Zeit hier Interview: Petra Pinzler 25. Mai 2023
Die Grünen seien nicht anfälliger dafür, Vertraute einzustellen als andere, sagt LobbyControl-Sprecherin Christina Deckwirth. Dennoch brauche es strengere Regeln.
Wirtschaftsminister Robert Habeck wurde zuletzt hart dafür kritisiert, sich vor allem mit Vertrauten zu umgeben. Wann wird Nähe zum Problem? Und ist es beim Klimaschutz besonders schwierig, dem Einfluss bestimmter Lobbys zu entgehen? Das haben wir Christina Deckwirth gefragt. Die Politikwissenschaftlerin ist Campaignerin im Berliner Büro der Transparenzinitiative LobbyControl und beschäftigt sich besonders mit den Themen Autolobby, Lobbyismus und Klima sowie Wissenschaftslobbyismus.
ZEIT ONLINE: Wir wollen darüber sprechen, wo Korruption anfängt, welche Art von Nähe in der Politik in Ordnung ist und ob es gute und böse Lobby gibt. Entzündet hat sich die Debatte zuletzt an dem ehemaligen Staatssekretär Patrick Graichen. Der wollte seinen Trauzeugen einstellen und, wie sich danach herausgestellt hat, auch noch einer Organisation Geld zukommen lassen, bei der seine Schwester ehrenamtlich im Vorstand arbeitet. War das alles noch Mauschelei oder schon Korruption?
Christina Deckwirth: Als Korruption, also als massiven Machtmissbrauch zum eigenen Vorteil, würde ich das nicht einschätzen. Aber es war falsch und ein schweres Fehlverhalten. Habeck hatte ja betont, dass es scharfe Compliance-Regeln für Interessenkonflikte im Ministerium mit Familienmitgliedern gab. Nachdem sich nun gezeigt hat, dass diese offenbar doch nicht funktioniert haben, musste der Rücktritt auf jeden Fall folgen. Die Bundesregierung insgesamt muss nun ihre Compliance-Verfahren und ihren Umgang mit Interessenkonflikten verbessern.
ZEIT ONLINE:Robert Habeck hat seinen Staatssekretär Patrick Graichen entlassen. Wie beurteilen Sie das?
Deckwirth: Die Entlassung war angesichts der bekannt gewordenen neuen Tatsachen richtig und konsequent.
ZEIT ONLINE: Sind die Grünen besonders anfällig dafür, gute Freunde und Bekannte einzustellen?
Deckwirth: Nein. Das gibt es bei anderen Parteien auch und es ist bis zu einem gewissen Grad sogar angemessen, dass man sich nach einem Regierungswechsel Leute in das Ministerium holt, mit denen man zusammenarbeiten kann und die die gleiche politische Linie verfolgen. Schließlich will man schnell etwas voranbringen, schnell die Politik machen, für die man gewählt wurde. Nur müssen diese Leute schon fachlich gut sein. Sie dürfen den Job nicht vor allem wegen ihrer parteipolitischen oder ideologischen Nähe bekommen. Und an Auswahlverfahren beteiligt sein, wenn es um enge Freunde geht, das geht natürlich gar nicht. Hier sind schärfere Compliance-Regeln absolut notwendig.
ZEIT ONLINE: Gibt es Rankings, welche Partei es besonders arg treibt?
Deckwirth: Nein, es fallen aber immer mal wieder einzelne Fälle auf. Bei der CSU ist die sogenannte Verwandtenaffäre ja noch nicht sehr lange her. Da beschäftigten Dutzende CSU-Landtagsabgeordnete Familienmitglieder auf Staatskosten. Und die CSU spielte auch bei den Maskenaffären eine herausgehobene Rolle. Weniger schwerwiegend, aber dennoch problematisch: Finanzminister Christian Lindner ist aktuell in der Kritik, weil er einen Parteifreund im Aufsichtsrat der Commerzbank unterbringen will.
ZEIT ONLINE: Können wir die Sache einmal grundsätzlich klären? Einen politisch Gleichgesinnten zum Staatssekretär zu machen, ist in Ordnung, aber das ganze Ministerium und die nachgeordneten Behörden mit Leuten aus der eigenen Partei zu besetzen, ist sicher falsch. Bis zu welcher Ebene finden Sie die Einstellung von politischen Gleichgesinnten richtig?
Deckwirth: Es ist völlig in Ordnung, dass die Leitungsebene ausgetauscht wird, wenn sich die Spitze eines Ministeriums ändert. Abteilungsleiter sind politische Beamte, also können diese Posten auch politisch besetzt werden, wobei die Beamten natürlich die nötige Qualifikation haben müssen. Ob es bis runter in die Referatsleiter gehen sollte, darüber kann man streiten. Habeck wurde zum Teil auch dafür kritisiert, dass er dort zu wenig ausgetauscht hat. Schließlich waren und sind in seinem Ministerium einige Leute beschäftigt, die in der Vergangenheit sehr viel Nähe zur Gasindustrie hatten – einschließlich der russischen.
ZEIT ONLINE: Bauministerin Geywitz wird vorgeworfen, dass in ihrem neuen Ministerium besonders viele Leute mit SPD-Parteibuch einen Job bekommen. Ist das in Ordnung?
Deckwirth: Nur so lange nicht das Parteibuch, sondern die fachliche Qualifikation den Ausschlag gibt. Es dürfen da keine Versorgungsstrukturen geschaffen werden.
ZEIT ONLINE: Es heißt, die Grünen und die Ökobewegung seien sehr miteinander vermischt und dass sich die Klima-Experten alle kennen. Also muss die Partei zwangsläufig auf Bekannte und deren Expertise zurückgreifen. Ist da was dran?
Deckwirth: Die Gruppe an Menschen, die das notwendige fachliche Wissen hat, ist sicherlich nicht sehr groß. Andere Parteien habe viel zu lange versäumt, in der Klimapolitik die nötigen Netzwerke aufzubauen. Insofern ist eine gewisse Nähe zwischen Umweltverbänden, Klimaschutzorganisationen und den Grünen sozusagen in der DNA der Partei angelegt – und historisch und inhaltlich bedingt. Es ist also nicht überraschend, dass man sich da kennt. Das ist bei der SPD und ihrer Nähe zu den Gewerkschaften ähnlich – oder zum Beispiel auch bei der CDU und dem Bauernverband. Wichtig ist aber auch, dass die Umweltszene unterschiedliche Fraktionen mit unterschiedlichen Haltungen hat. Es gibt mehr als die Agora Energiewende, deren Chef einst der Staatssekretär Patrick Graichen war.
ZEIT ONLINE: Die Agora Energiewende ist ein Thinktank, eine sogenannte Ideenfabrik. Sie schreibt Studien, berät Regierungen und bringt Experten aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zusammen. Durfte sich Staatssekretär Graichen von ihr beraten lassen?
Deckwirth: Ja, das Ministerium darf sich selbstverständlich mit verschiedenen Akteuren austauschen. Wichtig ist dabei zum einen, auf einen ausgewogenen Austausch zu achten.
Wichtig ist zum anderen eine Brandmauer auf jeden Fall dort, wo es um die Vergabe von Geldern geht. Und genauso wichtig ist es, bei der Besetzung von Posten aufzupassen. Dazu gab es im Ministerium ja zum Teil auch Compliance-Regeln, die aber offenbar nicht gut genug eingehalten wurden. Hier braucht es größere Sensibilität und schärfere Regeln – und das nicht nur im Wirtschaftsministerium, sondern für die gesamte Bundesregierung.
"Alles mit allem gleichzusetzen, halte ich für verzerrend"
ZEIT ONLINE: Ist die Agora Energiewende und sind vergleichbare Thinktanks eigentlich Lobbyorganisationen?
Deckwirth: Ja, wenn man unter "Lobby" die Organisationen versteht, die Politik direkt beeinflussen wollen. Sie stehen deswegen im Lobbyregister, wie auch andere Umweltorganisationen. Reine Thinktanks, die nicht auf die Politik zugehen, sind allerdings ausgenommen. In der aktuellen Debatte ist es auch wichtig, begrifflich nicht alles gleichzusetzen. Es gibt einen Unterschied zwischen denen, die für die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder kämpfen, und gemeinwohlorientierten Gruppen. Bei Umweltverbänden oder auch bei der Agora Energiewende geht es aber nicht darum, Gewinne zu machen, sondern es geht es darum, Klimaschutz voranzubringen im Sinne des Gemeinwohls.
