstreit auf die Seite der Bauern. Sie will die zulässige Anbaufläche für Erdbeeren um weitere rund 800 Hektar erweitern.

Im vergangenen Sommer haben die Behörden rund 71 illegal gebohrte Brunnen versiegelt. Allerdings bohren die betroffenen Bauern oft neue Brunnen – die Erträge, die sich mit Erdbeeren erzielen lassen, sind höher als die Bußgelder. Die Gewinne sind auch der Grund, warum die Politik kaum eingreift.

Spanien ist daher mittendrin im Kampf um die Ressource Wasser. Dort geht es nicht »nur« um einen Nationalpark – der übrigens erheblich zur Kühlung der Umgebung beträgt und als Feuchtgebiet CO₂ bindet – sondern auch die Frage der gerechten Verteilung knapper werdender Ressourcen. Sollte man seine letzten Wasserreserven für Exportfrüchte vergeuden? Oder sollte man eher überlegen, den Landwirten Anbau-Alternativen anzubieten und sie in Klima-angepasster Landwirtschaft zu schulen?

Die Beispiele zeigen exemplarisch, was bei den Maßnahmen zum Klimaschutz und der Anpassung an die Folgen falsch läuft: Riskante Entscheidungen werden für kurzfristige Profite etwa im Tourismus-Geschäft, in der Landwirtschaft und der Immobilienbranche gefällt, für die am Ende die Allgemeinheit gerade stehen muss. Denn den Katastrophenschutz, die Gesundheitsversorgung und Hilfe für den Wiederaufbau bezahlen wir alle – nicht die Unternehmen. Vorsorge ist deshalb im Interesse der Gemeinschaft.

»Vermeidung einer weiteren Verschärfung der Klimakrise und Anpassung an das was nicht vermieden werden kann – beides ist extrem wichtig«, kommentiert auch Weltklimarat-Forscher Cramer. In der Klimaforschung weise man inzwischen seit 30 Jahren auf genau diese Risiken hin. »Es bleibt unverständlich, warum eine engagiertere Politik trotzdem auch heute noch fehlt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen