Klartext hat der Weltklimarat versprochen, falls es Regierungen noch immer nicht kapiert haben. Der neueste Bericht vom März 2023 hat diesen Klartext geliefert - und räumt gleichzeitig mit einem alten Missverständnis auf.
Klar, die Botschaft ist nicht neu. Zögern war gestern, jetzt muss gehandelt werden, dieses und nächstes Jahr, und zwar weltweit - das ist das Fazit des sogenannten Syntheseberichts des Weltklimarates IPCC, der am Montag, 20. März 2023 im schweizerischen Interlaken vorgestellt wurde. Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben mit mehr als 650 Regierungsvertretern darum gerungen, die Dinge so glasklar wie möglich darzulegen.
Plötzlicher Forscher-Streik
Der Prozess lief mühsam, weil die Zusammenfassung für Politiker Zeile für Zeile durchgekaut werden musste. Nicht jede Regierung, etwa Saudi-Arabien oder China, hat Interesse an einer wirklich schonungslosen Darstellung. Erst mit 48 Stunden Verspätung wurde der Bericht fertig. Eigentlich hätte der Report schon im Oktober 2022 erscheinen sollen, noch vor dem Start der letzten Weltklimakonferenz in Ägypten. Doch umstrittene Personalentscheidungen des IPCC-Sekretariats führten zu Verzögerungen, manche Forscherinnen und Forscher traten zwischendurch sogar in Streik.
Dabei ist der Bericht wichtig, denn er fasst tausende Klima-Studien aus aller Welt zu einem anerkannten Stand der Forschung zusammen. Den Regierungen der Erde dient er somit als Entscheidungsgrundlage. Doch für die Politik fällt das Fazit nur wenig schmeichelhaft aus.
Was ist eigentlich der IPCC-Bericht?
Der IPCC-Bericht, auch Weltklimabericht, gibt den aktuellen Stand des Klimawandels und dessen Auswirkungen auf unseren Planeten wieder.
Die verantwortliche Instanz ist das sogenannte "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC), also ein zwischenstaatlicher Ausschuss zum Klimawandel. In Deutschland kennt man ihn vor allem unter dem Namen "Weltklimarat".
Das Hauptziel: Strategien zu finden, wie die Menschheit sich dem Klimawandel anpassen oder Auswirkungen vermindern kann. Um das herauszufinden, werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt einberufen. Sie arbeiten dann in ihren jeweiligen Disziplinen an sogenannten Sachstandsberichten, die vom Weltklimarat in unregelmäßigen Abständen herausgegeben werden.
Der aktuelle Bericht ist eine Besonderheit: Seit 2021 werden jährlich Teilberichte publiziert, die einen großen Umfang abdecken sollen. Am 20. März wurde der abschließende Teil des sechsten Weltklimaberichtes veröffentlicht.
Achteinhalb verlorene Jahre
„Wir haben achteinhalb Jahre verloren", sagt Matthias Garschagen, Klimaforscher an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Mitautor des neuesten Berichts. „Was Klimaschutz angeht, waren wir nicht so effektiv, wie wir es hätten sein müssen.“ Dabei laufe uns die Zeit in zweierlei Hinsicht davon: Einerseits beim Klimaschutz, um das Schlimmste zu verhindern. Und andererseits bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die jetzt schon zu beobachten sind - Hitze, Überschwemmungen, Dürren. „Das hat Vorlaufzeiten. Das müssen wir planen. Wir brauchen da einen politischen Prozess und so weiter. Also, uns geht auch dort die Zeit aus.“
Zumal sich bereits jetzt zeigt: Die Systeme der Erde reagieren empfindlicher auf den menschengemachten Klimawandel, als viele Forscherinnen und Forscher angenommen hatten. „Was wir in diesem Jahrzehnt tun, wird sich auf tausende Jahre auswirken“, heißt es im Synthesebericht.
Nur: „Es passiert definitiv zu wenig“, sagt Mitautor Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „In der globalen Klimapolitik wird mehr versprochen als geliefert wird.“ Dabei seien Regierungen durchaus zu raschen Kehrtwenden fähig, erinnert Garschagen: „Die Welt ist recht erstaunt, wie schnell wir uns beispielsweise von russischem Gas unabhängig machen.“
„Uns fehlt es nicht an Technologie oder Wissen“
Zumal das Rezept schon längst bekannt ist. Klimaschädliche Emissionen senken; den CO2-Ausstoß so teuer machen, dass Unternehmer in Alternativen investieren; Bäume pflanzen statt Wälder roden; weniger Fleisch essen, weil das Mästen und Weiden viel CO2 verursacht; Gebäude besser dämmen; fossile Energien durch erneuerbare wie Windkraft ersetzen; den öffentlichen Verkehr ausbauen, und: ein Ende des Verbrennermotors. Wie Klimaschutz bestmöglich gelingen kann, hat die Wissenschaft schon durchgespielt. Wo es hapert, ist die Umsetzung.
„Die wichtigste Botschaft ist, dass wir die Lösungen schon haben“, sagt Friederike Otto, deutsche Klimaforscherin an der britischen Universität Oxford und Mitautorin des Berichts. „Es ist nicht so, dass es uns an Technologie fehlt oder an Wissen. Woran es uns global betrachtet fehlt, ist das Gefühl der Dringlichkeit.“
Absage an „Nebelkerzen“
Manche in der Öffentlichkeit diskutierten, vermeintlichen Lösungen kommen daher im IPCC-Bericht kaum vor. Es sei etwa eine „Nebelkerze“, wenn die EU wie geplant am Verbrennermotor festhalten wolle, wenn auch ab 2035 nur noch mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels), sagt Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg. „Es wird nur winzige Mengen E-Fuels geben, die braucht man für den Flugverkehr, denn der lässt sich nicht elektrifizieren.“
Als Nebelkerze könnte man auch etwas anderes bezeichnen: „Es gibt eine gefährliche Tendenz in Teilen der deutschen Politik“, sagt Garschagen. „Manche meinen, wenn wir Technologien wie die Kohlenstoffentnahme aus der Atmosphäre und Lagerung entwickeln, könnten wir es mit der Emissionsreduzierung langsamer angehen - aber das ist falsch. Wir brauchen die Entnahme und starke Reduzierungen, um unsere Klimaschutzziele überhaupt noch erreichen zu können.“
Die Angst vor dem „Overshoot“
In der Wissenschaft ist dieses Konzept als „Overshoot“ bekannt: Man schießt über das eigentliche Ziel der Erderwärmung von maximal 1,5 Grad hinaus, aber erreicht durch die Kohlenstoffentnahme nachträglich noch eine Abkühlung, um doch wieder bei 1,5 Grad zu landen. Dem „Overshoot“ widmet der Bericht ein eigenes Kapitel - mit der Botschaft: Die zwischenzeitlichen Folgen für die Menschheit sind nicht kontrollierbar. „Das wäre wirklich riskant“, sagt Garschagen. „Unterwegs würden wir ganze Ökosysteme verlieren, wir würden Gletscher verlieren, wir würden Korallenriffe verlieren. Wir sollten wirklich versuchen, das zu vermeiden.“
Ziel ist laut Pariser Klimaabkommen, die Erderwärmung auf 1,5 oder höchstens 2 Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Sie liegt bereits bei etwa 1,1 Grad. In Deutschland ist sie sogar höher, weil sich Landregionen schneller erwärmen als die Meere. Der Weltklimarat hat schon dargelegt, dass das 1,5-Grad-Ziel praktisch nicht mehr zu schaffen ist.
Missverständnis 1,5 Grad
Tatsächlich glauben manche Forscherinnen und Forscher: Das 1,5-Grad-Ziel selbst ist so eine Nebelkerze, die den Blick aufs Nötige trüben könnte. „Mit dem 1,5-Grad-Ziel haben wir uns möglicherweise selbst ein Bein gestellt“, sagt Geden. „Viele denken an ein Kliff: Wenn es darüber hinausgeht, ist alles vorbei.“ Das könne zu Fatalismus führen, nach dem Motto, dann könne man es auch ganz lassen, wenn es eh schon zu spät sei. „Das Klimasystem gerät bei 1,51 Grad nicht außer Kontrolle“, sagt er. Umgekehrt gilt auch: Selbst wenn wir es schaffen, die Erwärmung auf 1,4 Grad zu begrenzen, ist nicht automatisch alles paletti.
Die genaue Gradzahl sei zweitrangig, sagt Geden. Die größtmögliche Klimaanstrengung sei nötig, weil jedes Zehntelgrad weniger Erwärmung das Risiko von Hitzewellen, Starkniederschlägen und Dürren verringere. Mit diesem Missverständnis will auch der Synthesebericht aufräumen. Das 1,5-Grad-Ziel wird erst am Ende des Berichts erwähnt, zuvor gibt es hingegen viele Grafiken und Kurven, die genau anzeigen, wie viel Schaden ein zusätzliches Zehntelgrad Erderwärmung verursachen könnte. „Die Risiken nehmen mit jeder schrittweisen Erhöhung der Temperaturen zu“, heißt es im Bericht.
Von Untergangsszenarien hält auch Marotzke nichts: „Es wird keine Apokalypse kommen.“ Das Leben werde gefährlicher, aber dass es auf der Erde gar nicht mehr möglich sein könnte, sei falsch.
Lebenswerte Zukunft für alle
Garschagen betont, Klimaschutz sei nicht nur mit Kosten und Herausforderungen verbunden: „Wenn wir beispielsweise Städte umbauen mit mehr Wasser, mehr Begrünung, mehr Beschattung, wenn Gebäude und Dächer begrünt werden, werden sie auch lebenswerter. Oder wenn wir Flächen, auf denen Futtermais für Schweine für unseren Fleischkonsum angebaut wird, in Auenlandschaften verwandeln würden, hätte das auch einen gesellschaftlichen Mehrwert für die Naherholung.“
„Leider hält sich noch der Reflex: Klimaschutz tut weh“, sagt Geden. „Oder: Wir würden mehr verdienen, wenn wir diese oder jene Maßnahme nicht umsetzten. Aber: Klimaschutz sichert mittelfristig unseren Wohlstand - da muss man hinkommen.“ Das sei auch die Botschaft des Berichts, sagt der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee: „Wenn wir jetzt handeln, können wir immer noch eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft für alle sicherstellen.“
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