Sonntag, 28. Mai 2023

Please, stärke die AfD - der derzeitige Politikstil in Deutschland trägt bestens dazu bei

Spiegel hier Eine Kolumne von Christian Stöcker  27.05.2023

Die FDP tut sich innerhalb der Koalition durch Sabotage und Ablenkungsmanöver hervor.
»Bild« und Union unterstützen mit populistischen Phrasen. Das nützt – absolut vorhersehbar – vor allem einer anderen Partei.

Bitte beantworten Sie im Kopf mal eben folgende Frage, schnell und ohne nachzudenken: Die Anhänger welcher Partei haben am meisten gegen die Grünen?

Merken Sie sich bitte die Antwort, wir kommen später darauf zurück.

Vergleicht man das amtliche Endergebnis der Bundestagswahl mit der jüngsten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, sieht man ein ziemlich klares Ergebnis. Innerhalb der Ampelkoalition hat nur eine Partei leicht dazugewonnen: Die Grünen liegen in der Umfrage bei 16 Prozent, bei der Wahl kamen sie auf 14,8 Prozent. Die SPD dagegen hat fast sechs Prozentpunkte eingebüßt, von 25,7 auf 20. Und die FDP hat ihr Ergebnis fast halbiert, von 11,5 auf 6 Prozent.

Sicher, Umfragen haben Fehlermargen, sind Momentaufnahmen und unterschiedliche Institute kommen zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen. Aber im Großen und Ganzen zeigen alle Sonntagsfragen der vergangenen Wochen, egal ob von Kantar, Forsa, Allensbach, GMS und so weiter ähnliche Ergebnisse: Die Grünen liegen zwischen 14 und 17 Prozent, die FDP zwischen 6 und 8, die SPD zwischen 18 und 20,5.

Verunsicherung hilft den Extremisten

Prozentual größte Gewinnerin im Vergleich zum Wahlergebnis aber ist verlässlich die AfD. Bei der Wahl am 26. September 2021 bekam sie 10,3 Prozent, jetzt liegt sie zwischen 15 und 17. Die AfD ist eine rechtsradikale bis rechtsextreme Partei, mit der bislang zum Glück niemand koalieren will. Wie kommt es also, dass mehr Menschen bereit scheinen, sie zu wählen?

Sicher: Es herrscht Verunsicherung im Land, die Klimakrise ist tatsächlich da, und langsam hat auch der letzte begriffen, dass es wirklich eine Transformation geben wird, um sie abzubremsen und international konkurrenzfähig zu bleiben. KI, Klima, Krieg, alles verändert sich, alles scheint immer schneller zu gehen. Von so etwas profitieren, wenn es dumm läuft, die Extremisten mit den vermeintlich einfachen Lösungen.

An dieser Stelle kommt aber auch ein aus der Politikwissenschaft stammender Fachbegriff ins Spiel, der in dieser Kolumne schon vor fünf Jahren einmal Thema war: »Issue ownership«. Der Begriff des US-Politologen John Petrocik bezeichnet die Tatsache, dass bestimmte Themen bestimmten Parteien »gehören« können. Klimaschutz gehört bei uns am ehesten den Grünen, soziale Gerechtigkeit reklamieren SPD und Linke gleichermaßen für sich, und so weiter. »Issue Ownership« hat Auswirkungen: Wenn die Themen einer Oppositionspartei medial besonders präsent sind, profitiert diese Partei davon in der Regel auch in Umfragen und Wahlen. Das ist empirisch mehrfach gezeigt worden.

Die Pole sind nicht »links« und »rechts«

Was haben Sie bei der Eingangsfrage spontan gedacht? Meine Vermutung ist: Sie haben gedacht, dass das Thema »Ablehnung der Grünen« ein AfD-Thema ist. Damit hätten Sie recht: Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung  zufolge, die auf Umfragen in den Jahren 2019 und 2020 basiert, lehnten damals 77 Prozent der Anhängerinnen und Anhänger der AfD die Grünen ab. Das ist ein Spitzenwert, der nur von einer anderen Konstellation übertroffen wird: Die Anhängerschaft der Grünen lehnt die AfD zu 92 Prozent ab. 

In der Studie stehen diese wichtigen Sätze:

 »In allen anderen Parteianhängerschaften gibt es diese Konstellation, also Sympathie für die AfD und Ablehnung der Grünen, zu weniger als 5 Prozent.«

 »Die politische Lagerbildung spiegelt sich in den Haltungen zu Grünen und AfD.«

All das ist nicht übermäßig überraschend, schließlich tritt die rechtsradikale AfD seit vielen Jahren lautstark gegen das von ihr selbst geschaffene Feindbild »linksgrün versifft« an.
Dieses Feindbild macht sich die Union, insbesondere die wahlkämpfende CSU, derzeit mehr und mehr zu eigen. Die CSU, aber auch Teile der CDU machen Mafia-Witze über Wirtschaftsminister Robert Habeck (samt gephotoshopptem »Der Pate«-Plakat), übernimmt die antigrünen Slogans der »Bild«-Zeitung (»Heiz-Hammer«, »Heiz-Pranger«, »Heizungsspionage«, »Heiz-Stasi«), spricht im Gleichklang mit der AfD  bei jedem Anflug von strategischem Denken von »Planwirtschaft«. Dabei stellt bei den Grünen wirklich niemand die Marktwirtschaft infrage.

