Montag, 22. Mai 2023

Frankreich hat sich verrannt mit der Atomkraft und verzögert nun die Verabschiedung des EU-Gesetzes zu Erneuerbaren - nach dem Vorbild der FDP

Kira Taylor, Sean Goulding Carroll | EURACTIV.com | übersetzt von Luka Krauss  hier  19. Mai 2023


Die Richtlinie über erneuerbare Energien (RED) stand am Mittwoch (17. Mai) vor der formellen Verabschiedung, nachdem die Mitgliedstaaten der EU und das Europäische Parlament am 30. März eine vorläufige politische Einigung erzielt hatten. [European Union]

Die formelle Verabschiedung der EU-Richtlinie über erneuerbare Energien wurde verschoben, nachdem Paris in letzter Minute Einspruch erhoben hatte. Paris fordert weitere „Garantien“ für kohlenstoffarmen Wasserstoff aus Kernkraft.

Die Einigung kam nach monatelangen, angespannten Verhandlungen zustande, da Frankreich, unterstützt von den östlichen Mitgliedstaaten der EU, die Anrechnung von „kohlenstoffarmem Wasserstoff“ aus Kernenergie auf die Ziele der Union für erneuerbare Energien durchsetzen wollte.

Dieser Aspekt des Abkommens war in Artikel 22b der Richtlinie verankert, in dem die Ziele für sauberen Wasserstoff zur Dekarbonisierung der europäischen Industrie festgelegt sind.

Es dauerte mehrere Wochen, bis die Rechtsexperten den Text fertiggestellt hatten, und die Botschafter der 27 EU-Mitgliedstaaten wollten ihn am Mittwoch formell absegnen.

Doch der Punkt wurde in letzter Minute von der Tagesordnung gestrichen, wie Schweden mitteilte, das die sechsmonatige rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat und für die Genehmigungsverfahren zuständig ist.

Die schwedische Ratspräsidentschaft lehnte es ab, sich zu den Gründen für die Verzögerung zu äußern, aber es scheint, dass es möglicherweise nicht genug Unterstützung für die Verabschiedung des Gesetzes gab, wobei mehrere von EURACTIV kontaktierte Diplomaten Frankreich die Schuld gaben.

Ein EU-Diplomat warf Paris vor, „mit harten Bandagen“ um Zugeständnisse zu kämpfen. „Das Gesetz wurde von sehr engen nationalen Interessen als Geisel genommen“, sagte ein zweiter Diplomat, der anonym bleiben wollte.

Französische Quellen bestätigten am Mittwoch, dass die Verzögerung mit der Sorge um die Kernenergie und ihren Status in der Richtlinie über erneuerbare Energien zusammenhängt.

„Frankreich hat während der gesamten Verhandlungen die technologische Neutralität des Textes verteidigt, so dass die Kernenergie und die erneuerbaren Energien nicht in Konkurrenz zueinander gesetzt werden“, sagte eine französische Quelle, die dem Dossier nahe steht.

Der politische Kompromiss zu Artikel 22b „ist ein Sieg für die Berücksichtigung der Kernenergie auf europäischer Ebene“, weil er „den EU-Mitgliedstaaten mit einem bedeutenden Anteil an kohlenstoffarmem Wasserstoff erlaubt, den geforderten Anteil an erneuerbarem Wasserstoff zu begrenzen“, so die französische Quelle gegenüber EURACTIV.

„Aus diesem Grund möchte Frankreich die von Belgien und den Niederlanden vorgenommenen Änderungen bei der Umsetzung der Wasserstoffziele klären“, so die französische Quelle weiter.

Paris möchte darüber hinaus „Garantien für die Mittel erhalten, die auf europäischer Ebene eingesetzt werden, um die Ziele der Richtlinie über erneuerbare Energien zu erreichen“, damit Europa „einen Dekarbonisierungsplan aufstellen kann, der Bestand hat.“

Die französischen Bedenken bezüglich des Wasserstoffs kommen zu den Sorgen hinzu, die von den mittel- und osteuropäischen Ländern geäußert wurden, die das Gesetz für zu ehrgeizig halten.