ZEIT ONLINE: Es gibt also gute und schlechte Lobby?
Deckwirth: Nein, es geht nicht um gut oder schlecht. Gewinnorientierte Unternehmen sind nicht per se schlecht und es ist nicht jede Organisation gut, die sich gemeinnützig nennt und auch den rechtlichen Status hat. Wichtig ist: Wer will da was? In welchem Auftrag wird lobbyiert? Geht es einer Organisation vor allem darum, private Gewinne zu maximieren? Oder geht es darum, Umweltschutz, Menschenrechte, Verbraucherschutz voranzubringen im Sinne des Gemeinwohls. Da gibt es dann bei der Bewertung schon einen qualitativen Unterschied. Alles mit allem gleichzusetzen, halte ich für verzerrend und damit auch sehr gefährlich.
ZEIT ONLINE: Aber können nicht auch die, die für wirtschaftliche Interessen lobbyieren, am Ende etwas für das Gemeinwohl tun: Beispielsweise indem sie dann Arbeitsplätze sichern?
Deckwirth: Ja, durchaus. Es gibt ja keine klare Definition dessen, was das Gemeinwohl jeweils ist. Das muss immer politisch ausgehandelt und abgewogen werden, da können verschiedene wichtige Anliegen gegeneinanderstehen. So auch beim Thema Arbeitsplätze: Meist profitieren die Beschäftigten und die Region davon, wenn Arbeitsplätze erhalten oder neu geschaffen werden. Manchmal ist es aber im Sinne des Gemeinwohls, eher auf die Transformation zu setzen, um langfristig wirklich zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Das kann für Geschäftsmodelle gelten, die etwa das Klima schädigen und deswegen für die Gesellschaft mittel- und langfristig insgesamt problematisch sind.
ZEIT ONLINE: Wenn aber die Agora Energiewende, um noch einmal das Beispiel zu bemühen, massiv für den Ausbau der erneuerbaren Energien wirbt, dann nützt das der Solar- und Windindustrie. Kann man da überhaupt sauber zwischen privaten Interessen und Gemeinwohlinteressen trennen?
Deckwirth: In der Regel, ja. Die Agora ist nicht die Lobbyorganisation der erneuerbaren Energien. Das tut der Solarverband oder der für Windkraft. Entscheidend für das Urteil über die Lobbyorganisation ist nicht, wem ihr Wirken nebenbei etwas nutzt. Entscheidend ist, in welchem Auftrag die Organisation etwas erreichen will. Wie sie rechtlich organisiert ist. Und wer sie finanziert und wie transparent das ist. Grenzen können dann verwischen, wenn gemeinnützige Organisationen sich stark durch Unternehmen finanzieren. Deswegen ist eine transparente Finanzierung von Interessengruppen auch so wichtig.
ZEIT ONLINE: Der Agora Energiewende wird vorgeworfen, dass sie sehr viel Geld aus den USA bekommt. Ist so etwas ein Problem?
Deckwirth: Bei Agora finanziert mit dem US-Amerikaner Hal Harvey eine Einzelperson einen Teil des Budgets und übt damit einen gewissen Einfluss aus. Das sehen wir kritisch. Allerdings muss man das Geld der Umweltorganisationen immer auch ins Verhältnis zu den Beträgen setzen, die die Gegenseite ausgeben kann.
ZEIT ONLINE: Mit der Gegenseite meinen Sie diejenigen, die gegen eine ehrgeizige Klimapolitik sind?
Deckwirth: Ja, wir kennen die Zahlen aus dem neuen Lobbyregister des Bundestages. Durch das kann man neuerdings ein bisschen mehr darüber erfahren, wie viel Geld für welche Lobbyarbeit ausgegeben wird. Wir haben uns kürzlich die Gasindustrie angeschaut und kommen auf 40 Millionen Euro pro Jahr für Lobbyarbeit. Auf der anderen Seite stehen die drei größten Umweltverbände, die im Bereich Gas aktiv sind. Die haben 1,5 Millionen Euro für ihre Lobbyarbeit ausgegeben. Also nur einen Bruchteil.