Die »Heiz-Stasi« gibt es schon – in Bayern

Die wiederum von »Bild« angefachte Aufregung über die Erhebung kommunaler Heizungsdaten ist übrigens ziemlich lustig: So eine »Energie-Stasi«, so einen »Schnüffel-Staat« (so der Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt ) gibt es bereits ! Nämlich in von der Union mitregierten Bundesländern Baden-Württemberg  und Schleswig-Holstein  – und im CSU-Land Bayern . In allen drei Ländern sehen Klimaschutzgesetze eine entsprechende Datenerhebung schon vor.

Sehr oft geht es eben nicht um echte inhaltliche Differenzen, um unterschiedliche Auffassungen zu Sachfragen, sondern um die Diffamierung der Partei an sich. Um Strohmann-Attacken.
Friedrich Merz ließ den Grünen kürzlich auf Twitter unterstellen, sie hegten »Hass auf die marktwirtschaftliche Ordnung, die Art, wie wir leben und arbeiten«. Das ist im Tonfall nicht mehr von Äußerungen aus der AfD zu unterscheiden.

Für die Union funktioniert das womöglich sogar halbwegs, immerhin kommt sie derzeit auf vier bis sechs Prozentpunkte mehr als vor der Wahl. Das könnte allerdings auch einfach an der schwächelnden SPD liegen. Im Verhältnis gewinnt die Union jedenfalls immer noch weniger als die AfD. Und die Union wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eines Tages auch im Bund mit den Grünen koalieren müssen. Die trumpeske Diffamierung des politischen Gegners ist in einem Land mit Verhältniswahlrecht selten ratsam oder gar nachhaltig. Vor allem aber beschädigt sie die Qualität des politischen Diskurses und damit am Ende die Demokratie selbst.

Vergleich mit Putin, Partylaune

Auch innerhalb der Koalition ist das Thema »Abwertung des grünen Koalitionspartners« bekanntlich, FDP sei Dank, salonfähig. Die Liberalen schicken immer wieder Leute vor, die den lächerlichen Kampfbegriff »Heizungsverbot« benutzen, um ein Gesetz zu kritisieren, dem sie selbst längst zugestimmt hatten. Ein Rechtsaußenvertreter der 6- bis 8-Prozent-Partei behauptete kürzlich, »Millionen Deutsche wären schlagartig in Partylaune, wenn die Grünen aus der Bundesregierung aussteigen«. Wolfgang Kubicki wollte  im März Parallelen zwischen Robert Habeck und Wladimir Putin entdeckt haben. Als das erwartbar für Entrüstung sorgte, entschuldigte Kubicki sich.

Fraktionschef Dürr macht mit »Bild« gemeinsame Sache gegen das von seinem Parteivorsitzenden kurz zuvor noch gelobte Gebäudeenergiegesetz: »Ich werde Habecks Heiz-Hammer entschärfen.« Immer geht es gegen die Grünen. Aber nicht gegen die echten, mit denen man koaliert, sondern gegen eine fiktive Partei, die die Marktwirtschaft ablehnt, Planwirtschaft einführen und Heizungen verbieten will. Eine Partei, die angeblich im Alleingang will, was man in Wahrheit selbst schon im Koalitionsvertrag festgelegt hat. Gegen eine Strohmann-Partei.

Und wem hilft das am Ende?

Wenig überraschend für Leute, die das mit der »Issue Ownership« verstanden haben, bringt all das wirklich etwas: der Partei nämlich, zu deren Markenkern die wütende Ablehnung der Grünen gehört. Eine offenkundig zerstrittene Regierung, ständige Desinformation (um anschließend zu beklagen, der Wähler sei nun »verunsichert«) wie die aberwitzige Behauptung, deutsche Gasheizungen würden demnächst mit Wasserstoff betrieben, Polemik und Kampfbegriffe statt Argumenten und Lösungsvorschlägen – so bereitet man Protestparteien den Boden.

Wenn man den Stil der Extremisten – Drama, Diffamierung, Desinformation – übernimmt, treibt man die Leute diesen Extremisten in die Arme. Eine Studie aus dem Jahr 2022  kommt zu dem Schluss: »Wir finden keine Evidenz dafür, dass Anpassungsstrategien Unterstützung für Rechtsradikale reduzieren. Wenn überhaupt, legen unsere Ergebnisse nahe, dass sie dazu führen, dass mehr Wähler zur radikalen Rechten übergehen.«

Lindners lustiger Interviewsatz

Der CEO des Springer-Verlags hatte seinen damaligen Chefredakteur bekanntlich gebeten : »Please Stärke die FDP.« (sic) Die AfD mag Mathias »sehr für den Klimawandel« Döpfner seinen SMS zufolge eigentlich gar nicht. Aber auch »Bild« und »Welt« tragen mit ihrer unterbrechungsfreien Anti-Grünen-Kampagne  vor allem zu etwas anderem bei: Please, stärke die AfD.

Lustigerweise hat FDP-Chef Christian Lindner, der bekanntlich bereits zum zweiten Mal mit einer Springer-Journalistin verheiratet ist, diese Woche in einem Interview gesagt : »Wir machen die AfD nicht klein, indem wir ihre Parolen übernehmen.«

Da hat er recht: Die FDP macht die AfD nicht klein, indem sie ihren Stil übernimmt. Sie macht sich selbst klein – und die AfD größer.

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