Länder wie Tschechien, die Slowakei und Bulgarien erwägen, den endgültigen Kompromisstext nicht zu unterstützen, auf den man sich am 30. März in „Trilog“-Gesprächen zwischen der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat geeinigt hatte.

„Wie die Entwicklung der Verhandlungen zeigt, werden die Ergebnisse der Triloggespräche über die Richtlinie über erneuerbare Energien […] von einer großen Gruppe von Mitgliedstaaten ernsthaft angezweifelt“, so ein dritter EU-Diplomat.In Brüssel herrscht Verwirrung darüber, wie man aus der Sackgasse herauskommt.

„Es ist ein Chaos“, kommentierte ein vierter EU-Diplomat gegenüber EURACTIV, während ein anderer meinte, es werde „in Korridoren diskutiert, nicht in Sitzungen.“

Frankreich im Gespräch mit der schwedischen EU-Präsidentschaft

Es ist nicht ganz klar, was Paris mit der Verzögerung erreichen will, obwohl französische Quellen sagen, dass es um die Rolle der Kernenergie bei der „Umsetzung der Wasserstoffziele“ geht, die im Rahmen der Richtlinie vereinbart wurden.

„Wir sind derzeit in Gesprächen mit der Präsidentschaft, unseren Partnern und der Kommission, um diese Elemente zu berücksichtigen, die der gesamten europäischen Industrie zugute kommen sollten“, sagte die französische Quelle, die dem Dossier nahe steht.

„Das Ziel ist es, den Text unter der schwedischen Ratspräsidentschaft mit diesen Anpassungen sehr schnell abzuschließen“, so die Quelle.

Einige vermuten jedoch, dass Frankreich die Verzögerung nutzt, um mehr Unterstützung für die Kernenergie zu gewinnen.

„Die Entscheidung des Ratsvorsitzes, die Richtlinie über erneuerbare Energien zu verschieben, scheint mit den Vorbehalten einiger ‚atomarer‘ Staaten unter der Leitung Frankreichs zusammenzuhängen, die eine stärkere Anerkennung kohlenstoffarmer Energie nuklearen Ursprungs in der RED angestrebt hätten“, so ein fünfter Diplomat gegenüber EURACTIV.

Deutscher Präzedenzfall

In diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens, in dem ein Text bereits von den Vertretern der Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament gebilligt wurde, wird allgemein davon ausgegangen, dass er nicht noch einmal aufgerollt wird, sondern einfach nur abgesegnet wird.

Die Verzögerung erinnert an den Streit, der bei der endgültigen Einigung über die CO2-Normen für Kraftfahrzeuge entstanden ist. Einige befürchten, dass damit ein Präzedenzfall geschaffen wurde, bei dem große Mitgliedstaaten der EU ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um Zugeständnisse zu erhalten.

Ein solcher Schritt Frankreichs könnte als ein weiteres Beispiel für die Verachtung der EU-Demokratie angesehen werden, kommentierte ein Diplomat. „Das ist kein guter Tag für die Demokratie oder kleine und mittlere Länder“, sagte ein anderer gegenüber EURACTIV.

„Die Befürchtung ist, dass dies in Zukunft weitere Probleme bei der Verabschiedung von Gesetzen schaffen könnte“, fügte der Diplomat hinzu.

ReFuel EU gerät ins Kreuzfeuer

Die Verschiebung der Einigung über die EU-Richtlinie über erneuerbare Energien hat Folgen für ein anderes Gesetz über umweltfreundliche Flugkraftstoffe, ReFuelEU genannt.

Eine endgültige Einigung über die ReFuelEU-Verordnung hat sich ebenfalls verzögert, da die Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, deutlich gemacht haben, dass ihre Unterstützung für das Dossier von der Verabschiedung des Gesetzes über erneuerbare Energien abhängt.

Aus diplomatischen Kreisen der EU verlautete, dass verwandte Klimagesetze als ein größeres Paket betrachtet werden sollten, sodass ReFuelEU nicht isoliert verabschiedet werden sollte. Während andere Umweltgesetze bereits verabschiedet wurden, ist ReFuelEU eng mit der Richtlinie über erneuerbare Energien verknüpft.