ZEIT ONLINE: Ist es eigentlich beim Klimathema besonders schwierig, eine lobbyfreie Expertise zu bekommen?
Deckwirth: Es ist wahrscheinlich schwierig, jedenfalls wenn man den Lobbybegriff so weit fasst, wie wir es in diesem Gespräch tun. Denn sogar die Wissenschaft ist ja oft nicht ganz frei von interessengeleiteten Einflüssen. Denn auch die Forschung an Universitäten wird nicht selten mit Geld beispielsweise von Unternehmen finanziert. Wenn Exxon oder Wintershall an die Politik herantreten, dann sind deren Interessen sofort klar. Wenn aber eine auf den ersten Blick unabhängige Studie einer Universität etwas sagt, dann ist das Interesse oft nicht so klar. Also verstecken sich auch Unternehmen gern mal hinter scheinbar unabhängiger Expertise. Mit einem Professorentitel wirkt jede Aussage gleich viel glaubhafter. Wichtig ist es deswegen, immer wieder genau hinzuschauen, wer gerade warum welche Studie veröffentlicht. Und wer sie bezahlt. Denn das Klimathema ist einfach heiß umkämpft.
ZEIT ONLINE: In den letzten Jahren gab es nicht nur die Verwandtenaffäre im bayerischen Landtag, sondern auch den Maskenskandal. CDU- und CSU-Politiker hatten ihre Kontakte in die Ministerien genutzt, um lukrative Verträge abzuschließen. Wurden daraus zu wenig Konsequenzen gezogen?
Deckwirth: Die große Koalition hat noch unter dem Druck der Masken- und – nicht zu vergessen – der Aserbaidschan-Affäre das Abgeordnetengesetz deutlich verschärft und dabei viele unserer Forderungen aufgenommen. Auf eine Verschärfung des Strafgesetzes gegen Abgeordnetenbestechung konnten sich Union und SPD dann aber nicht mehr einigen, obwohl das angesichts der Skandale ebenfalls dringend ist. Die Ampel-Koalition ist mit großen Vorsätzen angetreten, hat die Reform dieses Gesetzes auch im Koalitionsvertrag angekündigt. Passiert ist aber bisher wenig. Und der aktuelle Fall um Graichen und Co. zeigt, dass der Umgang mit Interessenkonflikten und die Transparenz darüber gerade in der Leitungsebene der Ministerien deutlich konsequenter werden muss. Wir fordern eine unabhängigere Kontrolle der Compliance-Regeln und mehr Anzeigepflichten, etwa was Beteiligungen an Unternehmen angeht. Deutschland steht da im internationalen Vergleich immer noch nicht gut da.
ZEIT ONLINE: Im Bundestag wird ja gerade an Reformen gearbeitet, was halten Sie davon?
Deckwirth: Am dringendsten ist die Reform des Lobbyregistergesetzes, dort müssen Lücken geschlossen werden, damit es zu einem tatsächlich wirksamen Transparenzinstrument wird. Hier erwarten wir, dass die Ampel noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorlegt, der idealerweise um eine "Lobby-Fußspur" für Gesetze ergänzt wird. Wir wollen wissen, welche Lobbyakteure in welcher Weise auf die Formulierung von Gesetzen in den Ministerien Einfluss genommen haben. Dringend ist auch die Reform der Parteienfinanzierung, hier scheint aktuell die FDP auf der Bremse zu stehen, wenn es um mehr Transparenz bei Parteispenden geht. Und das, obwohl es dazu im Koalitionsvertrag bereits eine Einigung gab. Dabei bräuchte es nicht nur mehr Transparenz, sondern auch einen Deckel dafür, wie viel Geld einzelne Personen oder Unternehmen einer Partei zukommen lassen können. Es ist schlichtweg undemokratisch, wenn Superreiche unbegrenzt Einfluss auf die finanzielle Ausstattung von Parteien nehmen und damit ihren politischen Interessen überproportional viel Gewicht verleihen können.
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