Ein Vorstoß der Mitgliedstaaten, angeführt von Frankreich, synthetische Kraftstoffe mit geringem CO2-Ausstoß in ReFuelEU aufzunehmen, erwies sich als großes Hindernis bei den Verhandlungen über die Verordnung über umweltfreundlichen Flugzeugtreibstoff und führte zum Abbruch der Gespräche im Dezember.

Die im Rahmen der Vereinbarung über das Gesetz für erneuerbare Energien erzielten Klarstellungen über die Verwendung von Wasserstoff aus Kernenergie führten jedoch zu einer Wiederaufnahme der Gespräche, die am 25. April zu einer Einigung führten. Die Vereinbarung sieht vor, dass synthetische Flugkraftstoffe mit geringem CO2-Ausstoß, die mit Kernenergie hergestellt werden, als nachhaltige Flugkraftstoffe zugelassen werden.

Laurent Donceel, stellvertretender Geschäftsführer des Airline-Verbandes A4E, sagte gegenüber EURACTIV, dass die Entscheidung, ReFuelEU zu verschieben, „bedauerlich“ sei und hätte vermieden werden sollen.

„Der anhaltende Streit zwischen Frankreich und Deutschland, bei dem es diesmal um die Rolle der Kernenergie in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie geht, torpediert nun die nachhaltigen Flugkraftstoffe der EU“, sagte er.

„Das sollte die Verhandlungspartner nicht zurück an den Tisch zwingen“, fügte er hinzu.Wenn ein Ausweg aus der Sackgasse des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gefunden wird, würde wahrscheinlich auch das Dossier der nachhaltigen Flugkraftstoffe angenommen werden. Die schwedische Ratspräsidentschaft sagt, dass die Gespräche noch andauern, aber es bleibt abzuwarten, wie sie bei dem Versuch, das Gesetz zu verabschieden, vorankommt.


Standard  Kolumne/Rudolf Skarics 19. Mai 2023,

Atomstrom ohne Perspektive

Obwohl das Abdrehen des letzten Atomkraftwerks in Deutschland auf den ersten Blick unlogisch klingt, hat es dennoch seine Berechtigung

Deutschland schaltet gerade seine letzten Atommeiler ab. Das klingt eigentlich nicht ganz logisch angesichts des zunehmenden Bedarfs an elektrischem Strom, einerseits zur Versorgung der stark wachsenden Elektromobilität mit Energie, andererseits als Ersatz von Erdgas. Gleichzeitig werden Kohlekraftwerke weiter betrieben.

Nicht wirtschaftlich

Da wäre es doch nur konsequent, im Sinne der Klimarettung die weitgehend CO2-freie Atomkraft weiter zu nutzen. Die meisten Atomkraftwerke in Europa gehen aber dem Ende ihrer geplanten Nutzungsdauer entgegen oder sind schon drüber hinaus. Das macht sie gefährlich. Zugleich ist eine sicherheitstechnische Aufrüstung extrem kostspielig.

Aber allein aus marktwirtschaftlicher Sicht hat Atomkraft keine Zukunft: Sie ist die teuerste Art der Energiebereitstellung, nur mit extrem viel Steuergeld überhaupt bezahlbar. Das Interesse privater Investoren ist gering. Keine Versicherung will sie versichern.

Keine Erfolgsgeschichte

Nimmt man das Geld und steckt es in die Weiterentwicklung anderer Energieformen und Energiesparmaßnahmen, ist es möglich, wesentlich schneller den CO2-Ausstoß zu senken als mit der Aufrüstung alter und dem Bau neuer Atomkraftwerke.

Und eine Erfolgsgeschichte ist Atomkraft sowieso nicht: Trotz gewaltiger Lobbys im Hintergrund liegt ihr Anteil an der globalen Energieversorgung nur bei fünf Prozent. Das Einzige, was hier Strahlkraft hat, ist der Atommüll, den wir für Jahrtausende hinterlassen. Außerdem: Mit zunehmender Trockenheit wird es immer schwieriger, Atomkraftwerke zu kühlen. 

Grafik rechts zeigt die Abschaltung bzw. Inbetriebnahme von AKW`s weltweit über die Jahre: RND hier

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